Eine ganze Welt - Goldie Goldbloom

  • Über die Autorin:

    Goldie Goldbloom, geboren 1964 in Perth, Australien, wurde für ihren ersten Roman The Paperbark Shoe mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Ihr zweiter Roman Eine ganze Welt war in den USA ein großer Erfolg und erscheint in zahlreichen Sprachen. Goldbloom lebt als Chassidin in Chicago und hat acht Kinder.



    Meine Meinung:

    Die 57jährige Surie Eckstein hatte vor vielen Jahren Brustkrebs und musste sich einer Mastektomie mit einer daran anschließenden Chemotherapie unterziehen. Danach nahm sie noch viele Jahre Tamoxifen, womit sie auch automatisch in die Menopause versetzt wurde.


    Doch jetzt erlebt sie einen großen Schock: Surie ist schwanger und nicht nur das - nein, sie erwartet Zwillinge. Schwanger mit Zwillingen als 10fache Mutter und 32fache Großmutter! Im Grunde eine medizinische Sensation, doch für Surie eine unfassbare Katastrophe. Wie soll sie das ihrem Mann und ihrer Familie beibringen?


    Die Familie Eckstein gehört einer sehr frommen chassidischen Gemeinde in New York an. In dieser jüdischen Gemeinde gelten viel strengere Regeln als bei den meisten anderen Juden: Öffentliche Schulen werden nicht besucht, es gibt religiöse Schulen für die Kinder. Computer in jeglicher Art sind verboten, es gibt keine Fernseher etc. Halten sich Familienmitglieder nicht an die Gebote der Gemeinde, werden sie ausgeschlossen. Unverheiratete Kinder können nicht mehr verheiratet werden, wenn in einer Familie jenseits der Norm etwas vorgefallen ist - und nun ist Surie schwanger.


    Sie befürchtet, dass ihr Ansehen in der Gemeinde beschmutzt ist, alle über sie reden werden und ihre unverheirateten Kinder niemals heiraten können – Gedanken wie diese schießen ihr permanent durch den Kopf und so verschweigt sie allen gegenüber ihre Schwangerschaft.


    Da sie ziemlich rundlich ist, fällt es auch überhaupt nicht weiter auf. Sie weiß zwar, dass sie ihren Mann und auch ihre Familie informieren muss, schiebt diese Tatsache aber erst täglich, dann wöchentlich und danach monatlich auf. Sie steckt in einem unfassbaren Zwiespalt und nimmt ihre Leser mit auf diese Reise...



    "Eine ganze Welt" ist eigentlich ein recht dünnes Buch, es steckt aber so voller unbekannter Dinge, Lebens- und Denkensarten - einer für uns aber absolut unvorstellbaren und unbekannten Lebensweise - dass man staunend und ungläubig in die Geschichte eintaucht.


    Einerseits möchte man Surie zurufen: "Warum machst du nicht einfach mal den Mund auf und sprichst über all deine Probleme?" Anderseits kam ich kaum dazu, diesen Gedanken zu bilden, weil ich nur so durch die Seiten des Buches geflogen bin, um zu erfahren, wie Surie mit ihrem Problem, sowie ihrem darüber hinaus gehenden Leben, umgeht.


    Hier wird einem auch als Leser drastisch klar gemacht, was passiert, wenn man nicht von Anfang an offen mit einem Problem umgeht. Man versinkt immer tiefer in ungesagten Dingen und hat dadurch immer größere Probleme mit dem Umfeld offen sprechen zu können. Man zieht sich in sich selbst zurück und vereinsamt – ohne einen Schritt weiter zu kommen.


    Das Ende hat mich erstaunt, ich hatte etwas ganz anderes erwartet und bin auch heute - einen Tag nach Beendigung des Romans immer noch mit meinen Gedanken bei Surie.


    Ich kann mich nicht erinnern, je ein Buch über eine mir gänzlich unbekannten Glaubensgemeinschaft gelesen und zumindest ansatzweise versucht zu haben, zu verstehen - wie man so in der heutigen Zeit leben kann. Den Titel "Eine ganze Welt" finde ich sehr passend, weil die Autorin es schafft nicht nur Suries aktuelles Problem anzupacken, sondern darüber hinaus auch auf Dinge in ihrer Familien Vergangenheit eingeht. Dinge, über die man nicht spricht - die aber da sind und die ja nicht einfach verschwinden, nur weil man den Mantel des Schweigens darüber ausbreitet. Sie gären und verursachen weitere Probleme.


    Goldie Goldbloom geht in diesem Buch Themen an, die aktueller nicht sein können - aber auch darüber wird geschwiegen – man hat das Gefühl in einem Konstrukt aus ungeklärten Problemen und Schicksalen zu stecken, die alle miteinander verwoben sind. Surie ist eine Protagonistin, die für alle da ist, sich allen Regeln beugt und es immer nur allen recht machen möchte, selbst dabei aber auf der Strecke bleibt.


    Ein Buch so voller Tiefe - man liest es und es verlässt einen nicht. Im Gegenteil - es wird noch lange in meinen Gedanken bleiben. Ein Buch zum noch einmal Lesen und zum Weiterempfehlen.


    10 von 10 Sternen für ein grandioses Buch.


    ASIN/ISBN: 3455009018

  • Surie Eckstein lebt als angesehenes Mitglied der chassidischen Gemeinde in Williamsburg in Brooklyn, New York. Sie ist 57 Jahre alt, hat zahlreiche Kinder und Enkel und erwartet ihr erstes Urenkelkind, als sie unerwartet mit Zwillingen schwanger wird. Die Schwangerschaft wirft ihre gesamte Lebensplanung über den Haufen und sie sieht Schande über sich und die Familie kommen, also schweigt sie. Selbst ihrem geliebten und verständnisvollen Mann Yidel mag sie sich nicht anvertrauen. Durch ihr starkes Übergewicht fällt die Schwangerschaft nicht auf und ihr Alter sowie eine überstandene Brustkrebserkrankung lassen niemanden vermuten, dass sie schwanger sein könnte. Alle Symptome, die man bei einer Schwangeren sonst so offensichtlich sieht, werden auf ihr Alter und ihr Gewicht geschoben. Surie beginnt mit der drohenden Ausgrenzung durch Familie und Gemeinde ihren Stand und ihr bisheriges Leben zu hinterfragen.


    Der Titel des Buches „Eine ganze Welt“ könnte auch „Eine ganz eigene Welt“ heißen, denn genau das ist das Lebensumfeld von Surie. Durch sie taucht man beim Lesen in eine völlig fremde Kultur ein und lernt die strengen Regeln der ungarischen ultraorthodoxen Juden kennen. Wer das Buch „Unorthodox“ von Deborah Feldman bereits gelesen oder die Serie zu dem Buch gesehen hat, der hat schon einen kleinen Einblick in diese streng abgekapselte Sekte erhalten. Es ist faszinierend und erschreckend zugleich, welch strengen eigenen Gesetzen sich die Menschen unterwerfen, wie sie als Gemeinschaft zusammenhalten, wie kompromisslos ihre Traditionen gelebt werden.


    Alle, die zur Gemeinde gehören und die Regeln befolgen, haben nichts zu befürchten, doch wenn man aus der Reihe tanzt, wenden sich die eigenen Gemeindemitglieder gegen einen. „Bist du wie ich, so wirst du geliebt“ – ein Satz, der im Buch vorkommt und der aufzeigt, dass die „Liebe“ dieser Menschen Grenzen hat und da werden dann schon mal Steine in Fenster geworfen, wenn man sich nicht regelkonform verhält. Zu hohe Absätze, keine geschorenen Haare bei Frauen, falsche Kleidung, falsche Sexualität – ja sogar Händchen halten zwischen Eheleuten auf offener Straße – für solche „Vergehen“ drohen Strafen bis hin zum Ausschluss aus der Gemeinde.


    Surie, die das alles als ihr ganz normales Leben hingenommen hat, blickt plötzlich mit anderen Augen darauf. Wir bekommen nicht nur diesen Blick nach außen mit, sondern viel von ihren inneren unausgesprochenen Konflikten, die sich um ihren verstorbenen homosexuellen Sohn Lipa drehen und um ihre Ehe mit Yidel, ihre Liebe zu ihren Kindern und die Freundschaft zu ihrer Schwiegermutter. Es geht in diesem Buch aber auch um die Selbstwahrnehmung einer Frau, die ihren Platz im Leben plötzlich neu suchen muss.


    Ich habe das Buch schnell und gespannt gelesen, konnte ich mir (genau wie Surie) fast keinen Ausweg aus ihrer Misere vorstellen. Sie ist mir beim Lesen ans Herz gewachsen und so habe sie nach dem Umblättern der letzten Seite nur sehr ungern in ihrer bedrückenden Realität zurück gelassen. Schon lange hat mich kein Buch mehr so fasziniert und angesprochen. Daumen hoch und volle Leseempfehlung für diesen außergewöhnlichen Ausflug in eine unbekannte und befremdlich anmutende Welt.

  • Das Buch entführt uns in eine ganze Welt - in eine ganz andere Welt.

    Surie wird mit 57 Jahren noch einmal schwanger, mit Zwillingen. Der Schock sitzt tief bei der gläubigen Chassidin. Nicht einmal ihrem Mann kann sie sich anvertrauen.

    Das Buch beschreibt den Gewissenskonflikt von Surie vom Beginn der Schwangerschaft bis zur Geburt.

    In dieser Zeit lebt sie ihr Leben zwei geteilt.

    Sämtliche religiöse Fragen zu dem Thema, welche sie sich unaufhörlich stellt, erscheinen in der heutigen Zeit fremd und unvorstellbar.

    Und doch gibt es diese große gläubige Gruppe von Menschen die genau danach leben.

    Zumindest vordergründig.

    Denn auch hier tun sich Abgründe innerhalb der Gemeinde auf.

    Ein weiteres Problem von Surie ist der Tod ihres Sohnes, diesen und die Umstände die dazu führten, hat sie bis heute nicht verkraftet.

    Surie hat einen schweren Weg vor sich den sie aber bis zum Ende geht.

    Mich hat das Buch leicht zwiegespalten zurück gelassen.

    Der Schreibstil hat mir gut gefallen.

    Insgesamt ein interessantes aber kein leichtes Buch.

  • Surie ist schwanger. Mit Zwillingen. Nun gut, das wäre vielleicht nichts Ungewöhnliches, wäre Surie nicht zum einen bereits 57 und bald Urgroßmutter und zum anderen tief verwurzelt in den Traditionen ihrer chassidischen Gemeinde, anerkannt als die Frau eines Gelehrten, immer das Wohl der sie umgebenden Menschen im Blick. Eine Abweichung von der Norm ist nicht vorgesehen und kommt einer Katastrophe gleich; schließlich bedeutet es den Ausschluss vom gesellschaftlichen Leben in der Gemeinde, nicht nur ihr eigenes Leben betreffend, sondern generationenübergreifend auch das ihrer Nachkommen. So traut Surie sich anfangs nicht, irgendwem von ihrer Schwangerschaft zu erzählen, noch nicht mal ihrem Mann.


    Es war interessant zu lesen, wie Surie den Verlauf ihrer Schwangerschaft erlebt, wie sie ihr Geheimnis für sich bewahrt, wie sie nicht gehört wird, wenn sie doch erzählen möchte – und wie im großen Ganzen die starren und doch recht engstirnigen Konventionen und religiösen Reglementierungen ein freies Miteinander verhindern.


    Surie ist in ihrem Leben vor allem eines: Für ihre Familie die alles zusammenhaltende Mutter und Ehefrau und in der chassidischen Gemeinschaft eine gern aufgesuchte und geschätzte Ratgeberin. Dabei wird sie selbst als Person kaum wahrgenommen. Nach und nach kämpft sich Surie aus ihrer zurückhaltenden Rolle heraus und findet ein eigenes Bewusstsein für ihre Bedürfnisse; sie erkennt, was sie in ihrem Leben für wichtig erachtet und was sie gerne erreichen möchte. Diese Entwicklung war nur folgerichtig und gleichzeitig fremd. Hier prallen verschiedene Vorstellungen von Leben aufeinander, die Gewohnheiten der chassidischen Gemeinde passen nur schwer zu den westlichen Gepflogenheiten.


    Ich habe Suries Geschichte gerne gelesen und mit ihr mitgelitten oder mich über ihren Fortschritt hin zu einem selbstbestimmten Leben gefreut. Gleichzeitig war ich fasziniert von dieser andersartigen Welt, die sich in diesem Roman ebenfalls offenbart. Schwer getan habe ich mich zuweilen mit den vielen eingestreuten jiddischen Begriffen, die sich oftmals nicht aus dem Kontext erschließen ließen. Zwar half hier ein Glossar am Ende des Buches, doch das ständige Hin- und Zurückblättern störte den Lesefluss meines Erachtens sehr. Als E-Book hätte dies nicht wirklich gut funktioniert.


    Das Buch war fesselnd und schnell gelesen. Ein sehr interessanter Einblick und mir daher 9 Eulenpunkte wert.

  • Ich habe es jetzt nach gut einem Jahr zu Ende gelesen. Es ist ein komplexes Buch. Der Schreibstil hat mir gefallen. Die Geschichte an sich auch, wobei ich vieles nicht verstanden habe. Ich habe auch bis zum Schluß nicht verstanden, warum Surie nichts gesagt hat. Würde ich es noch mal lesen, Ja.