1957 ist ein sehr bedeutendes Jahr. Zumindest für mich. Ich wurde in dem Jahr gezeugt, gehegt, geboren.
Dann ist das für dich ja auch eine spannende Reise, quasi in die Jugend deiner Eltern. Friederike wäre dann mit 63 eher eine Großmutter (was sie aber noch nicht ist, und das nagt an ihr, aber gleichzeitig ist ihr ja auch keiner der jungen Männer gut genug, die ihre Tochter ihr jemals vorgestellt hat
).
Besonders ansprechend finde ich, dass du ein ganzes Universum aufbaust in deinen Büchern. Man also hi und da alte Bekannte trifft, wo man gar nicht damit rechnet oder liebgewonne Figuren womöglich eine eigene Geschichte bekommen. Das fände ich toll. Und die Neugierde auf das nächste Buch hast du jetzt verdoppelt.
Ja, das macht mir dann auch immer besonders viel Spaß. In Band 4 treffen die Leserinnen und Leser der Hafenschwester auch Marthas jüngsten Sohn Fredi (Hauptkommissar Alfred Studt) wieder, der dann im obligatorischen Mordfall ermittelt. Der war ja in Hafenschwester 3 meine Lieblingsfigur.
Raffiniert auch, dass sie immer so eine Mischung aus Wahrheit und Lüge erzählt hat, so dass das alles doppelt glaubwürdig wurde. Und sie hat sich nie in ihren Aussagen verheddert, weil sie ja so nah an der Wahrheit geblieben ist.
Das ist das, was gute Lügner auszeichnet. Man hat eine Geschichte, die man durchdacht hat, ähnlich wie einen guten Romanplot, sodass man auch bei Nachfragen nicht ins Zögern gerät.
Mich hat auch das Nachwort beeindruckt. So etwas ist mir immer total wichtig. Und hier bekommt man nicht nur ein paar Zusatzinfos und Klarstellungen sondern man merkt, dass die ganze Geschichte von dir unheimlich gut recherchiert wurde und toll "verwurstet", liebe Melanie.
Das freut mich sehr. Das ist auch immer mein Ziel,
Das stimmt. Auch wenn ich mir vorstellen könnte, dass Friederike schon ein paar Schuldgefühle hat. Mich überraschte ja, dass sie so überrascht war, dass man Folter angewendet hat. Damit hatte ich gerechnet und ich dachte, dass wäre auch ihr klar, dass die SS keine Samthandschuhe anwendet. Ich hätte mir auch vorstellen können, dass der Kerl still und heimlich entsorgt wird. So mit an die Front schicken, das ist natürlich eleganter - wenn auch nicht ganz sicher.
Man muss bedenken, dass Friederike zwar vieles vom Hörensagen wusste, aber sich das direkt vorzustellen, ist noch was anderes. Tief in ihr drinnen war es nach wie vor unvorstellbar, dass die Staatsmacht foltert. Es ist ein Unterschied, Dinge vom Verstand her zu wissen und sie aber auch plastisch vor Augen zu haben. Zudem - das war mir im Nachwort ja auch wichtig - hatten die schlimmsten Verbrechen noch gar nicht begonnen. Der gelbe Judenstern wurde erst im Herbst etabliert, die Abtransporte begannen auch erst im Jahr darauf. 1941 herrschte zwar Krieg und politisch anders Denkende waren in Gefahr, außerdem gab es die Euthanasie, aber das ganze Ausmaß dessen, was noch kommen sollte, konnte sich keiner vorstellen. Wäre es anders, hätte man ja alle Juden zu Idioten erklärt, die nicht sofort geflohen sind. Sie dachten - ebenso wie so viele Deutsche - das geht wieder vorbei, und was soll nun noch kommen? An gezielten Massenmord hat keiner gedacht, weil es dafür kein historisches Vorbild gab. Das müssen wir uns heute auch immer wieder klar machen. Wir Nachgeborenen sind schon früh damit in der Grundschule oder spätestens in der weiterführenden Schule konfrontiert worden. Wer nicht gerade selbst jüdisch ist, lernte über Juden als erstes, dass das die Leute sind, die Hitler vergast hat. Das wurde dadurch auf eine perverse Weise als "normal" dargestellt. Als sei es normal, dass es Leute gäbe, die andere vergasen. Zwar böse und verachtenswert, aber so etwas passiert halt mal. Und da das ständig passieren kann, dass Leute, die man nicht mag, vergast werden, müsse man eben aufpassen, dass das nie wieder passiert. (Ich überspitze jetzt absichtlich sehr). Dadurch ging für mich als Kind viel von dem Schrecken verloren, weil das Außergewöhnliche nicht mehr erkennbar war. Auch in der Aufarbeitung wurde es "normal". Wenn man aber begreifen will, was wirklich passiert ist, muss man sich eingestehen, dass dies eben nicht die Normalität von Bösewichten ist, sondern dass es ein unvorstellbares Verbrechen ist und man muss versuchen zu ergründen, wie es möglich war. Wie die ganzen System funktionierten. Und wie es kam, dass sich die Bösen dann so schnell wieder nach dem Krieg als brave Staatsbürger darstellen konnten. Ich habe viele Bücher zu dem Thema gelesen, habe mehrere Regalmeter mit "Holocaust-Literatur", alles Sachbücher und Augenzeugenberichte. Das Problem bestand darin, dass es schleichend ging. Und dass die Täter es abstrahierten - sie sprachen nicht mehr von Menschen, sondern von Schädlingen. Sie verloren die Beziehung und suchten emotional abgspaltene Lösungen zur "Schädlingsbekämpfung". Im Grunde haben die Täter konsequent einen furchtbaren Umgang mit der Natur gegen ihre eigenen Artgenossen fortgeführt. Deshalb fehlte ihnen dafür das Unrechtsbewusstsein. Sie glaubten, das Richtige zu tun. Interessant ist, dann danach zu forschen, wie Menschen auf die Idee kommen können, dass so etwas richtig ist. Und da glaube ich, dass jeder der großen Haupttäter ganz eigene Entwicklungen durchlaufen hat, um sich dazu bereitzuerklären. Gustavs Geschichte war für mich der Versuch, mich einem ärztlichen Täter anzunähern. Wer anfängt, andere Menschen nur noch als "Tiere" zu sehen, wird mit ihnen umgehen, wie er mit Schädlingen umgeht, wenn sie ihn stören. Und dann kommt "Schädlingsbekämpfungsmittel" zur Anwendung. Ich nehme auch im gegenwärtigen Ukraine-Krieg mit Schrecken zur Kenntnis, wie wieder auf allen Seiten angefangen wird, Menschen, die zufällig dem anderen Land angehören, die Menschlichkeit abzusprechen und sich über ihren Tod zu freuen. Wenn man Twitter liest, kann man das Gruseln kriegen. Es steckt leider immer noch in vielen Menschen, anderes einfach zu vernichten, das sie stört. Es fängt bei der Blattlaus an, die den Rosenstrauch befällt und kann im Völkermord enden. Die Blattlaus zu vernichten, ist gesellschaftlich akzeptiert. Und im Krieg anderen Menschen zu töten, ist bis heute gesellschaftlich akzeptiert. Ich will damit nichts werten, sondern nur die Gedanken darstellen, die mir oft durch den Kopf gehen.
Ich bin sehr gespannt, wie die Zeit mit Friederike und dem Gut umgegangen ist. Und mit allen andern. Toll, dass es diesen Abschlussband gibt, der ein Leben danach zeigt. Auch wenn da noch einige ehemaligen Nazis ihr Unwesen treiben werden.
Liebe Melanie, ich danke dir für deine immer wieder wundervolle Begleitung der Leserunden. Das ist wirklich so ein Gewinn beim Lesen und ein Vergnügen über das Lesen hinaus. Genau so müssen tolle Leserunden sein.
Vielen Dank! Ich habe jetzt für Band 4 schon einige Rezensionen erhalten, wo die Leserinnen enttäuscht waren, dass es überwiegend in Hamburg und nur am Anfang und am Ende auf Gut Mohlenberg spielt. Es ist also kein klassischer Mohlenberg-Roman. Ihr werdet viel über Hamburg im Jahr 1957 erfahren. Und viele Figuren aus meinem Roman-Universum treffen. Aber wenn man sie nicht kennt, stört das nicht. Wenn man sie kennt, hat man allerdings viel Spaß.