Was ist Kitsch?

  • Immer mal wieder wird ein Buch kitschig genannt? Was ist das eigentlich?


    Besonders häufig scheint es mir bei Büchern mit dem Thema Liebe aufzutreten, aber genauso bei allen anderen Themen, sei es Nationalsozialismus, Krimis usw.


    Es ist ja auch nicht nur eine Sache der Sprache, Groschenromane müssen nicht zwangsläufig kitschig sein, genauso wenig, wenn nur Klischees bedient werden, etwas vorhersagbar oder oberflächlich ist.


    Geht ihr da also ganz nach eurem Gefühl oder habt ihr Kriterien dafür...?


    LG

  • Zitat

    Kitsch steht zumeist abwertend gemeinsprachlich für einen aus Sicht des Betrachters emotional minderwertigen, sehnsuchtartigen Gefühlsausdruck.


    Wenn ich etwas als kitschig empfinde, so sind das meist Liebesromane, vor allem so genannte Groschenromane, Arztromane, Heimatromane, eben solche Heftromane und Nackenbeißer. Kitschig bedeutet für mich nicht nur trivial und sentimental, wie die oben genannte Definition von Wikipedia darstellt, sondern einfach "überbordent", zuviel. Zuviel in Richtung von Beschreibungen eines Gemütszustandes, im Sinne von übertriebenen Vergleichen, einsetzen von Plattitüden oder von Klischees.


    Für mich ein sehr markantes Beispiel sind die Liebesromane von Hedwig Courts-Mahler: Eine sozial benachteiligte, zumeist weibliche, Person kommt in den Genuss durch einen Zufall einen reichen Mann kennen zu lernen, der natürlich an eine Frau seines Standes durch Verlobung / Beziehung / Ehe gebunden ist. Trotz des sozialen Unterschiedes finden sie zueinander, egal welche Stolpersteine es zwischen ihnen gab - Intrigen seitens ehemaliger Partner oder Freunde einer beteiligten Person. Natürlich ist die weibliche Protagonistin immer eine Mary Sue, sprich ein perfekter Charakter: bescheiden, liebesvoll und zärtlich im Umgang mit anderen Menschen und Tieren, mit einem großen Sinn für Gerechtigkeit et cetera.


    Das sind (für mich wohlgemerkt) triviale, klischeebelastete Geschichten; uninnovativ, voller stereotyper Charaktere, die zumeist ein "Happy End" finden.
    Das ist für mich auch kitschig, diese fast krankhafte, gesamtgesellschaftliche Suche nach einem guten Ende, getreu dem Motto "Ich will auch ein Märchen haben!" Kitsch scheint somit auch Realitätsflucht zu sein. Die Suche eines Menschen nach Schönem, Gutem, Herzzereißenden im Leben, was man in seinem Job als kleine Arzthelferin (keineswegs abwertend gemeint) niemals erleben wird.

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

  • Kitschig ist für mich ein Buch dann, wenn es vollgepackt mit gefühlsduseligen, völlig unrealistischen Klischees bepackt ist.
    Oft und gerne bei Liebesromanen genommen, aber es gibt durchaus auch andere Genre, die kitschig sein können. Denn völlig überzogene, klischeehafte Emotionsbeschreibungen gibt es auch bei traurigen Büchern.


    Kitschig finde ich auch zumeist die "belehrenden" Büchern, wenn mir Lebensweisheit in einer emotionstriefenden Geschichte vermittelt werden soll und dabei jede realistische Bodenhaftung über Bord geschmissen wird.


    Liebesroman-Kitsch tue ich mir sogar ab und an mal absichtlich gerne an.
    Lebensweisheits-Kitsch wie "der kleine Prinz" oder der "kleine Drache Hab-mich-lieb" und wie das Zeugs noch so heißt, bewirkt bei mir allerdings nur Übelkeitsattacken.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
    Oprah Winfrey

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  • Ich habe an Kitsch überhaupt nichts auszusetzen. Mir gefällt zwar auch nicht jede Form von Kitsch, aber schon einige. Ich kann diese Leute, die Andere wegen ihrer persönlichen (Lese)Vorlieben verurteilen, irgendwie nicht leiden. Jeder soll das lesen können, was er mag und dafür nicht schräg angeguckt werden.


    Wir haben so ein paar Lehrer an der Schule, die der Meinung sind, dass jeder die sogenannte "Trivialliteratur" und Popmusik verabscheuen und sich lieber den "intellektuell anspruchsvolleren" Kunstformen widmen sollte :pille. Und dabei haben sie vermutlich noch nie einen richtigen Schmöker in der Hand gehabt. Die wissen halt einfach nicht, wie man sich amüsiert...


    Eddie

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

  • Zitat

    Wir haben so ein paar Lehrer an der Schule, die der Meinung sind, dass jeder die sogenannte "Trivialliteratur" und Popmusik verabscheuen und sich lieber den "intellektuell anspruchsvolleren" Kunstformen widmen sollte . Und dabei haben sie vermutlich noch nie einen richtigen Schmöker in der Hand gehabt. Die wissen halt einfach nicht, wie man sich amüsiert...


    Etwas Off-Topic, aber dazu möchte ich etwas fragen: Ist es nicht ebenso eine Form der Ablehnung eines Lesegeschmacks, wenn man jemanden, der sich eher im Genre der klassichen Weltliteratur aufhält, unterstellt, er könnte sich nicht amüsieren bzw. hatte noch nie einen richtigen Schmöker in der Hand? Für mich ist das genauso eine Form von Lesesnobismus, wie die Aussage "Jeder, der Trivialliteratur liest, weiß nicht, was gute Bücher sind!".

    „Die Literatur greift immer dem Leben vor.
    Sie ahmt das Leben nicht nach, sondern formt es nach ihrer Absicht.”

    Oscar Wilde, irischer Schriftsteller und Aphoristiker

    Dieser Beitrag wurde bereits 2 Mal editiert, zuletzt von Nightfall ()

  • Ich finde ehrlich gesagt, daß das Thema Unterhaltungsliteratur / Trivialliteratur / klassische Literatur am Thema Kitsch gänzlich vorbei geht.
    Es gibt durchaus auch Klassiker, die zu ihrer damaligen Zeit als kitschig galten und wo man das Urteil zu recht heute noch abgeben könnte. ;-)


    Anspruch verhindert nicht den Kitsch.

    :lesend
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    Oprah Winfrey

  • Kitsch ist für mich und jetzt bitte nicht lynchen aber so empfinde ich das. :wave


    "Vom Winde verweht" ist kitschig, aber es ist schöner Kitsch wenn ihr wißt was ich meine.


    So auch die anderen Romane die in diese Richting gehen.



    "Scarlett"
    "New Orleans"
    "Charleston"
    "Aufwiedersehen in Charleston"


    Lese ich immer wieder gerne.

  • Heimatromane sind für mich - genau wie Heimatfilme - kitschig. Und diese Mami-Hefte; das sind die Heftromanreihen, um die ich immer einen Bogen mache, kann damit nichts anfangen.
    Kann auch sein, dass das nur Vorurteile sind, aber bislang konnte ich mich noch nicht dazu durchringen, was aus den beiden Sparten zu lesen.


    Bei Nackenbeißern ist mir noch kein Kitsch aufgefallen, da ist es normal, dass der Held groß, stark, attraktiv und männlich, die Heldin schön, das Leben abtenteuerlich ist und sie tollen Sex miteinander haben.
    Klar ist das unrealistisch, aber halt trotzdem schön. :-)

  • Zitat

    Bei Nackenbeißern ist mir noch kein Kitsch aufgefallen, da ist es normal, dass der Held groß, stark, attraktiv und männlich, die Heldin schön, das Leben abtenteuerlich ist und sie tollen Sex miteinander haben.


    Willst du damit sagen, daß es für dich offensichtlich und erwartbar sein muß, damit es kein Kitsch ist? Der Inhalt eines Heimatromans paßt doch aber auch in ein Schema, ist unrealistisch usw...

  • Eine allgemeingültige Definition für das Wort "Kitsch" gibt es meiner Meinung nach nicht, das liegt immer im Auge des Betrachters. Ich finde zum Beispiel, dass die ganzen alten Heimatfilme (mit Peter Alexander usw.) sehr kitschig sind, mein Vater dagegen liebt sie und hält sie für realitätsnaher als aktuelle amerikanische Filme, die er pauschal als Kitsch bezeichnet (ganz unabhänig vom Genre). Tja. :grin


    Früher habe ich übrigens gerne gemeinsam mit meiner Mutter Bücher von Barbara Cartland gelesen und mich herrlich über die Figuren und Handlungen (die immer gleich waren) amüsiert. Kitschiger als Cartland geht es in meinen Augen nicht mehr. Aber das sieht meine 85-jährige Nachbarin vielleicht schon wieder ganz anders ...

  • Zitat

    Original von Nightfall


    Etwas Off-Topic, aber dazu möchte ich etwas fragen: Ist es nicht ebenso eine Form der Ablehnung eines Lesegeschmacks, wenn man jemanden, der sich eher im Genre der klassichen Weltliteratur aufhält, unterstellt, er könnte sich nicht amüsieren bzw. hatte noch nie einen richtigen Schmöker in der Hand? Für mich ist das genauso eine Form von Lesesnobismus, wie die Aussage "Jeder, der Trivialliteratur liest, weiß nicht, was gute Bücher sind!".


    Wenn man einen Schmöker liest und feststellt, dass es nichts für einen ist, ist das okay. Aber wenn man, wie diese Lehrer, noch nie einen gelesen hat (haben sie selbst behauptet) und dann über "Trivialliteratur" herzieht, heißt das doch, dass man Trivialliteratur nicht aus dem Grund schlecht finden kann, weil sie tatsächlich schlecht ist, sondern nur, weil sie in Intellektuellenkreisen einen etwas zweifelhaften Ruf hat.


    Ich dagegen habe schon sogenannte "Hochliteratur" gelesen und verurteile sie nicht in der Form, wie manche unserer Lehrer es mit Schmökern machen.


    Das letzte Mal hat es meinen Fitzek getroffen, der gerade auf dem Tisch lag... :schlaeger


    Eddie

    Mir fällt leider kein guter Spruch für eine Signatur ein, aber wenn ich keine habe, stehen die Verlinkungen zu Amazon immer zu dicht unter der letzten Zeile meines Beitrages :rofl.

  • Zitat

    Original von ralle


    Willst du damit sagen, daß es für dich offensichtlich und erwartbar sein muß, damit es kein Kitsch ist? Der Inhalt eines Heimatromans paßt doch aber auch in ein Schema, ist unrealistisch usw...


    Das Setting von Heimatromanen ist aber meistens Deutschland (allenfalls noch Österreich), Nackenbeißer spielen auf hoher See, in den Highlands oder anderen Orten, die mich weitaus mehr interessieren, als die deutsche Bergwelt.
    Es passieren da einfach Sachen, die in Heimatromanen nicht vorkommen; da laufen die Helden in Lederhose und Holzfällerhemd herum - in Nackenbeißern tragen sie oft Schwert und schottischen Kilt.

  • Um Wiki zu zitieren: Kitsch steht zumeist abwertend gemeinsprachlich für einen aus Sicht des Betrachters emotional minderwertigen, sehnsuchtartigen Gefühlsausdruck. In Gegensatz gebracht zu einer künstlerischen Bemühung um das Wahre oder das Schöne werten Kritiker einen zu einfachen Weg, Gefühle auszudrücken, als sentimental, trivial oder kitschig...


    Es liegt also im Auge des Betrachters und das ist gut so. Jeder darf etwas anderes als Kitsch bezeichnen. Allerdings sollte man mit seinem Urteil vorsichtig umgehen, denn wenn man ein Buch als "kitschig" bezeichnet, so wertet man ja die Leser, die es vielleicht sogar gemocht haben, ab und ich denke, dass hat niemand so gern, oder? Ich weiß, wie ich mich fühlte, als Reich-Ranitzki ein von mir geliebtes Buch als "Kitsch" bezeichnete, das macht mich heute noch wütend! :bonk


    P.S.: Dies Buch z.B. fand ich unglaublich kitschig, während meine Kollegin, sich dabei die Augen ausgeheult hat :grin

  • Eskalina, gerade weil es im Auge des Betrachters liegt gebe ich nicht viel darauf, wenn jemand zum Beispiel mein Lieblingsbuch als Kitsch bezeichnet. Ich empfinde das nicht als abwertend, sondern als Meinungsäußerung. Wobei es natürlich noch auf den Tonfall ankommt, bei Sprüchen wie "so einen furchtbaren Kitsch liest du?" wirkt das natürlich schon wieder ganz anders.


    Ich halte Nackenbeißer übrigens auch für kitschig, egal ob die Helden Lederhosen oder Kilts tragen, aber das hielt mich früher nicht davon ab, trotzdem welche zu lesen. Obwohl ich sie auch damals schon kitschig fand. Zum Abschalten fand ich sie ganz entspannend.

  • @ Nikana- Ich denke auch, dass der Ton die Musik macht, und es manchmal auch auf die Person ankommt, die sie äußert. Man ist ja nicht immer so neutral, wie man es gerne wäre. Und gerade bei diesen sogenannten selbst ernannten Literaturpäpsten, wie Reich - Ranitzki, die m.A. schon lange den Bezug zur "normalen" Literatur verloren haben, macht es mich eben wütend :-(


    :-) Ich gestehe, es gab eine Zeit (da war ich 13 oder 14), in der habe ich Mengen an Nackenbeißern, verschlungen...Sie haben mich gut unterhalten, weil ich zu der Zeit einfach etwas heile Welt und das Wissen um ein gutes Ende einfach brauchte.Und auch, wenn ich sie heute ebenfalls als "kitschig" bezeichne, so denke ich gerne dran zurück... :wave

  • Zitat

    Original von Eskalina

    Es liegt also im Auge des Betrachters und das ist gut so. Jeder darf etwas anderes als Kitsch bezeichnen. Allerdings sollte man mit seinem Urteil vorsichtig umgehen, denn wenn man ein Buch als "kitschig" bezeichnet, so wertet man ja die Leser, die es vielleicht sogar gemocht haben, ab und ich denke, dass hat niemand so gern, oder? Ich weiß, wie ich mich fühlte, als Reich-Ranitzki ein von mir geliebtes Buch als "Kitsch" bezeichnete, das macht mich heute noch wütend! :bonk



    Deshalb schrieb ich ja auch das ich sowas hin und wieder gerne lese.


    Jeder soll lesen was er will und wenn es ein kitschiger Liebesheimatbergmamiarztroman ist na und wenns gefällt.

  • Manche empfinden farbenprächtige Sonnenuntergänge als kitschig - aber die Natur lässt sich davon nicht beeindrucken und macht sie immer noch. :grin


    "Kitsch" ist eine subjektive Empfindung. Es regt mich also nicht sonderlch auf, wenn jemand meint, das was ich lese, schreibe, habe, mag sei Kitsch.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Beim Begriff "Kitsch" denke ich zuallererst an "unecht".


    In Sachen Literatur: wenn Gefühle, vor allem wenn es um Liebe, Freundschaft, Erotik etc. geht, für mich nicht nachvollziehbar beschrieben wurden, dann wirkt es auf mich eher kitschig. Jedoch ist es mir bewusst, dass das dann für andere Leser überhaupt nicht so sein muss.

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)