'Mädchen, Frau, etc.' - Seiten 377 - 494

  • Megan/Morgan


    Bislang hat mich die Geschichte jeder Frau interessiert, aber Morgans toppt nochmal alle bisher gelesenen. Ich habe mit trans* Menschen keine oder nur sehr wenig Berührung und so fand ich den Werdegang von Megan zu Morgan sehr aufschlussreich. Wie schon bei den anderen Geschichten war es so nachvollziehbar und einfühlsam geschrieben, kaum zu glauben, dass es die Autorin nicht selber erlebt hat. Zugegeben, ich kann nicht beurteilen, ob man sich als trans* Mensch tatsächlich so fühlt, aber für mich klingt es sehr plausibel.


    Ich hab zwar nicht alles verstanden von dem Morgan und Bibi reden und bei den ganzen Arten Gender-Identitäten hat mir genauso wie Morgan der Kopf geschwirrt (und das waren ja nur ein paar von den vielen:huh:), aber das hat nicht gestört. Und ich weiß jetzt zumindest, wer ein Geordie ist und was Mansplaining bedeutet :-].


    An die Verwendung von sier als Pronomen habe ich mich sehr schnell gewöhnt. Gefällt mir. :thumbup:


    Ganz unerwartet geht es im Handlungsstrang weiter und wir sind plötzlich schon nach der Aufführung von Ammas Theaterstück. Yazz braucht sich wegen ihrer Mutter nicht zu schämen, scheint es doch frenetischen Anklang zu finden. Schön fand ich auch die Verbindung von Morgan nicht nur zu Amma, sondern vorher schon zu Yazz. So schließt sich allmählich der Kreis.


    Ganz allgemein:

    Irgendjemand hat irgendwo geschrieben, dass der Schreibstil gar nicht mehr auffällt. So geht es mir mittlerweile auch! Ich finde die Art sehr flüssig zu lesen und einprägsam und vermisse weder Kommas noch vollständige Sätze. Der Text fließt so wunderbar dahin und mit einzelnen Satzfetzen oder Wörtern lässt sich so sooooo viel mehr erzählen! :anbet

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich habe das Buch für eine andere Leserunde unterbrochen, bin jetzt aber wieder an Bord.

    Im ersten Moment hat mich der Schreibstil nach der Pause wieder total irritiert, aber das hat sich schnell gelegt.


    Ich bin mit dem Abschnitt über Megan/Morgan noch nicht ganz durch, frage mich aber, wie Megan sich entwickelt hätte, wenn sie als Kind nicht so in die Rolle des süßen Mädchen gepresst worden wäre, die so gar nicht zu ihr passt.

    Ich erkenne ich total in dem Mädchen Megan wieder, nur dass ich nach dem ersten "Barbie-Massaker" die Action-Figuren bekommen habe, die ich wollte und mich nach der Kommunion niemand mehr in Kleidchen stecken wollte.

  • frage mich aber, wie Megan sich entwickelt hätte, wenn sie als Kind nicht so in die Rolle des süßen Mädchen gepresst worden wäre, die so gar nicht zu ihr passt.

    Das ist eine sehr gute Frage! :/ Kommt wahrscheinlich auf die Sichtweise an, ob man bei Gender-Identität mehr an Veranlagung oder mehr an „erzieherische“ Einflüsse glaubt. Vielleicht hätte Megan ihr Frau-Sein besser annehmen können, wenn sie nicht von klein auf auf dieses „süße“ Frauenbild hingetrimmt worden wäre und stattdessen viel mehr „Megan“ sein hätte dürfen. Vielleicht aber auch nicht.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Megan/Morgan


    An die Verwendung von sier als Pronomen habe ich mich sehr schnell gewöhnt. Gefällt mir. :thumbup:

    Das hat mir persönlich schon Probleme gemacht. leider. Dabei bin ich mit dem englischen they/them einigermaßen vertraut. Vielleicht auch deswegen, da im englischen bekannte Worte verwendet werden, und es im deutschen ein Kunstwort ist? Aus Interesse habe ich diese Listegefunden. Sehr interessant hätte ich es dort gefunden, wenn es Infos zur Verbreitung und Akzeptanz gegeben hätte, aber woher sollen solche Daten kommen.


    Ich fand insbesondere das Online-Leben von Megan (war sie zu dem Zeitpukt ja noch) mit Bibi toll geschildert, auch die Funktsille, das Belehrende, das Schwierige Einfinden und die Masse an neuen Denkweisen, Vokabeln und Konzepten.


    Ich kann auch sehr gut nachvollziehen, dass Morgen Probleme mit den vielen Differenzierungen hat, sie aber von Bibi schnell auf den Boden der Tatsachen geholt wird, dass wenn auch für Sie solche Differenzierungen nicht wichtig sind, es für andere betroffene Menschen sehr wichtig sein kann.


    Ganz allgemein:

    Irgendjemand hat irgendwo geschrieben, dass der Schreibstil gar nicht mehr auffällt. So geht es mir mittlerweile auch! Ich finde die Art sehr flüssig zu lesen und einprägsam und vermisse weder Kommas noch vollständige Sätze. Der Text fließt so wunderbar dahin und mit einzelnen Satzfetzen oder Wörtern lässt sich so sooooo viel mehr erzählen! :anbet

    Schuldig :saint:

    Es ist wirklich schade, dass Megan/Morgan nur bei der Großmutter so sein durfte, wie sie eben war. Leider kommt es häufig vor, dass Eltern ihre Kinder nicht so annehmen können, wie sie eben sind und das ist sehr schade.

    Oh ja. Mein Exfreund hatte nach seinem Coming Out ein wahnsinnig schlechtes Verhältnis mit seinen Eltern, insbesondere mit seinem Vater. Und ein Bekannter meiner Frau hat seit seiner Transition kaum noch Kontakt mit seinen Eltern.

    Abgesehen davon geht es natürlich auch in die Richtung Schule, Berufswahl, Hobbys, ... Da ist die Liste leider lang.

  • Das ist eine sehr gute Frage! :/ Kommt wahrscheinlich auf die Sichtweise an, ob man bei Gender-Identität mehr an Veranlagung oder mehr an „erzieherische“ Einflüsse glaubt. Vielleicht hätte Megan ihr Frau-Sein besser annehmen können, wenn sie nicht von klein auf auf dieses „süße“ Frauenbild hingetrimmt worden wäre und stattdessen viel mehr „Megan“ sein hätte dürfen. Vielleicht aber auch nicht.

    Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Morgans Genderfluidität nicht in der Erziehung begründet liegt. Ob sier sich dessen bewusst geworden wäre, ist eine andere Frage.


    Das was wäre wenn gibt 1000 Möglichkeiten auf. Glücklicherweise weiß niemand, was gewesen wäre, weder im Buch noch im realen Leben. Und das finde ich sehr gut und wichtig :)

  • Sehr interessant hätte ich es dort gefunden, wenn es Infos zur Verbreitung und Akzeptanz gegeben hätte, aber woher sollen solche Daten kommen.

    Da gibt es sicher Forschungen an den Unis zu, viel konnte in den letzten Jahren wegen Corona noch nicht losgehen. Bei näherem Interesse schreib mir eine PN, ich kann nachfragen.


    Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Morgans Genderfluidität nicht in der Erziehung begründet liegt. Ob sier sich dessen bewusst geworden wäre, ist eine andere Frage.

    Ich kann mir vorstellen, dass das Problem mit der eigenen Geschlechtsidentität umso größer ist, je mehr man in die nicht gewollte Rolle gedrängt wird.

    Es kommt auch oft vor, dass die Person sich des "falschen" Geschlechts erst nach der Pubertät bewusst wird und noch nicht im Kindesalter.

  • Ich persönlich bin davon überzeugt, dass Morgans Genderfluidität nicht in der Erziehung begründet liegt. Ob sier sich dessen bewusst geworden wäre, ist eine andere Frage.

    Das hast du schön geschrieben :thumbup:. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es viele Personen mit unklarer Geschlechtsidentität gibt, die ihr angeborenes Geschlecht aber nie bewusst hinterfragen, da sie keine Alternativen kennen.


    Danke auch für den Link mit den Pronomen! Das ist ja eine lange Aufzählung :wow. Ich hab tatsächlich auch bei Wikipedia geschaut, da gibt es auch ein paar, aber bei weitem nicht so viele.


    Da gibt es sicher Forschungen an den Unis zu, viel konnte in den letzten Jahren wegen Corona noch nicht losgehen. Bei näherem Interesse schreib mir eine PN, ich kann nachfragen.

    Wenn das keine großen Umstände bei dir oder anderen macht, würde mich das auch interessieren! Da ist Sprache gewaltig im Wandel! :thumbup:Wobei ich es als Nichtbetroffene sinnvoll fände, wenn es irgendwann ein anerkanntes "allgemeines" Pronomen für alle Menschen gibt, die nicht als "sie" oder "er" bezeichnet werden möchten.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Ich frage nach, wie da der Forschungsstand ist und melde mich dann.


    Dabei fällt mir ein, dass ich keine Ahnung habe, wie viele Personen es sind, die sich ausdrücklich nicht mit einem Geschlecht identifizieren. Schön wäre es schon, wenn man diesen Menschen mit Respekt und menschlichem Anstand begegnen würde.

    Ich denke dabei an das Schicksal von Lann Hornscheidt. In Wikipedia kann man nachlesen, was sier (gefällt mir persönlich ganz gut) vorgeschlagen hat. Schlimm finde ich, dass sier wegen der Anfeindungen die Professur in

    Berlin aufgegeben hat und aus dem öffentlichen Leben zumindest zeitweise verschwunden ist.


    Ich verlinke mal den Link zum Sprachleitfaden der Arbeitsgemeinschaft der Humboldt Uni Sprachleitfaden

  • So, ich habe nachgefragt und tatsächlich gibt es noch keine abgeschlossenen und veröffentlichten Forschungen zur Gebräuchlichkeit und der Verwendung alternativer Pronomen im deutschsprachigen Raum.

    Ja vielen herzlichen Dank! :thumbup:Ich bin sehr gespannt, wie sich unsere Sprache in den nächsten Jahren dahingehend entwickelt.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Gerne :)


    Ich stelle gerade fest, dass ich die persönliche Einschätzung von wegen der Häufigkeit vergessen habe zuzufügen:


    Nominativ: dey

    Akkusativ/Dativ: dem

    Genitiv: dems

    alles an Englisch they/them angelehnt.


    Ob sich in nächster Zeit im allgemeinen Sprachgebrauch etwas ändert, glaube ich persönlich ja nicht. Sprache verändert sich, aber meist nicht besonders schnell.

  • Hattie


    Bei Hattie war mein erster Gedanke: wer ist Hattie??? Doch das hat sich ja dann ganz schnell geklärt. Ich hab mich gefreut, dass nach Winsome nochmal eine Frau aus einer älteren Generation zu Wort kommt. Und dass die Autorin eine untypische Geschichte einer englischen Schwarzen erzählt. Betroffen gemacht hat mich allerdings der Rassismus, der in der Familie selbst zu spüren ist, damit habe ich nicht gerechnet. Sehr traurig.


    Wunderschön fand ich den Umgang zwischen Hattie und Morgan. :* Beide gehen hier aufeinander zu und können sich so akzeptieren, wie sie sind. Ohne darauf zu bestehen, die eigene Sichtweise zu übernehmen. So kommt Hattie gut mit Morgans neuem Namen klar, nicht aber mit für sie völlig ungewohnten und neumodischen Pronomen. Was wiederum Morgan letztlich angesichts Hatties Alter und Erziehung so annehmen kann. Für mich ein Paradebeispiel von gelungenem Umgang miteinander. :thumbup:


    Lachen musste ich über Hatties Ausdruck der „nicht biederen Identität“, auch oder vielleicht sogar weil es so herrlich unkorrekt ist :grin. Das nimmt der ganzen Genderfrage etwas ihre Verbissenheit und mit etwas Humor und Lockerheit kommt man oft weiter.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Wobei "nicht biedere Identität" zwar nicht korrekt, aber doch auch wunderbar aussagekräftig ist. :-]

    Das hab ich mir tatsächlich auch gedacht :grin und überlegt, ob es im Englischen auch so ein schönes „Wortspiel“ ergibt. Es liest niemand auf Englisch, oder?

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021

  • Grace


    Ich habe schön öfters geschrieben, dass mich die Autorin immer wieder überrascht. Und genau das ist wieder passiert, was ich wirklich beeindruckend finde. Zwölf unterschiedliche Frauengeschichten ohne allzuviele Wiederholungen und mit immer wieder neuen Schicksalen zu erzählen, finde ich eine große Kunst. :anbet


    Mit Grace kommt - Überraschung! - eine bereits verstorbene Person, nochmal älter als Hattie und Winsome, zu Wort. Ihr Leben fand ich zwar teilweise traurig, aber zum Abschluss sehr versöhnlich. Grace hatte ganz schwierige Phasen im Leben, der frühe Tod ihrer Mutter, nach dem sie ganz alleine dastand, die Fehlgeburten, der Tod ihrer geliebten Tochter Lilly und die folgende Depression. Doch sie hat ihr Leben erstaunlich gut gemeistert und viele Menschen gefunden, die sie aufgefangen haben. Das fängt an mit den Kolleginnen der Mutter, geht weiter über die Erzieherinnen im Heim bis hin zu ihrem Ehemann, der sie heiß und innig liebt. Das fand ich - gerade in der Zeit, in der Grace aufwächst und lebt - erstaunlich und wunderschön.


    Nur Hatties erste Tochter Barbara habe ich in Graces Erzählung vermisst. Bei Hattie klang es so, als würde ihre Mutter sehr an dem Baby hängen und es nicht hergeben wollen - dass sie Grace anscheinend doch nicht so wichtig war (da sie nicht mehr erwähnt wurde) fand ich traurig. Oder ist das eine falsche Schlussfolgerung von mir?


    Ich musste aus Zeitgründen eine kleine Lesepause einlegen (und ehrlicherweise wollte ich das Buch gar nicht beenden ;)). Aber jetzt wird es Zeit und ich freue mich auf die hoffentliche Zusammenführung aller Geschichten bei der Premierenparty.

    "Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts." Olga Tokarczuk (übersetzt von Doreen Daume), Gesang der Fledermäuse, Kampa 2021