'Die Leben der Elena Silber' - Seiten 543 - Ende

  • Ich bin fertig mit dem Buch. Was ich vom Ende halten soll, darüber muss ich noch nachdenken.

    Ich empfinde es - nach einem Tag des Nachdenkens - als passend, wobei ich schon gerne gewusst hätte, was wirklich mit Robert passiert ist.


    Die Familie ist völlig zerrüttet, da ist nichts mehr zu kitten, auch wenn Konstantin sich das gewünscht hat. Er selbst entscheidet sich - anders als Alexander Osang - kein Projekt über seine Familie zu machen und sich dem Thema Flucht über den Tennisspieler zu widmen. Ob und wie er sich seine Sohn mehr annähern wird, eine andere Eltern-Kind-Beziehung herzustellen als in den Generationen darvor, bleibt im Dunkeln und ich kann es mir irgendwie nicht so recht vorstellen. Dazu war er zu stolz darauf, die Tradition der Filmzitate fortzuführen.


    Elena hatte für jedes der Kind einen Grund, eine kurze Episode in deren Kindheit, warum das Kind so (schlecht) behandelt wurde. Sie selbst hat niemanden, von dem sie sich auffangen lässt. Warum sie so geworden ist, kann ich nachvollziehen, wurde sehr anschaulich dargestellt. Ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern jedoch trotzdem nicht. Wie sie mit Katja auf der Geburtstagsfeier umgeht.... das steckt so tief in ihr drin, da kommt sie mit 80 auch nicht mehr raus.


    Konstantins Mutter durfte den Wunschberuf nicht ergreifen, weil es nur ein Hobby sei. Jetzt ist sie endlich alleine und kann ihrer Leidenschaft nachgehen, wie sie es gerne Jahrzehnte zuvor getan hätte. Einerseits war sie besessen davon, dass es die Bestimmung ihres Sohnes sei, die Familiengeschichte zu erforschen und ihm dies zum beruflichen Erfolg führen würde. Andererseits bringt sie keinerlei Interesse für seine Reise nach Russland auf. Ähnlich wie Egon tut sie alle Geschichten von Jelena als erfunden ab, denn wenn man an einer Zweifel hat, kann alles andere wohl auch nicht stimmen. So schade für die beiden, hier wäre endlich mal ein Gesprächsthema gewesen, aber nein, auch das soll nicht sein. Eine emotionale Bindung, ist nicht gewollt. Vermutlich hatte sie zu den Bauern die engste Bindung, dort stand sie alleine im Mittelpunkt und war nicht eine von vielen Ungewollten. Schade, dass sie später (scheinbar?) keinen Kontakt mehr dorthin gesucht hat. Vermutlich eben weil es nur Bauern waren und das nicht in ihr Bild vom geeigneten Umgang passt.


    Ich habe ja die Marotte, nach dem Ende die ersten Kapitel nochmal anzuhören. Selten hat mich der Anfang eines Buchs dann so beeindruckt wie hier. Es werden so viele Weichen schon gestellt, die Figuren schon eindeutig gezeichnet. Konstantins Mutter, die ihm einen Zeugniseintrag aus der 4. oder 5. Klasse vorhält und sich selbst als unglaublich rechthaberisch entlarvt. Konstantin, der ihr nicht konsequent genug die Stirn bietet.


    Der Titel "Die Leben der Elena Silber" passt perfekt zum Inhalt. Einerseits die vielen Versionen, die (J)Elena im Laufe ihres Lebens entstehen lässt und dann noch die verschiedenen Varianten ihrer Kinder und der Anverwandten.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Ich merke gerade: Habe ich echt noch nichts zum letzten Abschnitt geschrieben???

    Ich habe das Buch bereits vor ein paar tagen zu Ende gelesen. Nachlässig!


    Zentral war für mich Jelenas Rückblende, direkt bevor sie ins Heim gebracht wird. Osang hat hier ihre Demenz sehr gut dargestellt, dieses Hin und Her mitten im Gedankenfluss, ohne Absatz, ohne Pause. Mal ist sie Kind, mal in der Gegenwart. So ungefähr muss das sein.

    Jelena wurde als ganz kleines Kind bei der Flucht mit der Mutter allein gelassen. Das hat sie ihr Leben lang geprägt. Erst trug Pascha sie noch, weil sie nicht mehr konnte, dann kam auch er nicht mehr zurück. Die Mutter war da schon weit weg. Was das mit dem Kind gemacht haben muss...Wenn so früh das Urvertrauen zerstört wird, was soll dann noch normal sein?


    Tja, was wird nun aus Konstantin? Die Reise zu den Wurzeln nach Krasnow hat so einiges wieder in die richtige Perspektive gerückt, nachdem er sich schwach, allein, unzulänglich gefühlt hat. Er kommt zu einer Erkenntnis: Die Welt dreht sich weiter. Egal, was den Menschen geschieht, die Erde bleibt, die Jahreszeiten. Vielleicht heilt ihn das.

    Und er findet seinen Vater, nachdem der aus dem Heim verschwunden ist. Das ist alles, was er gerade bracuht: Jemand den er liebt, der ihn braucht.


    Nach ein paar Tagen nachdenken: ich mochte den Schluss, so wie er ist, eigentlich doch. Er passt.

  • Ich empfinde es - nach einem Tag des Nachdenkens - als passend, wobei ich schon gerne gewusst hätte, was wirklich mit Robert passiert ist.

    Ich auch.


    Ihr Verhalten gegenüber ihren Kindern jedoch trotzdem nicht. Wie sie mit Katja auf der Geburtstagsfeier umgeht.... das steckt so tief in ihr drin, da kommt sie mit 80 auch nicht mehr raus.

    Das verstehe ich auch nach wie vor nicht. Da kann mir so viel an Hintergrund erzählt werden. Das ist alles keine Entschuldigung, seine Kinder, besonders Katja, so zu behandeln.

  • Dieser letzte Abschnitt war für mich ähnlich banal wie der Anfang. Konstantin als Erzähler ist mir einfach zu unnahbar und er erzählt es auch nicht konsequent zu Ende.


    Wirklich beeindruckt hat mich hier in diesem Abschnitt neben Claus tatsächlich Maria. Sie ist diejenige, die endlich einmal echte Gefühle zeigt, als ihr Mann verschwindet. Selbst Konstantin fällt das auf. Ob die beiden sich dadurch nicht doch ein wenig annähern, erfährt man nicht mehr. Aber ich könnte es mir vorstellen.

    Dass sie kein Interesse mehr an den "Märchen" ihrer Mutter hat, finde ich gut. Es ist ein Zeichen dafür, dass auch sie sich noch entwickeln kann. Das Hier und Jetzt scheint ihr wichtiger zu werden. Das freut mich für sie.

    Ich denke, dass hat Konstantin begriffen. Er lernt gerade, dass die Wahrheit und die Beschäftigung mit der Vergangenheit, nicht immer hilfreich ist, keine Probleme löst und diese Familie nicht zusammenbringt, sondern die Gegenwart auch fürs Leben zählt.

    Ob er sein Leben tatsächlich in den Griff bekommt und, ob er in der Beziehung zu seinem Sohn den Teufelskreis unterbrechen möchte und kann, erfahren wir ja leider nicht.

  • Ich musste das Ende auch erstmal noch etwas sacken lassen, zuerst fand ich es sehr unbefriedigend, weil irgendwie alles in der Schwebe bleibt, außer der Tatsache, dass diese Familie völlig kaputt ist, aber im Nachhinein muss ich doch sagen, dass es passt.

    Ob und wie er sich seine Sohn mehr annähern wird, eine andere Eltern-Kind-Beziehung herzustellen als in den Generationen darvor, bleibt im Dunkeln und ich kann es mir irgendwie nicht so recht vorstellen. Dazu war er zu stolz darauf, die Tradition der Filmzitate fortzuführen.

    Ich wünsche den beiden, dass es die einzige Familientradition ist, die sie fortführen und ich denke, dass Konstantins Beschäftigung ihm helfen wird einiges anders und besser zu machen.

  • Dieser letzte Abschnitt war für mich ähnlich banal wie der Anfang. Konstantin als Erzähler ist mir einfach zu unnahbar und er erzählt es auch nicht konsequent zu Ende.

    Konstantin und seine Entwicklung im Roman war für mich die vielleicht größte Enttäuschung. Was wir über seine Entwicklung lesen, schlägt sich nicht im Buch nieder, kommt bei mir als Leser nicht an. Dass er findet, was er gesucht hat, zufriedener, stetiger wird, kaufe ich der Figur beim Lesen nicht ab.

  • Ich habe das Buch am Montag fertig gelesen, und mußte das Gelesene dann auch erst mal sacken lassen.


    Ich bin durchaus zufrieden mit dem Schluss. Wir erfahren aus dem, was noch in Jelenas Erinnerungen ist, die Begründung für ihr Handeln. Dass dies Nichts entschuldigt, ist klar. Aber es prägt nun mal, und jeder kann für sich selbst überlegen, inwieweit Erlebtes zu Aussagen oder Handlungen führt, die ggü. anderen Familienmitgliedern nicht in Ordnung sind.


    Dass Jelena aus der Vergangenheit ihre eigenen Geschichten macht, ist zwar in ihrem Beispiel nach meiner Wahrnehmung extrem, wenn ich aber in meine eigene Familie schaue oder zu Bekannten, stelle ich fest, dass sich die Erinnerungen über die Jahre verändern und verklären, und auch die Wahrnehmung der eigenen Rolle in der Vergangenheit sich verändert. Glaube ich den Gehirnforschern, ist unser Gehirn wohl so gestrickt.


    Konstantin hat die Chance über die Reise, die er in die eigene Familiengeschichte gemacht hat, mit dem gewonnenen Wissen soweit dies möglich ist, einen Schlussstrich zu ziehen. Das ist m. E. ein wichtiger Punkt zu dem man kommen muss: die Erkenntnis, was einen geprägt hat, was die eigenen Treiber sind, und wie man mit diesen Umgehen kann. Das ist eine große Hilfe, um sein Leben selbst in die Hand zu nehmen, zu gestalten, und wenn bestimmte Trigger bedient werden, damit besser umgehen zu können. Ob es ihm gelingt? Ich weiß es nicht.


    Natürlich hätte ich gern gewußt, was mit Robert nun wirklich geschehen ist. Reine Neugier. Ich verstehe aber, dass Alexander Osang dies nicht einarbeitet. Es ist nicht wichtig für das, was er uns erzählen will.


    Ich hätte nicht erwartet, wieviel Reflektion dieses Buch bei mir auslöst. Das hat vor allem mit seiner Konstruktion zu tun.

    @ Ottifanta, ich glaube, ich werde das vielleicht nochmal als Hörbuch hören.


    @ all

    Ich habe schon länger keine Leserunde mehr gemacht, ich mußte aber feststellen, dass mir das mit Euch richtig Spaß gemacht hat. Danke für die Diskussion :knuddel1:knuddel

  • Dass Jelena aus der Vergangenheit ihre eigenen Geschichten macht, ist zwar in ihrem Beispiel nach meiner Wahrnehmung extrem, wenn ich aber in meine eigene Familie schaue oder zu Bekannten, stelle ich fest, dass sich die Erinnerungen über die Jahre verändern und verklären, und auch die Wahrnehmung der eigenen Rolle in der Vergangenheit sich verändert. Glaube ich den Gehirnforschern, ist unser Gehirn wohl so gestrickt.

    Ich denke auch, dass die meisten Menschen ihre Vergangenheit verändern und verklären, allerdings würde ich behaupten, dass das oft eher unbewusst geschieht. Jelena passt ihre Geschichte ganz bewusst an den jeweiligen Zuhörer an, finde ich.

  • Ich empfinde es - nach einem Tag des Nachdenkens - als passend, wobei ich schon gerne gewusst hätte, was wirklich mit Robert passiert ist.

    Er war unter den Nazis, die von den Russen erschossen wurden.

    Jelena hat die Legende der abstrusen Pelzflucht erfunden, um die Kinder vor der grausamen Wahrheit zu beschützen. Das ist natürlich ihre Sicht. Und sich selbst, weil sie sich mitschuldig an Roberts Tod fühlt, da sie für die Russen gearbeitet und übersetzt hat, die Robert erschossen haben.


    Alexander kannte die Todesliste. Ob er Robert zur Flucht verhelfen wollte oder nicht, habe ich nicht verstanden.

    Die Familie ist völlig zerrüttet, da ist nichts mehr zu kitten, auch wenn Konstantin sich das gewünscht hat.

    Ich finde, gerade im letzten Abschnitt finden sich doch Zeichen der Annäherung. Die Cousins, die eine gemeinsame Reise unternehmen. Maria und Claus, die sich mehr lieben, als Konstantin je gedacht hat. Konstantin und Claus, die immer wieder eine gemeinsame Ebene finden. Konstantin und Maria, die vielleicht noch einmal ein Stück eigenes Leben führen kann und ihren Sohn einblicken lässt. Und vor allen Dingen, Konstantins Erkenntnis, die Vergangenheit ruhen zu lassen und nach vorne zu blicken.


    Ich fand auch Jelenas Ende sehr tröstlich. Endlich, ganz am Ende ihres Lebens, schafft sie es, sich mal gehen zu lassen. Aus der harten Frau wird eine genz weiche, runde, wenn auch traurige Figur. Ihre Demenz ist für sie eine Erlösung, so habe ich das empfunden. Endlich muss sie nicht ständig ihre Geschichten und ihre Leben unter Kontrolle halten und kann einfach loslassen.


    Ich finde, dass es Osang sehr eindrücklich gelingt, zu beschreiben, wie schicksalhaft ein Leben doch ist und wie einzelne Menschen, wie Eltern das Leben der eigenen Kinder doch nachhaltig prägen können. Und wie schwer es ist, aus den vorgezeichneten Wegen auszubrechen. Besonders, wenn man von einer Diktatur in die nächste fällt, eine Misshandlung der nächsten folgt.

    Das Bild der Flüsse in Jelenas Leben ist dafür ein sehr gutes Bild. Mal erfasst sie ein reißender Strom, mal fließt das Leben gemächlich dahin, aber sie schafft es einfach nicht, gegen den Strom zu schwimmen.


    Ohne euch hätte ich das Buch nicht gelesen, weil mich der Klappentext gar nicht angesprochen hat.

    Es hat mir immer besser gefallen.

    Vor allem aber hat mir die Runde mit euch Spaß gemacht.:knuddel1

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Konstantin und seine Entwicklung im Roman war für mich die vielleicht größte Enttäuschung. Was wir über seine Entwicklung lesen, schlägt sich nicht im Buch nieder, kommt bei mir als Leser nicht an.

    Konstantin war für mich zunächst einfach nur ein Erzähler, am Ende ein bisschen Klebstoff für die zerbrochenen Familienbande. Die Suche hat ihn ein Stück zu seiner Familie gebracht, vor allem zu seinen Eltern.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin