Harry Rowohlt, "In Schlucken-zwei-Spechte"

  • Der Titel ist eine Anspielung auf "In Schwimmen-zwei-Vögel" des irischen Schriftstellers Flann O'Brien, das Harry Rowohlt ins Deutsche übersetzt hat. Er ist ausserdem Programm: Harry Rowohlt und Ralf Sotscheck trafen sich im Jahr 2001 für eine Woche in Irland und redeten über Rowohlts Leben; Ralf Sotscheck hat es dann aufgeschrieben. Das Getränk der Wahl zum Kehleschmieren war in dieser Woche angeblich Tee - aber selbst wenn das stimmt, so war es die grosse Ausnahme in Harry Rowohlts Lebensgeschichte. Seine Trinkfestigkeit, so kommt es auch in dem Buch rüber, ist sein mit Stolz gepflegtes grösstes Laster.


    Ich glaube, er wäre mir im richtigen Leben unsympathisch. Ein Alt-Hippie mit Rauschebart und völlig ohne Respekt für Regeln und Konventionen. Die Rolle des Penners Harry in der "Lindenstrasse" ist sein überzeugendes Alter Ego.


    Aus der Distanz der Buchdeckel ist Harry Rowohlt jedoch genial. Da ist seine Schnodderigkeit erfrischend, denn seine Beobachtungen sind äusserst intelligent. Und witzig. Die Interview-Feder wird von Ralf Sotscheck geführt, aber der tut das einzig Richtige: Er lässt Harry Rowohlt reden und abschweifen, soviel er will, und er lässt ihm auch seine meisterhafte Sprache.


    Die Lebensgeschichte von Rowohlt ist auch deshalb interessant, weil er seinen Werdegang im deutschen Verlags- und Kulturwesen beschreibt. Dennoch ist nicht jedes Kapitel gleich spannend und, wie gesagt, manchmal ist man so gar nicht mit ihm einverstanden, aber er zieht einen immer weiter, und zum Schluss hat man sich glänzend unterhalten und noch einiges gelernt. "Das muss ich mir merken", dachte ich, oder "das muss ich noch mal lesen, nicht vergessen", und so war ich sehr angenehm überrascht, als ich am Ende des Buchs auf ein ausführliches Register stiess, das mir helfen wird, den "Tütenpimmel" von Rowohlts Nachbarn ebenso wiederzufinden wie seine verunglückte Stasi-Rekrutierung als "IM Dödel" und seine Übersetzungserfahrungen mit "Die Asche meiner Mutter".


    Ich habe vor einer Weile schon mal seine Sammlung mit Zeit-Kolumnen, "Pooh's Corner", empfohlen. Dies hier ist eine weitere dringende Empfehlung, zumal jetzt endlich als TB erhältlich.

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

  • Hört sich interessant an. Ich hab´s schon ein paar Mal bei Amazon gesehen und ich bin mir nicht sicher, ob es nicht schon irgendwo auf meiner Wunschliste steht.
    Aber da es jetzt als TB raus ist, werde ich es auf jeden Fall mal draufsetzten.
    Danke für den Tip!

  • Zitat

    Original von Batcat
    ich bin latent interessiert.


    @Piratenschwesterchen, so hat's bei mir auch angefangen :grin
    Dann lies doch einfach erst mal Pooh's Corner (es gibt auch noch einen Band 2, der heute schon in meinem Einkaufskorb bei Amazon gelandet ist, siehe unten), und vielleicht bist du dann nicht mehr nur latent interessiert ;-)

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  • ich bin gestern über Harrys Lebensgeschichte gestolpert (eigentlich wollte ich nur ein Heftgerät kaufen) aber dann kam ich nicht daran vorbei :-)
    Habs mitten in der Nacht noch angefangen und bin begeistert - sehr witzig geschrieben. Und wenn man dazu Harrys Lindenstraßenstimme im Ohr hat kann man das fast hören *g*


    Gruß


    Telefonhexe

  • Grandios! Harry Rowohlt hat wirklich was zu erzählen, im Gegensatz zu vielen, die nur meinen etwas zu erzählen zu haben. Man bekommt beim Lesen dieses Buches sehr große Lust sich mal wieder mit der irischen Literatur zu beschäftigen, beispielsweise mit Flenn O’Brien. Man liest dieses Buch in einem Rutsch durch, und man wird das Gefühl nicht los, mit Harry Rowohlt in einer dieser Pinten zu sitzen und sich so langsam fachstrategisch vollaufen zu lassen. Dieser Mensch lebt wirklich! Er nimmt sich selbst nicht allzu ernst, verliert aber nie den Blick für seine Umgebung. Unbedingt lesenswert.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Von Flann O'Brien kann ich zum Beispiel "Aus Dalkeys Archiven" nur dringendst empfehlen, übersetzt natürlich von Harry R. Siehe Rezension:


    Flann O'Brien: "Aus Dalkeys Archiven"

  • Harry Rowohlts Lebensgeschichte in TB-Format liegt auch schon einige Zeit irgendwo in meinem SUB.....


    ...Vorfreude ist ja bekanntlich die grösste Freude

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

  • Eben habe ich mir Pooh's Corner vorlesen lassen - die gestrige Geschichte vom Staatsempfang im "schlampig gestrichenen" Bellevue-Saal - und musste laut lachen. Wieder mal. Ich will mehr. Und das hier schein perfekt zu sein. Danke für den Tipp.