Kazuo Ishiguro - Was vom Tage übrig blieb

  • ASIN/ISBN: B077S3B57R


    Vor ein paar Tage habe ich angefangen, dieses Buch zu hören. Allerdings habe ich jetzt den Eindruck, dass ich es nur zu Ende bringen werde, wenn ich mich hier ab und zu dazu äußere.

    Durch diese Pausen hoffe ich in die Langsamkeit hineinzugeraten, die dieses Buch braucht.


    Ich habe gesehen, dass es dazu schon eine Leserunde gegeben hat. Da werde ich mal hineinlesen. Mehr später.

  • Gert Heidenreich ist ja auch ein herausragend guter Sprecher! Ich kann mir gut vorstellen, dass er sehr gut zu diesem Buch passt. Die Lesefunde damals war sehr schön und das Buch ist ja - incl. der Verfilmung - fast schon ein Klassiker. Ich habe es sehr gern gelesen, obwohl es inhaltlich eher deprimierend ist.

  • Ich werde im folgenden die Nummer des Hörabschnitts dazufügen. Insgesamt sind es 179.


    1 - 11

    Mir gefällt es sehr gut, gerade diese beschauliche und verschlungene Art des Erzählens.

    Sie passt ja wunderbar zu dem Butler Stevens. Da kommt sehr gut rüber, wie er tickt. Ob es die Reisevorbereitungen sind oder das umständliche Vergewissern, ob das Angebot seines Dienstherrn Farraday bezgl. des Autos noch gilt.

    Und es entbehrt nicht einer gewissen Komik, wie Stevens völlig sachlich und ausführlichweit sein Problem mit Farradays "scherzendem Ton" beschreibt. Wie soll er darauf reagieren? Er lächelte "in korrekter Weise". :lache

  • 13 - 15

    Und dieses Problem mit dem "scherzenden Ton" lässt ihm keine Ruhe. Er würde es gern mit anderen Kollegen besprechen. Leider ergibt sich keine Gelegenheit. Schade! Es wäre sicher interessant gewesen, einem Dialog zwischen zwei Butler über dieses Thema zuzuhören. :lache


    Allerdings erfährt man bei der Gelegenheit, wie es zumindest früher im Dienstbotenzimmer zugegangen ist. Mir klingt das alles zu fachbezogen. Haben die nicht auch mal etwas Privates besprochen?

  • Ich kann mir gut vorstellen, dass die Dienstboten mit ihrem Privatleben äußerst zurückhaltend sind, wenn sie fast den ganzen Tag und die halbe Nacht zusammen sein müssen. Da wird sowieso über jede erkennbare Kleinigkeit getratscht.

    Ich kenne nur den Fiĺm, aber wenn im Buch auch diese Szene vorkommt, wo Stevens nicht zeigen will, welches Buch er gerade liest, finde ich seine Begründung sehr verständlich.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Heute hatte ich viele Arbeiten zu erledigen, bei denen es sich prima Hörbuch hören ließ und habe kurz entschlossen noch einmal mit diesem begonnen.

    Allerdings werde ich mich vorsichtig äußern, um nicht zu viel zu verraten, denn mir ist schon aufgefallen, dass mir einige Kleinigkeiten beim ersten Hören nicht so aufgefallen sind wie dieses Mal.


    1-11


    Der Dienstplan ist offenbar das Wichtigste überhaupt. Und Stevens denkt an das Wohlergehen der anderen Angestellten, nur nicht an sein eigenes.

    Betroffen machte mich, dass er einen großen Teil seiner Ersparnisse aufwenden muss, um ein Mal im Leben eine bescheidene Reise zu machen.

  • Andere Dienstboten haben sicher auch mal Privates besprochen. Stevens aber sicher nicht, darauf kommen wir noch zurück.

    Es war sicher nicht so einfach, sich ein Stück Privatsphäre zu bewahren. Aber gerade, dass da Menschen teilweise über Jahrzehnte sehr eng zusammen lebten, sind doch bestimmt Freundschaften und Ersatzfamilien entstanden.

    Aber es gab auch Hierarchien innerhalb der Angestellten. Und Stevens hatte da wohl eine besondere Stellung.

  • habe kurz entschlossen noch einmal mit diesem begonnen.

    Super!

    Betroffen machte mich, dass er einen großen Teil seiner Ersparnisse aufwenden muss, um ein Mal im Leben eine bescheidene Reise zu machen.

    Ich habe mich auch gefragt, wieviel so ein Butler damals verdient hat.


    1. Tag abends - Salisbury

    16 - 20

    Ich fand das zunächst auch traurig, wie wenig Stevens in seinem Leben herumgekommen ist. Allerdings ist das vielleicht im Jahr 1956 eher normal.


    Es gefällt mir, wie Stevens beschreibt, wie er seine gewohnte Umgebung verlässt und dann zu dem Aussichtpunkt kommt. Er lässt sich sogar zu der Aussage hinreißen: "Es war ein schönes Gefühl."

    Wow, wie emotional!


    Ich habe mich gewundert, dass für Stevens ausgerechnet die englische Landschaft die bewegenste der Welt ist, dass sie Größe hat.

    Nun ja. Da er, wie er erklärt, unter Größe Ruhe und Zurückhaltung versteht, mag er recht haben.

    Anscheinend überträgt der die Anforderungen an einen guten Butler auf die Landschaft. :lache

  • 21 – 34


    Und jetzt zu der weltbewegenden Frage: Was ist ein großer Butler?


    Diesen Abschnitt fand ich weitgehend zäh und langweilig. Aber inzwischen ist mir klar geworden, dass es so sein muss, um Stevens zu verstehen.


    Immerhin gibt es anschauliche Beispiele eines großen Butlers. Die Story in Indien mit dem Tiger unter dem Esstisch erfüllt jedes Klischee eines Engländers im Allgemeinen und eines Butlers im Besonderen.:grin


    Stevens wird für mich immer mehr zur tragikomischen Figur.

    Dass die Gespräche über „den großen Butler“ mit einem „Amtskollegen“ zu Stevens besten Erinnerungen gehören, finde ich traurig. Anscheinend gibt es in seinem Kopf nicht viel anderes als seinen Beruf.


    Und nach langen Ausführungen erfahre ich endlich: Die berufliche Identität eines großen Butlers ist wie ein Anzug, den man erst ablegt, wenn man allein ist.


    Immer wieder bin ich hin- und hergerissen, ob ich das alles hier traurig finden soll oder eher komisch. Und manchmal frage ich mich, ob es ernst gemeint ist oder doch gewaltig überspitzt.


    Stevens Ansicht, dass nur Engländer die emotionale Zurückhaltung aufbringen, die zu einen guten Butler gehört, ist dann schon wieder eher erheiternd.

  • 2. Tag, Morgen - Salisbury


    35 – 44


    Stevens erinnert sich an die Dialoge mit Ms. Kenton über seinen Vater, die wohl schon mehr als 30 Jahre zurückliegen.


    Es war sehr amüsant mitzuverfolgen, wie beide mit äußerster Höflichkeit versuchen, sich gegen den anderen durchzusetzen.

    Es ist unglaublich, wie sie um den heißen Brei herumredet, um ihn darauf hinzuweisen, dass sein Vater überfordert ist. Und weil Stevens, wie ich vermute, das einfach nicht wahrhaben will, muss sie sich immer neue Dinge einfallen lassen.


    Was für ein Aufwand! Immerhin zog sich das Ganze über Wochen hin. Einmal erwägt Stevens, diese äußerst korrekte Autoritätsperson, sogar, regelrecht vor Ms. Kenton über die Veranda zu fliehen. Aber er verwirft den Gedanken, weil ja irgendwer die Tür schließen muss. :lache

    Ich denke, das hat was mit Gesichtwahren zu tun. Als Deutsche können wir das vielleicht noch viel weniger verstehen. Uns wird ja nachgesagt, wir seien viel zu direkt.


    Ich frage mich, warum Stevens sich jetzt ausgerechnet an diese Episoden erinnert. Ist es deshalb, weil er in letzter Zeit an sich selbst solche kleinen Fehler wahrgenommen hat, wie sie seinem Vater unterlaufen sind? Sieht er Parallelen zwischen sich und seinem Vater?

  • made, ich finde Stevens gar nicht komisch, sondern eine wirklich tragische Person.

    Ich könnte mir vorstellen, dass er zum ersten Mal in seinem Leben als erwachsener Mensch ein wenig Zeit für sich hat und da kann er sich auch endlich einmal erinnern.

    In seinem Alltag erscheint er mir eher als eine Art menschlicher Roboter, der funktionieren muss.

  • made, ich finde Stevens gar nicht komisch, sondern eine wirklich tragische Person.

    Ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich bei einigen wenigen Szenen in meinem Kopf Bilder habe, die aus einem nicht gerade erstklassigem Schwarz-Weiß-Film stammen könnten, in denen ein immer strenger Butler sagt: Sehr wohl, Sir!


    Ich schließe jetzt aus deinem Satz, dass das Buch kein gutes Ende hat.

  • Und schon zu viel verraten.

    Sorry

    Kein Problem.


    45 – 50


    Ich war erstaunt, als Stevens hier seine eigenen Erinnerungen in Frage stellte. Normalerweise sind in Romanen die Rückblenden immer unzweifelhaft. Ich denke, das soll Stevens Korrektheit ausdrücken. Er will einfach keinen Fehler machen und niemandem Unrecht tun.


    Fast erschrocken war ich über das distanzierte Verhältnis zwischen Stevens und seinem Vater. Er spricht ihn in der 3. Person an! Doch woher sollte auch ein enges Verhältnis kommen. Vermutlich hatte Stevens Vater kaum Zeit für seinen Sohn. Und als sich dann ihre Wege trennten: wie oft sahen sie sich privat? Und jetzt sind auch noch die Hierarchien vertauscht, Stevens ist der Vorgesetzte seines Vaters! Eine ganz schwierige Situation.


    Trotz allem merkt man, dass Stevens sein Vater nicht egal ist. Er setzt sich für ihn ein, er meint, ihn gegen Ms. Kenton in Schutz nehmen zu müssen. Ihm fällt dessen winzige Kammer negativ auf. Er konnte wohl kaum etwas dagegen unternehmen.