'Der schottische Bankier von Surabaya' - Seiten 183 - 270

  • Und noch so etwas, wo ich den Plot leider nicht überzeugend finde: Ava mag sich zwar ihre Sorgen um Onkel machen, aber dennoch erledigt sie gerade einen Auftrag - und da läuft sie ohne Handy zu der Verabredung mit dem Chef der Bank, dessen Unterchef wahrscheinlich gerade in Toronto 30 Mio. Dollar abgezockt und die beiden Männer, die das Ding ursprünglich gedreht haben, umgebracht hat? Es könnten interessante Informationen auflaufen, Onkel könnte im Sterben liegen, was weiß ich. Sie steckt mitten in einem Job und trinkt sich mit diesem zwielichtigen Kerl einen an? Sie wird außerdem noch vor ihm im Blick auf sein Verhalten Frauen gegenüber gewarnt und lässt ihn dann mit ihrem Getränk allein? :pille Und das ist die Frau, die es ansonsten schon seit Jahren erfolgreich mit den ganz bösen Jungs aufnimmt und deren Partner der Chef einer Hongkonger Triade ist? Sorry, aber das passt ja wohl überhaupt nicht zusammen. :hmm

  • Es ist unlogisch, weil sie in geschäftlichen Fragen bisher immer ihre Grenzen kannte. Andererseits ist es auch die klassische Situation: sie merkt, dass er völlig bekifft und durchgeknallt aussieht - und will keinen Rückzieher mehr machen.


    Noch unlogischer finde ich allerdings, was sie mit Vivian Ho am Telefon bespricht. In einer Region, in der du ständig von irgendwelchen Geheimdiensten beobachtet und abgehört wirst, plaudern die Ladies über existenzielle Dinge am Telefon!

  • Ich muss auch sagen, dass ich generell ein Problem damit habe, wie hier die Linien zwischen den Bösen und den Guten verschwimmen. Eine Triade ist ja, wenn ich das recht verstehe, kein Wohltätigkeitsverein, und Onkels / Avas Aktivitäten laufen oft genug im Bereich des Illegalen ab, auch wenn sie das gelegentlich dazu nutzen, die anderen zuvor geschehenen illegalen Dinge wieder "auszumerzen". Das mag mal eine interessante Abwechslung zu den ganzen politisch und sozial korrekten skandinavischen Krimis sein, die ich ansonsten meistens lese (wenn nicht gerade ein neuer Vargas erschienen ist :heisseliebe ), aber es gefällt mir nicht wirklich. Ich frage mich, was diese Figuren eigentlich für eine Substanz haben. Wie gesagt, das ist durchaus mal spannend und faszinierend zu lesen, und natürlich ist mir klar, dass auch Gangster irgendwen lieben können und sich manchen Menschen gegenüber loyal verhalten, aber so eine grundsätzliche Weichenstellung hat man im Leben doch getroffen, wenn man sich auf diese Seite begibt - daher kann ich die Figuren nur sehr begrenzt sympathisch finden und für ihr Handeln fehlt mir oft das Verständnis. Verhält sich in diesen Strukturen auch mal irgendwer einfach selbstlos, ohne dass im Hintergrund gleich ein paar neue Fäden ins Geflecht der gegenseitigen Gefallen und Verpflichtungen gewoben werden?

  • Eben. Und ich denke, der wusste genau, was da lief. :rolleyes Deshalb frage ich mich, warum sie ausgerechnet bei ihm die Informationen über den reizenden Mr. Cameron einkauft. Er weiß doch dadurch viel zu viel über sie.


    Fay und ihr Gatte stecken vielleicht auch mit drin; selbst für die hilfreiche Dr. Ho würde ich nicht meine Hand ins Feuer legen. :chen

  • Ava hatte bisher mit "Männern fürs Grobe" zu tun, die Onkel Chow absolut ergeben waren. Nun ist sie auf eine Ebene gelangt, auf der es schwer sein würde, die ausgedrückte Zahnpasta irgendwann wieder in die Tube zurückzubekommen. Perkasa ist dem Onkel ergeben und seine Männer ihm, aber wird diese Hierarchie dauerhaft funktionieren? Wie kann Ava sicher sein, dass es keine Handydaten, keine Überwachungsaufnahmen, keine DNA-Spuren gibt, die jemand als Sicherheit für schlechte Zeiten bunkert.


    Vivian Ho ist ein sonderbarer Fall. Ihr Instinkt müsste ihr sagen, dass Ava lesbisch ist und sie müsste bei anderen Frauen diesen Instinkt auch erwarten. Als Ärztin müsste ihr in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass sie nie - auch nicht mit ihrer Schwester - über Patienten spricht. Aber wenn Indonesien für Ava ab jetzt verbranntes Terrain sein soll, ist das vermutlich egal.


    Oder wir müssen uns fragen, ob ein alter weißer Mann glaubwürdig Frauenbeziehungen beschreiben kann.

  • ... Ich frage mich, was diese Figuren eigentlich für eine Substanz haben. Wie gesagt, das ist durchaus mal spannend und faszinierend zu lesen, und natürlich ist mir klar, dass auch Gangster irgendwen lieben können und sich manchen Menschen gegenüber loyal verhalten, aber so eine grundsätzliche Weichenstellung hat man im Leben doch getroffen, wenn man sich auf diese Seite begibt - daher kann ich die Figuren nur sehr begrenzt sympathisch finden und für ihr Handeln fehlt mir oft das Verständnis. Verhält sich in diesen Strukturen auch mal irgendwer einfach selbstlos, ohne dass im Hintergrund gleich ein paar neue Fäden ins Geflecht der gegenseitigen Gefallen und Verpflichtungen gewoben werden?

    Für mich war von Anfang an die Frage, ob Ava eine Banane ist (eine Peson asiatischer Herkunft, die im Innern westlich denkt, westliche Werte schätzt und schützt) und ob ihr Bananen-Dasein sich im Laufe der Serie verändern wird. Wird sie ihrer Mutter irgendwann sagen: Mama, ich bin Kanadierin, ich lebe und handele in Kanada, nicht in China.


    Die Werte des Konfuzianismus steuern bis heute - evtl. unbewusst - das Handeln. Wenn du chinesisch denkst und fühlst, kommt die Familie und die Verpflichtung ihr gegenüber zuallererst, alles andere sind "Kinder fremder Leute", denen man in keiner Weise verplichtet ist. Selbstlosigkeit füllt deinen Teller nicht. Noch im vorigen Jahrhundert hat China Hungersnöte hinter sich gebracht, in denen Menschen ihre Kinder zu den Nachbarn brachten, um sie nicht irgendwann aus Hunger zu essen. Onkel Chow ist wie Familie und darum gelten die Werte für ihn mit.


    In die guanxi-Verpflichtungen wirst du ja praktisch hineingeboren, kannst dir schwer vorstellen, dass andere Nationen nicht so leben. Wobei ich meine Ansicht, dass "wir in Europa" sowas nicht haben, in den letzten Jahren auch in die Tonne geklopft habe. Wenn chinesische Bekannte die letzten 30 Jahre bewerten würden, hätten die angeblichen westlichen/christlichen Werte massiv an Achtung verloren, weil sie hier zu Chaos und Unsicherheit geführt haben.

  • (...) die im Innern westlich denkt, westliche Werte schätzt und schützt) und ob ihr Bananen-Dasein sich im Laufe der Serie verändern wird. Wird sie ihrer Mutter irgendwann sagen: Mama, ich bin Kanadierin, ich lebe und handele in Kanada, nicht in China.

    Das sehe ich momentan gar nicht.

    Interessant wird es, wie sie das auf die Dauer mit ihrer Beziehung zu Maria unter einen Hut bringen will. Aber vielleicht ist ja dann im Zweifelsfall auch die Beziehung nicht von Dauer. :-(

  • Ihr Instinkt müsste ihr sagen, dass Ava lesbisch ist und sie müsste bei anderen Frauen diesen Instinkt auch erwarten.

    Vielleicht nicht in einer Kultur, wo es dermaßen verpönt ist? (Oder im Gegenteil dort gerade???)



    Als Ärztin müsste ihr in Fleisch und Blut übergegangen sein, dass sie nie - auch nicht mit ihrer Schwester - über Patienten spricht.

    Das konnte ich auch absolut nicht nachvollziehen und daraus speist sich mein Misstrauen dieser Figur gegenüber.



    Oder wir müssen uns fragen, ob ein alter weißer Mann glaubwürdig Frauenbeziehungen beschreiben kann.

    Gute Frage! ^^


    Generell finde ich, dass bei diesem Buch ein Generationsproblem besteht. Ava Lee ist, wie du an anderer Stelle ausgerechnet hast, ein Kind der Achtziger. Diese Generation geht doch nicht ohne Handy aus dem Haus und checkt auch nicht nur einmal am Tag ihre Mails. Sie hat K.-o.-Tropfen und technische Überwachungsmöglichkeiten auf dem Schirm. Überhaupt spielt elektronische Kommunikationstechnik m.E. in der heutigen Realität eine weitaus größere Rolle, als es in diesem Roman dargestellt ist.

  • Ava muss ihren eigenen Weg finden, zwischen dem, was Onkel Chows Generation und die ihrer Eltern lehrt, und dem, was sie selbst für richtig hält. Für mich war die Restaurantszene da ein Schlüssel, in der Chow signalisiert: du hast alles von mir gelernt, du kannst dich in dieser Kultur wie ein Fisch im Wasser bewegen. Nutze es entweder oder backe kleine Brötchen in Kanada.


    Der Generationskonflikt besteht auch zwischen den "Old China Hands" wie Ian Hamilton und der Generation von Michael (der zwischen 30 und 40 Jahre sein könnte). Michael ist grandios damit auf die Nase gefallen, dass er seinen Vater nicht um Rat gefragt hat. Leute wie Ian Hamilton werden nicht um Rat gefragt, weil die Michael-Generation lieber selbst erst ein paar Milliönchen als Lehrgeld in den Sand setzt. Mir würden einige reale Personen einfallen, die auf diesem Terrain ohne Kultur-Kenntnisse europäisches Tafelsilber opfern ...

  • Ava muss ihren eigenen Weg finden, zwischen dem, was Onkel Chows Generation und die ihrer Eltern lehrt, und dem, was sie selbst für richtig hält.

    Direkte Reflexionen darüber hat sie in diesem Roman ja bisher nicht angestellt, oder ist mir da etwas entgangen? Tut sie das in den Vorgängerbänden?




    (...) oder backe kleine Brötchen in Kanada.

    :lache Nicht wirklich.


    Aber wer weiß, vielleicht wird selbst Ava Lee irgendwann aus freien Stücken sesshaft? Die Ziele des Menschen verändern sich. Vielleicht möchte Maria ja auch irgendwann eine Familie gründen? Sie scheint mir ohnehin die anhänglichere der beiden zu sein.

  • ...

    Generell finde ich, dass bei diesem Buch ein Generationsproblem besteht. Ava Lee ist, wie du an anderer Stelle ausgerechnet hast, ein Kind der Achtziger. Diese Generation geht doch nicht ohne Handy aus dem Haus und checkt auch nicht nur einmal am Tag ihre Mails. Sie hat K.-o.-Tropfen und technische Überwachungsmöglichkeiten auf dem Schirm. Überhaupt spielt elektronische Kommunikationstechnik m.E. in der heutigen Realität eine weitaus größere Rolle, als es in diesem Roman dargestellt ist.

    Vorsicht, was eine Generation tut, lässt sich nur schwer für andere Nationen beurteilen. Das Buch stammt von 2013, dem Jahr 2 nach Einführung von WeChat. Als Geschäftsfrau hätte ich nach 2011 sehr gute Gründe, das Handy ganz ausgeschaltet zu lassen, wenn ich Dinge tue, die chinesische Behörden nichts angehen. :P


    Hamilton ist Jahrgang 1946, wie er seine junge Generation zukünftig kommunizieren lassen wird, finde ich überaus spannend. Jedenfalls wird es Zeit, dass Ava sich einen IT-Berater zulegt oder jeden Morgen Heise-online checkt ...

  • Das Buch stammt von 2013, dem Jahr 2 nach Einführung von WeChat. Als Geschäftsfrau hätte ich nach 2011 sehr gute Gründe, das Handy ganz ausgeschaltet zu lassen, wenn ich Dinge tue, die chinesische Behörden nichts angehen. :P

    Dann sollte der Autor vielleicht für seine Leserschaft ein paar entsprechende Erläuterungen einfließen lassen?


    Ich fand es bei der Lektüre allerdings auch immer wieder verblüffend, wie offen am Telefon gesprochen wird... :wow

  • Hier habe ich ernsthaft den Kopf geschüttelt. Wie kann diee clevere Ava ihr Glas Wein am Tisch allein mit Cameron lassen.


    Und von Vivian Ho hätte ich erwartet, daß sie Stillschweigen über die Sache behält, vor allem auch der Schwester gegenüber. Sie hatte es Ava ja zugesagt. Außerdem hätte ich eigentlich erwartet, daß sie eine gewisse Antenne hat, die ihr sagt, daß Ava ebenfalls lesbisch ist.