"Brokeback Mountain" - Annie Proulx

  • Titel der Originalausgabe: „Close Range. Wyoming Stories" (ohne das Essay).


    Das Buch wird auf Englisch jetzt auch unter dem Titel „Brokeback Mountain” verkauft, allerdings muss man darauf achten, dass man nicht die Ausgabe erwischt, in der zum gleichen Preis ausschließlich die 50 Seiten lange Geschichte “Brokeback Mountain” enthalten ist. :wow


    Das Buch ist auf Deutsch bereits 1999 unter dem Titel „Weit draussen – Geschichten aus Wyoming“ erschienen (ohne das Essay).


    Zum Buch


    In elf Erzählungen hat Annie Proulx alte Viehzüchterlegenden und moderne Lebensläufe ineinander gesponnen und so ihrer Wahlheimat Wyoming ein Denkmal gesetzt. Liegt es daran, dass die Menschen hier einsamer sind als anderswo? Jedenfalls erzählen sie sich haarsträubende Geschichten, über Pferde, die Menschen fressen, über halbgehäutete Ochsen, die wieder aufstehen und davonlaufen und die Farmer mit einem Fluch belegen. In dieser unwirtlichen, atemberaubenden Gegend, in der unerbittliche Schneestürme, sengende Hitze und sintflutartige Regenfälle das Wetter bestimmen, werden Traditionen hochgehalten, um zu überleben.


    Auch in der mit großer emotionaler Intensität vom Meisterregisseur Ang Lee verfilmten Geschichte „Brokeback Mountain” geht es um Einsamkeit, um das Überleben in einer von starren Regeln bestimmten Welt. Die rauhbeinigen Naturburschen Jack und Ennis werden auf Brokeback Mountain als Schafhirten engagiert. Dann geschieht etwas, das gegen die in diesem Landstrich vorherrschenden Moralvorstellungen verstößt: Die beiden jungen Männer verlieben sich ineinander. Ihre Wege trennen sich, doch sie kommen nicht voneinander los.


    In ihrem Essay „Verfilmt werden”, der hier erstmals in deutscher Sprache vorliegt, beschreibt Annie Proulx eindrucksvoll, mit welchen – teilweise gemischten – Gefühlen sie die filmische Geburt von Jack und Ennis durchlebte. Scharfsinnig analysiert sie die Herangehensweise Ang Lees an ihre Helden und erläutert, warum seine Interpretation von „Brokeback Mountain” sie zutiefst beeindruckt hat.


    Zur Autorin


    Annie Proulx, 1935 in Connecticut geboren, lebt heute in Denver und Wyoming. Für ihre Romane und Erzählungen wurde sie mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, dem PEN/Falkner Award, dem Pulitzerpreis, dem National Book Award sowie dem Irish Times International Fiction Prize.


    Meine Meinung


    Ich lese ja eigentlich gar nicht gerne Kurzgeschichten und habe mir das Buch ja eigentlich nur wegen der einen Kurzgeschichte gekauft, die die Grundlage für den Film „Brokeback Mountain“ geliefert hat. Ich hab jetzt aber doch das ganze Buch gelesen und ich muss sagen, dass es sich gelohnt hat. Manche Geschichten habe ich ehrlich gesagt nicht wirklich verstanden, andere haben mich zutiefst betroffen gemacht und werden mich nicht so leicht loslassen. Die Bilder, die ich bei „In der Hölle will man nur ein Glas Wasser” im Kopf hatte, werde ich wahrscheinlich nie wieder loswerden. :cry Die Stimmung in den Geschichten fand ich ziemlich düster und deprimierend. Immer wieder kommt die Einsamkeit der Menschen durch und die wenigen Wahlmöglichkeiten und die Aussichtslosigkeit.


    Die Sprache Annie Proulxs ist etwas sperrig, finde ich, obwohl ich mich irgendwann eingelesen hatte. Oft gehen die Sätze einfach immer weiter, manchmal musste ich einen Satz mehrfach lesen, weil ich immer wieder das Gefühl hatte, dass ein Wort fehlt. Ich hatte „Brokeback Mountain” (die Kurzgeschichte) schon vor Monaten auf Englisch gelesen und ich fand es so schwierig, dass ich mir das Buch lieber auf Deutsch gekauft habe, auch wenn die Stimmung auf Englisch wahrscheinlich noch besser herüber kommt. Auf Englisch hätte ich mich aber wahrscheinlich nie durch alle Geschichten gekämpft.


    Kritisieren möchte ich die Verkaufsstrategie des Verlages. Als Cover das Filmplakat von „Brokeback Mountain” und der Klappentext erwähnt ebenfalls nur die eine Geschichte und versäumt, darauf hinzuweisen, dass es sich bei „Brokeback Mountain“ nur um eine von elf Kurzgeschichten handelt.
    .

  • Zitat

    Original von Delphin
    Scharfsinnig analysiert sie die Herangehensweise Ang Lees an ihre Helden und erläutert, warum seine Interpretation von „Brokeback Mountain” sie zutiefst beeindruckt hat.


    Ein schönes Kompliment für einen Filmemacher!


    Interessante Rezi. Lesen wollte ich es sowieso, aber nach Deiner Rezi bin ich noch neugieriger darauf. Vor allem, was es mit dieser einen Geschichte auf sich hat. Die muß es ja in sich haben!
    Ausnahmsweise bitte ich nicht um Spoiler. :-]

  • Ich bin sozusagen auch auf das Cover hereingefallen und hab das Buch "im Vorbeigehen" in den Korb gelegt und nicht bemerkt, dass es sich um einzelne Geschichten handelt Fieses Marketing und völlig unnötig, wie ich finde.
    Schon bei der ersten Kurzgeschichte hatte ich so meine Schwierigkeiten mit den Endlossätzen, die sich locker über einen großen Absatz hinziehen können. Ich hab mich jetzt an den Stil gewöhnt. Zum Inhalt selbst werde ich erst nach Beendigung des Buches etwas schreiben.

  • Hi, Delphin,


    danke für die schöne Vorstellung und dafür, daß Du mir die Verwirrung mit Buch zum Film etc. geklärt hast.


    Ich besitze das Buch mit den Erzählungen schon länger, habe aber nioch nicht alle elf gelesen. Sie sind einfach nicht leicht zu schlucken.
    Proulx kommt mir vor wie jemand, die von einem fernen Planeten aus die Erde betrachtet. Sie sieht zuerst die Natur. Ich finde ihre Landschaftsbeschreibungen überwältigend. Diese ganze Kraft, der immense Raum, die Ungerührtheit. Veränderungen sind nur in Jahrtausenden meßbar. Ergeben sich irgendwie, ohne daß klar wird, wodurch und warum. Wind, Schnee, Felsen. Und an keiner Stelle romantisch. Auf eine ganz eigentümlich Weise regelrecht 'gefühhllos'.
    Dann zoomt sie auf die Menschen, die in dieser Weite leben und da passiert eigentlich das Gleiche, nur in ganz kleinem Maßstab. Leben entstehen, vergehen, irgendwie, ohne daß eingegriffen wird. Es ist blutig und grausam, aber es läuft einfach immer weiter. Ich verstehe oft nicht, was ihre Personen ticken läßt. Sie handeln, sind aber zugleich merkwürdig passiv.
    Völlig neue Leseerfahrung.
    Ich drücke es mal vorsichtig aus: das, was ich verstehe, ist großartig. Aber es erschreckt mich.


    Nachdem ich mir zum drittenmal die Zunge verknotet habe, habe ich nach der Aussprache des Nachnamens geguckt: Pru:
    So einfach :bonk


    Nochmal meine Ausgabe:

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Leben entstehen, vergehen, irgendwie, ohne daß eingegriffen wird. Es ist blutig und grausam, aber es läuft einfach immer weiter. Ich verstehe oft nicht, was ihre Personen ticken läßt. Sie handeln, sind aber zugleich merkwürdig passiv.


    Ah...ich glaube, ich komme so langsam hinter die Geschichte mit den Sporen. Genau das Gefühl hatte ich da. Ich hab irgendwie immer auf die große Auflösung gewartet und die kam dann nie, sondern es lief einfach immer weiter.


    :wow

  • Delphin


    was durch die Verfilmung untergegangen ist, ist, daß Proulx 'Kunst macht'. Es ist Literatur, in dem Sinn, daß sie versucht, mit Worten Das Leben abzubilden. So, wie sie es sieht. Das ist hochkomplex, jeder Satz hat etwa sieben Schichten (und wahrscheinlich mehr, aber das gibt man besser nicht zu. Bartimäus sagt ja auch, daß mehr als sieben Dimensionen Angabe sind :grin )


    Über LeserInnen bricht das sehr unvermittelt herein. Es ist n i c h t unterhaltsam, soll es auch nicht sein.
    Es gibt nirgends große Auflösungen, weil es das im Leben ebensowenig gibt. Das Leben geht auch immer weiter, diesen steten Fluß will sie rüberbringen. Ich glaube, daß auch der eigenartige Bau der Sätze damit zu tun. Wobei wahrscheinlich auch der in Wyoming herrschende Sprechststil einfließt. SchriftstellerInnen sind bei so was völlig hemmungslos :cry


    Aber ich war nie dort, noch habe ich US-Englisch richtig im Ohr.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Ich habe von E. Annie Proulx bisher nur das unten genannte und das leider etwas lahme "Postkarten" gelesen, kann aber zumindest ersteres dringend empfehlen (ist m. E. auch verfilmt worden). Proulx verfügt über eine sehr dichte, angemessen bildreiche und stark stimmungstragende Sprache. Nach dem Lesen dieses Buches hatte ich permanent Heißhunger auf Dorsch. Daß sie die Vorlage zu "Brokeback Mountain" verfaßt hat war mir bis dato neu.

  • Zitat

    Original von magali
    Delphin


    was durch die Verfilmung untergegangen ist, ist, daß Proulx 'Kunst macht'. Es ist Literatur, in dem Sinn, daß sie versucht, mit Worten Das Leben abzubilden. So, wie sie es sieht. Das ist hochkomplex, jeder Satz hat etwa sieben Schichten (und wahrscheinlich mehr, aber das gibt man besser nicht zu. Bartimäus sagt ja auch, daß mehr als sieben Dimensionen Angabe sind :grin )


    Find ich nicht, dass das durch die Verfilmung untergegangen ist (oder meinst Du es in dem Sinne, dass es den Leuten, die den Film gesehen haben, unter Umständen nicht klar ist, dass Annie Proulx 'Kunst' macht?). Aus ihrem Essay zur Verfilmung geht schon hervor, dass Ang Lee (und Diana Ossana und Larry McMurtry, die das Drehbuch geschrieben haben) ihre Geschichte so erfasst haben, wie sie gemeint war, inclusive der Vielschichtigkeit.


    Ich glaub, ich bin auf meine eigene Erwartungshaltung hereingefallen: dass eine Geschichte eine Auflösung haben muss, nicht unbedingt ein Happy-End, meinetwegen auch ein Open-End, aber irgendein Ende. Ich weiss grad nicht, wie ich das formulieren soll. :rolleyes

  • Zitat

    Original von Tom
    Proulx verfügt über eine sehr dichte, angemessen bildreiche und stark stimmungstragende Sprache. Nach dem Lesen dieses Buches hatte ich permanent Heißhunger auf Dorsch.


    Shit, ich wünschte, ich hätte nur ein Bild von einem Dorsch im Kopf. In "Brokeback Mountain" beschreibt Annie Proulx alltägliche Grauen derart plastisch, dass ich ganz andere Bilder nicht wieder loswerde. :wow

  • Ja, Delphin,
    ich meinte, daß der Film in LeserInnen falsche Erwartungen in Bezug auf die Erzählungen wecken kann. Es sind keine Cowboy-Geschichten, nicht mal traurige Cowboygeschichten, es ist nicht Portis oder Swarthout und sicher nicht Lassie. Es sind überhaupt keine 'Western'. Wir haben in dem Punkt ein etwas einseitiges Bild, einfach mal so als Feststellung, keine Wertung. Und von daher fand ich es nicht ganz fair.
    Nichts dagegen, den LeserInnen mal so etwas nahezubringen, aber ich fürchte, daß es Schockreaktionen gibt :grin


    Schiffsmeldungen:
    da sind Film und Roman zwei ganz unterschiedliche Dinge.
    Ich glaube, ich mag den Film lieber, aber es fehlen zugegebenrmaßen ein paar Dimensionen.
    Und der Dorsch :lache


    Ich habe es gerade erst gelesen: nein, Delphin, den Dorsch möchtest Du nicht sehen. :lache Ich habe Neufundland von der Liste meiner Reiseziele gestrichen.
    Aber ein tolles Buch!



    (Damit es beim Lesen nicht zu Schockreaktionen kommt, habe ich einige 'da' gestrichen, entschuldigung, bin unkonzentriert. Frühling, Mist!)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Annie Proulx schreibt in dem Essay "Verfilmt werden" übrigens:


    "Obwohl sie [Ennis und Jack] keine echten Cowboys sind (der Begriff Cowboy wird im Westen von Leuten, die auf Ranches arbeiten, gerne verächtlich benutzt), haben Rezensenten die Erzählung als die Geschichte zweier schwuler Cowboys bezeichnet. Das ist sie nicht. Es ist eine Geschichte über destruktive ländliche Schwulenfeindlichkeit."


    Was ich sagen wollte: auch der Film ist keine (traurige) Cowboy-Geschichte.

  • Na, siehste, eben!


    Das ist ja auch ein Thema von ihr, daß Natur nicht romantisch ist und daß das harte Bauernleben die Menschen nicht freundlich macht.


    Ich werde mir den Essay besorgen, danke für den Hinweis.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Dann musst Du den Film aber auch noch sehen, sonst weisst Du gar nicht, warum sie sich über einen gesprenkelten Emaillekaffetopf und einen Spritzer Nagellack an Lureens Finger so freut.


    Ach, ich seh das jetzt erst:


    Zitat

    Ich habe es gerade erst gelesen: nein, Delphin, den Dorsch möchtest Du nicht sehen. Ich habe Neufundland von der Liste meiner Reiseziele gestrichen.


    Und ich hatte grad beschlossen, dass ich in Wyoming nicht begraben sein möchte. :lache

  • Zwei Geschichten habe ich schon gelesen, natürlich "Brokeback Mountain" und ebenso natürlich "In der Wüste will man nur ein Glas Wasser", oder so ähnlich.
    Da sogar meine Borgerin, ein erklärter Proulx-Fan meinte, ich soll sie lieber stückweise lesen, mache ich das eben so. Und auf die beiden war ich am neugierigsten.


    Zu ersterer, interessant. Man füllt beim Lesen automatisch die Lücken durch den Film. Wirklich einer der seltenen Fälle, wo das Lesen danach durchaus Sinn macht, wenn es nicht sogar besser ist. Auffallend ist, daß beide Burschen weit weniger attraktiv hätten sein sollen ... Apropos Burschen, daß sie so jung sind anfangs merkt man im Film eigentlich nicht.
    Und doch, irgendwie fand ich das Buchende fast tröstlicher, als das im Film. Vielleicht, weil die Geschichte mit dem Ende beginnt. Gibt das Sinn?


    Und die andere. Hm, lustig war sie nicht und schon sehr deprimierend, speziell der letzte Satz. Aber, so traumatisch fand ich sie jetzt auch nicht. Was habe ich überlesen, Delphin?


  • Vielleicht ist es weniger das, was da stand, sondern mehr das, was ich da reingefühlt habe.


  • Das Schlimme an dem Absatz mit dem Baby ist, dass ich das auch nur so nebenbei registriert habe, genauso wie sie es schildert. Wird mir grad bewusst. :wow


  • Wird also wohl wirklich spaßig, alle Geschichten zu lesen! :wow