Joey Goebel: Heartland

  • Joey Goebels neue Roman Heartland ist eine unverblümte Parabel auf das ländliche US-Amerika


    Der 27jährige Blue Gene Mapother ist ein ganz gewöhnlicher „Red Neck“. Er lebt in einem Trailerpark in der kleinen Stadt Bashford in Kentucky. Er liebt Monstertrucks und Wrestling, ernährt sich von Hamburgern und schlägt sich mit Walmart-Jobs und Flohmarktständen durch. Eigentlich kommt er aus einer superreichen Tabak-Familie, doch Blue Gene hat schon vor Jahren den Kontakt mit seiner total versnobten Verwandtschaft abgebrochen.


    Als allerdings sein älterer Bruder John eine Polit-Karriere mit wertkonservativen Zielen startet, wendet sich Mutter Elisabeth an Blue Gene, um dessen Unterstützung zu gewinnen. Die Mapothers wollen mit seiner Hilfe die „einfachen“ Leute erreichen, und Blue Gene sagt tatsächlich zu – was kann schon falsch sein an Johns Slogans von Amerikas Größe und Freiheit? Doch als er die junge rebellische Sängerin Jackie Stepchild kennen lernt, beginnt er, die politischen Ziele seines Bruders zu hinterfragen. Und dann kommt er auch noch einem dunklen Familien-Geheimnis auf die Spur, das so gar nicht zu Johns Reden passen will. Von nun an entwickeln sich die Dinge ganz anders, als geplant.


    Mein Fazit:


    Joey Goebels neue Roman Heartland ist eine unverblümte Parabel auf das ländliche US-Amerika weit weg von den Metropolen an den Küsten. Worte wie Freiheit und Patriotismus werden hier sehr hoch gehalten und sind fest mit den konservativen und religiösen Werten verwoben. Goebel, der selbst in Kentucky aufgewachsen ist und dort an einer Uni lehrt, kennt die Mentalität der Menschen und stellt sie mit ihre oft naiven und weltfremden Vorstellungen wunderbar realistisch dar, ohne sie lächerlich zu machen. Mit seinem sympathischen Helden Blue Gene entwickelt Goebel eine Figur, die sich von einem etwas dump wirkenden „Red Neck“ zu einem sozial verantwortlichen Menschen entwickelt.


    Vielleicht ist es ja nur ein Zufall, dass der Skandal um die Familie Mapother ein wenig an die Nachrichten rund um die Familienverhältnisse der konservativen Vizepräsidentschaftskandidatin Palin erinnert. Was auf keinen Fall Zufall ist, dass der neue Roman von Joey Goebel am 4. Juli im Wahljahr 2008 in den USA erschienen ist. Das satirische Zeitdokument ist ein weiterer Beweis, dass in den USA immer mehr Menschen aus ihrem politischen Tiefschlaf erwachen. Sehr lesenswert.

  • Vielen Dank für die Rezi! :wave Da mir "Vincent" ganz gut gefallen hat, werde ich mir dieses Buch schon mal vormerken, aber dem Geld zuliebe besser noch auf das Taschenbuch warten ;-) ...

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Und schwupps auf die WL :grin


    Danke für die schöne Rezi :-)

    Jeder trägt die Vergangenheit in sich eingeschlossen wie die Seiten eines Buches, das er auswendig kennt und von dem seine Freunde nur den Titel lesen können.
    Virginia Woolf

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Erscheint nächsten Monat schon als Taschenbuch, dann werde ich es mir auch endlich kaufen und bin schon sehr gespannt darauf. :-]


    Danke für den Hinweis, dann werde ich es mir wohl auch kaufen :grin

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Zitat

    Original von Sisch
    Sehr lesenswert.


    Diesem Urteil kann ich mich nur nachdrücklich anschließen! "Heartland" lässt sich trotz seiner Dicke relativ schnell und flüssig lesen und man wird als Leser förmlich in die Geschichte hineingesogen. Die Charaktere kommen einem schnell nah, vor allem Blue Gene, und man leidet mit oder ärgert sich über Entscheidungen die getroffen werden. Die ein oder andere Wendung ist sicherlich hin und wieder etwas übertrieben, aber am Ende passt einfach dann doch irgendwie alles zusammen.


    Ein sehr schönes, sehr lesenswertes Buch. :-)

  • Zitat

    Original von buzzaldrin
    Die ein oder andere Wendung ist sicherlich hin und wieder etwas übertrieben [...]


    Ich hatte es inzwischen auch gelesen - und für mich war eben diese Übertreibung doch zuviel des Guten. Insbesondere in der zweiten Hälfte fand ich es dann öfters sehr absurd, was da geschah...

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Zitat

    Original von saz


    Ich hatte es inzwischen auch gelesen - und für mich war eben diese Übertreibung doch zuviel des Guten. Insbesondere in der zweiten Hälfte fand ich es dann öfters sehr absurd, was da geschah...


    Ja, das stimmt schon - manches von dem was geschieht ist wirklich etwas "too much". An manchen Stellen habe ich das Buch dann auch einfach als eine Satire gelesen ...


    Trotz dieser Wendungen halte ich das Buch aber dennoch für sehr lesenswert. :-)

  • Titel: Heartland
    Originaltitel: Commonwealth
    Autor: Joey Goebel
    Übersetzt aus dem Amerikanischen von: Hans M. Herzog
    Verlag: Diogenes
    Erschienen als TB: Juli 2010
    Seitenzahl: 713
    ISBN-10: 3257240376
    ISBN-13: 978-3257240375
    Preis: 11.90 EUR


    Die Mapothers sind in der amerikanischen Kleinstadt Bashford die mächtigste Familie, eine mächtige Familie mit einem schwarzen Schaf. Blue Gene Mapother ist dieses schwarze Schaf. Obwohl er von seinem Großvater ein riesiges Vermögen geerbt hat, wohnt er in einem Wohnwagen und verkauft auf einem Flohmarkt Spielzeug, um sich so seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Denn von seinem Erbe will er – vorerst – nichts wissen. Und dann ist da auch noch John Mapother, der um dreizehn Jahre ältere Bruder von Blue Gene. Und dieser John will nun in den amerikanischen Kongress. Und dazu braucht er seinen Bruder Blue Gene, mit dem er seit vier Jahren keinen Kontakt mehr hatte, genau wie seine Eltern Henry und Elizabeth, auch sie hatten keinen Kontakt zu Blue Gene. Blue Gene soll ihm die Wählerstimmen der Unterschicht bringen. Zudem spricht Blue Gene die Sprache der einfachen Menschen, etwas das John nie gelernt hat.


    Joey Goebel hat wiederum ein sehr beeindruckendes Buch geschrieben. Da schreibt jemand über die amerikanische Wirklichkeit, der dieses Land wirklich zu lieben scheint, der aber dabei auch sehr kritisch und unnachsichtig mit seiner Liebe umgeht. Goebel hält diesem Amerika gnadenlos einen Spiegel vor, zeigt die Heuchelei der führenden Schicht, beschreibt das Elend der unteren Schichten und macht deutlich, dass sich in diesem Land letztendlich alles – bzw. fast alles – nur um Geld und Macht dreht. Er prangert eben auch die schlimme Oberflächlichkeit in diesem Land an. Trotzdem sieht Goebel aber auch den Silberstreif am Horizont, beschreibt Menschen, die sich von diesem negativen „Way Of Life“ bisher nicht haben vereinnahmen lassen.


    Das Buch ist fast wie eine Rockballade, mit zu Teil schnellen Breaks. Evelyn Finger schrieb in der ZEIT, dass dieses Buch „….das gleichgeschaltete Amerika rockt….“. Recht hat sie mit dieser Aussage. Joey Goebel erzählt unbekümmert, hart und manchmal eben auch anschmiegsam. Eine Familiengeschichte, die mehr ist als eben nur eine Familiengeschichte. Nie schwülstig und wenn es wunderbare emotionale Stellen zu belesen gibt. Joey Goebel muss sich hinter niemanden der neuen amerikanischen Erzählergeneration (wie beispielsweise Dave Eggers) verstecken.


    Ein sehr lesenswertes Buch. Durchaus ein Highlight für mich in diesem Jahr.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Hat mir das Buch gefalen? Ja, so eben.
    Hat es mich begeistert, ein Highlight? Eher nein.


    Joey Goebel schreibt an Buch für seine amerikanischen Landsleute, das sich an alle die richtet, die es eh nicht lesen. Er hält einer Gesellschaft ihren Spiegel vor, in de sich die Bedeutung eines Ortes an der Größe seines Wal-Martes misst, in der man bestimmte Werte einfach hat- ohne zu hinterfragen was sie bedeuten-, in der in diesem unserem Land zwar viel schiefgehen kann, aber das Land, die Nation nichts falsch macht und über alles geht.


    Ich war schon mal dort, ich kenne das alles und weiß, dass es wahr ist oder zumindestens sein könnte, aber als Leser bin ich nicht gemeint und fühle ich mich auch nicht angesprochen.


    Sicher- das Buch lässt sich locker lesen, aber mehr als bloßer Slapstick ist es für mich als Zentraleuropäer nicht. Die Menschen, die dieses Buch bevölkern wissen vielleicht nicht einmal, dass es das Land in dem ich Lebe so gibt, wie es heute ist. Sie kennen als einzigen Regierungschef einen der tausend Jahre regieren wollte und es seit fünfundsechzig Jahren nicht mehr tut- und auch den nur von billig DVD´s, wenn es um die Heldentaten "unserer Jungs" heute im Irak und gestern in Korea oder Europe geht. Mag sein, das Joey Goebel Amerika rockt, bei mir bleibt ein dezentes Gähnen.

  • Mir hat "Heartland" gut gefallen, auch wenn es die hohe Anfangsqualität nicht konsequent halten kann, mitunter gar ein wenig langatmig wirkt. In der sich nach und nach entfaltenden Familiengeschichte ist einges schon ziemlich überzogen, aber das sollte man wohl wirklich als Satire lesen. Unter anderem positiv zu vermerken ist die Tatsache, daß Goebel bei seiner Figurenzeichnung nicht in Schwarz-Weiß-Denken verfällt, im Laufe der Geschichte tun sich da schon so einige Überraschungen auf. Mit seiner politischen Botschaft erzählt der Autor natürlich nichts Neues, tut dies aber auf sehr unterhaltsame Art und Weise, sodaß die über 700 Seiten der HC-Ausgabe im Handumdrehen gelesen sind.
    Und als Mitteleuropäer sollte man anhand der amerikakritischen Kernaussagen nicht unbedingt in Selbstgefälligkeit verfallen - auch hierzulande ist die Zweiklassengesellschaft, vor der so oft gewarnt wird, doch längst Realität, wenn auch nicht so extrem ausgeprägt wie andernorts.
    Insgesamt ein mehr als unterhaltsames Leseerlebnis, zwar kein ganz großer Knaller, aber doch überdurchschnittlich gut und fesselnd, wenn auch mitunter ein wenig in die Länge gezogen und gegen Ende hin zu gefühlsbetont.

  • American Idiots

    Wie schreibt man eine Satire auf amerikanische Rednecks, den "White Trash", heuchlerischen Wahlkampf, überzogenen Patriotismus, das alles regierende Geld und die allgegenwärtige, verbohrte, verlogene Gottesfürchtigkeit, gar auf den Glauben der Amis, in "God's own country" zu leben? Nun, man tut es überhaupt nicht, denn der "American Way of Life" bedarf keiner Parodie. Er ist längst zu einer geworden.


    In einer Gegend, die Goebel "Commonwealth County" genannt hat, genauer im Städtchen Bashford, beherrscht die Familie Mapother wenigstens die Wirtschaft - und damit letztlich alles andere auch. Ihr gehört einer der größten amerikanischen Tabakkonzerne ("Westway"), aber die - natürlich männlichen - Familienoberhäupter haben vorgesorgt und das Unternehmen zukunftssicher aufgestellt. Beliebt ist der größte Arbeitgeber der Region allerdings nicht; das einfache Volk hält die Familie für ausbeuterisch, korrupt und snobistisch, was auch kein Vorurteil ist, sondern schlicht der Wahrheit entspricht. Als der ältere Sohn John für den Kongresswahlkampf aufgestellt wird, um die Pläne der Eltern und einen etwas wirren religiösen Traum der Mutter zu erfüllen, nimmt man deshalb zähneknirschend wieder Kontakt mit dem abtrünnigen Sohn Eugene - genannt Blue Gene - auf. Blue Gene lebt in einem Trailerpark, trägt Flip-Flops, T-Shirts mit abgetrennten Ärmeln, liebt Wrestling und betreibt einen Flohmarktstand. Der langhaarige White-Trash-Archetyp verfügt - im Gegensatz zu seinem soziophoben großen Bruder - über die Fähigkeit, auf Menschen zuzugehen und sie für sich einzunehmen, und er ist beim einfachen Volk - quasi bei seinesgleichen - beliebt. Die Rechnung lautet: Wenn sich Blue Gene öffentlich für John einsetzt, wird dieser den Gegenkandidaten (von dem er sich inhaltlich kaum unterscheidet) schlagen können. Nach einigem Hin und Her sagt Blue Gene zu, und anfangs sieht es gut aus für das ungewöhnliche Gespann. Doch obwohl er langsam redet und seltsamen Freizeitaktivitäten nachgeht, ist Blue Gene kein Idiot. Und als die Punksängerin Jackie auf den Plan tritt, wird aus dem Trailerpark-Patrioten plötzlich ein sanfter Revoluzzer. Außerdem gibt es da noch ein düsteres Geheimnis in der jüngeren Familiengeschichte ...


    Aus einem prinzipiell nicht dummen Plot und einer hinreichend nachvollziehbaren, auf etwas klischeehafte Art glaubwürdigen (zudem halbwegs authentischen) Figurenzeichnung hat Goebel leider einen viel zu langen Roman gestrickt, der irgendwann ab der Mitte und dann stetig zunehmend ermüdet. Weil das Buch prinzpiell humorfrei ist, der Autor sich also Mühe gibt, sein Personal nicht direkt zu karikieren, quält er Leser und Figuren mit einem sehr, sehr gemächlichen und wenig ergiebigen Lernprozess. Während eigentlich schon spätestens ab Seite 100 klar ist, wie die Mapothers ticken, muss Blue Gene noch weitere 600 Seiten absolvieren, auf denen sich Aussagen und Geschehnisse ständig wiederholen wie in einem Grundschülerlehrbuch. Die in der Art eines stundenlang gekauten Chewing Gums zähe Handlung bewegt sich nur, wenn es Impulse von außen gibt, etwa die zufällige, aber dramatische Wiederbegegnung zwischen Blue Gene und seinem Kindermädchen Bernice, oder den - leider verpuffenden - Aussetzer des Mapother-Kongresskandidaten John vor laufender CNN-Kamera, als dieser während einer Panikattacke anmerkt, die honorigen amerikanischen Soldaten wären eigentlich zu dumm, um ihnen Verantwortung im Alltagsleben übertragen zu können. Ansonsten mäandert das Buch vor sich hin, und Goebel lässt seine Figuren noch einmal und noch einmal erklären, was jeder Depp - vermutlich auch jeder amerikanische - längst verstanden hat.


    Nachgerade ärgerlich jedoch ist das Ende. Natürlich steht über all dem die Prämisse "Es ändert sich sowieso nichts", weil das Land nun einmal so ist, wie es ist, und eher würde die Hölle zufrieren, bevor sich etwas bewegt, aber dieser unspannende und viel zu lange Roman sagt auch wirklich nichts Anderes. Es gibt keine neuen Erkenntnisse, keine erhellenden Innenansichten, sondern lediglich die mühselige Bestätigung sattsam bekannter Vorurteile, die keine sind. Will sagen: Wer in diesen Spiegel der amerikanischen Gesellschaft hineinschaut, schaut auch exakt so wieder hinaus. Was umso quälender ist, da das Buch bis auf wenige Ausnahmen - zu denen auch der Antiheld Blue Gene eher nicht gehört - mit jenen Leuten bevölkert ist, die über lediglich drei Eigenschaften verfügen: Erfolgreich. Patriotisch. Und dumm. Leidlich verblüffend immerhin, dass diese ignoranten Pappnasen über Wohl und Wehe der amerikanischen Gesellschaft bestimmen.


    Hätte Joey Goebel doch eine Satire geschrieben - oder das ganze in eine Short Story gepresst. Diese stilistisch und dramaturgisch sehr mittelmäßige, unendlich langweilige Familiensaga ist möglicherweise realistisch geraten, aber das entschuldigt nichts. Unterm Strich bleibt eine ziemlich fade Milieustudie, eine langatmige Bestandsaufnahme, die nicht einmal erzählerisch zu überzeugen weiß. Und dass man jede amerikanische Versammlung retten kann, indem man beginnt, "USA!, USA!, USA!" zu skandieren, hat Homer Simpson lange vor Blue Gene Mapother bewiesen.

  • Ich habe es kürzlich im Original (the Commonwealth) gelesen. Ich fand es sehr amüsant :-]
    Eine interessante Geschichte mit satirischen Tönen. Ich habe von dem Roman auch nicht erwartet, dass er die große Lösung präsentiert.
    Mich hat das Buch einfach gut unterhalten und es spielte halt mal in einem anderen Umfeld.
    In englisch ist auch schön Blue Genes Unterschichten-Slang wiedergegeben (ist das überhaupt zu übersetzen ?).