Unsre verschwundenen Herzen, von Celeste Ng

  • Unsre verschwundenen Herzen, von Celeste Ng


    Cover:

    Die Farben gefallen mir zwar gut, aber mir gefallen Cover, die einen Bezug zum Buch haben besser als so grafische Muster.


    Inhalt:

    Der zwölfjährige Bird lebt mit seinem Vater in beengten Zuständen. Seine chinesische Mutter ist seit drei Jahren verschwunden und wird einfach aus seinem Leben gestrichen.

    Die Gesellschaft ist eingeschüchtert und für asiatische Bürger wird es immer schwieriger.

    Da bekommt Bird einen Brief seiner Mutter und macht sich auf die Suche nach ihr.


    Meine Meinung:

    Ein Buch das nicht so einfach zu lesen ist, es herrscht eine sehr beklemmende Atmosphäre. Es lässt mich auch sehr zwiegespalten zurück.


    Das Thema ist gut.

    Es geht um Diskriminierung und wenn der „Staat“ die Menschen manipuliert, wenn er seine Macht ausnützt um die Bevölkerung zu ängstigen und jede freie Meinungsäußerung unterdrückt. Das geht dann soweit, dass wieder Bücher verbannt und verbrannte werden und dass Kinder willkürlich aus ihren Familien genommen werden.


    Die Umsetzung ist mir etwas zu flach. Die Emotionen werden mir zu selten deutlich.

    Es wird sehr viel ‚“erzählt“ und nicht so viel aktiv gehandelt. Die Dialoge oder Aktivitäten sind sehr rar.

    Dann ist auch einiges das passiert wiederum sehr unglaubwürdig.

    Und vor allem das Ende ist mir zu abrupt. Hier ist für mich noch längst nicht alles klar und das ganze empfinde ich als unvollendet.

    Ich finde bei dem Thema wäre eindeutig mehr drin gewesen.


    Autorin:

    Die 1980 in Pittsburgh im US-Bundesstaat Pennsylvania geborene amerikanische Autorin chinesischer Abstammung Celeste Ng zog im Alter von zehn Jahren mit ihrer Familie nach Ohio. Während ihrer Schulzeit engagierte sie sich als Mitherausgeberin einer literarischen Schülerzeitschrift. Anschließend studierte sie an der Harvard University und an der Universität von Michigan, an der sie einen Master-Abschluss in Creative Writing erwarb. Später unterrichtete sie dort kreatives Schreiben


    Mein Fazit:

    Ein Buch das ich gerne gelesen habe, das mich aber irgendwie unzufrieden zurück lässt.

    Deshalb 3,5 Sterne die ich bei vollen auf 4 aufrunde.

    ASIN/ISBN: 3423290358

  • Ein Brief seiner Mutter bringt den zwölfjährigen Noah dazu, einiges in seinem Leben zu hinterfragen. Warum ist seine Mutter vor drei Jahren aus seinem Leben verschwunden und warum hat sich sein Vater so verändert? Nach Unruhen wurde in Amerika ein Gesetz erlassen, das wieder Sicherheit und Stabilität bringen sollte. Doch PACT sorgt für Misstrauen und Unterdrückung. Noah, der früher Bird genannt wurde, macht sich auf die Suche nach seiner Mutter.

    Diese Dystopie zeigt ein Szenario auf, welches nicht unrealistisch erscheint. Die Geschichte spielt in einem Amerika in naher Zukunft. Wenn etwas nicht richtig läuft, ist man geneigt, einen Schuldigen zu finden. Hier sind es nicht Menschen, denen man unamerikanisches Gedankengut und unpatriotisches Verhalten unterstellt, allen voran den asiatisch-stämmigen Menschen. Kinder werden aus angeblich unpatriotischen Familien genommen, Bücher werden zensiert und verbrannt, Denunziantentum wird gefördert. Alles schon mal dagewesen.

    Margaret Miu, Birds Mutter, ist drei Jahre zuvor verschwunden. Noah lebt mit seinem Vater beengt und zurückgezogen. Da über die Mutter nicht mehr geredet werden darf, erinnert sich Bird kaum noch. Doch der Brief seiner Mutter und seine Nachforschungen holen viele Erinnerungen hoch. Er will wissen, warum sie ihn verlassen hat. Dabei entdeckt er, dass es im Geheimen Widerstand gibt. Ich konnte mich in Bird hineinfühlen, aber auch das Verhalten seines Vaters konnte ich nachvollziehen, auch wenn ich mir ein wenig mehr Courage gewünscht hätte.

    Es ist eine Geschichte, die unter die Haut geht. Dabei hätten die Emotionen ruhig noch deutlicher dargestellt werden können. Dafür war die bedrückende und bedrohliche Atmosphäre in diesem tyrannischen Überwachungsstaat gut dargestellt

    Eine spannende und bedrückende, aber auch berührende Geschichte.


    8/10

  • Nach einer schweren Krise wird in den USA PACT erlassen, ein Gesetz, das dem Land Sicherheit geben und vor „unamerikanischen“ Umtrieben schützen soll. Da China als Verursacher der Krise gilt, werden besonders asiatische Einwohner beobachtet. Um Kinder vor unamerikanischem Denken und Werten zu bewahren, können sie ihren Eltern entzogen werden.


    Birds Mutter, Margaret Miu, ist vor drei Jahren, als er neun Jahre alt war, gegangen, warum und wohin weiß Bird nicht, er weiß nur, dass sie damals auch umgezogen sind und sein Vater nun nicht mehr als Professor arbeitet. Eines Tages nimmt Margaret Kontakt zu Bird auf, der alles daran setzt, sie wiederzusehen.


    Mich hat die Prämisse dieses Romans sehr betroffen gemacht, auch, weil sie durchaus aktuell anmutet. Dass Kinder ihren Eltern entzogen werden, ist allerdings ein lange Praxis nicht nur diktatorischer Regime, überall, wo man bestimmte Werte und Gedanken unterdrücken möchte, überall da, wo manche Gruppen als nicht „vertrauenswürdig“ (im Sinne des Regimes) gelten, wurde das bereits öfter angewandt (Indigene in USA und Australien, um nur ein Beispiel zu nennen). Für Eltern dürfte es das schlimmste sein, die Kinder zu verlieren, damit kann man sie wunderbar erpressen. In diesem Roman steht dieser Teil von PACT klar im Mittelpunkt, das Gesetz hat aber auch noch andere Auswirkungen, wie z. B. die Entfernung vieler Bücher.


    Wie gesagt, die Prämisse ist berührend, aktuell und wichtig, aber der Roman wird ihr nicht so ganz gerecht. Der Beginn ist gelungen, man erlebt die Erzählung aus Birds eigener Perspektive, und dies berührt durchaus. Später gibt es einen Perspektivewechsel auf Margaret Miu, der dem Roman nicht wirklich gut tut. Er wird dadurch langatmiger, die Spannung lässt nach, es gibt zwar eine Reihe neuer Informationen, über die Krise, und die Zeit danach sowie über Margarets Gründe zu gehen, aber diese werden mit zu vielen Worten erzählt, das Interesse am Roman lies bei mir immer mehr nach.


    Leider hat es Celeste Ng nicht geschafft, mich durchgehend zu fesseln. Die Thematik ist wichtig, interessant und auch aktuell (es geht ja nicht nur um die verschwundenen Kinder), zu Beginn hat sich der Roman zügig lesen lassen, wurde aber später deutlich langatmiger, und damit auch uninteressanter. Schade für die Thematik.

  • Dystopie mit Realitätsnähe

    Mit "unsere verschwundenen Herzen" hat Celeste Ng eine zugleich verstörende als auch ermutigende und hoffnungsvolle Dystopie geschaffen, die ich, nachdem ich das Buch angefangen hatte zu lesen, kaum aus der Hand nehmen konnte. Verstörend, weil die Zukunftsversion eines von antiastiatischem Rassismus geprägten amerikanischen Überwachungsstaats, der missliebigen Eltern ihre Kinder entzieht und zu Gesinnungsschnüffelei und Denunziation ermutigt, so realistische Parallelen in der nicht so weit zurückliegenden Geschichte hat.

    Seien es die Kinder von Migranten an der Südgrenze der USA die während der Präsidentschaft Trumps von ihren Eltern getrennt wurden, die indigenen Kinder in Nordamerika oder in Australien, die in Heimen und Internaten zwangsassimiliert und häufig gebrochen wurden, sei es das Schicksal der Kinder von Regimegegnern in der DDR, die zwangsadoptiert wurden oder in der stalinistischen Sowjetunion. Und auch die Schubladisierung von Menschen, hysterischer Patriotismus, der vor allem von der Schaffung von Feindbildern lebt - das klingt alles nur zu vertraut und ist noch gar nicht lange her.

    "Sie war lang, die Geschichte von Kindern, die man ihren Lieben entrissen hatte - die Vorwände unterschieden sich, aber die Gründe waren dieselben. Ein wertvolles Pfand, ein Damoklesschwert über den Köpfen der Eltern. Es war das Gegenteil dessen, was ein Anker ist: der Versuch, etwas Andersartiges, etwas Gehasstes und Gefürchtetes zu entwurzeln.Eine Fremdheit, die als invasives Kraut galt, etwas, das vernichtet werden musste."

    Im Fall des zwölfjährigen Bird, Sohn eines weißen Vaters und einnn er chinesischstämmigen Mutter, war es allerdings etwas anders: Die Mutter, eine Dichterin, hat die Familie verlassen. Seitdem wird sie regelrecht totgeschwiegen, die offizielle Lesart des Vaters ist: Wir wollen nichts mehr mit ihr zu tun haben. Dass sein Vater, vom Hochschullehrer zum Büchereigehilfen degradiert und in prekären Verhältnissen in einem Studentenwohnheim lebend, seinen Sohn damit vor allem schützen will, wird Bird erst später erkennen.

    Vorerst ist er wütend, ratlos, unsicher, warum die Mutter gegangen ist, bis seine Schulfreundin Sadie ihm erzählt, die Mutter sei im Widerstand gegen die Regierung aktiv. Als ein Brief in ihrer Handschrift auftaucht, macht sich Bird auf die Suche - und stößt ebenso wie die Ausreißerin Sadie nach und nach auf ein Netzwerk, in dem Bücher eine wichtige Rolle spielen, um das Schicksal auseinandergerissener Familien aufzuklären.

    "Das Gehirn einer Bibliothekarin war ein geräumiger Ort. Jede von ihnen hatte ihre eigenen Gründe, warum sie dieses Risiko auf sich nahm, und auch wenn die meisten diese Gründe nie mit anderen teilen und sie auch nie persönlich treffen würden, teilten sie alle dieslbe verzweifelte Hoffnung, einen Treffer zu landen und eine Notiz mit dem neuen Aufenthaltsort des Kindes zwischen den Seiten zurückschicken zu können. Eine Nachricht, die der Familie versicherte, dass ihr Kind noch existierte, wenn auch in weiter Ferne, und die dem tiefen Loch ihres Verlustes einen Boden gab."

    Und hierin liegt denn auch das Hoffnungsvolle und Optimistische bei aller Düsternis des Romans. Es gibt sie eben doch, die Anständigen, dir Gerechten, die Hinsehenden, die sich mit den Umständen nicht abfinden wollen, die ihrer eigenen Angst trotzen und versuchen, etwas zu tun, auch wenn sie in ihrem Widerstand so klein, so einsam, so gefährdet sind. Kunst, Bücher, Bibliotheken werden Orte der Erinnerung, des Bewahrens von Werten, der Ausgangsort von Handlungen und Hoffnung.

    Der Schreibstil von Ng erinnert an chinesische Tuschezeichnungen oder Kalligraphie - mit weniger Worten und Sätzen gelingt es ihr, die Stimmung und Atmosphäre zu skizzieren, den Gemütszustand von Bird, die Einsamkeit seines Vaters, die Aktionen des Widerstands. Manche Elemente sind geradezu märchenhaft, andere erinnern nur zu sehr an Realitäten

  • Erschreckende Zukunft


    Die Schriftstellerin Celeste Ng schreibt immer über aktuelle Themen. Sie gehört zu einer meiner Lieblingsautoren.


    Der neue Roman, Unsere verschwundene Herzen, spielt in der nahen Zukunft, deren Anfang man schon miterlebt.

    In Amerika zeichnet sich der Rassismus schon immer stark aus. Dieses Mal werden die Personen, die einen asiatischen Hintergrund haben, diskriminiert.

    Die Regierung hat Pakt ins Leben gerufen, die wollen alle nichtamerikanischen Elemente vergraulen. Es wurden oft die Kinder einfach abgeholt.


    Vor 9 Jahren ist Margaret, Mutter von Noah verschwunden. Sie war eine Tochter von chinesischen Einwanderen. Sie hat ein Gedichtband geschrieben und ein Gedicht wurde von Demonstranten Paktgegner zum Slogan, das war unsere verschwundenen Herzen. Noahs Vater ist Amerikaner. Als Noah 12 Jahre alt ist, geht er auf die Suche nach seiner Mutter.


    Die Autorin spricht ernst und mit Poesie in diesem Roman. Der ist ihr wieder spannend und aufrüttelnd gelungen.

    Es ist ein wahres Leseerlebnis, zwar eine ernste Geschichte, aber einfach brillant.

  • Ich bin als großer Fan der Autorin enttäuscht ...

    Als ich gesehen hatte, dass die wunderbare Autorin Celeste Ng ein neues Buch geschrieben hatte, war ich sofort Feuer und Flamme. Ohne groß den Klappentext zu lesen, hatte ich es schon auf der Wunschliste und bestellt. Leider ein Fehler, wie sich beim Lesen rausstellen sollte. Während der Schreibstil definitiv wieder die von ihr gewohnte Qualität aufweist, kam ich mit dem Inhalt so gar nicht zurecht. Es handelt sich diesmal um einen Roman, der in der Zukunft spielt und diese so unwirtlich darstellt, dass man augenblicklich froh ist, dass die Welt dieses Stadium noch nicht erreicht hat und hoffentlich auch nie erreichen wird. Einer der Hauptcharaktere ist der kleine Noah, genannt Bird, der alleine mit seinem Vater in einem Wohnheim der Universität aufwächst. Seine Mutter ist aus seinem Leben verschwunden und niemand darf auch nur ihren Namen erwähnen, hat sie sich doch vor Jahren durch scheinbar aufwieglerische Aktionen zur Persona non grata gemacht. Die Welt, in der Vater und Sohn leben, ist geprägt von Entbehrungen aber auch Missgunst und Bespitzelungen. Menschen mit asiatischem Aussehen werden an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Birds Mutter ist eine Asiatin …

    Ein wenig kann ich nachvollziehen, warum die Autorin ein Thema dieser Art aufgegriffen hat. Ihre Eltern wanderten damals aus Hong Kong aus, vielleicht hatten auch sie es zu Anfang nicht immer leicht. Warum sie allerdings diese Variante eines Romans wählte, erschließt sich mir leider nicht ganz. Ich denke, die Zielgruppen ihrer beiden früheren Bestseller erreicht sie damit nicht wirklich. So kann ich selbst dann leider auch nur drei von fünf Sternen vergeben und werde mir merken, mir doch vorab den Klappentext näher anzuschauen, auch wenn ich den Autor noch so gerne mag.

  • Die Stadt Cambridge in den Vereinigten Staaten von Amerika in der Zukunft: Noah Gardner, genannt Bird, führt mit seinem Vater Ethan ein einfaches Leben. Der Zwölfjährige und der ehemalige Linguistik-Professor müssen in einem Studentenwohnheim unterkommen. Seit Noahs Mutter, die Dichterin Margaret Miu, verschwunden ist, versuchen sie, unter dem Radar zu bleiben, denn besonders durch die asiatischen Wurzeln der Mutter und ihre aufrührerischen Aktivitäten stehen auch sie unter Beobachtung. Schuld daran sind Gesetze, die dafür sorgen sollen, dass die amerikanische Kultur geschützt wird…


    „Unsre verschwundenen Herzen“ ist ein Roman von Celeste Ng.


    Meine Meinung:

    Der Roman besteht aus drei Teilen, die in verschiedene Kapitel untergliedert sind. Erzählt wird im Präsens: einerseits aus der kindlichen Perspektive von Bird, andererseits aus einer weiteren Perspektive. Der Aufbau ist durchaus schlüssig.


    In sprachlicher Hinsicht kommt der Roman nicht an frühere Werke der Autorin heran und schwankt in seiner Qualität. Allerdings gibt es einige sehr gelungene Passagen, die ich als poetisch und besonders ansprechend empfunden habe. Leider stören mehrere Übersetzungsfehler den Lesefluss.


    Die Figur Bird steht im Mittelpunkt der Geschichte. Durch seine kindlich-naiven Augen lernt die Leserschaft die dystopische Welt kennen.


    Wie schon frühere Romane Ngs ist die Geschichte gesellschaftskritisch angelegt, dieses Mal jedoch in der Zukunft verortet. Ausgangspunkt der Handlung sind anti-asiatische Hetze und Diskriminierung in den USA, nicht nur, aber vor allem als Folge der Pandemie. Auch weitere politisch rechte beziehungsweise faschistische Strömungen spielen eine Rolle, die ich an dieser Stelle nicht vorwegnehmen möchte.


    Ein weiterer Schwerpunkt sind Bücher, Märchen und die Kunst im Allgemeinen. Konkret werden die Fragen aufgeworfen, wie sich diese Ausdrucksformen für den Protest nutzen lassen, welche Kraft in ihnen steckt und wie sie sich unterdrücken lassen.


    Im Zentrum des Romans steht zudem ein Mutter-Sohn-Konflikt, der aufgrund der sonstigen Themenvielfalt allerdings bisweilen etwas in den Hintergrund tritt. Insgesamt wirkt der Roman auf mich recht überladen, denn das breite inhaltliche Spektrum sorgt dafür, dass sich die Geschichte nicht so intensiv und tiefschürfend entfaltet, wie ich es von der Autorin gewohnt bin.


    Das deutsche Cover ist geheimnisvoll und ein wenig düster, weshalb es gut passt. Der englischsprachige Originaltitel („Our missing hearts“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt.


    Mein Fazit:

    Mit „Unsre verschwundenen Herzen“ hat Celeste Ng meine sehr hohen Erwartungen nicht in Gänze erfüllt. Dennoch ist auch ihr neues Buch ein lesenswerter Roman.


    Ich vergebe 4 von 5 Sternen.

  • Keine Feuer, nirgendwo. Auch keine kleinen


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    Wenn man einen Weltbestseller hatte, der zudem prominent als Serie verfilmt wurde (und wenn das auch noch wirklich großartig gelungen ist), sind die Freiheiten größer als vorher. Man kann Themen durchsetzen, die sonst möglicherweise keine Chance gehabt hätten, und einen Plot verkaufen, den man zuvor nicht unterbekommen hätte, und sogar mit einem Setting, bei dem Widerstände eigentlich vorprogrammiert gewesen wären. Doch Celeste Ng hat mit „Was ich euch nicht erzählte“, vor allem aber mit dem hinreißenden „Kleine Feuer überall“ jene Sphären erreicht, die es ermöglichen, die eigenen Ideen und Interessen vollständig in den Vordergrund zu stellen, sich alle inhaltlichen und dramaturgischen Freiheiten herauszunehmen. Denn sie hat jetzt mit „Unsre verschwundenen Herzen“ (OT: „Our Missing Hearts“) einen Text vorgelegt, der sehr politisch ist, außerdem dystopisch, und der den latenten, immanenten, fundamentalen Rassismus in den U.S. of A. in drastischer Weise anprangert. Das war zwar auch in „Kleine Feuer überall“ schon Thema, aber hier stellt es den Kern dar, den Dreh- und Angelpunkt. Die Figuren sind Statisten, Protagonist ist die Botschaft.


    Und obwohl es sich um eine gute, eine begrüßenswerte, eine wichtige und zweifelsfrei richtige Botschaft handelt, um einen Text, der eine Warnung ist, und teilweise – leider – eine Beschreibung der Realität darstellt, will „Unsre verschwundenen Herzen“ nicht so recht funktionieren. Möglicherweise will der Roman sogar genau deshalb nicht funktionieren, weil die Botschaft so klar, plakativ, vordergründig, vereinnahmend ist, weil sie nie infrage gestellt wird, weil es übrigens auch keine Gegenspieler gibt, jedenfalls keine, die als Personen auftreten. Der Text ist ein Monolog.


    Die Geschichte spielt in einer Zukunft, die sehr nahe sein könnte. Die U.S. of A. wurden von einer Wirtschaftskrise heimgesucht, die das Land beinahe vollständig ruiniert hätte. Armut und Existenzängste waren plötzlich allgegenwärtig, nichts war mehr sicher, nur den vermeintlichen Verursacher fand man schnell: Das Riesenreich China, das der amerikanischen Wirtschaft mit unlauteren Methoden den Garaus zu machen versucht hatte. Deshalb gehörte zur Lösung des Problems neben Protektionismus vor allem ein energischer, ausschließlicher Patriotismus, der Trumps „America First!“ wie ein albernes, naives und irgendwie liebenswürdiges Geplänkel erscheinen ließe. Diese Strategie wurde in eine Agenda namens „PACT“ gegossen, ein Akronym für „Preserving American Culture and Traditions Act“, letztlich ein Freibrief für Denunziantentum, Zensur, Bücherverbrennungen, krasse Ungleichbehandlung, aktive Misshandlung, für Gewalt, die nie geahndet wird, und nicht zuletzt dafür, Eltern ihre Kinder wegzunehmen.


    Der neunjährige Bird, der eigentlich Noah heißt, wäre beinahe Opfer eines solchen Vorgangs geworden, aber bevor die Behörden das Kind zu anonymen Pflegeeltern geben konnten, hat Margaret, die Mutter, die Flucht ergriffen. Margaret Miu, im Gegensatz zu ihrem Mann Ethan asiatischstämmig, war nämlich jene Lyrikerin, deren Gedichtzeilen von Leuten aufgegriffen worden waren, um ihrem subtilen Protest eine Formel, einen Slogan zu geben, was auch die ungewöhnliche Schreibung des Wortes „Unsere“ im Romantitel erklärt – die Gedichtzeile „Unsre verschwundenen Herzen“ steht für all jene Kinder, die ihren Eltern entrissen wurden, um diese zu sanktionieren, zum Schweigen zu bringen, zu erziehen. Aber Margaret war bis zu dem Zeitpunkt, als plötzlich alle ihre Gedichte zitierten, die eigentlich nie politisch intendiert waren, überhaupt nicht engagiert, hielt alles, was um sie herum geschah, für ein Problem der anderen Leute, aus dem man sich heraushalten konnte, indem man sich ruhig und unauffällig und kooperativ verhielt. Als das nicht mehr klappte, weil man sie für eine Sympathisantin, gar für eine Initiatorin hielt, verließ sie ihre Familie, um diese zu schützen, und schloss sich dem Untergrund an. Sie machte es sich zur Aufgabe, die Geschichten der Kinder zu sammeln, die ihren Eltern entrissen worden waren.


    Drei Jahre später nimmt sie mit ihrem inzwischen zwölfjährigen Sohn heimlich Kontakt auf, der sie schließlich auch findet, und erzählt ihm die ganze Geschichte.


    In einem sehr schnellen, stakkatohaften Stil, der manchmal wunderschön ist und hinreißende Formulierungen enthält, aber überwiegend hastig, gepresst, berichtshaft wirkt, liefert Celeste Ng vor allem Fakten und Beschreibungen. Sie erzählt davon, wie es lief, wie es sich entwickelt hat, wie sich die Interessen verschoben haben, was mit den Menschen geschah, vor allem mit den Kindern. Die Autorin skizziert also in erster Linie ihr Szenario, und sie versucht das in einer Weise, die eine direkte Verbindung zur Jetztzeit zulässt. Das gelingt ihr auch sehr gut, aber die wenige Handlung und ihre Figuren bleiben dabei auf der Strecke, verblüffenderweise umso mehr, je detaillierter und genauer die Autorin sie zu beschreiben versucht. Margaret, Bird und Ethan bleiben steril, unnahbar, linear, marionettenhaft. Und überwiegend passiv. Weshalb der Spannungshöhepunkt gegen Ende auch mühselig begründet werden muss, wie hereinkonstruiert wirkt, davon abgesehen kaum nachvollziehbar und recht unlogisch aufgebaut ist.


    Celeste Ng erwähnt im Text „Der Report der Magd“ von Margaret Atwood, die möglicherweise Namensgeberin für die dichtende Hauptfigur war, jedenfalls ist der Versuch offensichtlich, die Erzählung in der Nähe dieses Standardwerks der zeitgenössischen feministischen Dystopien zu verorten. Aber im Gegensatz zu Desfred und all den anderen Figuren Atwoods bleibt Ngs Personal blass und leblos, fehlen die persönlichen Konflikte, fehlen Spannung und Action und Lebendigkeit, mangelt es aber vor allem an erzählerischer Wucht, an der literarischen Stärke. „Unsre verschwundenen Herzen“ ist enorm bemüht, fast schon schmerzhaft bemüht, und erdrückt damit alles, was es an emotionalem Potential gegeben hätte.

    Schade.