Schilf - Juli Zeh

  • Inhalt (laut Klappentext):


    "Wir haben nicht alles gehört, dafür das meiste gesehen, denn immer war einer von uns dabei. Ein Kommissar, der tödliches Kopfweh hat, eine physikalische Theorie liebt und nicht an den Zufall glaubt, löst seinen letzten Fall. Ein Kind wird entführt und weiß nichts davon. Ein Arzt tut, was er nicht soll. Ein Mann stirbt, zwei Physiker streiten, ein Polizeiobermeister ist verliebt. Am Ende scheint alles anders, als der Kommissar gedacht hat - und doch genau so. Die Ideen des Menschen sind die Partitur, sein Leben ist eine schräge Musik.So ist es, denken wir, in etwa gewesen."
    Mit diesen Worten beginnt eine unerhörte Kriminalgeschichte, die der Gegenwart und dem Leser alles abverlangt. Juli Zeh, eine der aufregendsten und intelligentesten Autorinnen ihrer Generation, entwirft in ihrem dritten Roman das Szenario eines Mordes, wie wir es uns bisher nicht vorstellen konnten. Virtuos, sinnlich, rasant, erbarmungslos und scharfsinnig treibt sie ihre Geschichte bis zum grotesken Finale und erklärt ganz nebenbei das physikalische Phänomen der Zeit.


    Meine Meinung:


    Juli Zehs neuer Roman verlangt dem Leser in der Tat einiges ab. Die Autorin veranstaltet darin eine regelrechte Metaphern-Orgie. Die Bilder gehen nahtlos ineinander über, kaum hat man eines erfasst, drängelt sich bereits das nächste auf die literarische Bühne, noch ein Stückchen wuchtiger und aufdringlicher als das vorige. Zehs metaphorische Sprache, die mir bei Adler und Engel und Spieltrieb sehr imponiert hat, gerät hier zu einer permanenten Reizüberflutung und verhindert, dass einzelne Bilder im Gedächtnis haften bleiben.
    Inhaltlich kreist der Roman um erkenntnistheoretisch-physikalische Aspekte, jedoch ohne das Kind beim Namen zu nennen. Vielleicht erfordert Schilf einen klügeren Leser als mich, allerdings habe ich den Eindruck, dass die unzähligen Metaphern, mit denen der Leser bombadiert wird, womöglich davon ablenken sollen, dass die Autorin selbst nicht wusste, worauf sie eigentlich hinaus will.
    Die Figuren sind leblose Hüllen, wirken wie aus Klischee-Versatzstücken zusammengezimmert und das Ende kommt konstruiert und theatralisch daher.


    Fazit: Anstrengende, unergiebige Lektüre.

  • Was ich an diesem Buch schätze, ist dass ein durchgängiger Lesefluss nicht möglich ist. Teils stellen sich einzelne Wörter quer, manchmal sind es aber auch Sätze und ganze Abschnitte.
    Wie oft habe ich beim Lesen innegehalten und den Fehler gesucht, weil mir irgendetwas im Satzaufbau nicht richtig erschien. Aber letztendlich stimmte es immer.
    Sprachlich ist das Buch durchaus ambitioniert, dies für mich im positiven Sinne.


    Ich gebe offen zu, dass die erkenntnistheoretisch-physikalischen Aspekte nur sehr rudimentär meiner eigenen Erkenntnis zugetragen werden konnten. Aber das ist sekundär. Ich habe beim Lesen gern das Gefühl, das es mehrere Ebenen gibt, doppelte Böden, die ich nur erahnen kann.


    Die Handlung ist spannend geschildert. Es gibt viele Bilder, die sich ändern und man kann versuchen, diese in den Handlungsablauf einzupassen. Mit teilweise mäßigem Erfolg. Bonnie und Clyde und Sägemehl.


    Und letztlich ist doch alles ein Missverständnis. :-)

  • Hallo und guten Tag allerseits. Ich bin neu hier und möchte gern etwas zu diesem Buch sagen, das ich gestern ausgelesen habe, in der Hoffnung, dass ich es auch gebacken bekomme und alles richtig hier reinstelle:


    Ein spannendes Thema und eine glänzende Autorin. Da konnte wohl wenig schief gehen. Dieses Buch wollte ich haben, auf dieses Buch habe ich mich gefreut. Im Klappentext wurde ein mitreißender Krimi versprochen und außerdem sollte der Leser ganz nebenbei das Phänomen der Zeit erklärt bekommen. Nun, nachdem ich mich durch das Werk gekämpft habe, fühle ich mich weder berührt noch klüger. Nur erleichtert, dass ich es endlich weglegen und ein anderes anfangen kann. Woran liegts?
    Sebastian und Oskar haben gemeinsam Physik studiert und waren untrennbar verbunden in ihrer Genialität und in ihrem wissenschaftlichen Disput über die Weltformel. Dann entdeckt Sebastian die andere Seite des Lebens, heiratet und bekommt einen Sohn. Von da an sehen sich Oskar und Sebastian nur noch selten. Dann wird Sebastians Sohn entführt und Sebastian erpresst. Der Preis für seinen Sohn ist ein Mord. Mit einem über die Straße gespannten Drahtseil köpft er einen Radfahrer. Das klingt erst mal recht spannend. War es bis zu dem Punkt auch. Seltsamerweise verlieren die Figuren aber mit jeder Seite an Farbe und Substanz. Und das Buch hat viele Seiten. Viel zu viele, wie ich finde. Der Text verliert sich ständig in nebulösen Andeutungen, so dass ich nach einiger Zeit das Gefühl hatte, mich in einem zähen Traum zu bewegen, der keinen rechten Inhalt mehr hat und in dem ich immer nur ahne was passiert. Das mag stellenweise spannend sein, ist auf Dauer leider sehr anstrengend und ermüdend, noch dazu wenn die Figuren mich nicht erreichen und es einfach keine erlösende Aufklärung gibt. Die häufig dazwischen gestreuten Abhandlungen über Physik und Zeit und Viele-Welten-Theorie muten wie Vorlesungen an. Das passiert keineswegs nebenbei, wie versprochen, sondern äußert vordergründig und reichlich unmotiviert. Auch werden wiederum bei diesem Thema mehr Dinge erklärt, als einer Erklärung bedürfen. Den Doppler-Effekt kennen wir alle. Ich habe mir von dem Buch auch keine trockenen wissenschaftlichen Abhandlungen erwartet sondern eine philosophische Umsetzung des Themas. Störend sind auch die überladenen Metaphern, die einen Hang ins Lächerliche haben und die Sprache antiquiert wirken lassen. Und zum Schluss das Finale, das ich natürlich nicht verraten möchte. Das hat mich leider sehr enttäuscht. Klar ist der Zufall immer eine wichtige Komponente in einem Krimi, aber in diesem Fall doch arg konstruiert und irgendwie kleinmütig.
    Um nochmal auf meine Frage vom Anfang zurück zu kommen: Woran liegts, dass mich das Buch weder berührt noch klüger gemacht hat? Die belehrenden Passagen waren so trocken, dass ich sie dann nur noch überflogen habe, die Menschen blieben blass und ohne Seele, ihr Schicksal ist mir am Ende piepegal gewesen.

  • :gruebel ich bekomme schon beim Lesen der Rezi wiedersprüchliche
    Gefühle, hm... Vielleicht kommen noch weitere Meinungen dazu.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Die verschiednen Meinungen zu dem Buch widersprechen sich gar nicht, wie ich finde. Friderike hat recht, das Buch ist ambitioniert, aber für mein Gefühl eben überambitioniert. Man merkt jedem Satz das Bemühen um krampfhafte Originalität an. Und mir ging es auch so wie ihr, ich musste viele Sätze mehrmals lesen, weil sie mir falsch vorkamen. Aber sie waren nicht falsch, nur gekünstelt. Ich mags irgendwie ehrlicher und direkter. Und das ist dann wirklich Geschmackssache. Ich habe übrigens selten für ein Buch so lange gebraucht. Ich hatte es mir im Sommer geholt und zwischendurch immer wieder was andres eingeschoben, weil ich es so anstrengend und wenig anziehend fand. Schlecht habe ich es allerdings nicht gefunden.

  • Freitag
    Hast du Recht, die Meinungen zu dem Buch widersprechen
    sich auch nicht, ich habe gesagt,
    beim Lesen der Rezi- bekomme ich wiedersprüchliche Gefühle. :gruebel
    Es ist eine Kriminalgeschichte (Krimis an sich mag ich selten)

    Zitat

    Inhaltlich kreist der Roman um erkenntnistheoretisch-physikalische Aspekte, jedoch ohne das Kind beim Namen zu nennen.


    Das hört sich schon eher interessant an.
    Dass die Abhandlungen über Physik und Zeit, jedoch, in eine typische Mord-Geschichte miteinbezogen wurden, ist mir eher ungewöhnlich.
    Daher auch meine Überlegung: ich weiss es noch nicht,
    ob das Buch was für mich wäre,
    deswegen hätte ich mich auch über weitere Meinungen von Eulen gefreut.

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Zitat

    Original von Freitag
    ,,, ich könnte mir vorstellen, dass dieses Buch spaltet.


    Das denke ich eben auch und warte gespannt auf andere Meinungen. :wave

    Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen,

    der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig. :lesend
    Ernst R. Hauschka

    Liebe Grüße von Estha :blume

  • Titel: Schilf
    Autorin: Juli Zeh
    Verlag: btb
    Erschienen: Mai 2009 als Taschenbuch
    Seitenzahl: 380
    ISBN-10: 3442738067
    ISBN-13: 978-3442738069
    Preis: 9.00 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Sebastian kann mit seinem Leben mehr als zufrieden sein. Vielleicht hat er ein bisschen zu viel von seinem physikalischen Talent zugunsten seiner Familie aufgegeben. Sein alter Freund Oskar, auch er ein Genie der theoretischen Physik, erinnert ihn zuweilen daran. Als Sebastian seinen Sohn in ein Ferienlager fahren will, findet er sich unversehens in einem Alptraum wieder. Der Sohn wird entführt, und er bekommt ihn erst wieder, wenn er einen Mord begeht.


    Die Autorin:
    Julia Zeh, 1974 in Bonn geboren, Jurastudium in Passau und Leipzig, Studium des Europa- und Völkerrechts. Längere Aufenthalte in New York und Krakau. Ihr Roman "Adler und Engel" (2001) wurde zu einem Welterfolg und ist mittlerweile in 24 Sprachen übersetzt. Juli Zeh wurde für ihr Werk vielfach ausgezeichnet, u. a. mit dem "Deutschen Bücherpreis" (2002), dem "Rauriser Literaturpreis" (2002), dem "Hölderlin-Förderpreis" (2003), dem "Ernst-Toller-Preis" (2003) und dem "Carl-Amery-Literaturpreis" (2009). Sie lebt heute in Leipzig.


    Meine Meinung:
    Juli Zeh schafft es ihre Leser mit diesem Buch ordentlich zu unterhalten. Sie hat einen raffinierten Kriminalroman geschrieben, obwohl es diesem Buch nicht gerecht wird, würde man es ausschließlich als Kriminalroman bezeichnen. Es ist vielmehr ein zeitgenössischer Roman unterlegt mit einer Kriminalhandlung, die aber nicht unbedingt im ausschließlichen Mittelpunkt dieser Geschichte steht, sondern wohl eher Mittel zum Zweck ist, bei dem Versuch, dem Leser unter anderem auch physikalische Zusammenhänge zu erklären und deutlich zu machen. Es ist ein durchaus kurzweiliges Buch, dessen Schluss allerdings leider nicht so zu überzeugen vermag. Man erwartet als Leser ganz mehr als dann letztendlich aufgetischt wird. Durch den Aufbau der Geschichte ist die Erwartungshaltung des Lesers schon beträchtlich im Hinblick auf das Ende des Buches. Das Ende des Buches wird dann ein wenig hastig abgehandelt; da fällt dann ein wenig der Erwartungshaltung ganz einfach in sich zusammen. Dieses Buch ist sicher keine Enttäuschung – die ultimative Leseerleuchtung ist es aber auch nicht. Guter Durchschnitt, ein paar Stunden ganz nette Unterhaltung.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich reihe mich mal ein in die vom Buch eher nicht so Begeisterten. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, es ist alles ein bisschen zu viel. Die vielen Metaphern waren teilweise sehr interessant und bezeugten eine schöne Sprache, aber manchmal waren es einfach zu viele, sodass sie mir nur auf die Nerven gingen. Auch die Charaktere fand ich schwierig. Erst Oskar und Sebastian - ok - aber dann kam die Beschreibung von Rita Skura und ich dachte nur, das ist einfach zu übertrieben.


    Ansonsten hatte ich wohl mehr Spannung erwartet. Im ersten Kapitel fragte ich mich noch, was uns die Autorin damit sagen wolle, dann wurde es spannender, aber der Höhepunkt war doch bald überschritten und es folgten seitenweise Beschreibungen, bei denen ich mich fragte, was ich damit anfangen solle und wann es denn endlich mit der Handlung weitergehe. Außerdem finde ich, dass der Prolog schon zu viel verrät.


    Generell interessant war aber der Aufbau: die Einteilung in Kapitel, die dann immer 7 Abschnitte haben, bis auf das letzte. Und auch den Kapiteln Überschriften zu geben ist ansich eine gute Idee.


    Und wie schon von anderen hier angemerkt, mit dem hastigen, konstruierten Ende war ich dann auch nicht ganz zufrieden.


    Zitat

    Original von Freitag
    Der Text verliert sich ständig in nebulösen Andeutungen, so dass ich nach einiger Zeit das Gefühl hatte, mich in einem zähen Traum zu bewegen, der keinen rechten Inhalt mehr hat und in dem ich immer nur ahne was passiert.


    Das habe ich auch so empfunden. Das mag persönliche Vorliebe sein, aber ich habe es lieber, wenn mir eine Geschichte richtig erzählt wird und ich mich nicht immer nur auf Andeutungen stützen muss.


    Zwischendurch habe ich überlegt, ob ich es wirklich weiterlesen will, habe das dann aber auch getan. Es gibt bestimmt Menschen, die damit einfach mehr anfangen können als ich.

  • Physiker Sebastian steckt in der Klemme: Sein Sohn Liam wurde entführt und er bekommt ihn nur unversehrt zurück, wenn er dafür einen Arzt ermordet. In seiner Verzweiflung lässt sich der Wissenschaftler darauf ein, doch dadurch wird alles nur viel komplizierter. Und das buchstäblich in mehreren Dimensionen. "Schilf" ist kein Krimi, obwohl der Roman in dieser Kategorie eingeordnet ist, sondern ein langsam erzähltes Drama mit Science-Fiction-Elementen, voller theoretischer und philosophischer Gedankengänge. Aus dem Grund taucht der ermittelnde und titelgebende Kommissar Schilf erst nach dem ersten Romandrittel auf und spielt auch sonst meist eine eher untergeordnete Rolle. Stattdessen gibt es neben intensiven Charakterstudien haufenweise bedeutungsschwangere Dialoge und Gedankenspiele über Physik, Zeit und Viele-Welten-Interpretationen (Multiversen). Sätze wie „Materie ist nicht mehr als die Idee des Beobachters“ erinnern stark an die TV-Serie "Dark". Dazu gibt es viele Beschreibungen von Gebäuden und Umgebung sowie etliche schöne Umschreibungen wie „Es ist das Wartenden eines Fallenden auf einen Aufschlag, der nicht kommt“ oder „Die Kette der Sekunden zerfällt zu winzigen Teilchen.“ Das alles wertet die eher zähe und unspektakuläre Geschichte etwas auf, kann meiner Meinung nach aber nicht alles herausreißen.