'Freitags bei Paolo' - Seiten 359 - Ende

  • So, ich habe das Buch gestern noch beendet - und ganz am Schluss stelle ich mir die Frage: weshalb haben sich die Zwei eigentlich getrennt?:/

    Nur weil sie es sich einmal so versprochen haben? Wegen temporär ausbleibendem Sex?

    Man könnte sagen - konsequent.

    Glücklicher sind sie dadurch nicht geworden. Zumindest hatte ich nicht den Eindruck.

    Aber beruflich erfolgreicher.

    Ich muss ehrlich gestehen, dass ich da einige Seiten mit den Berichten über diese beruflichen Höhenflüge nur quer gelesen haben. Sorry.:knuddel1

    Ich weiß nicht genau, was ich für ein Ende erwartet habe.:/

    Aber so richtig glücklich bin ich nicht..........


    Schön fand ich die Kurzbeschreibungen über das weitere Leben der anderen Protagonisten. :-)


    Jetzt bin ich gespannt, was die anderen so schreiben und wie deren Eindrücke waren. :-)

  • und ganz am Schluss stelle ich mir die Frage: weshalb haben sich die Zwei eigentlich getrennt?

    Und genau um diese Frage geht es auch. Paare trennen sich, weil es Seitensprünge gibt, weil man sich nur noch streitet, weil die Kinder aus dem Haus sind und man den Status Quo endlich aufgeben kann, weil man sich, schlicht gesagt, schon seit einer Weile ganz fürchterlich auf den Sack ging, weil die Beziehung eigentlich von Anfang an ein Fehler war. Nach solchen Trennungen gibt es - sogar verblüffend oft - zwar immer noch Fälle von Reue und Trennungsschmerz und sogar von Rückkehr in die Toxizität (so wie bei Diana und Teddy), aber meistens geht es den Protagonisten danach besser, oder nach einer gewissen Erholungszeit. Die anderen Beziehungen, von denen der Roman erzählt, fallen jedenfalls allesamt in solche Kategorien. Man versteht, warum sie zerbrochen sind.

    Bei Clemens und Marie geht es schlicht um die Frage, ob das Weitermachen trotz des gesunkenen emotionalen Niveaus besser oder schlechter wäre als das Gegenteil, also ein Leben ohne den anderen. Und sie entscheiden, dass es schlechter wäre. Sie trennen sich, weil es nicht mehr besser werden würde, und weil die Hoffnung besteht, dass dieses andere Leben das ausgleicht. Dass das nicht so ist, dass es anders ist, das ist das Thema des Romans: Was außer der Liebe das Leben eigentlich ausmacht. Und wie man sich außerhalb der Klischees mit dieser Frage auseinandersetzen kann.

    Ein heftiger Bruch, eine Explosion, das wäre zu einfach gewesen. Sanfte Erosion ist außerdem viel schlimmer, also dieses tägliche Bewusstsein, dass es heute ein winziges bisschen schlechter ist als gestern.


    Aber wenn ich das erklären muss, habe ich was falsch gemacht, oder? :gruebel

  • Sie trennen sich, weil es nicht mehr besser werden würde, und weil die Hoffnung besteht, dass dieses andere Leben das ausgleicht. Dass das nicht so ist, dass es anders ist, das ist das Thema des Romans: Was außer der Liebe das Leben eigentlich ausmacht. Und wie man sich außerhalb der Klischees mit dieser Frage auseinandersetzen kann.

    Ein heftiger Bruch, eine Explosion, das wäre zu einfach gewesen. Sanfte Erosion ist außerdem viel schlimmer, also dieses tägliche Bewusstsein, dass es heute ein winziges bisschen schlechter ist als gestern.


    Aber wenn ich das erklären muss, habe ich was falsch gemacht, oder? :gruebel

    Vielleicht hätte ich meine Frage anders formulieren sollen.


    Sie denken, dass es nicht mehr besser wird.

    Wissen können sie es nicht.

    Und die Zukunft hat ja das Gegenteil bewiesen.

    Aber warum sind diese zwei intelligenten Menschen dann nicht in der Lage gewesen, sich dies gegenseitig einzugestehen?

    Ich glaube, darauf habe ich unterschwellig gehofft.


    Aber du als Autor hast da natürlich Entscheidungsgewalt.;)

  • Ich kann aus persönlicher Erfahrung sagen, dass das möglich ist.

    Das ist nicht generalisierbar, würde ich behaupten. Und Du wirst sehr viele Leute finden, die Dir aus persönlichen Erfahrungen erklären, dass es nicht möglich ist. Dass es abflachende Wellenbewegungen gibt, die im Nichts enden. Oder schlimmer.


    Dazu kommt: Man kann sich arrangieren, man kann einen Weg finden, das Gute irgendwie retten und den Rest ignorieren, in der Hoffnung, dass diese Lösung immer noch besser als alle Alternativen ist (aus diesen Gründen fahren viele Leute jedes Jahr an dieselben Urlaubsorte). Aber ist das Liebe? Liebe ist nach meinem ganz persönlichen Dafürhalten das, was sich aus Begehren, Bewunderung, Leidenschaft, Stolz, Verstehen, gemeinsamen Interessen, Respekt, Eifersucht und Ideenähnlichkeiten/Vorstellungen ergibt (in verschiedenen Gewichtungen und mit verschiedenen zusätzlichen Zutaten). Wenn ein Teil davon wegbricht, kann man versuchen, den Rest zu stärken, aber das ist nicht dasselbe, es ist vermutlich oft nicht einmal ähnlich. Für Clemens und Marie würde das in keinem Fall reichen. Meinen sie. Denn sie haben nur ein Leben, wie wir alle, und das wollen sie nicht an etwas Mittelmäßiges verschwenden, wo sie doch schon etwas Schweinegutes hatten.

  • Generalisieren kann man das sicher nicht. Und es ist sicher nicht für jeden möglich. Ich finde das Ende, das du für Clemens und Marie gewählt hast, stimmig und zu den beiden passend.

    Aber ich rede nicht davon, sich zu arrangieren, sondern darüber, gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten, aufeinander einzugehen und dabei ehrlich sich selbst gegenüber und aufmerksam zu bleiben. Dann ist das, was dabei herauskommt, wahrscheinlich nicht dasselbe, kann aber auch etwas Schweinegutes und nicht nur etwas Mittelmäßiges sein.

  • Ich habe es gerade eben beendet und muss es erst mal sacken lassen.
    Es war völlig anders als alle anderen Bücher, die ich von Tom kenne. Ich bin nur so durch gejagt.
    Über die Frage, ob es Liebe oder Verbundene ist, muss ich noch nachdenken.

  • Ich finde diese Gespräche darüber, ob man den Trennungsgrund versteht oder nachvollziehen kann oder sich an der Stelle der beiden getrennt hätte, total spannend und interessant, übrigens nicht nur hier. Natürlich geht das auch mit etwas Selbstkritik einher, weil ich möglicherweise nicht anschaulich genug rübergebracht habe, warum die beiden, diese beiden nicht weitermachen könnten. Warum es sich nachgerade verbietet. Eben weil sie sie sind und diese gemeinsame Geschichte haben und das Ritual, das ja nicht nur schön war, sondern auch gekostet hat.

  • Teil 1 ist schon sehr untypisch für eine Liebesgeschichte:
    Erzählt wird nicht bis zum klassischen HappyEnd des Zusammenkommens, sondern eigentlich erst die Geschichte ab dem Zusammenkommen. Die normaerweise in einer Liebesgeschichte ausgelassen wird, da die rosarote Phase der Verliebtheit irgendwann mit den Schwierigkeiten des Alltags kollidiert. Wenn nicht, wird es eine langweilige Geschichte, oder? Schließlich sind es die Konflikte, die eine Geschichte spannend machen.
    Erstaunlicherweise nicht in dieser Geschichte: Tom hält es tatsächlich durch im ganzen ersten Teil über eine äußerst harmonische Beziehung zu erzählen. Es gibt keinen einzigen Konflikt in dieser Beziehung in dieser Zeit (zumindest keinen, von dem er uns erzählt. Im Off wird es sicherlich schon den ein oder anderen gegeben haben. Es taucht ganz kurz in einem Nebensatz bei der Besichtigung der Wohnung auf, dort wird in der Aufzählung von Marie, was sie in dieser Wohnung in Zukunft erleben werden, auch 'Streiten' erwähnt.)

    Der zweite Teil setzt da noch einen drauf:
    Ok, sie trennen sich. Aber selbst das geschieht auf liebenswürdige, harmonische Weise. Clemens versucht weiterhin Maries Bedürfnisse zu erkennen, bevor sie sie ausspricht. Für ihn ist klar, dass er die Wohnung verlässt und Marie dort bleibt.
    Und Marie denkt weiterhin für ihn mit, berät ihn bei seinen Entscheidungen. Z.B. wenn es darum geht den Schaden durch den Shitstorm abzuwehren.

    (Nebenbei: Bin ich der Einzige, der den Klinkerbau 'Irgendwann' als eine Art goldenen Kerker sieht?)

    Ich finde die Reaktionen auf diesen zweiten Teil spannend, meine eigenen, die hier und auch die in der Lovelybooks-Leserunde, in die ich auch mal reingelesen habe:

    Es gibt nach dem Lesen des zweiten Teils bisher nur ein einziges Thema (obwohl das Buch ein zweites sehr deutlich hervorhebt). Und auch bei mir ist es dieses Thema, das mich mehr beschäftigt, also fange ich auch hier an:
    Emotional lehne ich diese Trennung schlicht ab - und das scheint mir eine durchgehende Reaktion aller zu sein - und suche, wie andere auch, nach Begründungen dafür.
    Diese Begründungen fallen spannenderweise sehr unterschiedlich aus (Lovelybooks-Leserunde: Narzissmus seitens Marie? Ehrlich? Müsste dann nicht wenigstens einer, wenn auch noch so winziger Hinweis im Buch dazu vorkommen?)

    Ich lege es mir so zurecht:
    Überholt scheint mir tatsächlich das 'Freitags'-Ritual (was auch daran liegt, dass ich selbst spätestens nach dem 3. Freitag keine Lust mehr darauf gehabt hätte. Es ist einfach viel zu häufig. Aber für diese Konstellation offensichtlich jahrelang stimmig.)
    Aus meiner Sicht hätten die beiden wunderbar das Freitags-Ritual fallen lassen können, Clemens hätte dadurch in seiner Comedian-Karriere voll durchstarten können, Marie in ihrer Politik-Karriere. Dieses persönliche Durchstarten, bei dem sie sich seltener sehen und bei dem ihre Beziehung gleichzeitig ihre sichere 'Homebase' gewesen wäre, hätte beiden gut getan.
    Außerdem: Liebe und Leidenschaft, klar gibt's da einen Zusammenhang. Aber es gleichzusetzen scheint mir dann doch eine sehr starke Vereinfachung. Bei dieser Beziehung scheint mir die Trennung viel damit zu tun zu haben, dass die beiden nicht wirklich verstehen, was für ein Kleinod sie da in Händen halten. Zu einfach ist es ihnen - bei Marie auch noch sehr früh im Leben - vor die Füße gefallen. Es war zu selbstverständlich.

    Und deswegen verstehe ich rational diese Trennung:
    Es sind 2 Ängste, die da gegeneinander antreten:
    Die Angst vor dem Fehlen des Partners, des Seelenverwandten, der persönlichen HomeBase, die einen immer auffangen wird einerseits
    ...und...
    der Angst vor dem Erstarren im Alltag, dem Versiegen von dem was mal war, dem Verpassen neuer Chancen, anderer(!) Chancen, für die überhaupt erst mal Gelegenheit geschaffen werden muss, damit sie eintreten können.

    Es ist ein Abwägen bei dem sich Marie und Clemens in einer anderen Position befinden, als es die meisten Menschen tun. In einer sehr sehr anderen Position als z.B. Nigel Hitchcock.
    Aus dieser Position heraus, in der sie sich befinden, kann ich die Trennungsentscheidung rational nachvollziehen.

    Tom erzählt den weiteren Verlauf so, dass ich als Leser in eine starke Ambivalenz gerate. Es ist die Entscheidung von Clemens und Marie sich zu trennen, sie spüren keine Liebe mehr (und ich würde es gerne formulieren als 'sie behaupten keine Liebe mehr zu spüren, aber sie ist nach wie vor da'). Es ist ihre Entscheidung und nur sie können es beurteilen. Aber wenn die beiden sich trennen, dann stellt es jede Beziehung in Frage. Denn welche Beziehung ist schon so perfekt wie diese (außer meiner eigenen natürlich... ;-) ), die ja der Archetyp der perfekten Beziehung ist, eine Gratwanderung, da sie damit eigentlich schon völlig unglaubwürdig ist. (Es wundert mich, dass es tatsächlich von manchen so gelesen wird, als wäre es nicht die perfekte Beziehung (siehe Lovelybooks-Runde). Wie bitte soll sie denn noch perfekter dargestellt werden? Zumal alle anderen Beziehungen im Roman mäßiger bis zu extrem toxischer Natur sind...)

    Dieser Ambivalenz möchte ich gerne entgehen, die beiden sollen wieder zusammen sein, denn sie gehören verdammt nochmal zusammen!
    Aber es hilft nichts, Tom entlässt uns nicht mehr aus diesem Konflikt, denn das ist ja der eigentliche rote Faden, der sich durch all seine Bücher zieht. Der Aufruf, seine Lebenssituation zu hinterfragen und aktiv daran zu arbeiten sie zum Besseren zu ändern oder eben den Schatz zu erkennen, den man bereits in Händen hält.

    Eine Liebesgeschichte, mit einem Paar, das von der ersten bis zur letzten Seite in jeder Beziehung perfekt harmoniert. Auch in der Trennung. Und dabei nie auch nur ein bisschen langweilig ist:
    Chapeau!

    So viel zum ersten Thema...
    Zum zweiten an einem anderen Tag...

    I never predict anything, and I never will. (Paul Gascoigne)

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  • Der Aufruf, seine Lebenssituation zu hinterfragen und aktiv daran zu arbeiten sie zum Besseren zu ändern oder eben den Schatz zu erkennen, den man bereits in Händen hält.

    Und da mache ich schon den gleichen Fehler wie Marie und Clemens:

    Es muss natürlich heißen:
    und den Schatz zu erkennen...


  • Eine Liebesgeschichte, mit einem Paar, das von der ersten bis zur letzten Seite in jeder Beziehung perfekt harmoniert. Auch in der Trennung.

    Schöne Ausführungen denen ich oft zustimmen kann.:thumbup:


    Zum zitierten Satz:

    Ja, so ist es dargestellt.

    Und das macht mir Angst bzw. schreckt mich echt ab.

    So in der Art "das ist einfach ein wenig zu viel des Guten".........und deshalb vielleicht bei mir auch nicht so überzeugend angekommen.:/

  • Eine Liebesgeschichte, mit einem Paar, das von der ersten bis zur letzten Seite in jeder Beziehung perfekt harmoniert.

    Also irgendwas Entscheidendes hat wohl doch gefehlt! Wie in dem Schlussabsatz vom letzten Abschnitt deutlich wird:

    "Er nickte. >>Das ist sehr lieb von dir.<<

    Da musste sie lachen. Diesen Satz hatte sie während der gesamten einundzwanzig Jahre noch nicht von ihm gehört."


    Ich verstehe das so, dass die beiden nie viel über ihre Gefühle und die besondere Wertschätzung füreinander geredet haben. Alles war von vorneherein zu selbstverständlich. Sie verstehen sich ohne Worte und falls es mal ein Missverständnis gibt (wie mit den Pancakes zum Frühstück) braucht es zehn Jahre, bevor das mal angesprochen wird.

    Hin und wieder taucht auf, dass sie ihre Liebe für ein Wunder halten - also etwas, das völlig unbeeinflussbar und schicksalhaft passiert. Und wenn sie plötzlich nicht mehr da ist, kann man eh nichts daran ändern.

    Aber ich rede nicht davon, sich zu arrangieren, sondern darüber, gemeinsam an der Beziehung zu arbeiten, aufeinander einzugehen und dabei ehrlich sich selbst gegenüber und aufmerksam zu bleiben. Dann ist das, was dabei herauskommt, wahrscheinlich nicht dasselbe, kann aber auch etwas Schweinegutes und nicht nur etwas Mittelmäßiges sein.

    Das hätte ich mir bei diesen intelligenten Menschen gut vorstellen können. Besonders auch weil sie mit ihrer jeweiligen Betrachtung und Erfahrung in menschliche Beziehungen (er als Comedian, sie als Scheidungsanwältin) doch die geeigneten Voraussetzungen dafür gehabt hätten.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Ich finde diese Gespräche darüber, ob man den Trennungsgrund versteht oder nachvollziehen kann oder sich an der Stelle der beiden getrennt hätte, total spannend und interessant, übrigens nicht nur hier. Natürlich geht das auch mit etwas Selbstkritik einher, weil ich möglicherweise nicht anschaulich genug rübergebracht habe, warum die beiden, diese beiden nicht weitermachen könnten. Warum es sich nachgerade verbietet. Eben weil sie sie sind und diese gemeinsame Geschichte haben und das Ritual, das ja nicht nur schön war, sondern auch gekostet hat.

    Vielleicht hättest Du doch ein wenig deutlicher machen können, was die beiden am anderen stört. Am Schluss des zweiten Abschnitts (Seite 184) schreibst Du:

    "Sie war genervt."


    Wovon genau war sie genervt?

    Von seiner Nähe? Von seinem Bedürfnis, nach der aufreibenden Konfliktsituation mit der störenden Protestantin Marie als Ruhepol und Bestätigung für sein Selbstbewusstsein zu brauchen?

    Oder dass er zu einer allzu öffentlichen und damit angreifbaren Persönlichkeit geworden ist?

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Also irgendwas Entscheidendes hat wohl doch gefehlt! Wie in dem Schlussabsatz vom letzten Abschnitt deutlich wird:

    "Er nickte. >>Das ist sehr lieb von dir.<<

    Da musste sie lachen. Diesen Satz hatte sie während der gesamten einundzwanzig Jahre noch nicht von ihm gehört."


    Ich verstehe das so, dass die beiden nie viel über ihre Gefühle und die besondere Wertschätzung füreinander geredet haben. Alles war von vorneherein zu selbstverständlich. Sie verstehen sich ohne Worte und falls es mal ein Missverständnis gibt (wie mit den Pancakes zum Frühstück) braucht es zehn Jahre, bevor das mal angesprochen wird.

    'Das ist sehr lieb von dir.' ist ein Satz den man zu einem netten Kollegen sagt. Oder jemanden, den man gerade erst kennengelernt hat. Oder so...
    Sie lacht, weil sie diesen Satz von einer ihr durch und durch vertrauten Person hört.

    So verstehe ich das jedenfalls.

  • Vielleicht hättest Du doch ein wenig deutlicher machen können, was die beiden am anderen stört. Am Schluss des zweiten Abschnitts (Seite 184) schreibst Du:

    "Sie war genervt."


    Wovon genau war sie genervt?

    Oh je. :(


    Wenn ich das echt erklären muss, muss ich meinen Job an den Nagel hängen.


    Sie war einfach genervt. Sie hatte eine Situation miterlebt, die zwar besonders war, aber auch zu ihrem gemeinsamen Leben und Clemens' Arbeit gehörte, und sie hätte sich früher für nichts anderes interessiert als dafür, wie es ihm damit geht und wie man das beste daraus machen kann, was da gerade geschieht. Das interessiert sie an diesem Abend zwar immer noch, aber sie stellt einfach fest, dass sie außerdem genervt ist. Dass es da etwas - nicht einmal Konkretes - gibt, das sie daran stört, dass sie das miterleben und mitmachen und für ihn einstehen muss. Dass es sie anstrengt, dass sie sich ausgelaugt fühlt, was auch immer.


    Wenn Dir Dein Kind selbstgemalte Bilder anschleppt, ganz egal, wie beschissen die auch aussehen, bist Du während der ersten paar Lebensjahre total begeistert, lobst das Kind über den Klee, zeigst in dieser Situation Deine ganze Liebe, die Du auch genau so empfindest. Aber wenn daraus eine picklige, zwei Meter lange Nervensäge geworden ist (nicht aus dem Bild, sondern aus dem Kind), die nur noch fordert und nicht mehr so viel zurückzugeben scheint (oder dazu nicht in der Lage ist), reagierst Du nicht mehr so begeistert auf jede Kritzelei, nicht einmal mehr auf wirklich gelungene Bilder, und das umso mehr, wenn Du gerade mit Deinem eigenen Zeug befasst bist. Es nervt Dich. Das liegt daran, dass es allmählich emotionale Distanz gibt, dass sich die Gefühle verändern. Du bist immer noch ein liebendes Elternteil, aber diese völlig kritiklose Hingabe ist vom Tisch. Der Vergleich hinkt ein bisschen, aber früher wäre Marie eben nicht genervt gewesen, nur weil es ein paar Störungen in der Show gab. Jetzt ist sie es. Der Komfortverlust wird nicht mehr ganz durch die Emotionsspeicher ausgeglichen.


    Ich habe allmählich den Eindruck, Du bist nicht meine Zielgruppe, Tante Li. 8)

  • Ich habe allmählich den Eindruck, Du bist nicht meine Zielgruppe, Tante Li. 8)

    :wave Schon möglich! Vielleicht brauchst Du mehr Leute, die alles, was Du schreibst kritiklos bejubeln und sich keine weiteren Gedanken dazu machen. Oder die die Lücken im Text aus ihrem eigenen reichhaltigen Emotionsfundus füllen können :heul

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando