Archipel - Inger-Maria Mahlke

  • Titel: Archipel
    Autorin:
    Inger-Maria Mahlke

    erschienen: 21.August 2018

    Seiten: 429 Seiten

    Verlag: Rowohlt

    Sprache: Deutsch

    ISBN-13: 9783498042240

    ISBN-10: 3498042246


    Kurzbeschreibung:

    "Es ist der 9. Juli 2015, vierzehn Uhr und zwei, drei kleinliche Minuten. In La Laguna, der alten Hauptstadt des Archipels, beträgt die Lufttemperatur 29,1 Grad. Der Himmel ist klar, wolkenlos und so hellblau, dass er auch weiß sein könnte". Damit fängt es an. Und mit Rosa, die zurückkehrt auf die Insel und in das heruntergewirtschaftete Haus der vormals einflussreichen Bernadottes. Rosa sucht. Was, weiß sie nicht genau. Doch für eine Weile sieht es so aus, als könnte sie es im Asilo, dem Altenheim von La Laguna, finden. Ausgerechnet dort, wo Julio noch mit über neunzig Jahren den Posten des Pförtners innehat. Julio war Kurier im Bürgerkrieg, war Gefangener der Faschisten, er floh und kam wieder, und heute hütet er die letzte Lebenspforte der Alten von der Insel. Julio ist Rosas Großvater. Von der mütterlichen Seite. Einer, der Privilegien nur als die der anderen kennt.

    Inger-Maria Mahlke ist in nur wenigen Jahren zu einer der renommiertesten deutschen Schriftstellerinnen avanciert und hat sich mit jedem ihrer Bücher thematisch und formal weiter vorgewagt. In "Archipel" führt sie rückwärts durch ein Jahrhundert voller Umbrüche und Verwerfungen, großer Erwartungen und kleiner Siege. Es ist Julios Jahrhundert, das der Bautes und Bernadottes, der Wieses, der Moores und González' - Familiennamen aus ganz Europa. Aber da sind auch die, die keine Namen haben: Die Frau etwa, die für alle nur 'die Katze' war: unverheiratete Mutter, Köchin, Tomatenpackerin - und irgendwann verschwunden. Denn manchmal bestimmen Willkür, Laune, Zufall oder schlicht: mitreißende Erzählkunst über das, was geht, und das, was kommt.


    Über die Autorin:

    Inger-Maria Mahlke wuchs in Lübeck und auf Teneriffa auf, studierte Rechtswissenschaften an der FU Berlin und arbeitete dort am Lehrstuhl für Kriminologie. 2009 gewann sie den Berliner Open Mike. Ihr Debütroman "Silberfischchen" wurde ein Jahr später mit dem Klaus-Michael-Kühne-Preis ausgezeichnet. Für einen Auszug aus ihrem Roman "Rechnung offen“ bekam sie beim Wettbewerb um den Ingeborg-Bachmann-Preis den Ernst-Willner-Preis zugesprochen; 2014 erhielt sie den Karl-Arnold-Preis der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste. Ihr Roman "Wie Ihr wollt" gelangte unter anderem auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises, den sie 2018 für den Roman "Archipel" dann erhielt. Inger-Maria Mahlke lebt in Berlin.


    Meine Meinung:

    Reizvoll liest sich der Roman „Archipel“, dessen auffälligstes Merkmal ist, dass er rückwärtsgerichtet konzipiert ist.

    Als ein Motiv taucht immer wieder die mittlerweile verfallene herrschaftliche Villa der großbürgerlichen Familie Bernadotte auf, Sinnbild für den politischen und gesellschaftlichen Wandel.

    Mahlke erzählt in ihrem Buch gleich mehrere Familiengeschichten. Nicht nur jene Villa ist gezeichnet von den Spuren eines ganzen Jahrhunderts, von den politischen Umbrüchen, Sorgen und Nöten, sondern auch die Familienmitglieder tragen deutlich sichtbar Spuren jener Ereignisse.

    Diese Lebensgeschichten von der Gegenwart aus rückzuverfolgen und zunehmend zu verstehen, hat mir sehr gefallen. Allerdings erfordert es einige Konzentration und ein Dranbleiben an der Geschichte, den man verliert die Figuren der Zeit, in die man sich gerade eingelesen hat, an die Vergangenheit. Deren Vorfahren rücken in den Fokus des nächsten Erzählstrangs.

    Mich hat diese Erzählweise sehr angesprochen, denn in allen Familien haben Vorfahren ihre Spuren hinterlassen. Manchmal schafft man es, aus diesen Fußstapfen auszubrechen und eigene Wege zu gehen, manchmal ziehen sich diese Spuren aber auch durch mehrere Generationen hindurch und beeinflussen den eigenen Lebensweg. Und so manches Verhalten wird erst in der Rückschau verstehbar. Für mich hat Mahlke hier eine große Frage der Menschheit aufgeworfen, nämlich die Frage, wer wir sind, woher wir kommen und wie wir, die wir in der Gegenwart leben, diese Taten, vielleicht aber auch Fehler unserer Vorfahren annehmen, verzeihen, vor allem aber auch daraus lernen können. Das ist ihr gut gelungen.

    Sehr gefallen haben mir auch die vielen kleinen Momente, die man überall in der Geschichte findet und die man zunächst fast überliest. Diese tauchen dann wie kleine Lichtblitze in einem anderen Kontext wieder im Buch auf und schaffen Erinnerungsmomente. Auch die Landschaftsbeschreibungen habe ich sehr genossen.

    Mahlke arbeitet stark mit Andeutungen. So bleibt nach der anregenden Lektüre in mir das Gefühl zurück, dass ich lange nicht alles begriffen und verstanden habe.

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    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Mahlke arbeitet stark mit Andeutungen. So bleibt nach der anregenden Lektüre in mir das Gefühl zurück, dass ich lange nicht alles begriffen und verstanden habe.

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    Eine wunderbare Schilderung von Leseeindrücken an denen Regenfisch uns teilhaben lässt. Und ein Buch ist doch auch dann sehr reizvoll, wenn man darin nicht wie in einem "offenen Buch" lesen kann, sondern wenn man freundlich genötigt wird, sich intensiv mit dem Gelesenen zu beschäftigen. Zudem stellt sich für mich gerade bei Büchern oftmals die Frage: Muss man wirklich immer alles begreifen? Und wenn ja, muss es dann immer sofort sein?

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Eine wunderbare Schilderung von Leseeindrücken an denen Regenfisch uns teilhaben lässt. Und ein Buch ist doch auch dann sehr reizvoll, wenn man darin nicht wie in einem "offenen Buch" lesen kann, sondern wenn man freundlich genötigt wird, sich intensiv mit dem Gelesenen zu beschäftigen. Zudem stellt sich für mich gerade bei Büchern oftmals die Frage: Muss man wirklich immer alles begreifen? Und wenn ja, muss es dann immer sofort sein?

    Das sehe ich auch so. Ich habe am Samstag mit einem Freund über dieses Buch dikutiert und er hat wieder ganz andere Eindrücke. Wir konnten uns gut ergänzen. Man muss und kann gar nicht immer alles begreifen und trotzdem eine Lektüre genießen finde ich.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Nun, wenn ein Buch nicht verstanden werden will, gar verstanden werden soll - warum schreibt man es dann? Und warum liest man es? Wenn es bei jedem Leser ganz unterschiedliche Eindrücke gibt, dann ist das, ja, zweifelsohne eine gute Anregung für einen Diskurs, aber das ist das Wetter letztlich auch.


    Ich mag Inger-Maria Mahlke als Autorin eigentlich recht gerne, aber ich finde, dass "Archipel" bei aller Mühe nicht so richtig funktioniert. Eigentlich überhaupt nicht. Ich war auch irritiert, dass der Titel den Buchpreis bekommen hat, was vielleicht ein Ausdruck der Ratlosigkeit der Jury (und der Schwäche der Konkurrenz) war. Das Buch ist schwergängig, unhandlich, sprachlich überdreht, oft ziemlich langweilig und nicht selten von seiner Form erdrückt. Um eine Lektüre noch genießen zu können, darf und muss es Hindernisse geben, aber wenn aus kleinen Stöckchen zwischen die Speichen ganze Baumstämme werden, endet der Spaß.


    Ich fand's nicht gut im Sinne von "gutes Buch". Aber es ist gut gemacht im Sinne von "die kann was".

  • Es ist doch immer wieder schön wenn es jemand gibt, der einem Richtung und Verstehen gibt. So muss man nicht unwissend in den kleinen schwarzen Container abtauchen. ;)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Irgendwie hatte ich von dem Buch gehört und es mir neulich aus der Bücherei mitgenommen. Es klang recht interessant und ich freue mich immer, was neues, nicht gängiges, zu entdecken.

    Das Buch hat es mir allerdings schwer gemacht. Die erste Hälfte ging ja noch, da blieb die Erzählung relativ konstant, auch wenn der schnelle und oft abrupte Wechsel von Personen, Perspektive und Zeit es schwierig machen, der Handlung zu folgen. Allerdings gibt es so etwas wie eine Handlung gar nicht.

    Der rote Faden zerfranst sich mit der Zeit und ich habe gegen Ende jede Orientierung verloren.

    Spanien zur Zeit Francos und danach, außer "Wem die Stunde schlägt" habe ich da nichts gelesen, ist sicher ein wenig beachtetes schwieriges Gebiet. Vor allem für die Spanier. Die Verkettung der Familien, ihr Schicksal, ihren Erfolg und Misserfolg in diesen Zeiten, wird immer wieder deutlich und man spürt die Verzweiflung dahinter. Trotzdem bleiben mir die Menschen fremd und das ist schade. Trotzdem habe ich das Buch gern gelesen, einfach um der Zeiten willen, von denen man sonst wenig weiß.