Beiträge von auserlesenes

    Ela ist ausgezogen und erwachsen geworden. Gerade befindet sie sich im Examensstress. Sie hat Angst zu versagen. Da beginnt ihr Körper zu rebellieren. Zwischen verschiedenen Arztterminen stürmen einige Fragen auf sie ein…


    „Junge Frau mit Katze“ ist ein Roman von Daniela Dröscher, der an „Lügen über meine Mutter“ anknüpft.


    Die Geschichte wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Ela erzählt. Zwischen den insgesamt zwölf Kapiteln stehen Zitate der japanischen Schriftstellerin Yōko Tawada. Kreativ: Die Überschriften der Kapitel sind Titel von Büchern, die ebenfalls vom Körper erzählen oder in anderer Weise zu diesem Roman passen. In kurzen Zwischenkapiteln sind Erinnerungen und Reflexionen an ihre Mutter eingestreut.


    Nur auf den ersten Blick wirkt die Sprache unspektakulär. Immer wieder finden sich besondere Bilder und Formulierungen. Der Text steckt voller klugen Gedanken und bleibt gleichzeitig leichtfüßig.


    Zwar ist die Kenntnis von „Lügen über meine Mutter“ nicht zwingend erforderlich, um den Roman zu verstehen und genießen zu können. Dennoch ist es zu empfehlen, zunächst die frühere Geschichte zu lesen.


    Während es im ersten Ela-Roman vor allem um Übergewicht, Bodyshaming und patriarchale Strukturen ging, spielt der Körper auch in dieser Geschichte eine zentrale Rolle. Gesundheitliche Probleme nehmen breiten Raum im Roman ein, sowohl in Form von physischen Symptomen als auch auf der mentalen Seite.


    Auf der inhaltlichen Ebene werden erneut toxische Beziehungen innerhalb der Familie beleuchtet. Darüber hinaus sind die Themen Selbstfindung und Selbstermächtigung von großer Bedeutung. Auch diesmal werden Impulse zum Nachdenken geliefert. Bei diesem Roman hatte ich allerdings weniger Aha-Momente.


    Auf den rund 300 Seiten hat die Autorin wiederum autobiografische Elemente mit Fiktion vermischt. Die Figuren sind wieder einmal glaubwürdig und lebensnah gestaltet. Die Geschichte habe ich stellenweise jedoch als zähflüssig und bisweilen sogar etwas redundant gefunden.


    Das Covermotiv ist ebenso farbenfroh wie beim ersten Ela-Roman, jedoch weniger abstrakt und daher nach meiner Ansicht gelungener. Allerdings finde ich den Titel diesmal nicht so aussagekräftig und reizvoll.


    Mein Fazit:

    Mit „Junge Frau mit Katze“ konnte mich Daniela Dröscher nicht so überzeugen wie mit dem ersten Ela-Roman. Obwohl die Geschichte nicht an „Lügen über meine Mutter“ herankommt, habe ich auch dieses Buch gerne gelesen.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3462007610

    Oberbayern im Jahr 1992: Arkadia Fink (13), genannt Moll, ist nicht wie die anderen Mädchen in ihrem Alter. Sie liebt klassische Musik. Das verbindet sie mit ihrer Mutter Iris, die seit mehr als acht Monaten weg ist. Ihr Vater, ein Schreiner, ist mit der Situation überfordert. Ihre beste und einzige Freundin, Bernhardina, ist eine ehemalige Musiklehrerin, bereits 84 Jahre alt und lebt im Altenheim. Als Arkadia vom Probesingen für einen Knabenchor erfährt, reift in ihr ein Plan heran: Wenn sie es in den Chor schafft, wird ihre Mutter bestimmt zurückkehren…


    „Durch das Raue zu den Sternen“ ist ein Roman von Christopher Kloeble.


    Der Aufbau des Romans orientiert sich an einer Sinfonie: Er besteht allerdings aus fünf statt vier Sätzen beziehungsweise Teilen. Die ersten vier beinhalten mehrere Kapitel. Erzählt wird ausschließlich in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Arkadia.


    Der Text ist sehr atmosphärisch und von ungewöhnlichen Metaphern durchzogen. Besonders gut haben mir Wortkreationen wie Pentatoniker und Tondichterin gefallen. Zudem ist es gelungen, sprachlich den Ton einer 13-Jährigen zu treffen, ohne in unglaubwürdigen Jugendslang zu verfallen.


    Arkadia ist eine unkonventionelle Protagonistin: Außenseiterin und musikalisch begabt, aber impulsiv, durchsetzungsstark, egozentrisch, mehr als nur selbstbewusst, gewaltbereit und eigensinnig. Sie hat Ecken und Kanten, sie macht Fehler und gesteht sich diese ein. Ihre ausufernden, wiederholten Fantasievorstellungen wie die, dass Beethoven weiblich war, sind mit der Vernunft oft nicht zu greifen. Dennoch wirkt ihr Innenleben authentisch und in sich stimmig.


    Auf der inhaltlichen Ebene vereint der Roman zwei thematische Bereiche. Das sind einerseits die Leidenschaft für klassische Musik und das Singen in professionellen Chören. Die Geschichte zelebriert musikalische Kunst, kritisiert zugleich aber den äußerst strengen, harschen und übertrieben disziplinierten Umgang der Chorleiter mit jungen Sängern. Letzteres hat der Autor selbst erlebt, wie er in Interviews hat durchblicken lassen.


    Da ist andererseits das Thema mentale Gesundheit. Die offenbar manisch-depressiven Verhaltensweisen der Mutter nehmen ebenso viel Platz ein wie die offenkundige Traumatisierung der Tochter, die vor allem mit Gewalt, Aggressivität und überbordender Fantasie auf eine Verlusterfahrung reagiert.


    Darüber hinaus hat der Autor weitere Aspekte eingearbeitet. So lässt er beispielsweise immer wieder Kritik an patriarchalischen Strukturen einfließen. Dies verleiht dem Roman eine weitere Facette.


    Die Geschichte ist anrührend, aber nicht kitschig. Und obwohl für mich die Hintergründe des Verschwindens bereits nach wenigen Kapiteln offensichtlich waren, habe ich mich auf keiner der knapp 240 Seiten gelangweilt. Dass zwar alle wesentlichen Fragen geklärt und dennoch Interpretationsspielräume gelassen werden, ist eine weitere Stärke des Romans.


    Ein Manko ist für mich hingegen das sehr hübsche, aber wenig passende Covermotiv. Die Darstellung des Mädchens und die Harmonie des Bildes werden dem Inhalt nicht gerecht. Unglücklich ist auch, dass fast zeitgleich ein anderer Roman mit diesem Motiv erschienen ist. Umso besser ist dagegen die Wahl des Titels, der eine lateinische Redewendung aufgreift und mit der Beschreibung der Werke Beethovens verbunden ist.


    Mein Fazit:

    Mit „Durch das Raue zu den Sternen“ ist Christopher Kloeble ein bewegender und besonderer Roman gelungen, den ich wärmstens empfehlen kann.


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

    Herzogsbronn im Schwarzwald: Das Hotel ihres Vaters Carl, „Zum alten Forsthaus“, ist in die Jahre gekommen. Nur wenige Gäste verirren sich noch dorthin. Doch Lisa Berndl, 39, hängt nach wie vor an dem Haus, was ihr Mann Simon (Mitte 40), ein Förster, nicht nachvollziehen kann. Da taucht plötzlich eine Fremde in der Herberge auf. Daniela Arnold, kurz Ela, bittet Lisa um Hilfe. Doch irgendwas stimmt mit dieser Frau nicht…


    „Schattengrünes Tal“ ist ein psychologischer Spannungsroman von Kristina Hauff.


    Der Roman besteht aus drei Teilen mit jeweils mehreren Kapiteln und schließt mit einem Epilog. Erzählt wird aus personaler Perspektive, abwechselnd aus der Sicht verschiedener Personen. Die Handlung spielt in einem fiktiven Ort, inspiriert von der realen Stadt Freudenstadt, und erstreckt sich über einige Monate. Dieser Aufbau funktioniert sehr gut.


    Der bildstarke, atmosphärische Schreibstil hat mir gut gefallen. Die Dialoge klingen lebensnah. Besonders eindrücklich sind die Naturbeschreibungen geworden.


    Vor allem drei Figuren stehen im Fokus der Geschichte: Lisa, Daniela und Simon. Die Charaktere sind durchaus interessant gestaltet. Ihre Gedanken und Gefühle konnte ich jedoch nicht immer nachvollziehen.


    Auf der inhaltlichen Ebene geht es vor allem um zwischenmenschliche Beziehungen und Probleme in der Liebe, der Familie und Freundschaften. Was machen Täuschungen, Lebenslügen und Geheimnisse mit uns? Und eine weitere Frage wird aufgeworfen: Wie leicht lassen sich Menschen manipulieren?


    Darüber hinaus thematisiert der Roman die Folgen des Klimawandels, besonders in Bezug auf den Wald und seine Bewohner. Dies verleiht ihm zusätzliche Tiefe und macht ihn lehrreich. Auch in diesem Punkt zeigt sich die fundierte Recherche der Autorin.


    Auf den knapp 300 Seiten ist die Geschichte kurzweilig und von einer unterschwelligen Spannung durchzogen. Dabei bleibt die Handlung größtenteils stimmig.


    Das durchaus vielfältig interpretierbare Covermotiv mit den Schwarzstörchen passt nicht nur hervorragend zur Geschichte, sondern gefällt mir auch aus optischen Gesichtspunkten sehr. Der prägnante, stimmungsvolle und dennoch ungewöhnliche Titel ist ebenfalls eine gute Wahl.


    Mein Fazit:

    Mit „Schattengrünes Tal“ hat Kristina Hauff erneut einen lesenswerten Roman voller psychologischer Spannung geschrieben.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3446284281

    20 Jahre ist es her: Seit dem 7. September 2003 ist Julie Eileen Novak, damals 16 Jahre alt, verschwunden. Ihr Vater Theo (74), ein ehemaliger Chirurg, ist zwar mittlerweile dement, möchte aber immer noch nach ihr suchen. Da wird Liv Keller auf den Fall aufmerksam. Sie betreibt mit ihrem Partner Philipp Hendricks den Podcast „Two Crime“ und nimmt Kontakt zu Theo auf. Lässt sich das Verschwinden nach all den Jahren noch aufklären?


    „Himmelerdenblau“ ist ein Thriller von Romy Hausmann.


    Eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog, besteht der Roman aus sechs längeren Kapiteln. Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven aus der Sicht verschiedener Personen, wobei die Zuordnung klar ist.


    Die Protagonisten sind reizvoll, recht verschieden und interessant ausgestaltet. Sie bleiben mal mehr, mal weniger undurchsichtig und verdächtig. Die Figuren lassen dadurch angenehm viel Raum für Spekulationen.


    Vordergründig behandelt der Thriller einen ungelösten Vermisstenfall. Doch die Geschichte ist tiefgründiger: Es geht um menschliche Abgründe, um Liebe und Ängste.


    Ein Schwerpunkt der Geschichte liegt zudem auf dem Thema Demenz. Dass es der Autorin bei diesem Element nicht um dramaturgische Effekte ging, sondern darum, die Krankheit auf authentische Weise ins Bewusstsein zu rücken, erläutert sie im Nachwort. Gut gefallen hat mir außerdem der (selbst-)kritische Blick auf die populär gewordenen True-Crime-Formate, mit denen sich die Schriftstellerin aufgrund eigener Erfahrungen sehr gut auskennt.


    Auf den fast 450 Seiten verzichtet der Thriller auf blutige Szenen und übermäßige Dramatik, ist dabei dennoch spannend und überraschend. Die unerwarteten Wendungen und die Auflösung habe ich als schlüssig empfunden.


    Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich der Thriller überzeugt. Der Schreibstil ist sowohl anschaulich als auch atmosphärisch. Gesprächsprotokolle, Briefe, Mails und ähnliche Elemente machen ihn zudem in stilistischer Weise abwechslungsreich. Auch auf der sprachlichen Ebene ist es der Autorin wunderbar gelungen, die Auswirkungen der Demenz zu verdeutlichen, wenn zum Beispiel von „Koryglyphe“ statt „Koryphäe“ oder „Krittel“ statt „Kittel“ die Rede ist.


    Trotz des Verlagswechsels wurde die bekannte Optik der bisherigen Hausmann-Thriller mit seinem hellen, reduzierten Design weitestgehend erhalten, sodass das neue Buch gut zu den früheren Werken passt. Auch der knappe, für das Genre ungewöhnliche Titel fügt sich prima ein und ist inhaltlich stimmig.


    Mein Fazit:

    Wieder einmal hat Romy Hausmann bewiesen, dass sie lesenswerte Thriller mit Tiefgang und hohem Unterhaltungswert schreiben kann. Wer bereits an ihren früheren Geschichten Freude hatte, wird auch von „Himmelerdenblau“ nicht enttäuscht. Große Empfehlung für alle Fans der Spannungsliteratur!


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

    Als sie gerade einmal zwölf Jahre alt ist, wird Bijoux nach Unruhen in Kinshasa nach London geschickt. Hier verliebt sie sich zum ersten Mal - und zwar in eine Frau. Das will sie vor ihrer streng religiösen Tante Mireille, die sich früher Mira nannte, verbergen. Doch auch ihre Tante trägt ein Geheimnis aus der Vergangenheit mit sich herum…


    „Wohin du auch gehst“ ist der Debütroman von Christina Fonthes.


    Die Struktur des Romans ist weder banal noch verwirrend: Es gibt vier Teile, die aus mehreren Kapiteln bestehen und mit einem Prolog eingeleitet werden. Dabei gibt es unterschiedliche Ebenen: Die Handlung spielt teilweise in London (Großbritannien), teilweise in Kinshasa (Kongo) und zwischendurch in Brüssel und Paris. Es gibt zeitliche Sprünge zwischen 1974 und 2007. Für Komplexität sorgt zudem, dass im Wechsel erzählt wird: aus personaler Perspektive aus der Sicht von Mira und in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Bijoux. Dennoch fällt die Orientierung dank der Angaben zu Beginn der Kapitel leicht.


    Die Sprache ist leichtfüßig, schnörkellos, anschaulich und gleichzeitig literarisch. Der Text enthält immer wieder Wörter der afrikanischen Sprache Lingala, die größtenteils in einem abgedruckten Glossar erklärt werden. Die deutsche Übersetzung von Michaela Grabinger ist angenehm unauffällig.


    Die zwei Protagonistinnen sind interessant und sympathisch. Sie wirken lebensnah, weitestgehend frei von Stereotypen und verfügen über psychologische Tiefe.


    Vordergründig geht es um zwei Frauenschicksale. Bei der Lektüre entfalten sich dann mehrere Schwerpunkte: Es geht um Queerness, um Diskriminierung, um Emanzipation sowie um religiöse und traditionelle Erwartungen, die dem entgegenstehen. Darüber hinaus spielen Mutter-Tochter-Beziehungen, Lebenslügen und Familiengeheimnisse eine wichtige Rolle. Auch die Themen Herkunft und Migration sind von Bedeutung. Gut gefallen hat mir, dass Diversität in mehrfacher Hinsicht auf elegante Weise eingeflochten. Der Roman ist überraschend facettenreich und vielschichtig.


    Auf den rund 400 Seiten entwickelt die Geschichte schnell einen Sog. Die Handlung ist glaubwürdig und zugleich unterhaltsam.


    Das verlagstypische Cover, das ein Gemälde von Tamara Tashna Downes zeigt, ist durchaus passend, wenn auch nicht so aussagekräftig wie das der Originalausgabe. Der deutschsprachige Titel ist verkürzt, aber ansonsten wortgetreu („Where You Go, I Will Go“) übernommen.


    Mein Fazit:

    Mit ihrem vielversprechenden Debüt „Wohin du auch gehst“ macht Christina Fonthes Lust auf ihre künftigen Romane. Eine empfehlenswerte Lektüre!


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3257073550

    Die Autorin ist seit Längerem geschieden, ihre Kinder sind aus dem Haus. Zwar geht sie nun auf die 60 zu, aber sie könnte sich zufrieden und frei fühlen. Doch der Zahn der Zeit nagt an ihr, und das wortwörtlich: Ein wackeliger Zahn führt ihr das Altern und die eigene Vergänglichkeit vor Augen. Da quartiert sich ihre Schwester Paula bei ihr ein. Und sie begegnet im Supermarkt zufällig Friedrich, ihrem Jugendfreund. Die Begegnung bringt sie ins Grübeln: Sollte sie noch einmal eine Liebesbeziehung eingehen?


    „Ja, nein, vielleicht“ ist ein Roman von Doris Knecht.


    Erzählt wird die Geschichte - mit Rückblenden, aber in chronologischer Reihenfolge - im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht der namenlosen Protagonistin. Sie besteht aus 39 kurzen Kapiteln.


    Der Schreibstil ist wunderbar unaufgeregt, aber keineswegs trocken oder hölzern. Die Dialoge wirken lebensnah, die Beschreibungen sind auf den Punkt und anschaulich.


    Auch die Protagonistin macht einen authentischen Eindruck. Die Figur ist mit viel psychologischer Tiefe ausgestattet. Ihre Gedanken und Gefühle werden sehr nachvollziehbar geschildert. Gut gefallen hat mir außerdem, dass die Protagonistin mit ihren Fehlern, Ängsten und Zweifeln durch und durch menschlich ist.


    Auf nur wenig mehr als 200 Seiten ist der Roman erstaunlich facettenreich und inhaltlich umfassend. Es geht um weitaus mehr als eine bloße Liebesgeschichte. Der Roman beschäftigt sich mit den Themen Familie und Freundschaft. Auch Verletzungen, andere negative Erfahrungen und Erinnerungen spielen eine Rolle. Zu guter Letzt bietet der Roman Einblicke ins Schreiben und die Verlagswelt. Diese Mischung klingt wild, fügt sich aber erstaunlich gut zusammen. Sie bietet viele Anknüpfungspunkte und Stoff zum Nachdenken.


    Trotz des ruhigen Erzähltempos und ein paar Gedankenschleifen habe ich mich alles in allem prima unterhalten gefühlt. Die Geschichte hat nur wenige Längen.


    Der grellbunte Stil des Covermotivs sagt mir persönlich zwar nicht zu. Der Titel passt jedoch sehr.


    Mein Fazit:

    Wieder einmal ist Doris Knecht ein lesenswerter Roman gelungen. „Ja, nein, vielleicht“ ist eine kluge Geschichte mit Anspruch, die sich nicht auf bloße Zerstreuung stützt. Erneut hat mich die Autorin nicht enttäuscht.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

    Vordergründig führt sie ein erfolgreiches, geradezu beneidenswertes Leben. Doch hinter der Fassade der hübschen, kinderlosen Musikmanagerin, Ende 30, sieht es anders aus: Sie ist Single und nicht glücklich. Und von ihrer Familie ist ihr nur ihre Mutter geblieben. Ein plötzlicher Anruf bringt ihren Alltag durcheinander und treibt sie zurück in eine Stadt am Meer, wo sie zuletzt in einem Sommer vor 20 Jahren eine der Furien war…


    „Furye“ ist ein Roman von Kat Eryn Rubik.


    Der Roman wird eingeleitet mit einem kurzen Prolog und endet mit einem Epilog. Dazwischen liegen neun Kapitel, die in der Ich-Perspektive einer jungen Frau erzählt werden, die anonym bleiben will. Zudem gibt es eine weitere Ebene: die Einträge aus einem Notizbuch, aufgeschrieben von der Protagonistin, als sie 17 Jahre alt war und sich Alec nannte.


    Der Schreibstil ist einzigartig und besitzt einen Wiedererkennungswert. Die Sprache ist manchmal etwas derb bis vulgär, atmosphärisch stark und bisweilen von einer poetischen Note durchzogen.


    Für mich ist die Protagonistin keine typische Sympathieträgerin. An ein paar Stellen habe ich mich an ihrem Verhalten gestört. Dennoch wirken sie und die übrigen Figuren größtenteils authentisch.


    Die Geschichte dreht sich um die Jugend und das Erwachsen werden. Inhaltlich ist der Roman dabei jedoch durchaus keine leichte Kost. Es geht es um Erinnerungen, Schmerz, Trauer und Verlust, aber auch um Gewalt und andere unschöne Erfahrungen.


    Auf den fast 350 Seiten ist die Geschichte von einer subtilen Spannung geprägt. Schon nach den ersten Seiten entwickelt die Geschichte einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte.


    Das Covermotiv sticht hervor und macht neugierig. Der außergewöhnliche Titel mit der besonderen Schreibweise erregt Aufmerksamkeit und passt sehr gut.


    Mein Fazit:

    „Furye“ von Kat Eryn Rubik ist ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlicher Roman.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3832181946

    Earlon Bronco (70), genannt Bucky, hat seit dem Tod seiner Frau Maybellene vor knapp einem Jahr seine Lebensfreude verloren. In Chicago erlebt der frühere Soulsänger einen traurigen Alltag. Da erreicht ihn eine unerwartete Einladung zu einem Musikfestival im englischen Scarborough. Bucky, der noch nie vorher am Meer war, lässt sich darauf ein. An der britischen Küste trifft er Dinah, eine Mittfünfzigerin.

    „Strandgut“ ist ein Roman von Benjamin Myers.

    Der Roman gliedert sich in drei Teile, die sich aus zahlreichen Abschnitten zusammensetzen. Eingeleitet wird er von einem kurzen Prolog. Erzählt wird auf zwei zeitlichen Ebenen.

    Der Schreibstil ist atmosphärisch und geprägt von schönen Sprachbildern. Anschauliche Beschreibungen und lebensnahe Dialoge wechseln sich ab.

    Die Charaktere wirken nahbar, authentisch und sympathisch. Insbesondere Bucky und Dinah, zwei interessante Figuren, stehen im Mittelpunkt des Romans.

    In inhaltlicher Hinsicht beschäftigt sich die Geschichte mit großen Emotionen. Thematisch geht es um Freundschaft, Neuanfänge, Erinnerungen und Verluste. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Musik. Allerdings behandelt der Roman auch Alkohol- und Medikamentenmissbrauch.

    Auf den fast 300 Seiten bietet die Geschichte ein wenig Dramatik und viele berührende Passagen. Die Handlung ist größtenteils schlüssig und unterhaltsam, wenn auch ohne größere Überraschungen.

    Der englischsprachige Originaltitel („Rare singles“) gefällt mir aufgrund seiner Zweideutigkeit sehr. Auch die metaphorische Formulierung der deutschen Ausgabe passt für mich gut, vor allem in Verbindung mit dem stimmungsvollen, hübschen Covermotiv.

    Mein Fazit:
    Mit „Strandgut“ ist Benjamin Myers erneut ein empfehlenswerter Roman gelungen, den ich gerne gelesen habe.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3755800373

    Sie sind sechs Frauen in Südkorea und sie eint ihr bisher unerfüllter Kinderwunsch: Munjeong Kang (44, Journalistin), Juin Han (38), Jeonghyo Kim (46), Sora Yun (37, Tierärztin), Hyekyoung Lee (44, Anwältin) und Unha Jang (37, Polizistin). In einer Fruchtbarkeitsklinik in Seoul lernen sie sich kennen und schreiben fortan in der Gruppe „Hello Baby“ miteinander. Erst taucht die Älteste von ihnen plötzlich in der Gruppe ein Jahr ab, dann mit einem Kind wieder auf. Kann das mit rechten Dingen vor sich gehen?


    „Hello Baby“ ist ein Roman von Kim Eui-kyung.


    Die Struktur ist sinnvoll durchdacht und funktioniert prima: Der Roman gliedert sich in zwei Teile, die wiederum aus insgesamt 14 Kapiteln bestehen.


    Erzählt wird aus wechselnden Perspektiven aus der Sicht der sechs Frauen, die aus sprachlicher Sicht leider wenig Varianz aufweisen. Ansonsten ist der Text anschaulich und unauffällig.


    Die sechs Frauen stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Die Charaktere wirken glaubwürdig und interessant.


    Auf der inhaltlichen Ebene ist der Roman keine leichte Kost. Schonungslos werden die Schmerzen und Herausforderungen beleuchtet, die die Hormonspritzen, Eizellentnahmen und Embryotransfers bei den Frauen verursachen - sowohl in körperlicher wie auch in psychischer Hinsicht. Die vielen Fehlschläge und seelischen Nöte sind nicht leicht zu ertragen. Besonders weh taten mir jedoch beim Lesen die misogynen Widersprüchlichkeiten, denen die Frauen ausgesetzt sind: Einerseits erfahren sie besonders in Südkorea großen Druck, ein Kind auf die Welt zu bringen; andererseits wird dort von der Wirtschaft alles daran gesetzt, dass eine Schwangerschaft und Kinder Gift für eine berufliche Karriere sind. Zudem zeigt sich, dass Unfruchtbarkeit nur Frauen angelastet werden darf. Dass sich die Autorin mit diesem Thema gut auskennt, verdeutlicht das Nachwort, in dem sie ihre leidlichen persönlichen Erfahrungen damit schildert.


    Zwar sind die Umstände hierzulande weniger drastisch. Grundsätzlich sind solche Tendenzen allerdings auch in Deutschland nicht von der Hand zu weisen, was die Lektüre in Westeuropa ebenfalls aktuell macht. Im feministischen Zusammenhang liefert der Text daher viel Material zum Nachdenken und Diskutieren.


    Auf den 220 Seiten ist die Handlung kurzweilig und fesselnd. Sie bleibt durchweg schlüssig.


    Das bunte, ungewöhnliche Covermotiv passt zum Thema und erregt Aufmerksamkeit. Schade, dass bei der Gestaltung künstlerische Intelligenz zum Einsatz gekommen ist.


    Mein Fazit:

    Mit „Hello Baby“ ist Kim Eui-kyung ein aufrüttelnder und aufschlussreicher Roman gelungen, der auch einen Unterhaltungswert besitzt. Lesenswert!


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 335105128X

    Lai, ein schüchternes und ängstliches Mädchen, wächst in eher einfachen Verhältnissen auf. Ihr Vater, ein Intellektueller, redet kaum, ihre Mutter ist distanziert. Auch ihr kleiner Bruder und ihre Großmutter gehören zu ihrem direkten Umfeld. Schon als Kind lernt sie die Härte des chinesischen Regimes kennen…


    „Himmlischer Frieden“ ist der Debütroman von Lai Wen.


    Vier Teile mit insgesamt 39 Kapiteln, an die sich ein Epilog anschließt: Die Struktur des Romans ist ebenso sinnvoll wie schlüssig. Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lai. Die Handlung umspannt im Wesentlichen die Jahre 1970 bis 1989 und spielt in China.


    Der Schreibstil ist eindrücklich, unaufgeregt und dank etlicher authentischer Dialoge anschaulich. Teilweise ist zudem eine poetische Note erkennbar.


    Im Fokus steht Lai, eine realitätsnah gezeichnete Figur. Auch die übrigen Charaktere wirken lebensecht.


    Nicht zufällig trägt die Protagonistin denselben Namen wie das Pseudonym der Autorin, denn der Roman hat autobiografische Züge und beinhaltet einige Erinnerungen aus der Kindheit und Jugend. Er beschreibt einen nicht geringen Teil ihres Lebens, nämlich das Aufwachsen und Erwachsenwerden im totalitären China der 1970er- und 1980er-Jahre. Vorwiegend geht es dabei um zwischenmenschliche Beziehungen, zunehmend aber auch um das Eindringen der Politik in den Alltag. Freundschaften, familiäre Verbindungen und Liebe nehmen breiten Raum ein.


    Anders als es der Titel vermuten lässt, spielt die blutige Niederschlagung des friedlichen Aufstands im Jahr 1989 auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking nur eine sehr kleine Rolle. Dieses historische Ereignis taucht erst zum Schluss des Romans auf.


    Auf den rund 550 Seiten ist die Geschichte durchaus bewegend und regt zum Nachdenken an. Allerdings weist sie einige Längen auf.


    Das reduzierte, künstlerisch anmutende Covermotiv ist sowohl hübsch als auch inhaltlich passend. Der Titel, der sich am englischsprachigen Original („Tiananmen Square“) orientiert, weckt meiner Ansicht nach jedoch falsche Erwartungen.


    Mein Fazit:

    „Himmlischer Frieden“ von Lai Wen ist ein besonderer, lesenswerter Roman, der nicht nur unterhält, sondern auch interessante Einblicke bietet.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

    East Gladness in New England (USA) im Herbst 2009: Hai, Sohn einer vietnamesischen Einwanderin, ist tablettenabhängig, gescheitert und verzweifelt. Der queere 19-Jährige hat sein Studium abgebrochen und will nun Suizid begehen. Aber Grazina, eine alte Frau und Migrantin aus Litauen, kann ihn davon gerade noch abbringen. Zwischen den beiden entsteht eine besondere Verbindung…


    „Der Kaiser der Freude“ ist ein Roman von Ocean Vuong.


    Aufgeteilt in 25 Kapitel, wird die Geschichte aus der Sicht von Hai erzählt. Die Handlung umspannt mehrere Monate und spielt in den Jahren 2009 und 2010.


    Vor allem in sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman begeistert. Mit poetischer Note, authentischen Dialogen und eindrücklichen Beschreibungen: So lässt sich der atmosphärisch starke Stil charakterisieren.


    Auch die Figuren wirken sehr lebensnah. Sie besitzen psychologische Tiefe und werden schlüssig gezeichnet. Das gilt insbesondere für Hai, den Protagonisten, dessen Denken und Fühlen nachvollziehbar geschildert wird.


    Es geht um Menschen am Rand der Gesellschaft. Um einen Alltag außerhalb des Amerikanischen Traums. Um ein unglamouröses Leben, das viele kennen. Trostlosigkeit und Einsamkeit auf der einen, kleine Augenblicke des Glücks und Gemeinschaft auf der anderen Seite. Dadurch schafft die Geschichte einige Anknüpfungspunkte und regt zum Nachdenken an.


    Auf den mehr als 500 Seiten ist der Roman unterhaltsam und berührend, aber wenig temporeich und ohne größere Überraschungen. Das recht offene Ende habe ich als stimmig empfunden.


    Der deutsche Titel kommt zwar leider nicht an die Wortspielerei des Originals („The Emperor of Gladness“) heran, passt aber dennoch gut. Auch das reduzierte und gleichzeitig stimmungsvolle Cover ist gleichwohl ansprechend wie inhaltlich angemessen.


    Mein Fazit:

    Mit „Der Kaiser der Freude“ hat Ocean Vuong einen außergewöhnlichen, lesenswerten Roman geschrieben.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3446282742

    Juli 1962 im US-Bundesstaat Maine: Eine Mi’kmaq-Familie aus Nova Scotia (Kanada) reist an, um bei der Blaubeerernte im Sommer zu helfen. Mehrere Wochen später ist die vierjährige Ruthie, das jüngste Kind der Familie, verschwunden. Ihren Bruder Joe (6), der sie als letzter gesehen hat, trifft dieser Verlust sehr. Ihn verfolgt das mysteriöse Verschwinden jahrelang. Während er um seine kleine Schwester trauert, wächst die junge Norma als Einzelkind bei einer wohlhabenden Familie in Maine auf.


    „Beeren pflücken“ ist der Debütroman von Amanda Peters.


    Der Roman ist sinnvoll und nachvollziehbar strukturiert: Auf einen Prolog folgen 17 Kapitel. Erzählt wird im Wechsel in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Joe und der von Norma. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte.


    Die Sprache des Romans ist unauffällig. Der Schreibstil ist geprägt von vielen Dialogen und anschaulichen Beschreibungen.


    Im Vordergrund stehen Joe und Norma, zwei durchaus interessante Charaktere. Sie verfügen über ausreichend psychologische Tiefe.


    Thematisch dreht sich die Geschichte überwiegend um Verlust und Trauer, Schuldgefühle, Abstammung und die Bedeutung von Familie. Eine Stärke des Romans liegt darin, dass die Autorin auch die Historie der Mi‘kmaq beleuchtet und damit ihren Vorfahren eine Stimme gibt. So erhalten wir Einblicke in das Leben indigener Wanderarbeiterfamilien.


    Die rund 300 Seiten sind weniger spannend als erwartet, aber dennoch unterhaltsam und vor allem berührend.


    Für mich erschließt sich nicht, warum der englischsprachige Originaltitel („The Berry Pickers“) in der deutschen Übersetzung verändert wurde. „Die Berrenpflücker“ wäre eine deutlich bessere Variante gewesen. Das deutsche Covermotiv passt meiner Ansicht nach jedoch gut.


    Mein Fazit:

    Mit „Beeren pflücken“ hat Amanda Peters einen bewegenden und interessanten Roman geschrieben. Ein lesenswertes Debüt!


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

    New York City an der Ostküste der USA: „Engine 99“, die Eliteeinheit der Feuerwehr, bekämpft nicht nur Brände, sondern legt sie auch, um abzulenken. Etliche große Beutezüge gehen auf das Konto der Gruppe. Andrea Nearland, eine freiberufliche Ermittlerin, ist das neueste Mitglied der Crew. Sie wurde vom FBI auf die Gruppe angesetzt. Ben ist ihr als einziger der Einheit sympathisch. Nun steht der wohl größte Coup an und es wird immer klarer, dass das Spiel mit dem Feuer für Andy sehr riskant ist.


    „Devil‘s Kitchen“ ist ein Thriller von Candice Fox.


    Trotz der nicht ganz simplen Struktur lässt sich die Geschichte gut nachvollziehen. Der Roman beginnt mit einem Prolog. Auf ihn folgen sechs lange Kapitel, die in weitere Abschnitte unterteilt sind. Erzählt wird fast ausschließlich aus der Perspektive von Andy und der von Ben, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge. Die Handlung umfasst die Jahre 2005 bis 2013.


    Die Sprache des Thrillers ist teilweise etwas vulgär. Die Dialoge wirken jedoch authentisch und lebhaft, die Beschreibungen sind anschaulich.


    Eine Stärke von Candice Fox ist das Zeichnen der Charaktere. Auch in dieser Geschichte wird sie ihrem Ruf gerecht, kantige und zugleich glaubhafte Figuren darzustellen.


    Das Setting des neuen Buches finde ich interessant und ungewöhnlich. Dass die Autorin sorgsam recherchiert hat, ist dem Thriller an einigen Stellen anzumerken. Neben dem Schwerpunkt Feuerwehr geht es um Sexismus und toxische Männlichkeit. Damit trifft das Buch den Nerv der Zeit und gibt Denkanstöße.


    Auf den mehr als 400 Seiten nimmt die Geschichte schnell an Tempo auf. Die Handlung ist, wie von den anderen Werken der Autorin gewohnt, durchweg kurzweilig und spannend. Auch die Auflösung, die nicht leicht vorhersehbar ist, hat mich überzeugt.


    Das deutsche Covermotiv ist atmosphärisch und passt gut zum Inhalt. Der Titel wurde 1:1 vom Original übernommen.


    Mein Fazit:

    Mit „Devil‘s Kitchen“ stellt Candice Fox erneut unter Beweis, dass sie zu recht eine feste Größe im Spannungsgenre ist. Wieder einmal hat sie meine hohen Erwartungen erfüllt. Sehr empfehlenswert vor allem für diejenigen, die keine 08/15-Thriller lesen möchten!


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

    Die Zwillinge Lilit und Lina el Shami wachsen bei ihrem Großvater Maroun in Montréal (Kanada) auf. Vor drei Generationen sind ihre libanesischen Vorfahren ausgewandert. Als die Schwestern eine alte Postkarte von ihrer Großmutter Anoush finden, beginnen sie, sich für ihre Herkunft zu interessieren. Fragen tauchen plötzlich auf: Warum haben es dem Großvater Raketen angetan? Was hat es mit dieser Frau im Mond, die im Text der Postkarte erwähnt wird, auf sich? Lilit startet eine Recherche und folgt den Spuren bis nach Beirut (Libanon)…


    „Frau im Mond“ ist ein Roman von Pierre Jarawan.


    Die Struktur ist, wie bei Jarawan gewohnt, verschachtelt und sehr durchdacht: Der Roman besteht aus drei Teilen, benannt nach den Stufen einer Rakete. Die 50 Kapitel sind nummeriert, allerdings in umgekehrter Reihenfolge, um einen Countdown nachzuahmen. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Erzählt wird vorwiegend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Lilit, allerdings nicht in chronologischer Reihenfolge, sondern mit zahlreichen zeitlichen Sprüngen.


    Das Personal des Romans ist unerwartet umfangreich. Der Fokus liegt allerdings auf Lilit und ihrer Familie. Die Figuren machen einen lebensnahen Eindruck und verfügen über psychologische Tiefe.


    Auf der inhaltlichen Ebene hat der Roman zwei Schwerpunkte: Zum einen ist er ein unterhaltsames Familienepos, zum anderen eine interessante Auseinandersetzung mit zwei historischen bedeutsamen Ereignissen im Libanon: der Start einer Weltraumrakete im Jahr 1966 und die Explosion im Hafen von Beirut im Jahr 2020.


    Auf den fast 500 Seiten werden die Themen geschickt miteinander verknüpft. Die Handlung ist sowohl schlüssig als auch kurzweilig. Sie hält Überraschungen bereit.


    Die sorgfältige und fundierte Recherche des Autors wird immer wieder deutlich, nicht erst in der ausführlichen und interessanten Danksagung. Löblicherweise hat er zudem eine Nachbemerkung verfasst, die die Geschichte um weitere historische Details ergänzt. Ein tolles Extra sind außerdem die beiden Fotos am Ende des Buches, die der Autor selbst angefertigt hat.


    Auch in sprachlicher Hinsicht hat mich das Buch überzeugt, wenn auch nicht so sehr begeistert wie die beiden ersten Romane des Autors. Die Dialoge wirken lebhaft und authentisch. Die Beschreibungen sind anschaulich und atmosphärisch. Erneut stellt Jarawan sein erzählerisches Können unter Beweis.


    Die Covergestaltung wirkt auf mich aufgrund des Designs, das an eine Collage erinnert, etwas unruhig. Sie passt aber genauso wie der Titel gut zur Geschichte.


    Mein Fazit:

    Zum dritten Mal ist Pierre Jarawan ein äußerst lesenswerter Roman gelungen, der zugleich aufklärt und hervorragend unterhält. Auch „Frau im Mond“ wird mir noch lange in positiver Erinnerung bleiben. Große Empfehlung!


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.


    ASIN/ISBN: 3827014999

    Im Jahr 2019 in einem Krankenhaus in Lakka (Sierra Leone): Als John Green bei einem Besuch zufällig auf den 16-jährigen Henry Reider trifft, macht ihn das Schicksal des jungen Patienten betroffen. Bis zu diesem Tag hielt der Schriftsteller Tuberkulose für eine Krankheit der Vergangenheit. Nach der Begegnung beginnt Green zu recherchieren und zu realisieren, wie wichtig der Kampf gegen die unterschätzte Infektion ist…


    „Tuberkulose - Es ist Zeit, die tödlichste Infektion der Welt zu besiegen“ ist ein Sachbuch von John Green.


    Von einem Vorwort und einem Nachwort eingerahmt, besteht das Sachbuch aus 23 kurzen Kapiteln. Jedes widmet sich unterschiedliche Aspekten.


    Der Schreibstil ist angenehm anschaulich, einfühlsam und lebhaft. Obwohl viele Daten, Zahlen, Fachbegriffe und sonstige Fakten in den Text eingearbeitet sind, ist er keineswegs trocken oder sperrig. Er richtet sich an medizinische Laien und ist sehr gut verständlich.


    Aus inhaltlicher Sicht ist das Buch trotz der nur knapp 200 Seiten umfangreich und gehaltvoll. Es beleuchtet die Historie der Tuberkulose, insbesondere ihre Deutung und Behandlung im Verlauf der vergangenen Jahrhunderte. Prominente Opfer werden genannt. Zudem geht es um einen Teil der Familiengeschichte des Autors.


    Natürlich geht John Green außerdem auf die aktuelle Forschung und die heutigen Therapien gegen Tuberkulose ein. Er führt eindrücklich vor Augen, wie viele Menschen immer noch der Infektion erliegen und wie viel besser die Krankheit besiegt werden könnte, wenn Medikamente und Fachpersonal gerechter verteilt würden. Dass er mit Herzblut für eine bessere Versorgung von Betroffenen kämpft, wird vor allem zum Schluss des Buches deutlich. Green informiert nicht nur über Tuberkulose, sondern richtet seinen Appell an die breite Öffentlichkeit: Es muss gehandelt werden.


    Wie die Krankheit heutzutage verläuft, schildert Green anhand des jungen Patienten Henry. Erschütternd und bewegend wird das Sachbuch vor allem bei diesen Passagen. Das Leiden des jungen Mannes, dessen Fotos abgedruckt sind, ging mir während des Lesens nahe.


    Das moderne Covermotiv entspricht zwar nicht ganz meinem Geschmack, passt allerdings gut. Der deutsche Titel weicht deutlich ab vom englischsprachigen Original („Everything is Tuberculosis: The History and Persistence of Our Deadliest Infection“). Er gefällt mir jedoch sogar besser.


    Mein Fazit:

    Mit „Tuberkulose - Es ist Zeit, die tödlichste Infektion der Welt zu besiegen“ hat John Green ein kurzweiliges Sachbuch geschrieben, das nicht nur aufklärt und informiert, sondern auch aufrüttelt und berührt. Er nutzt seine Popularität, um für die Bekämpfung einer oft tödlichen verlaufenden Krankheit zu werben. Ein begrüßenswertes Anliegen und ein empfehlenswertes Buch!


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

    Es ist der 20. Juni 1866, als zwei Mädchen in Paris geboren werden: Elise Lambert, Tochter der ärmlichen Wäscherin Jeanne, und Valérie Dumas, die aus einer wohlhabenden Kunsthändler-Familie stammt. Beide haben große Träume für ihre Zukunft. Doch ihre Mütter haben andere Vorstellungen für sie…


    „Montmartre - Licht und Schatten“ ist der erste Band der Montmartre-Saga von Marie Lacrosse.


    Der historische Roman ist sinnvoll strukturiert: Eingerahmt von einem Pro- und einem Epilog, besteht er aus fünf Teilen, die wiederum insgesamt 50 Kapitel beinhalten. Die Handlung des ersten Bandes spielt an unterschiedlichen Schauplätzen in Paris und umspannt die Jahre 1866 bis 1889. Um den Überblick zu behalten, gibt es Orts- und Zeitangaben zu Beginn der Kapitel. Orientierung bieten außerdem ein Ausschnitt des Pariser Stadtplans sowie die Personenübersicht.


    Die beiden Protagonistinnen sind sympathische, lebensnahe und interessante Charaktere, die sehr gut ausgearbeitet sind. Ihre Gedanken und Gefühle wirken in sich stimmig und lassen sich prima nachvollziehen.


    Auf den fast 600 Seiten geht es einerseits um zwischenmenschliche Themen und Schicksale, was die Geschichte immer wieder berührend und spannend macht. Andererseits spielen die Künste eine große Rolle, insbesondere Tanz und die Malerei. Wie aus den früheren Werken der Autorin gewohnt, konnte ich erneut Wissenswertes aus der Lektüre ziehen.


    Trotz des Umfangs bleibt der Roman abwechslungsreich und unterhaltsam. Die Handlung ist schlüssig. Obwohl die Geschichte noch nicht abgeschlossen ist, kann der Band auch für sich alleine stehen.


    Im Nachwort „Wahrheit und Fiktion“ klärt die Autorin ein weiteres Mal vorbildlich über die historischen Hintergründe und die künstlerischen Freiheiten des Romans auf. Auch lesenswert und informativ sind die angefügten Anmerkungen zu den erwähnten Stilrichtungen der Malerei. Die Liste der erwähnten Kunstwerke und das Quellenverzeichnis runden den Anhang ab.


    Auch in sprachlicher Hinsicht ist der Roman gelungen. Der Schreibstil ist geprägt von anschaulichen Beschreibungen und lebhaften Dialogen.


    Davon abgesehen von der Tatsache, dass auf dem Motiv nur eine Frau abgebildet ist, obwohl es zwei Protagonistinnen gibt, gefällt mir das Cover gut. Den Titel empfinde ich als sehr passend.


    Mein Fazit:

    Mit „Montmartre - Licht und Schatten“ hat mich Marie Lacrosse ein weiteres Mal überzeugt. Der historische Roman hat mich bestens unterhalten. Nach dem rundum gelungenen Auftakt freue mich schon jetzt auf den zweiten Band der Saga.


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

    Wanda hat es so satt. Seit Längerem träumt sie davon, als Schauspielerin durchzustarten. Doch eine ungeplante Schwangerschaft hat ihre Karriere beendet, bevor sie überhaupt losgehen konnte. Statt die Ausbildung auf der Schauspielschule zu beenden, muss sich die alleinerziehende Mutter nun um ihre fünfjährige Tochter Karlie kümmern. In ihrer schäbigen Wohnung im 18. Stock eines Berliner Plattenbaus fristen die beiden ihr Dasein mit Geldsorgen und Langeweile. Als schließlich doch ein vielversprechender Anruf kommt, schmeißt ihr das Schicksal erneut Steine in den Weg. Doch Wanda weigert sich, ihren Traum aufzugeben…


    „Achtzehnter Stock“ ist ein Roman von Sara Gmuer.


    Vor allem die raue, sehr passende Sprache des Romans hat mich begeistert. Ungewöhnliche, kreative Bilder, authentische Dialoge und eindrückliche Beschreibungen zeichnen den unverwechselbaren Stil aus. Dabei ist der Text sehr dicht und atmosphärisch stark. Kein Wort ist zu viel. Immer wieder finden sich kluge Sätze und Gedanken.


    Erzählt wird im Präsens in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Wanda, in chronologischer Reihenfolge, aber mit mehreren Rückblicken. Die Handlung umfasst einige Monate und spielt fast ausschließlich in Berlin. Viele kurze Kapitel treiben die Geschichte voran.


    Auch in inhaltlicher Hinsicht hat die Geschichte einiges mehr zu bieten als nur Einblicke in die Filmbranche. Es geht vielmehr um die Probleme alleinerziehender Mütter, vererbte Armut und soziale Ungerechtigkeit. Dabei setzt der Roman auch feministische Impulse und macht nachdenklich.


    Wanda ist eine Protagonistin mit Ecken und Kanten. Sie ist stur, macht Fehler und reagiert bisweilen impulsiv statt vernünftig. Trotzdem mochte ich diesen unbeschönigten Charakter gerne, denn wir erfahren nach und nach, wie ihr das Leben mehrfach übel mitgespielt hat. Ihr Denken und Handeln lassen sich nachvollziehen. Es erschreckt schlüssig. Nur wenige Nebenfiguren der Filmszene wirken etwas klischeehaft. Dies tut dem Lesevergnügen jedoch keinen Abbruch.


    Auf den kaum mehr als 200 Seiten ist die Geschichte unterhaltsam und berührend. Die Handlung nimmt unerwartete Wendungen und ist überraschend innovativ.


    Das Cover konzentriert sich auf den Plattenbau, eine treffende Wahl. Sowohl der prägnante Titel als auch das Motiv stechen heraus und passen hervorragend zum Inhalt.


    Mein Fazit:

    Mit „Achtzehnter Stock“ hat mich Sara Gmuer auf ganzer Linie überzeugt. Ihr Roman zählt für mich zu den Highlights im Frühjahr 2025 und hat das Potenzial, auch bei der zweiten und dritten Lektüre nichts von seiner Faszination einzubüßen. Absolute Empfehlung!


    Ich vergebe 5 von 5 Sternen.

    Berlin im Sommer 2014: Als Informatikstudentin Lucy Wittenberg (23) nach ihrem Seminar an der Universität in ihre WG zurückkehrt, steht plötzlich ein großes Klavier in ihrem Zimmer: der Steinway, auf dem sie als Kind und Jugendliche in der elterlichen Wohnung üben müsste. Was hat das zu bedeuten? Zu ihrer Mutter Daria, einer Kinderärztin, hat sie seit drei Jahren keinen Kontakt mehr. Lucy ahnt noch nicht, dass sie in den kommenden Tagen tief in ihre Familiengeschichte eintauchen und einiges über ihre Großmutter Lyudmila, gebürtige Polin und eine der ersten Chemikerinnen im Libanon, erfahren wird…


    „Die Summe unserer Teile“ ist der Debütroman von Paola Lopez.


    Die Geschichte umspannt 70 Jahre (1944 bis 2014) und spielt in Berlin, München, Beirut und Sopot. Es gibt drei Erzählstränge. Erzählt wird im Präsens aus wechselnder Perspektive: der von Lucy, der von Daria und der von Lyudmila. Angaben zu Beginn der insgesamt 19 Kapitel verhindern, dass man wegen der Zeitsprünge den Überblick verliert.


    Besonders in sprachlicher Hinsicht hat mir der Roman gefallen. Schöne Naturbeschreibungen und ungewöhnliche, kreative Sprachbilder haben mir beim Lesen viel Freude bereitet.


    Die drei Frauen, also Großmutter, Mutter und Enkelin, stehen im Mittelpunkt der Geschichte. Drei durchaus reizvolle Protagonistinnen, jedoch keineswegs Sympathieträgerinnen. Zwar erfahren wir im Laufe des Romans die Hintergründe des Handels. Dennoch blieben mir vor allem Daria und Lyudmila bis zum Schluss fremd. Ihre Motive und Gedanken konnte ich nicht in Gänze nachvollziehen. Auch Lucy mutet in einigen Aspekten zu seltsam an.


    Der Roman behandelt vorwiegend die Beziehungen zwischen Müttern und Töchtern. Es geht dabei insbesondere um das Vererben von Traumata, das Schweigen zwischen den Generationen und das Weitergeben dysfunktionaler Muster innerhalb von Familien. Unter anderem wird die Frage aufgeworfen, wann ein Kontaktabbruch sinnvoll ist, um sich oder andere vor psychischen Verletzungen zu schützen.


    Thematisch ist die Geschichte sehr stringent und interessant. In der Umsetzung hat mich der Roman allerdings weniger überzeugt und berührt als andere Bücher mit ähnlichem Inhalt. Auf den rund 250 Seiten kommt die Handlung nur allmählich in Fahrt und wird durch langatmige Passagen mit wissenschaftlichen Ausführungen immer wieder ausgebremst. Zudem beinhaltet die Geschichte ein paar Aspekte, die ich als wenig glaubwürdig empfunden habe.


    Das hübsche Covermotiv zeigt einen Ausschnitt eines Ölgemäldes von Lolita Pelegrime. Für mich ist jedoch nicht ganz klar, welche der Protagonistinnen dargestellt sein soll. Der Titel passt aber nach meiner Ansicht gut zur Geschichte.


    Mein Fazit:

    Mit „Die Summe unserer Teile“ hat Paola Lopez ein spannendes Thema literarisch verarbeitet. Während mich die Sprache ihres Debütromans begeistert hat, hat mich die inhaltliche Umsetzung leider enttäuscht. Nur bedingt empfehlenswert.


    Ich vergebe 3 von 5 Sternen.

    Auf einer Halbinsel am nordfriesischen Wattenmeer wohnt Bibliothekarin Annett (49) im alten Haus ihrer Großtante. Nach dem frühen Tod ihres Mannes Johan lebt sie zurückgezogen. Ihre gemeinsame Tochter Linn, Ende 20, hat sie allein großgezogen. Nun engagiert sich die junge Frau in Berlin als Umweltvolontärin in einem Aufforstungsprogramm. Doch sie ist ausgebrannt und kippt während eines Vortrags plötzlich um. Die Mutter holt ihre Tochter daher zu sich. Jetzt müssen beide ihre Beziehung und ihre Leben neu ordnen…


    „Halbinsel“ ist ein Roman von Kristine Bilkau, nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse.


    Erzählt wird die Geschichte in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Annett - in chronologischer Reihenfolge, aber mit einigen Rückblenden. Die Handlung umfasst mehrere Monate. Der Roman verzichtet auf Kapitel und andere Gliederungen. Der Text wird nur von größeren Absätzen unterbrochen.


    Der Schreibstil ist unaufgeregt. Die Sprache des Romans ist klar und unprätentiös, dabei dennoch eindrücklich und einfühlsam. Vor allem die Naturbeschreibungen haben mich überzeugt.


    Auf den nur rund 220 Seiten schreitet die Geschichte nur langsam voran. Die Handlung bleibt überschaubar. Nichtsdestotrotz entfaltet der Roman eine immer stärkere Sogkraft.


    Im Zentrum der Geschichte steht zweifelsohne die Beziehung von Mutter und Tochter sowie der Generationenkonflikt. Sowohl Annett als auch Linn werden mit psychologischer Tiefe dargestellt und als lebensnahe Figuren gezeichnet. Man kommt ihnen sehr nahe, kann sich in sie einfühlen.


    In inhaltlicher Hinsicht ist der Roman gehaltvoll und tiefsinnig. Neben der Familie werden weitere Themen wie der Klimawandel elegant eingeflochten.


    Das Covermotiv ist hübsch, aber leider etwas einfallslos. Der prägnante Titel passt jedoch gut und gefällt mir.


    Mein Fazit:

    Mit „Halbinsel“ ist Kristine Bilkau ein vielschichtiger, bewegender Roman gelungen. Empfehlenswert!


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

    Enna und Jale Eggers lieben es, mit ihrem Boot unterwegs zu sein. Die 17-jährigen Zwillingsschwestern aus dem Alten Land sind gerne in der Natur und zählen die Tage, bis ihre Mutter Alea aus ihrer langen Haft entlassen wird. Seit Jahren leben sie im Ungewissen: Was hat ihre Mutter verbrochen? Wer ist ihr Vater? Und warum machen Alea und Ehmi, die Großmutter der Mädchen, ein solches Geheimnis um die Antworten? Als endlich die Entlassung entsteht, sind plötzlich sowohl Alea als auch Jale verschwunden. Enna ist geschockt und begibt sich auf die Suche nach ihnen…


    „Stromlinien“ ist ein Roman von Rebekka Frank.


    Die Struktur des Romans ist komplex. Er beinhaltet 57 Kapitel, zwischen denen sich einige mysteriöse Einschübe befinden. Erzählt wird aus wechselnder Perspektive, vor allem aus der Sicht von Enna, Jale, Alea und Gunnar, dessen Verbindung zu den Mädchen erst später klar wird. Immer wieder gibt es große Zeitsprünge, die chronologische Reihenfolge wird nicht eingehalten. Die Handlung umfasst 100 Jahre: 1923 bis 2023. Sie spielt vorwiegend in Hamburg und im Alten Land.


    In sprachlicher Hinsicht hat mich der Roman begeistert. Treffende, teils ungewöhnliche Metaphern und Vergleiche sind an vielen Stellen zu finden. Besonders atmosphärisch und anschaulich sind die wunderbaren Naturbeschreibungen, die nur an manchen Stellen etwas ausufernd geworden sind.


    Das Personal des Romans ist umfangreich, aber nicht zu zahlreich. Im Mittelpunkt stehen die Zwillingsschwestern Enna und Jale, wobei Erstere besonders viel Raum einnimmt. Ihre Gedanken und Gefühle lassen sich gut verfolgen. Die andere Schwester bleibt deutlich blasser. Nicht immer hat sich mir das Handeln und Denken von Enna, Jale und Alea in Gänze erschlossen. Die Figuren sind allerdings mit psychologischer Tiefe und in sich schlüssig dargestellt.


    Aus inhaltlicher Sicht bietet das Buch vor allem zwei Aspekte: Sie ist einerseits ein interessanter Generationenroman und andererseits eine gleichwohl spannende wie bewegende Kriminalgeschichte. Gut gefallen hat mir, dass die Autorin nicht nur eine fiktive, sondern auch zwei historische Schiffstragödien eingearbeitet hat. In einem ausführlichen und lesenswerten Nachwort erklärt sie unter anderem die tatsächlichen Hintergründe dieser Ereignisse und erläutert, was ihrer Fantasie entstammt und was nicht. Auch politische und gesellschaftlich relevante Themen wie die Elbvertiefung sind eingeflossen und verleihen der Geschichte zusätzliches Gewicht.


    Im ersten Drittel nimmt die Geschichte nur gemächlich Fahrt auf und enthält Längen. Danach ist der Roman jedoch zunehmend fesselnd und unterhaltsam. Unerwartete Wendungen und eine Fülle von Einfällen machen die Handlung unvorhersehbar. Das geht leider ein wenig zulasten der Glaubwürdigkeit. Insgesamt wirkt die Geschichte zudem stark konstruiert.


    Das hübsche und kreative Covermotiv passt außerordentlich gut zum Roman. Auch der prägnante, zweideutige Titel ist eine hervorragende Wahl.


    Mein Fazit:

    Mit „Stromlinien“ ist Rebekka Frank ein empfehlenswerter Roman gelungen, der in mehrfacher Weise Unterhaltungswert besitzt und mit sprachlicher Schönheit glänzt. Nur was die Glaubwürdigkeit der Handlung angeht, hat mich die Geschichte nicht völlig überzeugt.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.