'Die Ungetrösteten' - Seiten 571 - Ende

  • Es ist vollbracht!

    Wer erwartet hat, dass sich im 4. Teil noch etwas auflösen würde, der wird enttäuscht sein.

    So, wie der ganze Roman bisher war, hatte ich nichts dergleichen erwartet. Gut so.


    Man könnte diesen letzten Teil mit "Alles endet im Chaos" überschreiben, aber auch das trifft es nicht so richtig. Der Radius, den Ryder noch durchschreitet, scheint immer kleiner zu werden. Je näher er dem Konzertsaal kommt, um so enger, begrenzter scheint alle zu werden.

    Und auch die Menschen werden immer gefangener. Als er schließlich in der Nähe des Konzerthauses vor einer Mauer mitten auf der Straße steht, die man auch nicht umgehen kann (das war Ende des 3. Teils), bricht sein Urteil über diese Stadt, diese Menschen heraus, und von diesem Zeitpunkt aus scheint alles nur noch aus Sackgassen, Türen und Enge zu bestehen, so als ob Mauern immer enger zusammenrücken. So beginnt plötzlich direkt hinter dem Konzerthaus der Wald. Die Leute scheinen kaum noch auffindbar. Distanzen und vergehende Zeit verschwimmen.

    Ich finde das so genial geschrieben!!!


    Nichts wird gelöst, aber alles löst sich auf, auch wenn es ganz am Schluss doch so etwas wie einen Moment des Friedens für Ryder gibt, nachdem alle weg sind; gegangen, gestorben, enttäuscht umgekehrt oder verloren gegangen.

    Ryder hat diesen Moment des Friedens in der Straßenbahn, die die große Runde fährt durch die ganze Stadt, an jeden Ort, wohin er will, an der Seite eines Elektrikers, der als Erster nichts von ihm will, sondern bedauert, dass er Ryder nicht helfen kann. Ein Moment, als ob alles gut werden könnte.


    Soweit erstmal meine allgemeinen Eindrücke. Ich schreibe bestimmt noch mehr dazu.


    So ein interessantes, außergewöhnliches Buch!

  • Ich habe vor und während des Lesens des Romans bewusst keine Rezensionen gelesen. Ich wollte mich nicht beeinflussen lassen. Gerade bei diesem Roman lenken Deutungen den Leser in eine bestimmte Richtung, und das wollte ich nicht.

    Im Nachhinein habe ich zwei Rezensionen gelesen.

    Die erste, die von Paul Ingendaay in der FAZ, deckt sich mit meinem Leseempfinden und wird nach meiner Ansicht Ishiguro und dem Buch gerecht.

    Die zweite, die Rezension von Michael Rutschky in der TAZ, sperrt sich mir beim Lesen. Vielleicht hat der Rezensent zu angestrengt nach Lösungen gesucht, blieb aber ungetröstet zurück.😉



    Die Rezi der FAZ ist nicht ohne weiteres lesbar. Auf der Produktseite von Bücher.de ist sie auch eingefügt.

  • Ich bin gerade fertig geworden mit dem Buch

    Und ich weiß im Moment gar nicht, was ich dazu schreiben soll. Ich bin einfach nur geplättet. Ich glaube das muss sich jetzt erst mal ein wenig setzen bei mir.


    Das einzige, was mir dazu spontan einfälllt:

    Was für ein großartiges Buch :anbet


    Eigentlich wollte ich heute nachmittag bügeln und Haushalt machen. Aber ich musste den letzten Abschnitt jetzt komplett in einem Rutsch durchlesen. Ich konnte einfach nicht anders. Mich haben gerade die Geschehnisse im 4. Teil sehr berührt und bewegt und ich konnte das Buch einfach nicht aus den Händen legen.


    Ich habe tatsächlich die ganze Zeit darauf gewartet, dass Ryder noch seinen großen Auftritt bekommt. Das er sich endlich an den Flügel setzt und meisterhaft spielt und seine große, wichtige Rede hält. Das es dann im Endeffekt doch nicht dazu kommt ist nur konsequent vom Autor.

    Eine wirkliche Auflösung hätte für meine Begriffe gar nicht zu diesem Buch gepasst.

    Für mich war das Ende so absolut passend und ich bin hin und weg von diesem Roman.


    Ich werde bestimmt noch mehr schreiben, wenn ich ein wenig daüber nachgedacht habe.

  • Ich kann dich sehr gut verstehen. Bei mir musste sich das Ende und das Buch überhaupt auch erst setzen und tut es noch.


    Gerade dass Ryder nur 1x spielt, nämlich in der Abgeschiedenheit und Stille in der Hütte und ihn niemand hört außerdem grabenden Brodsky, fand ich so absolut passend zu der ganzen Geschichte. Er hat sich in so viele Sachen hineingehen lassen, dass er sich selbst verloren hat. Ganz zum Schluss findet er sich wieder, und sei es nur in dem Gedanken dass sein Leben, seine Karriere weiter geht mit dem geplanten Flug nach Helsinki, den er erreichen muss.

    Der hochwichtige und über die Maßen bedeutende Donnerstag Abend fällt aus, endet nach dem Vorprogramm. Stephan hat gespielt, und als Ryder endlich den Saal wieder erreicht, ist alles weg; Zuschauer, Bestuhlung, alles.

  • Was will mir das Buch sagen?

    Gibt es eine Botschaft für den Leser?

    Ich fühle mich am Ende wie benommen und bleibe ungetröstet. Ich habe keine Erklärung und trotzdem konnte ich es nicht weg legen. Vielleicht ist das die Aussage: Das Leben ist nicht erklärbar. Es ist schön und manchmal furchtbar.

  • Was will mir das Buch sagen?

    Gibt es eine Botschaft für den Leser?

    Ich fühle mich am Ende wie benommen und bleibe ungetröstet. Ich habe keine Erklärung und trotzdem konnte ich es nicht weg legen. Vielleicht ist das die Aussage: Das Leben ist nicht erklärbar. Es ist schön und manchmal furchtbar.


    Man kann sicher vieles aus dem Buch mitnehmen oder auch nichts.

    Man kann vieles versuchen zu interpretieren. Dann ist es möglicherweise voller versteckter Hinweise. Oder auch nicht.

    Und was der Autor wollte...wer weiß...


    Für mich war dieser Roman eine Überraschung und das Lesen ein Genuss!

    Was bleibt mir von diesem Roman?

    Vielfache Eindrücke, Chaotisches, Verstörendes, das Leise verletzter Gefühle und das Laute sich präsentierender Persönlichkeiten.

    Eine feine Sprache, intensiv, farbig und bildhaft, und das Verschwimmen von Zeit und Entfernungen.

    Und der Gedanke, dass einer, der immer allen alles recht machen will, beflissen, immer hilfsbereit und höflich bis zur Selbstverleugnung ist, langsam an Kontur verliert und schließlich sich selbst.


    Ich glaube, das übernehme ich so, wenn ich die Rezi schreibe.

    - Freiheit, die den Himmel streift -

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  • Für mich war dieser Roman eine Überraschung und das Lesen ein Genuss!

    Was bleibt mir von diesem Roman?

    Vielfache Eindrücke, Chaotisches, Verstörendes, das Leise verletzter Gefühle und das Laute sich präsentierender Persönlichkeiten.

    Eine feine Sprache, intensiv, farbig und bildhaft, und das Verschwimmen von Zeit und Entfernungen.

    Und der Gedanke, dass einer, der immer allen alles recht machen will, beflissen, immer hilfsbereit und höflich bis zur Selbstverleugnung ist, langsam an Kontur verliert und schließlich sich selbst.

    Das hast Du schön geschrieben.:-]

    Ich habe das für mich auch so empfunden.


    Ich habe das ganze Buch gelesen, ohne viel über eine Interpretation oder Botschaft nachzudenken. Ich habe es einfach mal so hingenommen, wie es der Autor erzählt. Und ich konnte über weite Strecken total in das Geschehen rund um Mr. Ryder eintauchen und dabei meinen Alltag vergessen. Und das macht für mich ein wirklich gutes Buch aus. Auch wenn ich für mich persönlich keine Botschaft mitnehme.

    Aber es ist auf jeden Fall ein Buch, das noch lange bei mir nachwirken wird. Ich denke immer wieder mal an verschiedene Szenen aus dem Roman zurück und es steht mir immer gleich richtig vor den Augen.


    Ich bin jetzt auch sehr froh, dass ich mir das Buch als Taschenbuch gekauft habe, und das es bei mir im Schrank steht. Ich denke das ist ein Buch, das ich bestimmt noch mal irgendwann lesen möchte.

  • Da hast du natürlich recht.


    Ich habe nur gehofft, dass jemand seine Vermutung dazu äußert. Manchmal macht das die eigenen Gedanken klarer.

    Ich hatte es ja schon geschrieben, dass für mich persönlich dieser Mann, der sich verliert, im Vordergrund stand. Jemand, der es immer allen recht macht, stets die eigenen Interessen und Bedürfnisse hintenan stellt, der verliert sich, reibt sich auf, ohne dass er trotz aller Anstrengungen wirklich etwas bewegt hätte. Nicht er hinterlässt Spuren, sondern die Spuren sind auf ihm, als ob das Leben sie auf ihm hinterlässt.


    Auf Deutungsversuche mag ich mich nicht einlassen.

  • Gestern habe ich dann das Buch auch fertiggestellt, die letzten beiden Abschnitte habe ich dann doch sehr schnell lesen können. Das Buch hat, wie vorher schon geschrieben, einen ungewöhnlichen Sog. Ishiguro und die Übersetzung haben eine wundervolle, kraftvolle Sprache.


    Ob ich das Buch jetzt gut oder schlecht, befriedigend oder nicht, finde, kann ich gar nicht sagen. Ich glaube, solche Kategorien passen einfach nicht.


    Ich werde als Leser im Dunkeln gelassen, überfordert, verwirrt, und trotz allem oder gerade deshalb entwickeln sich Ideen und Gedanken, die manchmal aber sehr schnell wieder verworfen werden.


    Was ich aber wirklich gar nicht gut finde und noch weniger verstehe als alles andere ist, dass Ryder im dritten Abschnitt anfängt, gar nicht mehr mit Boris zu reden. Das ändert sich ja bis zum Ende nicht.

  • Ob ich das Buch jetzt gut oder schlecht, befriedigend oder nicht, finde, kann ich gar nicht sagen. Ich glaube, solche Kategorien passen einfach nicht.

    Direkt nach der Lektüre fand ich es auch furchtbar schwierig das Buch zu bewerten.

    Jetzt mit ein wenig Abstand dazu kann ich auf jeden Fall sagen: für mich ist es ein Buch was noch lange in mir nachgewirkt hat. Immer wieder muss ich an Mr. Ryder und seine Erlebnisse denken. Und für mich macht das definitiv ein gutes Buch aus. Manche Bücher finde ich zwar beim Lesen ganz nett, kann mich dann aber zwei Wochen danach schon nicht mehr wirklich daran erinnern.

    Deswegen finde ich das Buch für mich einfach außergewöhnlich und gut!

  • Eine wirkliche Auflösung hätte für meine Begriffe gar nicht zu diesem Buch gepasst.

    Für mich war das Ende so absolut passend ...

    :write Ich hätte nicht erwartet, einmal über ein Buchende zu schreiben, dass die fehlende Auflösung absolut passt. Aber hier ist es genau so! Gerade dieses extrem offene Ende, das überhaupt nichts erklärt, setzt nochmal einen ganz bewussten Schlusspunkt.


    Gefällt mir das Buch? Ich bin ähnlich unentschieden wie baro . Auf alle Fälle aber bin ich sehr froh, es gelesen zu haben! Und mind. genauso froh, es mit euch getan zu haben, denn alleine ... - ich weiß nicht, ob ich durchgehalten hätte. :knuddel1Es ist kein einfaches Buch. Sehr klischeehaft, ist es für mich ein wahres "Nobelpreisträgerbuch". Es fordert, es gibt aber auch viel. Es zeigt von ganz viel Können und von noch mehr Mut. Können, um mich so lange zu fesseln und bei der Stange zu halten, obwohl ich genauso wie Ryder planlos herumirre und keinen roten Faden erkennen konnte. Mut, da der Autor den Weg, die Leser selbst und eingenständig Denken und Interpretieren zu lassen, konsequent bis zum Ende geht und nicht der Versuchung erliegt, sein Werk zu kommentieren und zu erklären.


    Was will mir das Buch sagen?

    Gibt es eine Botschaft für den Leser

    Wenn es ein Buch schafft, jeder/m etwas anderes zu sagen, dann ist ein Buch genial. :anbet Und das ist bei dem Buch wohl der Fall - sieht man ja schon an den unterschiedlichen Interpretationsmöglichkeiten, die hier zusammenkommen.


    Für mich ist das Buch eine Metapher auf das Leben als Ganzes. Wir haben - wie Ryder - zwar ein Ziel vor Augen, verlieren uns aber immer wieder in anderen Aufgaben, die an uns herangetragen werden. Manches davon wichtig, manches davon nichtig - doch ist es sehr schwierig, das immer einordnen zu können. Manchmal kommen wir gar nicht weiter, weil eine Mauer den Weg versperrt, wir treffen aber auch immer wieder hilfreiche Menschen, die uns auf unseren Weg zurückführen oder uns anderweitig helfen und aufrichten.


    Für mich stellt sich dabei aber die Frage, ob das gesetzte Ziel wirklich das Ziel ist (Ryder verpasst ja am Ende seinen großen Auftritt und es stört eigentlich keinen) oder ob nicht die ganzen Umwege und "Ablenkungen" das wirkliche Ziel sind. Wir kennen Ryders "wahren" Zeitplan nicht - vielleicht war es ja tatsächlich genau so und nicht anders geplant. Es bleibt für mich die Botschaft, das eigene Leben zu leben. Wie auch immer.


    Zuckelliese schrieb:

    Ich fühle mich am Ende wie benommen und bleibe ungetröstet.

    Ungetröstet bleiben auch die meisten Protagonisten in dem Buch. Und das finde ich eine sehr, sehr traurige Botschaft. Bei allen Mühen von Ryder kann er den allermeisten nicht weiterhelfen. Muss das jede*r vielleicht selbst tun? Den meisten Schmerz fügen sich die Charaktere gegenseitig selbst zu. Ich habe den Eindruck, alle warten auf irgendetwas, auf bestimmte Reaktionen des Gegenübers, auf Anerkennung, Aufmerksamkeit oder Liebe. Aber niemand ist in der Lage, das der/dem anderen zu geben. Bei dem Gedanken fühle ich mich auch "ungetröstet".


    Die einzige Person, die gestärkt aus diesen Tagen herausgeht, ist für mich Stephan. Er hat erkannt, dass er sich um sich selbst kümmern muss, dass er ein anderes Umfeld braucht, um wachsen zu können. Dazu passt für mich auch gut die Interpretation von Clare , die mir auch sehr gut gefällt:


    Und der Gedanke, dass einer, der immer allen alles recht machen will, beflissen, immer hilfsbereit und höflich bis zur Selbstverleugnung ist, langsam an Kontur verliert und schließlich sich selbst.

    Findus hat an anderer Stelle geschrieben, es ist oft interessant, was der/die Autor/in zum eigenen Werk sagt. Grundsätzlich stimme ich dem zu, nur in diesem Fall hier will ich das - glaube ich zumindest - gar nicht wissen. Wie oben schon geschrieben finde ich es sehr mutig, das Ishiguro das Buch für sich selbst sprechen lässt - egal was jede/r hineininterpretiert. Was ander Leser*innen dazu sagen, das interessiert mich allerdings auch und so werde ich mir sicher in den nächsten Tagen die angesprochenen Rezensionen und sicher noch ein paar weitere durchlesen.


    Ansprechen möchte ich gerne noch Hoffman. Der macht ja am Ende ein enorme Kehrtwende zum Super-Bösewicht, der eigentlich überall seine Finger im Spiel hat - und das nicht zum Guten. Über seine Beweggründe, Ziele und Motive lässt sich wohl auch lange spekulieren - aber ich höre jetzt lieber auf, denn mein Post ist mehr als lange genug. ;) Das Buch bleibt ganz bestimmt noch länger in meinem Kopf und bestimmt fällt mir sowieso noch das ein oder andere dazu ein.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021