'Die Rückkehr' - Seiten 039 - 160

  • Ich weiß nicht, ob Felix und Viktoria in Amerika jemals irgendwo gemeinsam gewohnt haben. Was über Felix gesagt wird, sein unbedingtes Bestreben, von der Familie unabhängig zu sein, spricht eher dagegen.

    Und ob Anita immer die Wahrheit sagt?

    in dieser Familie kocht jeder sein eigenes Süppchen, scheint mir.

  • Kap. 16


    Das Gespräch zwischen Felix und Dr. Pauspertl, dem Kazettler, ist sehr bemerkenswert. Ein Gepräch von Opfer zu Opfer.

    Felix geht es hier ähnlich wie seiner Großmutter in Paris im Gespräch mit M. Ribaud. Er ist verletzt darüber, dass sein Schicksal und das aller Emigranten voller Vorurteile betrachtet und ihr Leid ignoriert wird. Gleichzeitig ertappt er sich, wie er selbst Vorurteile gegenüber den Kazettlern hat.

  • Was für ein Tag!


    Es ist mir erst jetzt aufgefallen, dass das alles an Felix' erstem Tag in Wien passiert ist:


    schlaflose Nacht im Zug

    Zusammentreffen mit seiner Mutter

    Treffen mit Mr. Cook und Besuch des Stephansdoms

    Gespräch mit Dr. Pauspertl (dem Kazettler) im Justizministerium

    Besuch des Friedhofs und des verwüsteten Grabs

    Gerichtsprozess

    Begegnung mit der Fürstin und ihrer Tochter

    gesundheitlich angeschlagene Viktoria

    Besuch im Bristol

    Begegnung mit Gertrud


    Was mich aber ziemlich erschüttert hat ist, wie blauäugig Felix sich in das Gerichtsverfahren begeben hat und wie unbedarft er seine Zeugenaussage gemacht hat. Wäre er kein Jurist, sondern Bäckermeister oder Arzt, könnte ich das verstehen.

    Aber der Mann war jahrelang in einem Wiener Ministerium tätig und muss doch wissen, was da mit seiner Aussage auch auf ihn zukommen kann.

    Kann man Felix vorwerfen, dass er an so einem Tag diesen Gerichtsprozess nicht professionell angeht? Schlafmangel, Schwindel, weil er nichts gegessen hatte, jede Menge höchst aufwühlende Ereignisse innerhalb kürzeste Zeit. Er hatte überhaupt keine Zeit sich auf den Prozess vorzubereiten.


    Hätte er die Aussage verweigern sollen? Er, der sich vorgenommen hatte, sich nicht mehr von der Angst leiten zu lassen, sich durch Unwahrheiten Ungelegenheiten zu bereiten, dieser Angst, von der die Katastrophen kommen.


    Soll er klaren Kopf bewahren, wenn er den Geliebten seiner Mutter und andere Nazis unter den Zuschauer entdeckt? Muss er, auch als gelernter Jurist, damit rechnen, dass kurz nach einem so beispiellos verbrecherischem Regime die Opfer, die in einem Prozess als Zeugen aussagen, selbst beschuldigt werden?


    Ich denke, dass diese Kriegsverbrecherprozesse auch für gelernte Juristen Neuland waren. Wieviel Berufserfahrung im Strafrecht hatte Felix überhaupt? Nur weil er Jurist ist, heißt das nicht, dass er sämtliche Tricks der Verteidiger und Staatsanwälte kennt.

  • Geschockt war ich über ViktoriasReaktion auf den Mann mit dem Päckchen, der vergeblich nach seinerTochter schrie, die er acht Jahre nicht gesehen hatte. (S. 58)

    „Das alles sind keine Katastrophen.“

    Ja, paßt aber zu Viktoria, wie sie auch im Weiteren des Buches geschildert wird.




    „An die musst du denken, die dortzusammenstehen und sagen: 'Recht ist ihnen geschehen!' Wir gehörenzu ihnen ...“

    Wer ist mit „ihnen“ gemeint?

    Im ersten Fall mMn die in LeHavre, im zweiten die auf dem Schiff, die das "recht geschehen" gesagt haben.



    Es gab zwar noch längst nicht die Informationsmöglichkeiten von heute, aber es gab Zeitungen und Radio.

    Nur was die geschrieben bzw. gebracht haben, muß nicht unbedingt die volle Wahrheit gewesen sein. Der Sieger schreibt die Geschichte - und (das ist jetzt Spekulation von mir, ich weiß nicht, wie es damals war) wenn sie von den vielen Zerstörungen geschrieben hätten, wäre vielleicht etwas aus die Amerikaner zurückgefallen, nach dem Motto "die Nazis bomben Städte - wir doch nicht".


    Als Nebenthema, wie die Menschen in den USA den 2. Weltkrieg erlebt haben, taucht das in Ann Howard Creels "The Magic of Ordinary Days" auf.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • So weit ich mich erinnere, hätte Felix an diesem Tag gar nicht zum Gericht gehen brauchen, sondern er war erst zu einem späteren Tag vorgeladen. Ich finde nur gerade die Stelle nicht.

    Und jedem Erstsemester Studenten hätte klar sein müssen, dass er, als Mitarbeiter des Angeklagten, in die Gefahr kommen kann, selber zur Zielscheibe zu werden. Auch wenn man kein Strafrechtsexperte ist.


    Über das Tagesprogramm habe ich mich auch schon gewundert. Da hat der Autor es etwas übertrieben, finde ich.


    Ich weiß natürlich nicht, was zu dieser Zeit genau in USA berichtet und veröffentlicht wurde. Auf jeden Fall waren die Amerikaner so weit informiert, dass sie irgendwann anfingen, im großen Maßstab Care-Pakete ins hungernde Europa zu schicken.

    Und die Regierungen haben - allerdings später - den Marshall Plan ins Leben gerufen, mit massiven Hilfen für die Europäer.

    Das wäre sicher nicht passiert, wenn es keine Informationen gegeben hätte.


    Ob in USA über Städtebombardierungen explizit berichtet wurde weiß ich auch nicht. Im United Kingdom wurde ausführlich berichtet.


    Es ist auch gar nicht so wichtig, wie genau Felix Bescheid wusste - aber wie man gar so ahnungslos sein kann, nachdem ein Land jahrelang Krieg gegen die ganze Welt geführt hat, das verstehe ich nicht.

  • Auf Seite 108 liest Felix den Brief vor, wo steht, er möge der Vorladung "ungesäumt Folge" leisten. Man kann über ungesäumt ja streiten, aber es steht nicht da, dass er noch am gleichen Tag hinstürzen muss.


    Das sind aber Kleinigkeiten, über die ich mich keinesfalls streiten möchte, schon gar nicht an dieser Stelle des Buches.

  • Das wäre sicher nicht passiert, wenn es keine Informationen gegeben hätte.

    Die Frage ist, wer diese Informationen hatte: nur "die da oben" oder alle. Seit Donald Trump glaube ich bei Amerika alles - oder auch nichts. Ob da dieses Buch, das ich eigentlich gerne bald lesen möchte, etwas dran ändern wird, bleibt abzuwarten:


    Jill Lepore "Diese Wahrheiten: Eine Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika"

    ASIN/ISBN: 3406739881

    Kann aber noch etwas dauern, weil ich vorher vermutlich die Geschichte Amerikas aus Sicht der Unterlegenen - nämlich der Indianer - lesen möchte:

    Peter Cozzens "The Earth Is Weeping: The Epic Story of the Indian Wars for the American West"

    ASIN/ISBN: 0307958043



    Im Übrigen stimme ich zu, daß Felix eine seltsam naive Figur ist.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Mist!! Gerade stelle ich fest, dass das folgende schon in den nächsten Leseabschnitt gehört.


    Kap. 18 – 20


    Als Felix am 2. Tag aufwacht, wird ihm sein Dilemma bewusst. Die zwei Menschen, die er in seinem Leben am meisten geliebt hat, hatten sich dem Nazi-Regime zugewandt. Sie versuchen sich zu rechtfertigen, wie es sehr viele damals gemacht haben.

    Sein Verstand und Herz kämpfen miteinander. Er beschließt, dem Herzen zu folgen.


    Ich denke, dieses Dilemma war damals weit verbreitet. Die Ideologie hat Familien gespaltet. Es war nach dem Krieg eben nicht für alle möglich, einfach froh zu sein, dass alles vorbei ist und sich in den Arm zu nehmen. Manche Gräben sind für immer geblieben.


    Dann folgt eine Szene von inniger Zweisamkeit zwischen Felix und seiner Mutter. Wie schön!


    Als Viktoria wieder einmal Anita angreift, sagt diese auch mal ihre Meinung. Was für harte Worte!

    „Ihr habt mich nicht gebraucht und nicht einmal gewollt.“ Doch zumindest was Felix betrifft, scheint mir das ein Irrtum gewesen zu sein. Wie tragisch!


    Warum Felix unbedingt und sofort Gertrud heiraten will, verstehe ich nicht. Ich denke, da ist viel Trotz dabei. Ich habe den Eindruck, dass Felix sich schon seit Jahren nicht zwischen USA und Österreich entscheiden konnte. Durch eine Heirat mit Livia wollte er sich an die USA binden. Jetzt hat er sich doch für Österreich entschieden und will dies mit einer Heirat mit Gertrud manifestieren.

    Dabei ist er sich durchaus bewusst, dass er wie ein Wahnsinniger handelt, dass irgendetwas ihm die Worte diktierte, dass etwas aus ihm redet. Und dennoch fühlte es sich für ihn richtig an. Das kann wohl nur er verstehen.


    Was sollte Viktorias Auftritt beim General? Felix war stolz auf sie, ich fands lächerlich.

  • Zu Gertrud mag ich nichts mehr sagen, da ich ja schon weiter gelesen habe.


    Dieser Konflikt zwischen Anita und ihrer Schwiegermutter scheint ja schon sehr alt zu sein und wir können nur die Auswirkungen erleben.

    Merkwürdig finde ich es schon, dass Anita damals insbesondere ihre Mädchen alleine in ein fremdes Land hat gehen lassen. Felix war ja schon erwachsen, aber die Mädchen können höchstens Teenager gewesen sein.


    Und ich vermute, die Gründe, die dazu geführt haben, dass sie geblieben ist, sind eine Ursache für Viktorias Hass auf sie.


    Dieser "Besuch" beim General war für mich ein unnötiger Schlenker, der vielleicht nur noch deutlicher Viktorias Sturheit demonstrieren soll. Denn bewirken konnte sie da nichts.


    Ich finde es übrigens äußerst erstaunlich, wie sehr immer wieder die Besatzer für die Misere im Land verantwortlich gemacht werden. Das ist sicher etwas, was der Autor zeigen will.

    Jegliches Erinnerungsvermögen daran, wer denn diesen Krieg verursacht hat, wer Tod und Gewalt, Versklavung und Gräuel jeglicher Art nach ganz Europa getragen hat, scheint nicht zu existieren.

    Hitler hat ein Land hinterlassen, dem es seit Jahren am Notwendigsten mangelt. Nicht nur durch die Angriffe, sondern durch die Kriegswirtschaft, in der die für die Bevölkerung nötigen Dinge gar nicht mehr in ausreichender Menge produziert werden konnten.

  • Dieser Konflikt zwischen Anita und ihrer Schwiegermutter scheint ja schon sehr alt zu sein und wir können nur die Auswirkungen erleben.

    Merkwürdig finde ich es schon, dass Anita damals insbesondere ihre Mädchen alleine in ein fremdes Land hat gehen lassen. Felix war ja schon erwachsen, aber die Mädchen können höchstens Teenager gewesen sein.

    Ja, man kann sich nicht vorstellen, welche Gründe dazu geführt haben. Ich hoffe ja, dass man noch mehr darüber erfährt.

    Ich denke, es ist aber auch symptomatisch für diese Zeit, dass der eine nicht vom anderen wusste, warum er was getan hat. Gesprochen wurde nicht darüber. Jeder misstraut dem anderen, jeder glaubt das, was er gerne glauben möchte, und zieht in Zweifel, was er nicht hören will.


    Die Aufarbeitung hat noch längst nicht begonnen. Man war einfach nur damit beschäftigt zu überleben.

    Ich finde es übrigens äußerst erstaunlich, wie sehr immer wieder die Besatzer für die Misere im Land verantwortlich gemacht werden. Das ist sicher etwas, was der Autor zeigen will.

    Manche haben doch tatsächlich die Besatzer als Feinde angesehen.


    Ich war erstaunt, als ich einmal in einem Fernsehbericht gesehen habe, dass die Versorgungslage während des zweiten Weltkrieges trotz Lebensmittelrationierung gar nicht so katastrophal war, wie ich immer geglaubt hatte. Das Deutsche Reich hat sich aus den besetzten Gebieten versorgt. Viel schlimmer wurde es erst danach.

  • Ich war erstaunt, als ich einmal in einem Fernsehbericht gesehen habe, dass die Versorgungslage während des zweiten Weltkrieges trotz Lebensmittelrationierung gar nicht so katastrophal war, wie ich immer geglaubt hatte. Das Deutsche Reich hat sich aus den besetzten Gebieten versorgt. Viel schlimmer wurde es erst danach.

    Das stimmt - die besetzten Gebiete wurden völlig ausgeplündert. Und als diese Möglichkeit wegfiel, wurde erst deutlich, wie schlimm es um die Versorgung stand.

    Zudem hatte man auch Zwangsarbeiter, die die im Krieg befindlichen Männer ersetzen sollten. Schlimme Berichte habe ich da in Frankreich gehört. Und woanders war es eher schlimmer.

  • Die Geschichte der amerikanischer Ureinwohner ist so grausam, das kann ich gerade in Romanform aushalten aber nicht so geballt.

    OT

    Ich habe jetzt die "Savage Destiny Serie" ausgelesen, in der der Untergang der indianischen Kultur aus deren Sicht erzählt wird. Das empfand ich deutlich schlimmer, als jedes Sachbuch, das ich bisher zu dieser Thematik gelesen habe.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")