'Schau der Welt direkt in die Augen' - Seiten 001 - 099

  • Ich habe eine junge Kollegin, die auf beiden Ohren allmählich taub wird. Ihr wurde jetzt vor nicht ganz einem Jahr im einen Ohr so eine Hörprothese/Implantat eingeplanzt, das außen am Kopf befestigt wird und innen auch irgendwie. Ich hoffe, ihr wisst, was ich meine. Seitdem übt sie das Hören. Wenn man alleine mit ihr spricht geht es normal. Aber wenn viele Durcheinander reden oder in großen Räumen so ein Lärm und Hall entsteht, dann wird es sehr schwer für sie. Bin dennoch beeindruckt, da sie sonst irgendwann taub wäre. Und in der NDRT-Talkshow war eine Ärztin, die meinte, eigentlich bräuchte kein Kind heute mehr taub sein. Leider gebe es immer noch taube Eltern, die ihren auch taub geborenen Kindern keine Hilfsmittel zum Hören geben wollen, da sie fürchten ihre Kinder dann auf eine Art zu "verlieren".

    Ja, mit einem Cochlea-Implantat muss man das Hören auch wieder erst "lernen".


    Allerdings haben ja schon wir als "Normalhörende" oft Probleme, uns in einem Raum mit vielen Personen auf eine Unterhaltung zu fokussieren und den Hintergrundpegel irgendwie zu ignorieren.


    Wie muss es da erst jemandem ergehen, der da Einschränkungen hat? Mein Vater, der "nur" normale Hörgeräte trägt, hat da auch schon große Probleme damit.


    Ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich so ist, dass taub geborene Eltern ihren ebenfalls taub geborenen Kindern Hilfsmittel nicht zukommen lassen, um sie nicht zu verlieren. :gruebel Ich könnte mir eher vorstellen, dass sie Angst vor Überforderung haben. Mit Taubheit können sie umgehen, die kennen sie selbst. Aber mit Kindern, die hören, kommen wieder ganz andere Anforderungen auf die Eltern zu und das kann einen schon ängstigen.


    Ein früherer Kollege von mir und seine Frau waren ohne ihre Hörgeräte beinahe taub, ihre Kinder waren allerdings normal hörend. Das hat schon wieder eine ganz eigene Dynamik, die einen sehr fordert. Auch bei einem Bekannten war die Konstellation so. Da haben die Kinder dann in jungen Jahren eine spezielle Sprachförderung bekommen, damit sie normal sprechen lernen. :gruebel

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Leider gebe es immer noch taube Eltern, die ihren auch taub geborenen Kindern keine Hilfsmittel zum Hören geben wollen, da sie fürchten ihre Kinder dann auf eine Art zu "verlieren".

    Das finde ich schlimm, das man aus rein egoistischen Gründen seinen eigenen Kindern moderne Hilfsmittel verweigert. Eigentlich auch eine Art Missbrauch.

  • Das finde ich schlimm, das man aus rein egoistischen Gründen seinen eigenen Kindern moderne Hilfsmittel verweigert. Eigentlich auch eine Art Missbrauch.

    Also man muss sich vorstellen, dass taube Menschen in einer eigenen Kommunity unterwegs sind. Klar kommunizieren sie auch mit Hörenden, aber so ein Implantat kann man nur bis zum Alter von zwei Jahren wirklich gewinnbringend einsetzen, da sich da die Synapsen im Gehirn für hören und Worte verknüpfen bilden. Und sie denken, dass hörende Kinder dann natürlich hörende Freunde haben und andere Dinge tun können, die taube Menschen nicht können und dass mit dem "verlieren" soll das so ein bisschen bedeuten. Es gibt auch taube Eltern, die die hörende Welt als fremd und deshalb feindlich sehen. Man muss sich erst mal auf die Warte erwachsender Tauber einlassen um zu verstehen, dass sie es nicht schlecht mit ihren Kindern meinen sondern einfach Angst haben und es große Unsicherheiten gibt. Und sicherlich auch viele Vorfälle von Hörenden, die sie ablehnen und seien wir ehrlich für "unnütz" oder "minderwertig" halten. Leider ist so was auch bei uns nicht ausgestorben. :(

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Die Hexenholzkrone 2 - Tad Williams

    Schau der Welt direkt in die Augen - Eva Grübl



    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Also man muss sich vorstellen, dass taube Menschen in einer eigenen Kommunity unterwegs sind. Klar kommunizieren sie auch mit Hörenden, aber so ein Implantat kann man nur bis zum Alter von zwei Jahren wirklich gewinnbringend einsetzen, da sich da die Synapsen im Gehirn für hören und Worte verknüpfen bilden. Und sie denken, dass hörende Kinder dann natürlich hörende Freunde haben und andere Dinge tun können, die taube Menschen nicht können und dass mit dem "verlieren" soll das so ein bisschen bedeuten. Es gibt auch taube Eltern, die die hörende Welt als fremd und deshalb feindlich sehen. Man muss sich erst mal auf die Warte erwachsender Tauber einlassen um zu verstehen, dass sie es nicht schlecht mit ihren Kindern meinen sondern einfach Angst haben und es große Unsicherheiten gibt. Und sicherlich auch viele Vorfälle von Hörenden, die sie ablehnen und seien wir ehrlich für "unnütz" oder "minderwertig" halten. Leider ist so was auch bei uns nicht ausgestorben. :(

    Nein, natürlich werden Mensche die anders sind, immer noch oft als minderwertig erachtet. Ich weiss das aus der Erfahrung einen Sohn zu haben der aufgrund einer Erkrankung eine Lernschwäche hat. Er wird von Gleichaltrigen immer als Idiot, Spasti, Depp ect. bezeichnet, drum haben wir nach der 2. Klasse die Reissleine gezogen und ihn auf eine Förderschule gegeben. Hier fühlt er ich wohl, weil alle ihr Päckchen zu tragen haben und keiner sich dem anderen überlegen fühlt. Auch gibt es eine Behindertenabteilung mit den verschiedensten Behinderungen und dort wird jedem versucht gerecht zu werden. Sehr schön ist auch das Abteilungsübergreifende Miteinander, so dass alle hier lernen, dass jeder Mensch den gleichen Wert hat, egal was er leisten kann.

    Aber als nichthörendem muß mir doch auch klar sein, wieviel Lebensqualität ich meinem Kind nehme wenn ich ihm die vorhandenen Mittel nicht zur Verfügung stelle. Ich mir vielleicht auch später von meinen Kindern Vorwürfe machen lassen muss, warum ich ihnen nicht alles ermöglicht habe. Ich finde die Gesellschft sollte auch endlich verstehen, daß mein Kind nicht mein Eigentum ist, sondern ich sogar verpflichtet bin, wenn ich einem Menschen das Leben "schenke", diesem Menschen alles an Hilfe und Unterstützung zuteil werden zu lassen. Und zwar egal ob mit Handicap oder nicht.

  • Batcat : Gehörlose Kinder von gehörlosen Eltern sind ein sehr sensibles Thema. Es geht da nicht nur um die gemeinsame Sprache. Gehörlose haben ein sehr engmaschiges Netzwerk, Veranstaltungen, Kontakte - eine eigene Kultur. Sie sehen das Cochlea-Implantat sehr kritisch, als Versuch, sie mit Gewalt hörend zu machen. Man muss ihnen mit Respekt begegnen, auch wenn es mir manchmal sehr schwer fällt, sie zu verstehen. Aber gehörlose Eltern ahnen nicht, wie viel schwerer sie die Welt ihrer Kinder machen. Gebärdensprache sollte unbedingt ihre Muttersprache bleiben, aber zu hören eröffnet so viele Möglichkeiten. Das ist ihnen nicht bewusst. Denn trotz perfekter Gebärdensprache können gehörlose Kinder, die mit 6 in die Schule kommen weder lesen noch sprechen. Das zu lernen ist ein unglaublich langer, schwerer Weg. Die deutsche Sprache ist unglaublich schwer und wenn sie sie nicht hören, merken sie sich die Sprache auch schwerer. Ein gehörloses Kind muss jedes Wort Buchstabe für Buchstabe lernen. Dann hat es sich endlich z.B. "fahren" gelernt und plötzlich verändert sich das Wort: fährt, fuhr, gefahren,.... Ich finde Implantat + Gebärdensprache ist der optimale Weg. So machen sie es in den USA seit Jahrzehnten. Bei uns aber war die Gebärdensprache bis 2005 nicht anerkannt und bis in die 90er an den Gehörlosenschulen sogar verboten.

  • Batcat : Gehörlose Kinder von gehörlosen Eltern sind ein sehr sensibles Thema. Es geht da nicht nur um die gemeinsame Sprache. Gehörlose haben ein sehr engmaschiges Netzwerk, Veranstaltungen, Kontakte - eine eigene Kultur. Sie sehen das Cochlea-Implantat sehr kritisch, als Versuch, sie mit Gewalt hörend zu machen. Man muss ihnen mit Respekt begegnen, auch wenn es mir manchmal sehr schwer fällt, sie zu verstehen. Aber gehörlose Eltern ahnen nicht, wie viel schwerer sie die Welt ihrer Kinder machen. Gebärdensprache sollte unbedingt ihre Muttersprache bleiben, aber zu hören eröffnet so viele Möglichkeiten. Das ist ihnen nicht bewusst. Denn trotz perfekter Gebärdensprache können gehörlose Kinder, die mit 6 in die Schule kommen weder lesen noch sprechen. Das zu lernen ist ein unglaublich langer, schwerer Weg. Die deutsche Sprache ist unglaublich schwer und wenn sie sie nicht hören, merken sie sich die Sprache auch schwerer. Ein gehörloses Kind muss jedes Wort Buchstabe für Buchstabe lernen. Dann hat es sich endlich z.B. "fahren" gelernt und plötzlich verändert sich das Wort: fährt, fuhr, gefahren,.... Ich finde Implantat + Gebärdensprache ist der optimale Weg. So machen sie es in den USA seit Jahrzehnten. Bei uns aber war die Gebärdensprache bis 2005 nicht anerkannt und bis in die 90er an den Gehörlosenschulen sogar verboten.

    Du hast wunderbar erklärt was ich gemeint habe. Wir können ja nur schwer verstehen, wie für einen Gehörlosen oder Blinden die Welt wirklich ist. Und wie stark ihre Gemeinschaft auch ist. Und dass sie ja das Hören nicht kennen und deshalb keinen Verlust empfinden wie wir es tun würden. Sensibles Thema ist genau der richtige Ausdruck und sensibel muss man da auch mit den Eltern umgehen.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


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  • Durch ihre eigene Erfahrung kann sie sich in Helen hineinversetzen. Ich denke eine "normale" Lehrerin hätte das nicht lange ausgehalten.

    Dass es natürlich nicht förderlich ist, Helen nach Wutausbrüchen mit Süßigkeiten zu belohnen ist eigentlich klar.

    Helen tut mir auch leid, aber ihr alles durchgehen zu lassen ist doch keine Lösung. Die Erziehung wurde in den Kreisen an Bedienstete abgegeben, die damit überfordert waren. Mit Liebe und Geduld hätte die Mutter ihr wenigstens beibringen können, wie man von einem Teller evtl. mit einem Löffel isst. Ich habe fast das Gefühl, als wenn sie das nicht als ihre Aufgabe angesehen hat. Es gab nur Ruhigstellen durch Belohnung.


    Anne weiß, wie Helen sich fühlt, kennt sie diese Wut doch aus eigener Erfahrung. Aber sie weiß auch, dass sie das nicht weiterbringt. Ihre Geduld ist bewundernswert.

  • Naja, das Ganze hätte man der armen Anne vermutlich ersparen können, wenn man gleich mit ihr zum Arzt gegangen wäre, als sie die Entzündung hatte. Aber Arzt kostet ja Geld und das hat der Vater regelmäßig versoffen.

    Stimmt, ihm war seine Familie ja nicht wichtig, eher durch die Krankheiten nur lästig. Sein "Leid" wollte er ertränken.

  • Es muss auch Menschen geben, die "nur" sehr empathisch und geschult sind, um zu erkennen, dass das Verhalten der Kinder auf ihre Behinderung zurückzuführen ist.

    Das sehen wir aus unserer heutige Sicht und Kenntnis so. Aber damals wusste man noch nicht so viel und hat sich wenig um die Behinderten gekümmert. Wie bereits erwähnt gibt es heute viele Möglichkeiten, die es damals noch nicht gab.

  • Wenn man viel Erfahrung hat, weiß man eben mehr. Umso mehr bewundere ich Anne, die keine Erfahrung außer ihrer eigenen hatte.

    Stimmt. Mir scheint, sie war auf jeden Fall empathisch auch sehr klug .

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


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