Mann im Dunkel – Paul Auster

  • Rowohlt, gebundene Ausgabe, 2008, 224 Seiten


    Originalverlag: Henry Holt and Company


    OT: Man in the Dark
    Übersetzt von Werner Schmitz


    Handlung (Verlagstext):
    Der 72-jährige August Brill, Ex-Literaturkritiker und Journalist, sitzt morgens um drei in seinem Rollstuhl im dunklen Wohnzimmer. In der Schwebe zwischen Wachen und Schlaf denkt er sich eine Geschichte aus, um seine nächtens überhandnehmenden Sorgen zu verdrängen: Ein Mann erwacht in einem tiefen Erdloch. Wie er hineingekommen ist, weiß er nicht. Zufällig hat er noch seine Brieftasche und versichert sich, dass er Owen Brick heißt und als Zauberer in Queens lebt. Als ihn bei Tagesanbruch schließlich ein Uniformierter befreit, spricht der ihn jedoch als «Corporal» Brick an und gibt ihm nebst einer geladenen Pistole den Auftrag, sich in die nächste Stadt zu begeben und dort im Auftrag der Sezessionstruppen einen Mann zu erschießen, dessen Tod den seit Jahren tobenden Bürgerkrieg sofort beenden würde. Bürgerkrieg? Man schreibt doch das Jahr 2007, Amerika führt Krieg im Irak, aber einen Bürgerkrieg? Der Soldat starrt Brill an: Krieg im Irak? 9/11? Nein. Er spinne wohl. In Wahrheit hätten sich nach der betrügerischen Wahl im Jahre 2001 diverse Staaten aus der Union verabschiedet, die Folge sei ein blutiger Krieg um die Macht in Amerika. «Mann im Dunkel» ist eine glanzvolle Parabel, künstlerisch gewagt und unerbittlich kritisch.



    Über den Autor: (Verlagsangabe)
    Paul Auster wurde am 3. 2.1947 als Nachkomme eingewanderter österreichischer Juden in Newark, New Jersey geboren. Er studierte Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University New York (B.A. und M.A.) und fuhr danach als Matrose auf einem Öltanker zur See. 1971-74 lebte er in Frankreich, hauptsächlich in Paris. Nach seiner Rückkehr in den USA nahm er einen Lehrauftrag an der Columbia University an und arbeitete zusätzlich als Übersetzer französischer Autoren (Blanchot, Bouchet, Dupin, Joubert, Mallarmé, Sartre) sowie als Herausgeber französischer Literatur in amerikanischen Verlagen. Paul Auster lebt in Brooklyn, New York, ist mit der Schriftstellerin Siri Hustvedt verheiratet und hat zwei Kinder. Er erhielt Stipendien der National Endowment for the Arts (1977 für Lyrik, 1983 für Prosa), den France Culture Prix Etranger (1988) und den Morton Dauwen Zabel Award (1990).
    Aus dem Originalbuch; Paul Auster is the bestselling author of Travels in the scriptorium, The brooklyn follies, Orcale Night and The book of Illusions, among many oth er works. In 2006 he was awarded the Prince of Asturias Prize for Literature nad Education into the American Academy of Arts and Letters. His work has been translated into more than thirty languages. He lives in Brooklyn, New York.


    Rezension:
    Der Protagonist dieses Romans ist der 72jährige August Brill, Literaturkritiker und Journalist, verwitwet und nach einem Autounfall lebt er zur Zeit zusammen mit seiner alleinstehenden 47jährigen Tochter Miriam und seiner Enkelin Katya, deren Freund gestorben ist. Dementsprechend düster und voller Trauer ist die Stimmung der kleinen Familie.


    August ist ein typischer Auster-Charakter, der mich an die vergangenen Protagonisten seiner Romane z.B. die Brooklyn-Revue erinnert,
    August beginnt alleine in der Dunkelheit sich Geschichten über eine Parallelwelt auszudenken.
    Damit kommt ein weiterer großartiger Plot zum tragen, in dem der ehemaligen New Yorker Zauberer Owen Brick im Mittelpunkt steht. Brick erwacht in Wellington, einer ihm unbekannten Stadt in einem USA, dass so anders ist als gewohnt. Die Ereignisse der 11.September 2001 sind nie passiert und die Twin Tower stehen noch, dafür herrscht offenbar ein Bürgerkrieg großen Ausmaßes. Owen wird rekrutiert, den Schöpfer dieser Welt, der für den Krieg verantwortlich ist, umzubringen.
    Das ist August. Doch wird die Welt nicht verschwinden, wenn sein Schöpfer stirbt?


    Aus diesem Zusammenhang zwischen zeitgenössischen Text mit postmodernen Anklängen und einem starken Science Fiction-Plot nimmt der Roman seine Spannung. Nicht viele etablierte Autoren trauen sich, fantastische Elemente zu benutzen. Zuletzt war es ziemlich erfolgreich Michael Chabon, der mit „Die Vereinigung jiddischer Polizisten“ einen Science Fiction Roman in das Mainstreamgenre einbrachte.
    Es ist spannend zu verfolgen, wie geschickt auch Paul Auster mit diesen Ideen umgeht.
    Stark sind aber auch die Szenen mit den Gesprächen zwischen August und seiner Enkelin, die sich um ihre Trauer um ihre verlorenen Partner und Schuldgefühlen, vordergründig aber über Filme drehen, die die beiden sich in schlaflosen Nächten gemeinsam ansehen. Es sind anspruchsvolle Klassiker, meist europäische Filme, wie z.B. Fahrraddiebe von Vittori de Sica.


    Vor allem die starken, stimmungsvollen Dialoge, die in dem gewohnten Paul Auster-Ton gehalten sind, überzeugen. Erfreulich, dass Paul Auster stilistisch verschiedene Themen vereinigen und starke Bilder erzeugen kann.


    Das Finale besteht in erster Linie aus dem Erinnern und dem Austauschen der Geschehnisse der Vergangenheit, die die beteiligten Personen nach langer Zeit noch belasten. So ist es die Sprache, die vermag, die alten Wunden wenigstens zu mildern. Beeindruckend.


    Ich habe übrigens die englischsprachige Fassung gelesen, die Übersetzung kann ich daher nicht beurteilen. Die Sprache Paul Austers lohnt es, ihn auch einmal im Original zu lesen.


    ASIN/ISBN: 3499248301

  • Der 72-jährige Literaturkritiker August Brill hat wieder einmal eine schlaflose Nacht. Nach dem Tod seiner Frau Sonia und einem Autounfall lebt er bei seiner Tochter Miriam. Auch seine Enkelin Katya ist wieder bei ihrer Mutter eingezogen, nachdem ihr Freund Titus auf entsetzliche Weise ums Leben kam.
    Brill denkt sich nachts Geschichten aus. In dieser Nacht erwacht der Zauberer Owen Brick in einem Erdloch. Er ist plötzlich Corporal und es herrscht Krieg. Aber der Krieg findet nicht im Irak statt, sondern mitten in Amerika. Unabhängige Staaten kämpfen gegen die Föderalisten, deren Präsident George W. Bush ist.
    Brick wurde aus seiner Welt geholt um einen Auftrag in einer Parallelwelt durchzuführen: er soll August Brill umbringen, den Erfinder dieses Krieges, denn dann wäre der Krieg vorbei.
    In diesem vom Bürgerkrieg erschüttertem Land Amerika herrschen unbeschreibliche Zustände. Lebensmittel sind knapp, es fahren keine Autos oder Busse. Die Menschen jedoch scheinen Brick seltsam unberührt, sie leben ihr Leben.
    Der Auftrag Bricks nimmt einen dramatischen Verlauf, als er zunächst in sein altes Leben zurückkehrt, aber dort von den Menschen aus der Parallelwelt aufgespürt wird.


    In der zweiten Nachthälfte kommt Brills Enkelin Katya, ebenfalls schlaflos, in Brills Zimmer. Brill schwelgt in Erinnerungen. Er erzählt ihr von seiner gescheiterten Ehe mit Sonia und wie er nach neun schweren Jahren wieder mit seiner Liebe zusammen kam. Brill ermutigt seine Enkelin ihr Leben wieder aufzunehmen, das sie nach Titus Tod aufgegeben hat.


    Paul Austers kurzer Roman spielt mit Fiktion und Wirklichkeit ist hoch politisch und ungemein aktuell.
    Indem er eine Geschichte erzählt, setzt er sich mit dem Irakkrieg auseinander, ein Krieg den Amerika letztlich gegen sich selbst führt.
    Zugleich ist es aber auch eine Geschichte vom Älterwerden, vom Umgang mit Trauer und Verlust. Man findet quasi mehrere Geschichten in einer.
    Paul Auster gelingt es, dies alles zu erzählen ohne Verwirrung zu stiften. Im Gegenteil, es regt zum Weiterlesen an.


    @ Herr Palomar: kannst Du den Titel korrigieren? Das Buch heißt "Mann im Dunkel"

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Danke für die Rezensionen, das klingt ja wieder nach einem richtig guten Paul Auster - Buch! Wie gut er Geschichten in der Geschichte erzählen kann, habe ich ja schon in "Mond über Manhattan" erlebt; das Phantastische ist mir in der "New York-Trilogie begegnet... Auster kann einfach großartig erzählen!


    Gruß, Bell

  • Nach "Die Brooklyn-Revue" konnte mich auch mein zweiter Auster-Roman voll und ganz überzeugen. Zum Inhalt haben sich ja schon Herr Palomar und Sigrid geäußert, deshalb nur meine Eindrücke in aller Kürze:
    Von der ersten Seite an faszinierend und fesselnd, in einer geschliffenen, gehobenen Ausdrucksweise und mehrere Geschichten erzählend, wobei ich nicht sagen kann, ob mir die vom Protagonisten in seiner Schlaflosigkeit Ersonnene um Owen Brick, den Attentäter wider Willen oder die im Dialog mit seiner Enkelin ausgebreitete Lebensgeschichte von August Brill selbst besser gefallen hat. Auf gerade einmal 218 Seiten handelt dieses rundum stimmige Buch von Politik und dem Irakkrieg, aber auch von Liebe und Treueverrat, vom Verlust geliebter Menschen und von den Tücken des Älterwerdens, wobei man leider viel zu schnell auf der letzten Seite angelangt ist.
    Paul Auster ist wahrlich ein begnadeter, intelligenter Geschichtenerzähler, von dem ich auf jeden Fall weitere Bücher lesen werde, auch wenn ich vorgewarnt bin, daß sich nicht alle auf einem solch hohen Niveau und so eingängig abspielen.
    "Mann im Dunkel" jedenfalls kann ich bedingungslos empfehlen.

  • Nachdem ich Paul Austers "Mond über Manhattan" und "Timbuktu" gerne gelesen habe und die Verfilmung von "Vertigo" mir auch relativ gut gefiel, griff ich zu "Mann im Dunkel".


    Doch leider muss ich sagen, dass es mich weder begeistern noch fesseln konnte. Zwar stimmt alles, was in den vorangegangenen Rezensionen gesagt wird: der Roman hat postmoderne sowie fantastische Elemente, es gibt starke Bilder und Dialoge und es ist wie immer eine raffinierte Geschichte-in-der-Geschichte-in-der-Geschichte-Konstruktion, die in lockerem, saloppen Ton erzählt wird.
    Jedoch ist die Stimmung insgesamt so düster, dass ich immer nur wenige Seiten lesen mochte.
    Was mir überhaupt nicht gefällt, sind die Frauenrollen in diesem Roman.
    Eine Kellnerin, die offenbar jemand anderem zuarbeitet und der man nicht trauen kann, eine ehemalige Angebetete, die mit einem anderen verheiratet ist, eine Ehefrau, die weggeschickt wird, wenn' s gefährlich wird. Nun ja... Frauen sind anscheinend alle auf Männer bezogen, entweder sie trauern, weil sie ihren Mann verloren habe, oder kümmern sich um einen Mann, oder sie verführen einen, oder sie arbeiten in einem schlecht bezahlten Frauen-Job, in dem das Bedienen das Programm ist. Die trauernde Tochter und die trauernde Enkelin werden zwar etwas lebendiger und sympathischer gezeichnet, aber mir fehlen einfach überzeugende, originelle Frauencharaktere, die einmal nicht aus der rein männlichen Perspektive gesehen werden und ein Eigenleben, ganz unabhängig von irgendwelchen Männern entwickeln, ohne gleich wieder eins übergebraten zu bekommen oder zu sterben. Schon in "Vertigo" war ich zwar fasziniert von all den trickreichen Verwicklungen und Wendungen, doch auch hier konnte ich mich nicht so richtig mit den dargestellten Varianten des Frau-Seins anfreunden.


    Parallele Welten, postmoderne und fantastische Elemente und diese scheinbar leichte, entspannte und besondere Erzählweise findet man auch bei anderen Autoren, ich denke z.B. an Haruki Murakami. Doch diesem gelingt es wesentlich besser, Frauen oder Mädchen als eigenständige Wesen und Persönlichkeiten zu charakterisieren, die z.B. ganz unspektakulär aussehen können, aber bei näherem Kennenlernen überraschende Besonderheiten an sich haben und immer wieder auf unvorhersehbare Weise agieren oder reagieren. In Murakamis Welten begegnet mir dieses langweilige klischeehafte Immer-auf-den-Mann-Bezogene, das ich bei Auster Protagonistinnen leider zu oft vorfinde, viel seltener.
    Nachdem ich über 3 Wochen gebraucht habe, um bis zur Seite 147 des "Mann(es) im Dunkel" zu kommen, habe ich schließlich das Buch zugeklappt und etwas anderes zu lesen begonnen.
    Vielleicht werde ich den Rest irgendwann, wenn's warm und sonnig ist und die gute Laune durch nichts verdorben werden kann, nochmal aufklappen und querlesen, vielleicht aber auch nicht.


    Von mir bekommt dieser Roman nur 3 Punkte.

  • Nachdem ich noch einmal darüber nachgedacht habe, bin ich zum dem Fazit gekommen, dass die düstere Atmosphäre in diesem Roman angemessen ist, wenn man weiß, dass das Geschehen im Roman als Metapher für die Sinnlosigkeit des Irakkrieges aufgefasst werden kann.
    Somit würde ich doch eher dazu tendieren, 6 Punkte zu geben.