'Weit übers Meer' - Seiten 101 - 180

  • Victoria und Thomas Witherspoon sind in einer engen Beziehung verstrickt. Ich denke, da ist im Grunde, der eine vom anderen abhängig.


    Thomas scheint auch gleich Zukunftspläne mit Valentina zu schmieden, als die "ersten Funken übergesprungen sind".
    Ich habe den Eindruck, er will zwar von Victoria weg, aber allein auf sich gestellt, würde er wohl scheitern.
    Victoria erweckt dagegen den Eindruck, als hätte sie ihr eigenes Leben geopfert, nur um für ihren Bruder da zu sein. Was für sie schlicht weg bequem ist.


    Sehr gut gefällt mir Lily. Sie ist eine sehr gute Beobachterin und weitaus reifer als es ihrer Mutter lieb zu sein scheint. Sie ist nicht nur im Rollstuhl, sondern auch in ihrer Rolle innerhalb ihrer Familie gefangen.


    Aber was ist eigentlich mit dem Amerikaner Livingston? Ist Valentina verliebt in ihn oder ist er nur ein willkommener Geldgeber?

    Liebe Grüße, Sigrid

    Keiner weiß wo und wo lang

    alles zurück - Anfang

    Wir sind es nur nicht mehr gewohnt

    Dass Zeit sich lohnt

  • Zitat

    Original von JaneDoe
    Ich habe so das dumpfe Gefühl, daß eine der Frauen noch eine Dummheit an Bord begeht. Über Bord springt, Tabletten nimmt, irgendsowas in der Art.


    Davon gehe ich auch stark aus. Allerdings berichten manche Personen von der lebenden Valentina ("sie ist eine..." usw.). Daraus schließe ich mal, dass sie nicht diejenige sein wird, die sich von Bord schmeißt, obwohl man als Leser erst mal geneigt ist, davon auszugehen.


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Ich denke da an Stefan Zweigs einzigen Roman Ungeduld des Herzens.


    Vielen Dank für diesen Tipp!:wave Klingt gut und vielversprechend!


    Zitat

    Original von Herr Palomar
    Diese Erinnerungen an Lisette werden immer aufschlußreicher, deswegen sind sie trotz der ungewöhnlichen Häufung sehr gelungen.


    Das finde ich auch. Das sind derzeit die Abschnitte, die mir am besten gefallen.


    Henri ist mir ein stückweit unsympathischer geworden. Einerseits macht er einen sehr emotionalen Eindruck - gerade in Bezug auf seine große Liebe - andererseits aber scheint er auch stark seinen Trieben freien Lauf zu lassen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Szene, bei der er den Abend des Heiratsantrages Revue passieren lässt, habe ich als ziemlich schmerzlich empfunden.


    Schön finde ich, dass Valentina langsam einen Weg aus der Lethargie findet. Auch ihre Erinnerungen an ihren verstorbenen Sohn, von dem man immer noch nicht weiß, warum er verstorben ist, sind sehr authentisch.


    Zitat

    Original von Sisi
    Was anfangs mystisch und gut aufbereitet gestartet ist, wird m. M. nach zunehmend schwächer. Da half auch der böse Kapitän nicht drüber hinweg.


    Ja, das empfinde ich gerade auch so. Die Kapitänssache fand ich unangebracht und hat mir ein bisschen den Zauber der Geschichte genommen.
    Trotzdem, ich bin weiterhin gespannt, was am Ende daraus wird.

  • Zitat

    Original von SueTown
    [Henri ist mir ein stückweit unsympathischer geworden. Einerseits macht er einen sehr emotionalen Eindruck - gerade in Bezug auf seine große Liebe - andererseits aber scheint er auch stark seinen Trieben freien Lauf zu lassen, ohne Rücksicht auf Verluste. Die Szene, bei der er den Abend des Heiratsantrages Revue passieren lässt, habe ich als ziemlich schmerzlich empfunden.


    Bemerkenswert, dass die Autorin den Leser neben seinen Stärken, der Emotionalität und der genauen Beobachtungsgabe auch Henris Schwächen zeigt. Man sieht ihn umso deutlicher als real wirkende Figur, den man immerhin verstehen kann.

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Bemerkenswert, dass die Autorin den Leser neben seinen Stärken, der Emotionalität und der genauen Beobachtungsgabe auch Henris Schwächen zeigt. Man sieht ihn umso deutlicher als real wirkende Figur, den man immerhin verstehen kann.


    Da stimme ich dir voll zu. Mit unsympathisch habe ich vielleicht auch ein bisschen umständlich ausgedrückt. Das richtige Wort wäre vielleicht menschlicher (oder besser: männlicher :lache) gewesen.


    beowulf :
    Ich glaube, dass hat mit dem Zeitpunkt nichts zu tun. Diese Schwäche, Bindungs- oder Beziehungsangst oder was auch immer, scheint ihn auszuzeichnen. Ich habe nicht das Gefühl, dass er jetzt bereit wäre, Lisette zu heiraten. Auch wenn er ihr sehr nachtrauert. Aber vielleicht irre ich mich und werde später eines besseren belehrt, was ich nicht hoffen will. Das wäre zu rosarot und damit auch kitschig.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Warum ist seine Überlegung, die er jetzt (erst) anstellt (anstellen kann?) kitschig, falls es zur Konsequenzen führt, er also nach diesen Überlegungen sein Handeln ändert?


    Weil, zumindest meinem Gefühl nach, ich denke, dass Henri eben nicht aus einer anderen Situation heraus seine Einstellung ändert bzw. vielmehr ändern kann. Es kommt mir so vor, als ob er - immer noch - überhaupt nicht begreifen kann, warum Lisette heiraten wollte. Und bisher hat er auch nicht ansatzweise daran gedacht, seine Meinung darüber zu ändern. Ja, er trauert ihr hinterher, aber ich fände es übertrieben ihn jetzt auf die Heiratsspur zu bringen. Ich habe nicht das Gefühl, dass Henri ein Mann ist, der so etwas der Frau zuliebe tun würde. Er ist einfach zu rational, als sich so einer "jetzt ist mir eingefallen, das ich die Frau über alles liebe und ich heirate nun doch, damit ich sie nicht verliere"- Reaktion hinzugeben. Ausserdem ist er viel zu sehr freiheitsliebend, möchte aber auch nicht unnötig verletzen.
    Sollte er dahingehend seine Haltung ändern, müsste die Figur Henri eine große Drehung vollziehen - und das wiederum könnte ins kitschige abrutschen.


    Edit: Wie Her Palomar auch schreibt, denke ich, dass Lisette auf eine Reaktion von Henri nicht mehr eingehen würde. Insgesamt wurde sie dreimal sehr verletzt. Das letzte Mal hat sie die endgültigen Konsequenzen gezogen. Der Zug scheint wirklich abgefahren zu sein. Das macht es für uns trauriger, die Geschichte aber glaubwürdiger.


    EDIT: ich höre jetzt auf zu editieren... :grin

  • Noch ein Wort zum Namen Meyer und dass niemand "nachbohrt", warum sie sich so nennt: zu Beginn des letzten Jahrhunderts war man zum einen noch viel diskreter als heute, es wäre sehr ungehörig gewesen, nachzufragen, so etwa nach dem Motto "nun sagen Sie mal ...". Zum andern gab es damals noch keine so lückenlose Erfassung von Personen wie heute - es gab noch keine örtlichen Meldebehörden, die wenigsten Menschen hatten Ausweise wie Reisepässe oder Personalausweise. Aus diesem Grund veränderten gerade Einwanderer häufig ihre Namen oder die Einreisebeamten auf Ellis Island verstanden die Namen nicht richtig und schrieben etwas anderes auf und dann lebte man halt damit weiter.
    War also alles noch nicht so festgeschrieben wie heute (und von daher waren die Menschen auch weniger leicht zu kontrollieren, zu überwachen und aufzuspüren).
    Dörthe

  • Frau Binkert, hervorheben möchte ich den Dialog zwischen Henri und Lily auf den Seiten 105 / 106, der mir sehr gut gefallen hat. Das Mädchen hat für ihr Alter bereits sehr philosophische Gedanken. Auch hat mir gefallen, welchen Respekt Henri Lily entgegenbringt, indem er ihre Hand küsst. Ich kann mir vorstellen, dass Kinder bzw. Heranwachsende zwar wie kleine Ladys gekleidet wurden und von ihnen erwachsenes Benehmen verlangten, aber längst nicht immer so ernst genommen wurden.


    Lisette gefällt mir richtig gut. Wie sie reagiert, wenn sie wütend ist, wie sie Henri vorwirft, ein Streuner zu sein, wie sie ihn dazu anhalten will, eine Meinung zu haben und sie auch mal öffentlich kund zu tun (ich denke an den Nachbarn, der seinen Hund misshandelt) und wie sie überglücklich im Blütenregen steht. Sie ist mir sehr symphatisch. Henri dagegen kommt mir so vor, als hätte er zu dem Zeitpunkt, als er mit ihr zusammen war, gar nicht gewusst, dass er sie liebt. Das scheint ihm erst jetzt klar zu werden.


    Zu dem Brief Valentinas an Charles: Sie scheint ein schlechtes Gewissen sich und ihm gegenüber zu haben, als sie merkt, dass ihre Gefühle doch nicht abgestorben sind. Als etwas plötzlich jedoch empfand ich es schon, dass Valentina und Thomas sich offenbar direkt ineinander verliebt haben, als sie sich beim Dinner trafen.


    Unmöglich empfinde ich es vom Kapitän, der Valentinas Situation ausnutzen möchte. Bisher hab ich ihn auch als souveränen Mann empfunden, jetzt erinnert er mich an einen Cowboy im Wilden Westen. :fetch

  • Im Verlaufe dieses Abschnittes treten nicht so vorteilhafte Seiten Henris zutage. Sein Verhalten Lisette gegenüber, die zwei Mal versuchte, ihm einen Heiratsantrag zu machen, und deren zweiter er auf sehr, hm, unschöne Weise zurückwies, ist nicht unbedingt das eines Gentlemans. Wie er erwarten konnte, daß Lisette nach seiner Antwort so weitermachen würde wie bisher, ist mir allerdings ein Rätsel.


    Etwas später (Seite 142ff) entpuppt sich Herr Vanstraaten als der unangenehme Zeitgenosse, den ich in ihm vermutet habe. Seine Ansichten über seine Kinder: :yikes . Aber vermutlich war das damals weithin „normal“ so.


    Wir alle haben Träume und wir begraben sie besser bezeiten.
    Eine Charakterisierung, die durchaus auch auf die heutige Zeit zutrifft.


    Das menschliche Glück ist nur eine zufällige Erscheinung, eine Illusion, und das Streben danach ist nur eine Eingebung unserer Schwäche. (Seite 145)
    Wieder habe ich das Gefühl, daß es in diesem Buch vor allem auch um die Sinnfrage geht. Und die bisher aufscheinenden Antworten sind alles andere als erfreulich oder ermutigend.


    Seite 173. Ich reise ab und zu nach Russland,“ sagte Thomas, „es ist ein faszinierendes Land, voller Unruhe und voller Möglichkeiten, voller Widersprüche und Ungereimtheiten, Despotismus, Bürokratie und Ungerechtigkeit. (...)“
    Von welchem Russland spricht Thomas - das klingt wie nach dem heutigen.


    Alles in allem habe ich zunehmend das Gefühl, daß es in dem Buch sehr ans Eingemachte geht.


    Jetzt lese ich erst mal die anderen Posts.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Wir alle haben Träume und wir begraben sie besser bezeiten.
    Eine Charakterisierung, die durchaus auch auf die heutige Zeit zutrifft.


    Findest Du das wirklich?


    Ich kann mir vielleicht nicht alle meine Träume verwirklichen. Aber begraben? Niemals.


    Für mich ist das ein kleiner, aber feiner Unterschied:


    Träume begraben = Kapitulation. Aus. Maus.


    Träume haben, aber aus welchen Gründen auch immer nicht verwirklichen (können/wollen) = Man hat noch Träume. Fein!

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Jetzt noch ein Heiratsantrag Henris an Lisette? Naja, der Zug ist wohl abgefahren.
    Ob Lisette auf ihn gewartet hat, ist zu bezweifeln und dann würde sie die Geste wohl als zu spät kommend empfinden.


    Ich habe bis Seite 180 gelesen und meine nicht Lisette ich beziehe mich auf das noch nicht voranhandene Verhälltnis zu Billie.

  • Vieles von dem, was mir heute beim Lesen durch den Kopf gegangen ist, habt ihr hier schon angesprochen.


    Besonders gut gefallen hat mir die Bemerkung von Berchthild Klöppler: "Frauen müssen sich gegenseitig unterstützen..." Wenn das nur mal alle auch berücksichtigen würden. Ganz im Gegenteil. Wenn ich mir anschaue, wie sich Victoria und Valentina beim Abendessen in aller Höflichkeit Beleidigungen an den Kopf werfen. Alle Achtung. Das ist eine Kunst für sich.


    Der Kapitän, den ich bislang für einen der "Guten" gehalten habe, entpuppt sich als Widerling, der Valentinas Lage ausnutzen will. Mit so etwas hätte ich nicht gerechnet. Aber es zeigt, dass er sie nicht respektiert und er wohl auch nur ein Mann seiner Zeit ist.


    Als Valentina beim Abendessen Thomas Witherspoon traf, war mein erster Gedanke, dass die beiden sich schon länger kennen. Ich habe so ein Einverständis und fast schon Vertrautheit zwischen den beiden gespürt. Aber da habe ich mich wohl getäuscht. Ob daraus aber etwas werden kann, wage ich noch zu bezweifeln. Meine Vermutung, das Henri derjenige ist, der Valtentina ihren Lebensmut zurückgibt, scheint aber nach der dem jetzigen Stand der Dinge eher ein Trugschluss zu sein.


    In diesem Abschnitt lernen wir auch andere Personen der Reisegruppe näher kennen. Mir erscheinen sie alle unzufrieden, teils sogar wirklich unglücklich mit ihrem Leben zu sein. Besonders traurig ist der Satz von Mr. Vanstraaten: "Wir alle haben Träume und wir begraben sie besser beizeiten."


    Auch die Geschichte von Henri und Lisette, in die wir nun etwas Einblick gewonnen haben, ist schlicht traurig. Wenn ich es genauer betrachte, kann ich aber beider Standpunkte verstehen. Ich verstehe, wenn er nicht möchte, dass sich die Beziehung verändert und verstehe auch ihren Wunsch zu heiraten. Doch sicher hätte sich etwas klären lassen, wenn beide nur mal gescheit miteinander geredet hätten. Das ist im übrigen auch der Grund, warum ich nur in Ausnahmefällen mal einen Liebesroman lese. Mit ein wenig vernünftiger Konversation würden sich die meisten Verwicklungen vermeiden lassen. Aber das nur am Rande.


    Valentina scheint immer noch über allem zu schweben, mehr Fee als Mensch. Ob das an ihren tragischen Erlebnissen liegt?


    Alles in allem lese ich das Buch mit großem Vergnügen und habe viel Freude an der Sprache.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Ich habe bis Seite 180 gelesen und meine nicht Lisette ich beziehe mich auf das noch nicht voranhandene Verhälltnis zu Billie.


    Zu dem Thema geht es im nächsten Abschnitt noch ganz schön zur Sache.
    Vielleicht solltest du noch knapp 20 Seiten zugeben.

  • Zitat

    Beowulf
    Dereit kommt es mir vor wie das gut geschriebene Drehbuch für den Sendeplatz ZDF Sonntag 20.15 Rosamunde Pilcher und Co.


    :yikes Bei allem Respekt, wenn das Buch eines nicht ist, dann ein Drehbuch für einen Film am Sonntagabend im ZDF. Nicht mal in Ansätzen.



    Zitat

    Herr Palomar
    Da solche Assoziationen zu alten Filmen möglich sind, denke ich, dass "Weit übers Meer" ein deutliches Gefühl für die Zeit einfängt.


    Ja, stimmt. Ich habe ständig die Bilder eines Filmes vor Augen, der allerdings teilweise um 1912 spielt, in einem First-Class Grand-Hotel auf Mackinaw-Island: „Somewhere in Time“ mit Christopher Reeve und Jane Seymour (nach dem Roman von Richard Matheson). In diesem Hotel wurde der Film gedreht; es sah während der Dreharbeiten (und im Film) wirklich aus wie damals. Noch heute finden jährlich Fantreffen in Origialkostümen der Zeit dort statt (allerdings auch gehobene Preisklasse).



    @ Batcat
    Ja, finde ich. Für mich wird eine Diskussion um das Buch zusehends schwieriger, weil ich in meiner persönlichen Weltsicht zunehmend aktuelle Parallelen entdecke und möglicherweise mehr von meinen persönlichen Ansichten, Erfahrungen und Einstellungen preisgebe als mir für ein öffentliches Forum lieb ist bzw. ich überhaupt bereit bin.


    Das Buch ist alles andere als eine Vorlage für einen ZDF-Sonntagabendfilm (obwohl ich auch die des öfteren gerne zur Entspannung sehe). Im Gegenteil. Es ist ein harter Brocken.


    (nach Batcats Post geschrieben, die nachfolgenden hier noch nicht berücksichtigt)
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Herr Palomar,


    das ist NICHT nett von Dir, mir hier so den Schnabel auf die nächsten Kapitel wässrig zu machen, wo ich vermutlich morgen den ganzen Tag nicht zum Lesen kommen werde. :hau


    :cry

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)