'Lebensbande' - Seiten 209 - Ende

  • 1961?

    Die Tat war Körperverletzung mit Todesfolge. Verjährungsbeginn mit Tatvollendung.Verjährungsfrist 20 Jahre.

    Im zweiten Weltkrieg, gilt aber auch für andere Kriege oder Diktaturen.


    Eine begründete Annahme, aber der vollständige Beweis wird nie aufgedeckt werden. Es kann sich auch anders abgespielt haben, nämlich das Dr. Pfeiffer noch lebend angetroffen wurde, aber in einem Zustand den man für menschenunwürdig erachtete und deswegen ermordete oder aber keiner Hilfe zugedachte. Der Interpretationsspielraum ist groß und Recht haben und Recht bekommen war zu diesen Zeiten eher Glückssache oder Pechsache (je nachdem).

    :lesend: Wie fühlst du dich? - Über unser Innenleben in Zeiten wie diesen Mensch (Axel Hacke) 0 / 255 Seiten

    :lesend: Das Kind in dir muss Heimat finden (Stefanie Stahl) 76 / 248 Seiten

  • Das Cover hat mich an alte Waschmittelwerbungen erinnert. Die hatten auch so makellose und wohlfrisierte Frauen auf Werbeplakaten. ;)


    Es passt eigentlich gar nicht zu diesem Buch.


    Die Zeit, die Nora in Danzig im Gefängnis gesessen hat, war Strafe genug. Und später war die Scham einfach zu groß. Schamgefühl ist sehr mächtig, das darf man nicht unterschätzen.

  • Den Verdacht, dass jemand anderes den Umstand, dass Dr. Pfeifer quasi auf dem Silbertablett serviert wurde, indem er da so ohnmächtig herumlag und man einfach nur noch mal feste zuhauen muss, hatte ich für ein paar Momente auch. Aber dafür war er zu linientreu. Und dann plötzlich was anderes heranzuziehen (à la ein eifersüchtiger Ehemann, Spielschulden oder ähnliches Gedöns), wäre zu sehr an den Haaren herbei gezogen. Manchmal hat man einfach Pech und dann reicht ein gut plazierter Schlag.

    Lieben Gruß,


    Batcat batsmile.gif


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Ich verstehe die Situation nicht, 1961 war in Westdeutschland eine Demokratie und ein Rechtsstaat. Da musste der Staat beweisen was er als Vorwurf erhebt. Ich würde mich auf den Pfad, das war nicht rechtswidrig Nothilfe um den Jungen vor dem sicheren Tod zu bewahren nicht begeben, das wäre sehr dünnes Eis. Aber sie wollte nicht töten, sie wollte weg und den Jungen mitnehmen. Damit kommt eben Körperverletzung mit Todesfolge in Betracht, so wie es die Autorin ja auch benennt. Und damit war 20 Jahre nach der Tat Verjährung eingetreten. 1961, nix Diktatur in ihrer Heimat am Niederrhein.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen űbersit :lesend :lesend America against America Wang Huning

  • beowulf

    Sachlich gesehen gebe ich Dir recht.


    Auf der anderen Seite hat sie viel erlitten, erlebt und durchgemacht und auch wenn sie als Krankenschwesterf gearbeitet hat, halte ich sie für nicht allzu gebildet.


    Mag sein, dass sie diesen Weg einfach als Lösung für sich gesehen und nie weiter darüber nachgedacht hat, weil sich in der DDR die Frage auch gar nicht weiter stellte. Die technischen Möglichkeiten zur Recherche gab es damals auch noch nicht und viele Dokumente wurden im Krieg zerstört. Problem gelöst.


    Nach dem Mauerfall, als jede Hälfte Deutschlands plötzlich Zugriff auf die Daten der anderen Hälfte hatte und das auch noch mit den heutigen Möglichkeiten wie z.B. Internetrecherche haben dies dann plötzlich doch wieder zu einem Problem gemacht, mit dem man sich beschäftigen musste.


    Was sie ja außerdem sorgte war - also zusätzlich zu eventuellen rechtlichen Konsequenzen - dass möglicherweise ihre Ehe mit Gustav im Nachhinein als ungültig erklärte werden könnte, wenn der Identitätentausch bekannt werden sollte. Warum also ohne Not Staub aufwirbeln? :gruebel So habe ich das für mich gedeutet.

    Lieben Gruß,


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    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Das Cover hat mich an alte Waschmittelwerbungen erinnert. Die hatten auch so makellose und wohlfrisierte Frauen auf Werbeplakaten. ;)


    Es passt eigentlich gar nicht zu diesem Buch.


    Die Zeit, die Nora in Danzig im Gefängnis gesessen hat, war Strafe genug. Und später war die Scham einfach zu groß. Schamgefühl ist sehr mächtig, das darf man nicht unterschätzen.

    :write


    Für mich wirkt das Cover auch sehr künstlich und unecht, KI lässt grüßen oder so.


    Ja, die Zeit im Gefängnis war meiner Meinung nach tatsächlich Strafe genug. Und das was folgte, war ja auch unvorstellbar schrecklich.

    Auch dass die Tat sie ihr ganzes Leben lang verfolgt und belastet hat, ist absolut nachvollziehbar.

    Umso schöner dann doch noch das versöhnliche Ende.

    Da ist ganz sicher doch eine große Last von ihr gefallen.

  • Ich habe das Buch jetzt auch gelesen, ich muss sagen ich war am ende auch sehr berührt.


    Dass Nora Lottes Identität angenommen hat, fand ich in sich schon logisch. Sie ist ja selbst von Mord ausgegangen, von dem sie wusste, dass er nicht verjährt. Schliesslich ist sie ja deswegen verhaftet worden. Dass es vielleicht auch Totschlag sein könnte, kam ihr wohl nie in den Sinn. Von daher kann ich verstehen, dass sie den „einfacheren“ Weg gegangen ist und sich ein Leben in der DDR aufgebaut hat. Im Westen hat ja ausser Lene, die ja auch ein eignes Leben geführt hat, niemand auf sie gewartet.


    Den Schluss fand ich sehr versöhnlich. Leo hat ein gutes Leben führen können, Lene ist mit Joop glücklich geworden. Und auch Nora kann mit allem abschliessen, die Freunde verstehen sie und auch der Neffe von Lotte scheint verstanden zu haben, was passiert ist.


    Schade finde ich tatsächlich, dass es kein Nachwort gibt. Das fehlt mir dann doch. Es ist ja wohl eine wahre Geschichte. Da finde ich es schon immer schön, wie die Autorin denn drauf kam, gerade diese zu erzählen. Und ein paar mehr Infos über die Arbeitslager hätte man da auch geben können.


    Aber trotzdem: ein tolles, berührendes Buch!

  • Ich fand den Besuch des Neffen sm Ende etwas schnell abgehakt. Erklärt, verstanden, tschüss. Da hätte ich mir noch einige klärende Dialoge gewünscht. Ebenso mit Alfons und Trude.


    Dass das mit dem Pfeifer Notwehr war, mag ja sein. Nora war aber auch durch Gefängnis und Lager schwer traumstisiert und hatte wohl auch jedes Vertrauen in einen Staat verloren. Und da sollte sie sich ohne Not einer Rechtsprechung aussetzen, die sie jahrelang als willkürlich kennenlernte? Dazu noch ohne Not, da sie nun in der DDR lebte?


    Ja, das Cover sieht nach KI aus, häßlich finde ich es aber nicht. Eigentlich hätten aber drei Frauen darauf gehört, Lene gehört zur Lebensbande ja auch dazu.

  • So ein schönes und intensives Buch... :anbet Am Ende konnte ich das Buch mit sehr vielen schönen Gefühlen schließen, obwohl es mich teilweise auch traurig berührt hat.


    Die Lektüre war ein Wechselbad der Gefühle und vor allem Lottes Tod ist mir dann noch sehr nahe gegangen. Und irgendwie war ich froh für Nora, dass es Lottes Idee war, dass Nora ihre Identität annimmt, um nach Hause fahren zu können. So hat Nora meiner Meinung nach nichts "geklaut" und kann bestimmt besser damit leben.


    Dass es für Nora schlussendlich so versöhnlich ausgeht, ist auch für mich als Leserin ein großer Trost nach all dem, was sie, Lene, Leo und Co. erleben mussten. Nora hat dieses kleine Glück und die Erleichterung am Ende mehr als verdient und die Autorin hat das alles sehr schön und trotzdem realistisch aufgelöst.


    Leos Entwicklung fand ich toll und ich war richtig stolz auf ihn. Er hat die Nazis aber sowas von Lügen gestraft - von wegen nicht lebenswert oder arbeitsfähig.


    Auch Lene hat ihr Glück mit Joop verdient, der sich in meinen Augen auch sehr positiv entwickelt hat. Zu Beginn kam er schon als Schürzenjäger rüber. Aber wenn es drauf ankam, war er für Lene und Leo da.


    Schade, dass wir nicht die Gelegenheit haben, der Autorin persönlich zu danken für dieses besondere Buch. Aber vielleicht liest sie das ja doch noch Mal. :-]


    Jedenfalls bin ich sehr froh, mich zu dieser Runde angemeldet zu haben.


    Trotzdem brauche ich glaube ich erstmal eine etwas "süßere" Geschichte, um diese intensive Lesereise noch etwas sacken zu lassen.

  • Hat jemand von euch vielleicht vor Jahren das Buch von Steve Sem-Sandberg: "Die Erwählten" auch gelesen?

    Das ist die Romanbearbeitung einer realen Kinderklinik bei Wien. Am Spiegelgrund.

    Ich nicht, aber ich weiß, dass es eine Buchserie gibt mit einer Kinderklinik (Weißensee glaub ich).

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    :lesend: Das Kind in dir muss Heimat finden (Stefanie Stahl) 76 / 248 Seiten

  • Ihr Lieben,

    jetzt habe ich alle eure Kommentare gelesen und bin beeindruckt und berührt!


    Wie schon auf der Seite "Fragen an die Autorin" geschrieben: "Es tut mir so Leid, dass ich euch nicht in den einzelnen Abschnitten begleitet habe. Ich habe mir erst das falsche Datum (14.11.) aufgeschrieben und dann war ich auf Lesereise, habe vergessen mein Handy aufzuladen und dann fehlte mir die Puk um es wieder anzustellen :).


    Die Geschichte beruht auf die Erzählungen von Zeitzeuginnen. Drei wahre Lebensgeschichten die ich zusammengeführt habe und miteinander verwoben habe.

    Zu Noras Leben in der DDR: Sie war davon überzeugt, dass sie einen Mord begangen hatte und über die juristischen Möglichkeiten in BRD hat sie nicht viel gewusst, nur dass Mord nicht verjährt.

    Die Geschichte von Leo wollte ich gerne erzählen (ich habe selber lange mit behinderten Kindern gearbeitet), um aufzuzeigen, wie menschen- und lebensverachtend die damalige Zeit gewesen ist.

    Und mit Lene habe ich auch ein bisschen die Geschichte meiner eigenen Familien erzählt. Anhand der Aufzeichnungen meines Onkels konnte ich die Ereignisse an der deutsch-niederländischen Grenze aus Sicht eines Betroffenen beschreiben. Meine Großeltern hatten einen Hof im Grenzgebiet.

    Wenn ihr Fragen habt, ich schaue heute Abend und in den nächsten Tagen immer wieder rein.


    Ganz herzlichen Dank für eure wunderbaren Kommentare. Sie zeigen mir, dass es richtig und wichtig ist, von dieser Zeit zu erzählen, damit nicht vergessen wird was passieren kann, wenn wir unsere Demokratie nicht schützen.

  • über die juristischen Möglichkeiten in BRD hat sie nicht viel gewusst, nur dass Mord nicht verjährt

    Eine zeitlang verjährte Mord ja schon nach 25 Jahren. Passiert ist die Tötung 1941, oder? Dann wäre sie 1966 eigentlich verjährt, wenn es dann zu einer Verhandlung gekommen wäre. Das mit der Unendlichkeit galt dann erst ab 1979 für noch nicht geahndete Taten.


    "Am 3. Juli 1979 beschloss der Bundestag, dass Mord künftig nicht mehr verjähren sollte. Es war der Schlusspunkt unter einer fast 20-jährigen Debatte um die Verfolgung von NS-Kriegsverbrechen."

    Das Ende der "Verjährungsdebatte" – Warum Mord nicht verjährt | Hintergrund aktuell | bpb.de


    Hierzu kann sich unser Leserundenjurist beowulf ja noch mal argumentativ austoben.

  • Wenn ihr Fragen habt, ich schaue heute Abend und in den nächsten Tagen immer wieder rein.


    Ganz herzlichen Dank für eure wunderbaren Kommentare. Sie zeigen mir, dass es richtig und wichtig ist, von dieser Zeit zu erzählen, damit nicht vergessen wird was passieren kann, wenn wir unsere Demokratie nicht schützen.

    Schön, dass Du jetzt da bist. :thumbup:


    Das finde ich ebenso richtig und wichtig. Eine Zeitlang hieß es ja immer wieder, man solle die alten Zeiten doch endlich ruhen lassen, die Geschehnisse betrafen ja "nur" die Zeiten unserer Großeltern und die jüngere Generation hat daran keine Schuld.


    Aber gerade die politischen Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass man den Finger nicht fest und nicht oft genug in diese alten Wunden legen kann...


    Ich finde Bücher und Filme, die diese Themen zeigen nach wie vor sehr wichtig.

    Lieben Gruß,


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    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Der Punkt ist, hätte man gewusst, dass Dr. Mengele schon lange tot war, dann würde Mord heute noch verjähren. All die Cold Cases in XY wären verjährt. Doch die Vorstellung, dass Doktor Mengele mit seiner Autobiografie eine Lesereise durch Deutschland macht und seine Verdienste und die medizinische Forschung in Ausschwitz verbreitet war der größte, anzunehmende Horror für die deutsche Politik. Ein Mann des Taten als Untaten praktisch nicht beschreibbar sind, durfte nicht der Verfolgung entzogen werden. So mit Otto normal. Nazi hatte die Justiz ja leider keine Probleme aber auch diese Blindheit gegenüber Verbrechen gegen die Menschlichkeit hatte ihre Grenzen. Eine Nora war als Zielperson diese Regelung sicherlich nicht gemeint. Trotzdem freuen wir uns heute darüber, dass die Regelung so allgemein ausgefallen ist.

    Nemo tenetur :gruebel


    Ware Vreundschavt ißt, wen mahn di Schreipfelerdes andereen űbersit :lesend :lesend America against America Wang Huning

  • Besonders berührt mich Leos Werdegang, der ein guter Arbeiter auf dem Hof und später ein ebenso guter Gärtner wird. Immer wieder denke ich mir da verbittert, dass die elenden Nazis Menschen wie ihn als nicht lebenswert erachteten. Da kocht mir das Blut in den Adern!

    Ja, da sprachen wir ja schon in vorherigen Abschnitten drüber ... auch mich hat Leos Werdegang berührt und ich bewundere ihn, für alles was er selbst auf die Beine gestellt hat!

    Und dann, kurz bevor die Freiheit für sie naht, erkrankt Lotte an Tuberkulose. Hier hat mir gefallen, dass sie Nora ermutigt, unter ihrem Namen die Heimreise anzutreten und ihr größter Wunsch ist, dass Ferdinand erfahren soll, dass sie ihn nie verlassen hat. So traurig!

    Ja, das ist wirklich traurig ... GsD hat sie aber nie erfahren, dass Ferdinand gar nicht mehr am Leben war.

    Was mir hier auch gefallen hat ist, dass Mutter Maria Gertens sich letztlich doch eingestehen muss, dass Joop ein feiner Kerl ist. Und dass die beiden 1949 heiraten, nach so vielen Jahren, das freut mich ganz besonders.

    Ja, diese Hochzeit habe ich auch zelebriert und mich sehr für die Beiden gefreut!

    So schön fand ich Gustavs Worte: „Lotte hat Dir ihre Schuhe überlassen, damit Du durchs Leben gehen kannst“

    Das hat mir doch tatsächlich ein paar Tränen in die Augen getrieben 😢 ... ein Ausspruch, der Gänsehaut verursacht ...

  • Also eigentlich beruht 80% der Geschichte auf der Dummheit der Protagonistin Nora nicht gleich nach Workuta einen Anwalt aufzusuchen. Die Tat, die sie ja tatsächlich begangen hat war 1961 verjährt. Da hätte sie noch vor dem 13. August aus dem Osten nach Hause zurückkehren können.

    Für dich, der sich damit auskennt, macht das natürlich Sinn ... aber es eben auch immer schwer Entscheidungen anderer zu beurteilen, finde ich ...