De Niro's Game (Als ob es keinen Morgen gaebe) - Rawi Hage

  • Kurzbeschreibung


    Bassam und sein bester Freund George, den alle nur De Niro nennen, ziehen durch das Bürgerkriegs-Beirut der achtziger Jahre. In ihrer Kindheit sammelten sie gemeinsam Kugeln und Granathülsen in den Ruinen, um sie gegen Zigaretten einzutauschen. Seitdem sind zehntausend Bomben auf Beirut gefallen. Heute sind sie Teenager und haben Eltern und Geschwister, Nachbarn und Freunde verloren. Sie sind Überlebenskünstler, die ihren Anteil am Glück fordern. Sie ergaunern sich Geld, sie verlieben sich, sie fangen an zu leben. Aber während Bassam davon träumt, nach Rom zu gehen, wo »sogar die Tauben glücklich und gut genährt wirken«, schließt De Niro sich einer christlichen Miliz an, um zu kämpfen. Bassam weigert sich, und eins ist klar: Er muss fliehen.


    Über den Autor


    Rawi Hage, 1964 geboren, aufgewachsen in Beirut und auf Zypern, erlebte den libanesischen Bürgerkrieg am eigenen Leib. 1982 ging er nach New York, wo er Fotografie studierte. Seit 1991 lebt er als freischaffender Künstler und Autor in Montreal. Für Als ob es kein Morgen gäbe wurde er 2008 mit dem höchstdotierten Literaturpreis der Welt, dem IMPAC-Award, ausgezeichnet. Im Herbst 2008 erschien in Kanada sein zweiter Roman, Cockroach .


    Meine Meinung


    "Ten thousand bombs had landed, and I was waiting for George."


    So beginnt das Buch und dieser Satz war es, der mich neugierig machte, als das Buch im kanadischen Radio vorgestellt wurde. Und dieser Satz ist in der Tat recht bezeichnend fuer den Schreibstil dieses Buches - die Sprache schlaegt ein wie eine Bombe. Etwas gewoehnungsbeduerftig, fand ich. Stellenweise vielleicht auch etwas zuviel des Guten. Saetze wie dieser sind keine Ausnahme:


    [Frauen stehen Schlange vor einem Metzgerladen, der Ziegenfleisch im Angebot hat]
    White and red meat fell from above, pieces were cut, crushed, banged, cut again, ground, put in paper bags, and handed to the women in line, women in black, with melodramatic oil-painted faces, in churchgoer submissive positions, in Halloween horrors, in cannibal hunger for crucifix flesh, in menstrual cramps of virgin saints, in castrated hermetic positions, on their knees and at the mercy of knives and illiterate butchers.


    Das Leben in Beirut waehrend des Buergerkrieges ist sicherlich genauso extrem wie diese Sprache. Emotionen haben dabei keinen Raum. Genauso wenig wie sich Bassam und sein Freund de Niro Emotionen leisten koennen wollen sie in dieser Umgebung ueberleben. So bleiben sie mir als Leser auch auf Distanz. Sie halten jeden auf Distanz - warum soll man jemanden an sich ran lassen, wenn der Tod eh einen Strich durch die Rechnung machen wird?!?


    Das macht einem das Lesen nicht unbedingt leicht. Trotz der wirklich interessanten Geschichte fiel es mir schwer in einen Lesefluss zu kommen. Der kam erst im letzten Teil des Buches - als sich vieles aendert und deutlicher wird, welchen Preis dieser Krieg von den Menschen gefordert hat und dies nun auch in emotionaler Hinsicht.


    Erwartet aber hier nicht viel ueber die Politik des Buergerkrieges zu lernen. Es geht um das Leben, Ueberleben und Sterben in dieser Umgebung. Welche Politik dahinter steckt ist den Bomben, die auf die Stadt regnen, und den Menschen, die von ihnen getroffen werden, allemal egal.


    Fazit: Ein nicht immer einfach zu lesendes Buch, das aber einen enormen Eindruck bei mir hinterlassen hat.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Die deutsche Uebersetzung erscheint im Februar unter dem Titel "Als ob es keinen Morgen gäbe" . Dann gibt es vielleicht auch mehr deutschsprachige Info zum Titel bzw. dem Autor im Netz zu finden. Bis dahin moechte ich euch aber nicht dieses sehr interessante Interview mit Rawi Hage vorenthalten (auf englisch).

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Alleine schon für diesen Satz: White and red meat fell from above, pieces wre cut, crushed, banged, cut again, ground, put in paper bags, and handed to the women in line, women in black, with melodramatic oil-painted faces, in churchgoer submissive positions, in Halloween horrors, in cannibal hunger for crucifix flesh, in menstrual cramps of virgin saints, in castrated hermetic positions, on their knees and at the mercy of knives and illiterate butchers.
    würde es sich lohnen, das Buch zu kaufen!
    Danke für die schöne Rezi, Beatrix!

  • Dann will ich mich auch mal aus der Anonymität wagen, mich hat das Buch und die Rezi sehr angesprochen, als Beatrix den Thread anlässlich der deutschen Veröffentlichung wieder hochgeschoben hatte und ich hatte mir "De Niro's Game" gekauft. Da es ja schon zwei "Reaktionen" gab, habe ich mich nicht noch geäußert "Ich habe gekauft", hätte ich vielleicht doch noch tun können ...


    (Und nicht nur hier, sondern auch bei anderen Eulen bei interessanten Buchvorstellungen bin ich vielleicht zu schweigsam, aber ich bin auch nicht so der Typ, der "Kommt auf die WuLi*" (*scheußlicher Ausdruck, nur minimal weniger schrecklich als SchwieMu) inflationär verbreiten möchte. :rolleyes Aber es stimmt ja, ein bisschen Feedback ist schön, das weiß ich selbst.)


    Allerdings besteht permanent der Konfklikt von Zeit und SUB, das ist ein großes Problem .... und das Buch ist immer noch ungelesen. :-(


    Aber Beatrix bekommt irgendwann noch eine Meinung zum gelesenen Buch ... und ein paar andere Eulen da draußen auch. :wave



    .

  • Holy shit! Ich hab ja nichts gegen lange Sätze, aber finde, dass der Autor es doch ein bisschen übertreibt. Ich lese die deutsche Übersetzung und aus dem Satz, den Beatrix zitiert hat, hat der Übersetzer drei Sätze gemacht.


    Aber hier ist noch ein Beispiel:


    Im Inneren der Häuser saßen bettelarme Frauen in uralten türkischen Badewannen, hielten rote Plastikeimer über ihre Köpfe und ließen vorsichtig, sparsam Wasser auf braune Haut tröpfeln, um Staub und Gestank zu lösen, eine Kruste dünn wie Blätterteig, den Schweiß ihrer unrasieren Achselhöhlen, die Armut ihrer Männer und die bösartigen Gerüchte, die sie sich am Morgen über winzige Kaffeetassen hinweg zugeflüstert hatten. Sie wuschen sich sorgfältig wie die Katzen der Christen, die sich die Pfoten leckten unter kleinen europäischen Autos, aus deren Motoren von globalen Unternehmen gefördertes Öl tropfte, Öl, das ausgebeutete nigerianische Arbeiter aus der Tiefe der Erde geholt hatten, wo sich Teufel tummelten und Würmer an den Wurzeln toter, an Industrieabgasen und dem gierenden Atem hellhäutiger Ingenieure erstickter Bäume nagten.


    :konfus


    Ich werde mal tapfer weiterlesen, aber so richtig fesselt es mich noch nicht.

  • Zitat

    Original von Delphin
    Holy shit! Ich hab ja nichts gegen lange Sätze, aber finde, dass der Autor es doch ein bisschen übertreibt.


    ahem, die Sprache ist ganz bestimmt nicht leicht verdaulich. Ich hatte da auch so meine Schwierigkeiten mit und hatte vor allem auf den ersten Seiten sehr aehnliche Gedanken wie du. Letztlich ist aber bei mir vor allem der Eindruck geblieben, dass diese Sprache sehr gut die extreme Situation des Buergerkrieges widerspiegelt.


    Sprachlich genau das Gegenteil von dem was wir in einem Antikriegsroman wie "Im Westen nichts Neues" lesen konnten, dessen Schreibstil in seiner Einfachheit das Grauen nicht besser darstellen konnte. Rawi Hages Schreibstil ist genauso ausser Kontrolle geraten wie die Welt, die er beschreibt.


    Die Umgebung im letzten Teil des Buches aendert sich und entsprechend aendert sich dann uebrigens auch der Sprachstil.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

  • Ich hab's durch. Das war irgendwie nichts für mich. Der Stil hat mich genervt und die Dialoge ohne Anführungszeichen und in die Handlung kam ich auch nicht richtig rein. Am besten flutschte noch der mittlere Teil.


    Wahrscheinlich ein Buch, dass ich nicht so richtig zu würdigen weiss.

  • Meine Meinung:


    Rawi Hage nimmt seine Leser mitten hinein in das Beirut der 1980er Jahre. In der Stadt, die früher als "Paris des Nahen Ostens" bekannt war, herrscht ein blutiger Bürgerkrieg, in dem sich verschiedene Gruppierungen und Milizen bekämpfen. Die beiden Teenager George und Bassam versuchen in der zerstörten Stadt ein einigermaßen normales Leben zu führen, scheitern jedoch an der überall gegenwärtigen Gewalt und dem Alltag, der aus Bomben, Wasserknappheit und Tod besteht.


    Hage schreibt in einer starken, bildhaften und durchaus ausschweifenden Sprache, die vor allem Freunde langer Sätze begeistern wird. Sie macht die Schrecken des Bürgerkrieges und seine Auswirkungen auf den Alltag der Menschen spürbar. Die Dialoge, die er seinen Figuren in den Mund legt, sind authentisch, in diesen Zeiten verschwendet niemand ein Wort zuviel. Dennoch bleibt eine gewisse Distanz zu den Figuren, die sich im Laufe des Romans leider noch vergrößert und das liegt keineswegs an den Traumata, die sie verkraften müssen. Vielmehr bleiben sie insgesamt zu verschlossen, manche ihrer Handlungen nicht nachvollziehbar und einige Fragen hinsichtlich ihrer Entwicklung - auch nach der letzten Seite - offen. Dennoch ist Hage ein Name, den man sich merken sollte, und auch wenn das letzte Drittel sprachlich und inhaltlich etwas abfällt, hat mir der Erzählstil insgesamt gefallen.


    Deshalb von mir 7 Punkte.