'Mehr als die Ehre' - Seiten 178 - 273

  • Ich hab ja alle drei Bücher der Reihe hier, von daher könnte ich auch alle drei bis dahin noch lesen.

    Wenn du alle 3 hast, kannst du auch mit "Die verstummte Liebe" anfangen, das habe ich zwar erst danach geschrieben, aber es erzählt die Vorgeschichte eines der Protagonisten mit seiner Mutter. Und dann "Im Lautlosen" und danach "Die Stimmlosen" - und ein wenig passt Mohlenberg 4 dann auch für die Bücher als Anschluss.

  • Oh, das ist ja alles noch viel Schlimmer als ich geahnt oder befürchtet habe.

    Ich habe anderes gehofft und der Abschnitt ist mir schwer gefallen ihn zu verdauen. Dass Gustav sooo ein hinterhältiger gefährlicher Mensch ist, das hätte ich nicht gedacht und finde ich sehr traurig für Friederike. Er bringt sie dazu, dass sie jetzt Hass empfindet und Rachegefühle hegt. Das passt gar nicht zu ihr und ist schlimmer, als ich je befürchtet hätte. Es liest sich gerade eher wie ein Thriller und ehrlich gesagt finde ich es schon krass, wie jetzt Gegenintrigen gesponnen, eingebrochen, Fingerabdrücke verwischt werden etc.p.p. Das macht doch etwas mit Menschen, wenn sie solche Mittel anwenden müssen, um sich ihrer Haut zu wehren. Da geht keiner unbeschadet heraus aus dieser Geschichte.

    Dieser Teil der Buchreihe ist anders, als die ersten beiden, finde ich.


    Der Tagebucheintrag von Gustav war mir etwas zu langatmig. Ja, damit wird erklärt, wie er so geworden ist. Die Frage muss man sich ja immer stellen, ob solch eine traurige Jugend und so prägende Erfahrungen mit der Mutter eine Rechtfertigung/Erklärung sind, für das Wesen dieses Mannes. Aber alles kann man damit ja auch nicht entschuldigen. Geschieht ihm recht, dass der Spieß jetzt umgedreht wird.


    Ich hoffe mal, das läuft auch alles so, wie sich Friederike das vorstellt. Auch mit Ingrid, der SS und der Schwangeren. Da wird der letzte Abschnitt sicherlich nochmal richtig spannend.

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Soviel weiß ich ja noch nicht über Karla - und ich bin mittlerweile genug "Melanie-Metzenthin-erfahren" , dass ich ganz stark eine andere Diagnose erwarte, als sie bisher gestellt wurde! Bei ihr habe ich auch große Hoffnungen, dass sie durch eine entsprechende Therapie ihr Leben "in den Griff" bekommen kann. Anders als Ingrid sehe ich Karla (noch) nicht in der Rolle der liebevollen Mutter für drei kleine Kinder unter 6 Jahren.... Mir gefällt eher der Gedanke, dass sie entweder auf Gut Mohlenberg bleibt oder tatsächlich bei Fräulein Wermut "in Stellung geht", um über ihre traumatischen Erlebnisse hinwegzukommen und ihren eigenen Lebensweg zu finden... Das hat aber nichts mit der Frage zu tun, ob Joachim Markmann SS-Angehöriger ist oder "normaler " Kriminalbeamter...

    Da sind meine Gedanken ganz ähnlich. Die Diagnose muss sicherlich noch erweitert werden, wenn man Karla näher kennt. Und ich sehe sie auch auf Gut Mohlenberg mit einem anderen der Männer auf dem Gut. ;)

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Dein erster und Dein letzter Satz Deiner wirklich sehr guten und sehr ausführlichen Erklärung stehen nur beispielhaft für einen Gedankenansatz da, über den ich noch ausführlich nachdenken muss. Besonders Dein "Erklärungen zu suchen ist übrigens nicht dazu da, um Täter zu entschuldigen......" hat einen Nerv bei mir getroffen. Ich bin Sozialpädagogin und versuche deshalb manchmal im Privatleben zu erklären, warum manche Menschen eben so (Täter*in) geworden sind und werde häufig mit dem Argument konfrontiert, ich wolle immer alles nur entschuldigen...

    Die Suche nach Erklärungen beschäftigt mich auch. Und ich finde, um sich selber reflektieren zu können muss man auch die Handlungen anderer Menschen für sich einordnen können. Die Frage, ob man das dadurch entschuldigt liegt im Privatleben bei jedem Einzelnen. Wenn es Richter oder Ärzte sind, die nach Erklärungen suchen, dann wollen sie ein Strafmaß einordnen oder vielleicht wird nach einer Möglichkeit gesucht, Betroffene zu durch das zusätzliche Wissen besser zu behandeln.


    Im Grunde sagt so eine Vorgeschichte mir, dass die Kindheit und Jugend jeden Menschen prägt. Jeden natürlich ein wenig anders aber doch so, dass man zukünftige Handlungen besser einschätzen kann, wenn man weiß, wie der Mensch tickt. Dennoch ist jeder für sich selbst verantwortlich und er will dem Gut Mohlenberg und seinen Bewohnern nichts Gutes und das ist nie entschuldbar.

    Hollundergrüße :wave




    :lesend








    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin, daß er tun kann, was er will, sondern daß er nicht tun muß, was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Dennoch ist jeder für sich selbst verantwortlich und er will dem Gut Mohlenberg und seinen Bewohnern nichts Gutes und das ist nie entschuldbar.

    Krankheit entschuldigt kein schlechtes Benehmen und eine schwierige Kindheit keine Straftaten. Das muss man sich immer klar machen.


    Die Verantwortung liegt immer bei der Person selbst. Im Strafrecht bei der Begutachtung der Schuldfähigkeit geht es deshalb auch immer darum, ob eine Person 1. in der Lage war, das Unrecht einzusehen und 2. in der Lage war, dieser Einsicht gemäß zu handeln.


    Mal ein Beispiel: Wenn ein Mensch an Wahnvorstellungen leidet und glaubt, sein Nachbar sei in Wirklichkeit ein Zombie und er müsse ihn töten, um sich selbst zu schützen, dann ist dieser Mensch schuldunfähig, weil er nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Tat zu erkennen. Da er aber eine Gefahr für die Allgemeinheit ist, erfolgt die Unterbringung in der forensischen Psychiatrie - unbefristet. Daraus kann er erst entlassen werden, wenn mehrere unabhängige Gutachter seine Genesung bestätigt haben. Der Aufenthalt in der Forensik kann prinzipiell auch lebenslang dauern, wenn sich der Zustand nicht bessert. Er ist nur sehr selten kürzer als im Gefängnis, meist deutlich länger. Ich habe ja selbst lange in der Forensik gearbeitet.


    Wenn ein Mensch z.B. suchtkrank ist und massiven Druck nach seiner Droge hat und einen anderen überfällt und ausraubt, dann weiß er zwar, dass das verboten ist - er ist also in der Lage, das Unrecht der Tat einzusehen. Aber durch den Suchtdruck war er nicht in der Lage, gemäß dieser Einsicht zu handeln. Er hat deshalb einen anderen Menschen ausgeraubt, um Geld für die Droge zu bekommen. Diese Person hat somit eine verminderte Schuldfähigkeit, aber sie kommt dann ins Gefängnis. Wenn sie sich dort gut führt, hat sie die Chance, vorzeitig nach §35 BTMG in eine Suchtrehabilitationseinrichtung zum Entzug entlassen zu werden.


    Wenn es ein minderschwerer Raub war, kann auch gleich die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet werden. Sozusagen als Bewährungsauflage.


    Ein Täter wie Gustav hingegen hätte keine mildernden Umstände zu erwarten, weil er um das Unrecht seiner Taten wusste und auch in der Lage gewesen wäre, dieser Einsicht entsprechend zu handeln. Er wollte es nur einfach nicht. Also würde er auch bei uns die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.

  • Ich bin jetzt auch mit diesem Abschnitt durch.


    Ich muss sagen, ich fand die Sache mit dem Tagebuch gut gelöst; ich bin aber auch eine Leserin, die immer die Beweggründe aller Figuren verstehen will. Und da sind mir gerade die Täter wichtig, die Figuren, die von den üblichen Moralvorstellungen unserer Gesellschaft abweichen. Zugegeben, in einem Roman, der in der Nazizeit spielt, sind das einige. Ich finde, dir ist das hier sehr gut gelungen, ohne dass es nach dem klassischen Klischee der schweren Kindheit klingt, das ich in einigen Romanen völlig überstrapaziert finde.


    Eure Diskussion darum, ob eine schwere Kindheit Verbrechen erklären/entschuldigen kann, finde ich hochinteressant. Danke für deine ausführliche Erklärung MelanieM , da geht die Rechtslage tatsächlich mit meinem Rechtsempfinden konform.

  • Ich habe jahrelang Kinder mit Trisomie 21 als Mandanten betreut, wenn die Krankenkasse den neuen Rollstuhl oder andere Hilfsmittel oder Behandlungen nicht bezahlen wollten. Bildet ihr euch wirklich ein der Gedanke über die Vernichtung lebensunwerten Lebens sei aus unserer Gesellschaft verschwunden?

    Nein, leider gebe ich mich dieser Illusion nicht hin. Ich habe mehr als einmal Bemerkungen wie "so etwas muss man heute doch wirklich nicht mehr bekommen" mitgehört, die an eine Mutter gerichtet waren, deren Kind Trisomie 21 hat. Das ist kein anderes Gedankengut.


    Und nur, damit mich da jetzt niemand falsch versteht - ich will keine Frau verurteilen, die aus welchen Gründen auch immer abtreiben lässt, ich werde nur äußerst stinkig, wenn Außenstehende der Meinung sind, beurteilen zu dürfen, welche Kinder es wert sind, auf die Welt zu kommen, und welche nicht.

  • Und nur, damit mich da jetzt niemand falsch versteht - ich will keine Frau verurteilen, die aus welchen Gründen auch immer abtreiben lässt, ich werde nur äußerst stinkig, wenn Außenstehende der Meinung sind, beurteilen zu dürfen, welche Kinder es wert sind, auf die Welt zu kommen, und welche nicht.

    Das sehe ich genauso. Freiheit bedeutet, dass eine Frau sowohl die Freiheit hat, sich für als auch gegen ein Kind zu entscheiden. Und beides sollte akzeptiert werden. Zumal Kinder mit Trisomie 21 sehr liebenswert sind und auch relativ selbstständig sind, im Vergleich zu vielen anderen geistigen Behinderungsformen.


    Aber da ist unsere Gesellschaft ohnehin sehr seltsam. Dieselben Eltern, die alle Früherkennungen machen, weil sie auf jeden Fall ein perfektes Kind haben wollen, können unter Umständen, wenn ihr Kind ein schwaches Frühchen wird, fordern, dass alles getan wird, auch wenn absehbar ist, dass es dann schwerstbehindert ist. Es ist eben immer ein Unterschied, ob man abstrakt über etwas nachdenkt, oder ob man sich direkt damit konfrontiert sieht.

  • Ich muss sagen, ich fand die Sache mit dem Tagebuch gut gelöst; ich bin aber auch eine Leserin, die immer die Beweggründe aller Figuren verstehen will. Und da sind mir gerade die Täter wichtig, die Figuren, die von den üblichen Moralvorstellungen unserer Gesellschaft abweichen.

    Mir ist es wichtig, von diesem klassischen "Der ist ein Nazi, also ist er automatisch böse und nichts muss erklärt werden" wegzukommen. Das stört mich oft in Filmen und Büchern so, dass klar ist, wer der Nazi ist, ist böse und es bedarf dann keiner Erklärung mehr. Das mag für Actionfilme gehen, wie z.B. Indiana Jones, aber wenn man sich intensiver mit der Problematik befasst, muss man wissen, wie die Menschen sozialisiert waren, dass sie Nazis oder aber keine Nazis wurden. Denn als die Nazis an die Macht kamen, wusste man ja noch nicht, was alles noch kommt.

  • Das Thema mit den Menschen, die einen anderen geistigen Stand haben wie ich selbst, möchte ich nicht allzu sehr vertiefen, da ich es schon oft erlebt habe, dass ich mich falsch ausdrücke und der ein oder andere Leser meines Beitrages sich dann "auf den Schlips" getreten fühlt.

    Ich beschränke mich hier mal auf die Mutter von Gustav - es gibt "bösartige" Menschen, die einfach mit anderen (egal ob es ein Kind oder ein erwachsener Mensch ist) nicht umgehen können. Und so schätze ich die Mutter von Gustav ein. Sie ist einfach mit der ganzen Lage und sich selbst überfordert gewesen und hat sich deshalb gegenüber ihrer Außenwelt so verhalten.


    Gustav selbst war mir von Beginn an suspekt. Ich hatte bei ihm kein gutes Gefühl. Und nun hat sich dieses Gefühl bewahrheitet. Sein Verhalten passte einfach nicht zum Rest seines Auftretens. Ich bin gespannt, wie die Überführung sich hier gestaltet.


    Die "Ermittlungen" von Fräulein Wermut und Friederike in Hamburg fand ich amüsant und sehr unterhaltsam. :) Das hat dem ganzen einen Humor verpasst, der mir sehr gut gefallen hat.

  • Ich beschränke mich hier mal auf die Mutter von Gustav - es gibt "bösartige" Menschen, die einfach mit anderen (egal ob es ein Kind oder ein erwachsener Mensch ist) nicht umgehen können. Und so schätze ich die Mutter von Gustav ein. Sie ist einfach mit der ganzen Lage und sich selbst überfordert gewesen und hat sich deshalb gegenüber ihrer Außenwelt so verhalten.

    Ich hatte Gustavs Mutter als eine Person mit einer Schizophrenie geplant. In einer entsprechenden psychotischen Erkrankung mit Wahnvorstellungen war sie nicht in der Lage, zwischen ihrem Wahnerleben und der Realität zu unterscheiden. Das Hauptproblem bestand für mich in der Unfähigkeit des Vaters und des Großvaters, das Kind - Gustav - zu schützen. Stattdessen musste der kleine Gustav sich selbst eine Erklärung für das Unfassbare zurechtlegen, weil er damit überfordert war und von den "gesunden" Erwachsenen kein vernünftiges Vorbild bekommen hat. Anstatt die Mutter in eine Klinik zu bringen, wurde sie weggesperrt. Im Grunde nahmen Großvater und Vater damit einen Teil dessen "vorweg", was Gustav später als Psychiater konsequent fortführte - nicht nur wegsperren, bis die Person sich umbringt, sondern gleich "Erlösung" durch Vernichtung, wenn es keine "Heilung" gibt. Seine Mutter war nicht böse, sie war krank. Das entschuldigt nicht ihre Handlungen an ihrem Kind, aber sie wäre nach heutiger Sichtweise schuldunfähig gewesen, weil sie das Unrecht der Tat nicht einsehen konnte. Hätte es eine Einrichtung wie Gut Mohlenberg direkt um die Ecke gegeben, wäre Gustavs Geschichte mit Sicherheit ganz anders verlaufen.