'Leben, um davon zu erzählen' - Kapitel 1 - 2

  • Erst einmal vielen Dank an Wolke für das Einrichten der Leserunde. :anbet


    Noch habe ich erst ein paar Seiten gelesen, da ich auch noch in einem anderen Buch stecke.
    Immerhin habe ich vom Stil schon einen ersten, positiven Eindruck erhalten.


    Der dem Buch vorangestellte Spruch überrascht mich.


    Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben,
    sondern das, was wir erinnern und wie wir es
    erinnern, um davon zu erzählen.


    Gibt sich Marquez damit nicht einen Freischein, sein Leben ggf. auch unwahrheitgemäß zu erzählen? Ist es nicht die Aufgabe eines Autors, der biographisch schreibt, sich möglichst genau zu erinnern und dann doch ein genaues Bild von seinem Leben zu geben?
    Oder ergibt das Erinnern einer Phantasie vielleicht ein besseres Leseergebnis?


    OK, jedes Erinnern ist subjektiv. Und doch bemühten sich viele große Schriftsteller um genaues Darstellen und versuchten, dem Täuschen ihrer Erinnerung auf die Spur zu kommen.


    Was meint ihr?

  • Guten Morgen,


    nachdem ich gestern versucht habe, noch ein paar Seiten zu lesen (und mir nach zweien schon die Augen zugefallen sind, hab im Moment einen 14 Stunden Tag allein für Arbeit, da bleibt nicht viel für anderes), ging mir etwas durch den Kopf, das mein Vater immer von seinem Seniorchef erzählt hat: Es muß nicht alles stimmen, Hauptsache, es hört sich gut an.


    Ich denke, auch, wenn es autobiographisch ist, es ist immer eine subjektive Sicht der Dinge, und außerdem bekommt man mit größerer zeitlicher Entfernung sicherlich einen verklärten Blick auf die Geschehnisse. Und ich muß für mich sagen, daß das völlig ok ist - ich möchte gut unterhalten werden und dabei etwas über das Land und die Leute lernen - und authentisch ist es allemal.


    Ich hoffe, ich komme weiterhin mit, ich lese ja auch Spanisch, ich baue mal auf das Wochenende...

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Guten Morgen,


    ich bin bei dieser Leserunde ja als Gast eingetragen, da ich das Buch schon vor einigen Monaten begonnen hatte. Als ich dann sah, dass es eine Leserunde geben soll, kam mir mein Urlaub gerade recht, um mit dem Buch zu pausieren. Der Schinken wäre mir doch zu schwer für den Koffer gewesen. D.h. also ich versuche mal ganz offiziell mitzulesen, allerdings habe auch ich erst noch ein anderes Buch fertig zu lesen.


    Allerdings möchte ich vorab einen Tipp loswerden: Ich habe nach ein paar Seiten angefangen mir eine Namensliste anzufertigen. Es war nämlich superschwierig noch durchzusteigen, wer wer ist, da viele (gleiche) Namen vorkommen.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar


    Nicht was wir gelebt haben, ist das Leben,
    sondern das, was wir erinnern und wie wir es
    erinnern, um davon zu erzählen.


    :wow Anregung genug für eine ganze Diskussionsrunde.


    Zu deiner Frage, Herr Palomar, ich kann mir vorstellen, dass hier sehr viel an Lebenserfahrung mithineinfliesst, nämlich die Erfahrung, dass die Erinnerung über Jahrzehnte hinweg vieles wandelt, ändert, "bearbeitet",....vielleicht in einem etwas anderen Licht erscheinen lässt.
    Wie oft haben wir selbst schon erlebt, dass wir in der Gegenwart derart abgelenkt waren, dass wir manches erst im Nachhinein realisiert und daraus dann unsere Erinnerung gezimmert haben.


    Muß leider unterbrechen... :wave

  • Hallo und Guten Morgen,


    Mensch, seid ihr schnell! Habe gerade erst das "alte" Buch ausgelesen und die Rezension geschrieben, so daß ich erst heute Nachmittag mit diesem anfangen kann (weil zwischendurch muß auch ein "bißchen" Arbeiten sein).


    Danke Patricia_k34 für den Hinweis der Namensliste - den werde ich gleich ab der ersten Seite befolgen, habe ohnehin ein eher schlechtes Namensgedächtnis.


    Zur Sache möchte ich erst schreiben, wenn ich auch ins Buch hineingelesen habe... Bis denn.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Patricia_k34 , dann ändere ich mal deinen Gast-Status in offizielle Leserundenteilnehmerin!
    Dein Tip mit der Namensliste ist gut. Das ist oft hilfreich, aber ich komme immer erst auf diese Idee, wenn ich bei Büchern schon so weit bin, dass es fast keine Rolle mehr spielt.


    Eli und Caia, Zustimmung!
    Was ich bei autobiographischen Büchern nicht so mag, ist aber die gnadenlose Selbstbeweihräucherung, bei der ein Autor seine Fehler im Leben leichten Herzens runterspielt. Ich denke da z.B. an Günter Grass und manche Stellen seiner Autobiographie "Das Häuten der Zwiebel".
    Bei Leben, um davon zu erzählen habe ich aber bisher ein gutes Gefühl.



    Der junge Marquez war also ein Studienabbrecher. Wohl nicht der einzige unte den Nobelpreisträgern.


    Gabriel Garcia Marquez liest den amerikanische Literaturnobelpreisträger William Faulkner, der komplexe literarische Techniken angewendet und ihn offensichtlich beeinflusst hat.
    Das ist ja auch bekannt. Faulkners fiktives Yoknapatawpha County, dass er in vielen Romanen benutzt entspricht vielleicht in etwa Marquez Macondo, das er in 100 Jahre Einsamkeit entwickelte. Ich bin gespannt, ob Marquez dass in diesen Buch noch erwähnen wird.
    William Faulkner habe ich auch schon einige Male gelesen oder versucht zu lesen, meist jedoch hatte ich bei aller Hochachtung vor den literarischen qualitäten Verständnisprobleme.


    Ich bin gespannt, ob Marquez in diesem Buch weitere literarische Vorbilder verrät.



    Marquez schreibt: … Arhuaco-Indios mit Ingwersäcken auf dem Buckel und kauten Coca-Kugeln, um das Leben abzulenken.
    Hier frage ich mich, ob der Blick von Marquez auf die Indios vielleicht zu eingeschränkt ist. So allenstehend klingt der Satz nach Vorurteil.
    Ich zweifle nicht, dass die Indios bei ihren schlechten Lebensbedngungen Cocakugeln kauten, aber das machte ihr Leben vermutlich nicht vollständig aus. Ich schätze, Marquez hatte keinen weiteren persönlichen Kontakt zu den Indios.

  • Jetzt hatte ich eine so schöne Antwort geschrieben, und habe sie versehentlich zurückgesetzt :cry


    Tja, so 'n Pech auch.


    Also - zum Thema


    Mein Buch ist gestern nachmittag auch endlich eingetrudelt und ich habe sogar schon 2 Seiten gelesen, danach haben mich die Kids nicht mehr gelassen.


    Zu der Sache mit der Erinnerung - Erinnerungen wandeln sich im Laufe der Zeit. Farben verblassen, Gerüche werden weniger intensiv, anders. Das ist ganz normal. Ich sehe darin keine Freifahrtschein zur Unwahrheit. Zumindest nicht solange die Erinnerungen nicht komplett verdreht, und am Ende ein ganz anderes Menschenbild zustanden gekommen ist.

  • @ Silly
    Das kenne ich nur zu gut. Drum habe ich mir inzwischen angewöhnt, längere Posts in der Textverarbeitung zu schreiben und zu speichern; erst dann kopiere ich hierher. Wenn ich dann hier versehentlich den falschen Button erwische, ist der Text immer noch da. Hat mir schon ein paar mal geholfen!




    Ich habe jetzt wenigstens ein paar wenige Seiten gelesen. Dank an Herrn Palomar für den Hinweis auf den Spruch; das sind normalerweise die Stellen, die ich übersehe bzw. überlese.


    Jetzt muß ich schon die erste Lesepause machen, und erst mal darüber nachdenken.
    Je mehr ich darüber nachdenke, je mehr muß ich dem Motto aber zustimmen. Im Rückblick besteht das Leben wirklich aus dem, was wir erinnern, und nicht aus dem, was wir gelebt haben. Und das kann bei jedem Menschen anders sein. Das habe ich vor sehr vielen Jahren ganz konkret erlebt. Als ich elf Jahre alt war und abends mit dem Bus vom Schulschwimmen nach Hause kam, wurde ich an der Bushaltestelle von meiner Mutter und meinem kleineren Bruder abgeholt. Es waren noch eine andere Mutter mit ihren beiden Söhnen da, die dann mit meinem Bruder um die Wette liefen. Es kam zu einem schweren Verkehrsunfall, in dessen Folge einer der Jungen lange im Krankenhaus lag (hat aber überlebt). Was ich heute noch nicht verstehe ist, daß mein Bruder vom ganzen Ablauf eine teilweise andere Beschreibung gegeben hat als ich es entsinne. So haben wir von dem gleichen Ereignis zwei verschiedene Erinnerungen.


    Insofern halte ich das Motto nicht für einen Freifahrtschein, sondern eher für den Hinweis darauf, daß Erinnerung subjektiv und bei jedem anders ist, selbst für das selbe Ereignis.



    Ansonsten, auch wenn ich noch nicht weit bin, bin ich sehr angenehm überrascht. Es ist das erste, was ich von Marquez lese, und er hat mich sofort gefangengenommen. Wenn er bei diesem Stil bleibt, werde ich wohl noch mehr von ihm lesen müssen.


    Doch jetzt muß ich erst mal unterbrechen. Aus dem angedachten Fernsehabend wird wohl eher ein Leseabend...

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Im Rückblick besteht das Leben wirklich aus dem, was wir erinnern, und nicht aus dem, was wir gelebt haben. Und das kann bei jedem Menschen anders sein.


    Ich sehe es genauso.


    Habe das Buch auch schon angefangen zu lesen (24 Seiten) und als erstes fiel mir der Buchdeckel mit der Kolumbienkarte auf. Finde ich eine gute Sache. Ich gucke dann gerne auf der Karte nach, wie die Reise verlaufen ist. :-)


    Der Schreibstil des Autors gefällt mir gut. Ist flüssig zu lesen. (Das macht mir Hoffnung das ich noch die anderen Bücher bei mir im Regal von Marquez lesen werde :-))

  • Zitat

    Original von Vivian
    ...als erstes fiel mir der Buchdeckel mit der Kolumbienkarte auf. Finde ich eine gute Sache. Ich gucke dann gerne auf der Karte nach, wie die Reise verlaufen ist. :-)


    :write
    Mach ich genauso! :-)

  • Stichwort Landkarte: zum Glück ist im Buch eine dabei, in meiner Ausgabe sind sogar zwei, die ich immer wieder konsultiere. Und morgen werde ich wohl auch mal meinen Atlas zu Rate ziehen und mir die Geographie zu Gemüte führen.


    Zitat

    Herr Palomar
    Marquez schreibt: … Arhuaco-Indios mit Ingwersäcken auf dem Buckel und kauten Coca-Kugeln, um das Leben abzulenken.
    Hier frage ich mich, ob der Blick von Marquez auf die Indios vielleicht zu eingeschränkt ist. So allenstehend klingt der Satz nach Vorurteil.


    Vorurteil - ich weiß nicht so recht. Ich habe mich vor einiger Zeit (na ja, sind auch schon wieder über zwei Jahre) mal etwas mit der Thematik Indianer und so befaßt (war zwar eher Nordamerika, aber vieles dürfte vergleichbar sein); aus der Erinnerung daran heraus klingt das durchaus glaubwürdig.



    Nochmals zu dem Motto. Auf Seite 26 (ich habe die TB-Ausgabe) fand ich den Satz: Wie immer hatte die Nostalgie die schlechten Erinnerungen gelöscht und die guten verherrlicht. Das ist doch in anderen Worten genau das, was als Spruch am Beginn des Buches zu finden ist. Und je mehr ich über das Buchmotto nachdenke, um so mehr komme ich zu dem Schluß, daß es sehr zutreffend ist.



    Schließlich: das ist so ziemlich das erste Buch eines Schriftstellers aus dem spanischsprachigen Raum, welches ich lese (von einem Thriller mal abgesehen); mir fehlt also die Vergleichsmöglichkeit. Ich habe das Gefühl, daß es eine ganz andere Art zu erzählen ist, wie z. B. im englischsprachigen; irgendwie blumiger, farbiger, lebendiger. Es erinnert mich (bei aller kulturellen Differenz) eher an orientalische Erzählweise (habe für diese Leserunde ein Buch eines arabischen Autors unterbrochen, so daß mir diese Schreibart noch gut im Gedächtnis ist).
    Empfinde ich das nur so, ist das nur typisch für Marquez oder liege ich ganz daneben? Das würde mich mal interessieren.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Schließlich: das ist so ziemlich das erste Buch eines Schriftstellers aus dem spanischsprachigen Raum, welches ich lese (von einem Thriller mal abgesehen); mir fehlt also die Vergleichsmöglichkeit. Ich habe das Gefühl, daß es eine ganz andere Art zu erzählen ist, wie z. B. im englischsprachigen; irgendwie blumiger, farbiger, lebendiger.


    Ich lese ja nun viel Spanische Autoren, obwohl ich mich zum ersten Mal an ein Original getraut habe - aber im Moment hakt es, ich hab zu wenig Zeit, ich hoffe mal auf das Wochenende.


    Aber vom Stil her finde ich diese Bücher immer viel schöner als die (original)-Englischsprachigen. Und der arabische Einfluß läßt sich in ganz Spanien nicht verleugnen, denn Spanien war 500 Jahre maurisch - und das so etwas an einer Kultur, die sich dann nach Südamerika ausbreitet, nicht spurlos vorbeigeht, finde ich nur logisch.


    Zitat

    als erstes fiel mir der Buchdeckel mit der Kolumbienkarte auf.


    :fetch :fetch :fetch Warum hab ich keine??? Mist, ich sollte mal meinen Atlas suchen!!!

    :lesend Anthony Ryan - Das Heer des weißen Drachen; Navid Kermani - Ungläubiges Staunen
    :zuhoer Tad Williams - Der Abschiedsstein

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Vorurteil - ich weiß nicht so recht. Ich habe mich vor einiger Zeit (na ja, sind auch schon wieder über zwei Jahre) mal etwas mit der Thematik Indianer und so befaßt (war zwar eher Nordamerika, aber vieles dürfte vergleichbar sein); aus der Erinnerung daran heraus klingt das durchaus glaubwürdig.


    Der mitleidige Blick von Gabriel Garcia Marquez auf die Indios war nur ein nebensächlicher Satz, macht aber schon deutlich, dass das Leben der Indios in Kolumbien vermutlich schwer war.
    Bei Mario Vargas llosa sind mir abfällige Bemerkungen über die Indios schön öfter aufgefallen.



    Zum Stil:
    farbig und lebendig: Auf´jeden Fall!
    Aber bei blumig bin ich nicht so sicher. Da ist mancher arabischer Autor sicherlich noch blumiger.
    Dieser Stil von Gabriel Garcia Marquez gefällt mir sehr gut, aber ich finde ihn noch relativ verhalten und die Elemente des magischen Realismus, der den Stil beeinflußt werden bis jetzt im Vergleich zu den anderen Romanen ja nur angedeutet.



    Inhaltlich zum ersten Kapitel, das ich abgeschlossen habe, fällt mir besonders folgendes auf:
    Mit Doktor Alfredo Barboza, von dem Marquez als Junge eingeschüchtert war, stellt er eine beeindruckende Figur vor, die fast aus einem seiner großen Romane entsprungen sein könnte.
    Seine Figuren machen oft den Eindruck, als hätten sie chronisch Fieber.


    Auch Marquez willensstarke Mutter Luisa gefällt mir ganz gut.
    Dass sie und Marquez Vater die Vorbilder für das Liebespaar in Die Liebe in den Zeiten der Cholera waren, hat mich überrascht.
    Im Buch kommen die Protagonisten doch erst spät zusammen.


    Marquez lässt sich von seiner Entschlossenheit, Schriftsteller zu werden nicht abbringen.
    Also muss man wohl schon von Anfang an fest von seinen Talent und seinen Fähigkeiten überzeugt sein, um es zu schaffen.

  • Zitat

    Herr Palomar
    Der mitleidige Blick von Gabriel Garcia Marquez auf die Indios war nur ein nebensächlicher Satz, macht aber schon deutlich, dass das Leben der Indios in Kolumbien vermutlich schwer war.


    Ich glaube, das Leben der Indios ist schwer - nicht nur in Kolumbien, sondern überall, wo sie „eigentlich“ zu Hause sind. Meine diesbezüglichen Bücher sind derzeit in Kisten und nicht zugänglich, da ich komplett umräumen muß. Vielleicht komme ich noch dazu, ein paar aktuelle zu dieser Thematik herauszusuchen, wenn es jemand interessiert.



    Stil:
    Als ich das gestern Abend geschrieben habe (man beachte die Uhrzeit!) war ich recht müde und wollte meine Gedanken nur noch los werden, ehe sie „versacken“. Drum habe ich vielleicht nicht ganz die treffende Wortwahl gefunden.



    Oh je, ich hatte gedacht, das wäre ein guter Einstieg in das Werk dieses Schriftstellers. Aus Deinem Post entnehme ich, daß es wohl günstig ist, schon einiges vom ihm gelesen zu haben. Na ja, dann weiß ich bei seinen nächsten Romanen, woher die Gestalten kommen - auch was wert.



    Ich bin noch mitten im ersten Kapitel (ich habe gestern dann wegen Müdigkeit aufgehört, und heute hatte ich noch keine Zeit - das Büro hat zu laut gerufen). Aber ich mußte nochmals an die Diskussion wegen des Mottos denken. Und zwar an der Stelle:

    Zitat

    Buch S. 48 (Fischer-TB Ausgabe)
    Und erst recht, weil ich darauf bestand, dass der Grund für meine Unruhe nicht der Ekel vor meiner eigenen Notdurft war, sondern die Angst, den neuen Strampelanzug zu beschmutzen. Das heißt, es ging nicht um ein hygienisches Vorurteil, sondern um ein ästhetisches Ärgernis, und so wie es mir der Form nach im Gedächtnis geblieben ist, glaube ich, dass dies mein erstes Erlebnis als Schriftsteller war.


    Bei allem Respekt - aber das dürfte doch eher auf der Erinnerung der Umgebung denn auf eigener beruhen. Meine früheste Kindheitserinnerung geht zurück, als ich etwa vier Jahre alt war, und es sind auch nur zwei Szenen. Dann erst wieder, als ich etwa fünf und im Kindergarten war.


    Ob es doch ein „Freischein“ ist, wie Herr Palomar früher gesagt hat?


    Mal sehen, ob noch mehr solcher „Erinnerungen“ kommen; wenn ja, neige ich doch eher der Ansicht zu, daß Herr Palomar mit seiner Einschätzung recht hat.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Mir gefallen Titel und Motto des Buches sehr gut. Ich sehe es so wie SiCollier, dass das Leben aus dem besteht, was wir erinnern und wie wir es erinnern. Dabei gibt es meiner Meinung nach kein richtig und falsch, sondern jeder konstruiert sich seine Wirklichkeit letztlich selbst.


    Der Titel ist noch ein bisschen radikaler. Leben wir wirklich, um davon zu erzählen?

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Oh je, ich hatte gedacht, das wäre ein guter Einstieg in das Werk dieses Schriftstellers. Aus Deinem Post entnehme ich, daß es wohl günstig ist, schon einiges vom ihm gelesen zu haben.


    Eigentlich finde ich das Buch bisher erstaunlich eigenständig!
    Ab und zu gibt es zwar einen Aha-Effekt, wenn Bezüge zu seinen Romanen hergestellt werden, aber diese Momente sind nach meinem Gefühl bisher eher rar!


    Zitat

    Original von taki32
    Der Titel ist noch ein bisschen radikaler. Leben wir wirklich, um davon zu erzählen?


    Ich könnte mir vorstellen, dass so eine Aussage wohl vor allen auf Schriftsteller zutrifft. Vielleicht will Garcia Marquez mit diesen Titel auch ein wenig die Leser locken. :grin




    S.29: Garcia Marquez fährt im Zug an einer Bananenplantage vorbei und liest dort den namen Macondo. Den poetischen Klang dieses Wortes beeindruckt ihn so, dass er es als Titel eines imaginären Ortes gleich mehrfach in Romanen benutzt.
    Hmm, vielleicht sollte man öfter an Bananenplantagen vorbeifahren, um sich inspirieren zu lassen. :grin

  • Was für eine Sprachgewalt!


    Ich habe bis jetzt schon mehrfach einige Passagen wiederholt gelesen und jedesmal wieder zergehen sie mir auf der Zunge. Z.B. die drei Schlüsselsituationen, wie sich Gabo´s Eltern kennengelernt haben.
    Eine andere Stelle, die mir auch besonders gut gefallen hat, sind ...die badenden Mädchen im eiskalten Wasser...und ist auf S.25 nachzulesen.
    Ich weiss nicht, wie es euch geht, aber ich kann mir Aracataca bildlich vorstellen, spüre den Staub, Sand, sehe verfallene "Häuser" und stelle mir nur sehr ungern vor, dort seine Kindheit zu verbringen.


    Überraschungen stecken in manchen eigentlich nebensächlichen Details, so wie die von Marquez erwähnte Pünktlichkeit der Kolumbianer. Die Uhren der Ortschaften wurden angeblich nach der Einfahrt des Zuges gestellt.
    Kann ich mir zwar nur schwer vorstellen, aber man ist ja selbst in Vorurteilen verhaftet. :grin


    Eine Art Weiterführung des bereits diskutierten Vorworts liest sich dann in folgendem Satz: "Wie immer hatte die Nostalgie die schlechten Erinnerungen gelöscht und die guten verherrlicht." Daraus folgen dann natürlich die Erinnerungen an bessere Zeiten.
    Das könnte jetzt heissen, dass das, woran ich mich erinnere, in sich gesehen "gut" ist, sonst wäre es nicht so in Erinnerung geblieben und wir könnten nicht darüber erzählen.... ?(

  • Zitat

    SiCollier:
    Ich glaube, das Leben der Indios ist schwer - nicht nur in Kolumbien, sondern überall, wo sie „eigentlich“ zu Hause sind. Meine diesbezüglichen Bücher sind derzeit in Kisten und nicht zugänglich, da ich komplett umräumen muß. Vielleicht komme ich noch dazu, ein paar aktuelle zu dieser Thematik herauszusuchen, wenn es jemand interessiert.


    Das Leben der Indios würde mich schon sehr interessieren. Wäre klasse wenn Du diesbezüglich ein paar Buchtitel auf Lager hättest (die sich lohnen zu lesen). :wave


    In dem Buch fand ich es auch ganz schön schockierend, dass die Indios trotz Abschaffung der Sklaverei immer noch verkauft wurden. Sie waren ganz schön benachteiligt.


    Zitat

    Buch Seite 56 unten:
    Nur so lässt sich der Horror der Schwarzen Nacht von Aracataca erklären, ein legendäres Blutbad, das eine so ungewisse Spur im Gedächtnis des Volkes hinterlassen hat, dass es keinen sicheren Beweis dafür gibt, ob es tatsächlich stattgefunden hat.


    ... wo wir wieder beim Thema erinnern wären. Habe mehrere Stellen gefunden, wo Marquez sinngemäß schreibt, dass es keine sicheren Beweise gibt, ob etwas tatsächlich stattgefunden hat.


    Meiner Meinung nach ist das Buch mehr eine Geschichte als eine Biographie. Denn die Sache mit dem Baby, wo Marquez glaubt sich an seine ersten Jahre zu erinnern, kann ich auch nicht glauben.


    Zitat

    Herr Palomar:
    Eigentlich finde ich das Buch bisher erstaunlich eigenständig!


    Ich habe noch andere Bücher von Marquez zu Hause. Sollte man sie in einer bestimmten Reihenfolge lesen ?