Ein vorbestrafter Ministerpräsident - geht das?

  • Heute wurde Thüringens Ministerpräsident Dieter Althaus in einem schnell angesetzten Verfahren wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe in Höhe von 33.000 Euro verurteilt. Althaus' Anwalt hat Rechtsmittelverzicht erklärt, weshalb das Urteil rechtskräftig ist, und dadurch ist Althaus nach österreichischem Recht vorbestraft. Die Thüringer CDU will dennoch mit ihm als Spitzenkandidat in die Landtagswahl (August) gehen, bis dahin bleibt Althaus ohnehin im Amt. Der Ministerpräsident hatte vor zwei Monaten einen Skiunfall mitverursacht, bei dem eine Frau starb.


    Ministerpräsidenten sind quasi die Bundeskanzler der Länder, nehmen aber auch repräsentative Aufgaben wahr (was auf Bundesebene der Bundespräsident leistet).


    Kann, sollte, darf jemand, der wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurde, Regierungschef eines Bundeslandes sein? Ist es hinnehmbar, dass jemand, der durch seine Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen herbeigeführt hat, die Geschicke von mehr als zwei Millionen Bürgern bestimmt? Kann jemand ein Bundesland repräsentieren, der sich einer solchen Tat schuldig gemacht hat? Darf ein Mensch, der eine solche Schuld auf sich geladen hat, ob fahrlässig oder nicht, im Bundesrat über uns alle mitentscheiden?


    Ich meine: Nein. Auf keinen Fall.


    Was sagt Ihr?

  • Rechtlich gesehen darf er kandidieren und kann damit theoretisch auch Ministerpräsident werden. Soweit sogut.


    Moralisch gesehen, würde ich eindeutig dagegen plädieren. Als Regierungschef eines Bundeslandes hat der Kerl Vorbildfunktion, unterzeichnet Gesetze und stellt damit die Weichen für das was Recht ist in unserem Land. Als Vorbestrafter eines Tötungsdeliktes ist das meines Erachtens nach nicht vereinbar.
    Schlimm genug, dass er da offenbar völlig schmerzfrei ist. Aber das Wählervolk hat es in der Hand. Bin neugierig, wie sich das entwickelt.

  • Welche "Schuld" hat Althaus denn wirklich auf sich geladen (das ist eine ernst gemeinte Frage)? Ich habe die Berichterstattung in den Medien durchaus verfolgt und mir ist trotzdem nicht klar, inwiefern sich in diesem Fall ein "tragischer Unfall" von "fahrlässiger Tötung" unterscheiden lässt ...
    Für mich - ohne juristische Grundkenntnisse - ist eine Meinungsbildung da recht schwer ...

  • Ich würde das ganze etwas milder sehen. Althaus hätte bestimmte zig juristische Trick anwenden können, um dieser Verurteilung erstmal zu entgehen. Er hat aber - obwohl er keinen blassen Schimmer von dem Unfalltag hat - die Verantwortung übernommen. Das Übernehmen von Verantwortung finde ich erst mal durchaus vorbildhaft. Niemand weiß, warum er falsch in diese Piste eingebogen ist. Aber auch wenn dieser Fehler noch so tragische Konsequenzen hatte, so glaube ich, dass er fahrlässig war. Es gibt zig Politiker, die absichtlich Dinge getan haben, die juristisch oder moralisch falsch waren und die nie auf die Idee gekommen sind, dafür Verantwortung zu übernehmen.
    Ob eine Kandidatur für dieses Jahr nun sinnvoll ist, ist eine andere Frage.
    Für mich hat sich Althaus als Politiker durch diese Geschichte nicht unwählbar gemacht. Da finde ich einen Steinmeier z. B. moralisch fragwürdiger.


    Edit:
    Seestern
    Aus dem Unfallsort und dem Wissen, von welchen Pisten Althaus und die Skifahrerin kamen, weiß man, dass Althaus von seiner Piste auf die Piste der Getöteten in falscher Richtung eingefahren ist. Er war sozusagen Geisterfahrer. Er hätte von seiner Piste gar nicht an die Stelle kommen dürfen, an der der Unfall passiert ist. Die Vorfahrtsregeln sind wohl auf den Skipisten nicht so ganz klar, aber selbst für einen Laien ist bei der Aufzeichnung der Unfallstelle klar, dass Althaus da eigentlich nichts zu suchen hatte. Umso mehr hätte er aufpassen müssen, nicht mit jemandem, der in Fahrtrichtung unterwegs ist, zusammenzuprallen. (Obwohl er auch dass sicher nicht absichtlich gemacht hat - deswegen wohl Anklage wegen Fahrlässigkeit.)


    @ Salonlöwin
    Stimmt, der Staatsanwalt muss das Urteil noch annehmen.

  • Ich gebe zu, mich stört auch die Kaltschnäuzigkeit, mit der scheinbar über diese Geschichte hinweggefegt werden soll. Weg mich Schaden fällt mir dazu nur ein. Das Verfahren wird in aller Schnelle vor Beginn des Wahlkampfes abgehakt, damit bis zum Sommer genug Gras über die Sache gewachsen ist, bevor der Wahlkampf startet.


    Frage zur Rechtskraft: Wird in Österreich der Rechtsmittelverzicht erst wirksam, wenn die Staatsanwaltschaft ebenfalls darauf verzichtet?

  • @ Idgie
    Hast Du das Verfahren als kaltschnäuzig empfunden? Gut, der Unfall ist erst zwei Monate her. Aber einer ist tot, der andere wird sich vermutlich nie mehr in seinem Leben an den Unfall erinnern können und die Gutachten werden sich wohl auch nicht mehr ändern. Zeugen gab es kaum und neue tauchen wohl nicht auf. Worauf soll man denn noch warten?


    Ich habe ehrlich gesagt kein Anhaltspunkt für eine Kaltschnäuzigkeit auf seiten von Althaus. Ich glaube eher, er ist mehr als genug gestraft mit dem Wissen, ein Menschenleben - wenn auch unabsichtlich - auf dem Gewissen zu haben.

  • Salonlöwin :


    Zitat

    Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.


    Stimmt! Mein Fehler. Die Staatsanwaltschaft hat noch nicht zugestimmt.


    Seestern :


    Zitat

    Welche "Schuld" hat Althaus denn wirklich auf sich geladen


    Durch sein fahrlässiges Handeln hat er den Tod eines Menschen bewirkt. Fahrlässigkeit ist eine sträfliche (und hier: strafbare) Vernachlässigung der Sorgfaltspflicht. Wer sorgfältig vorgeht, also so eine Skipiste herunterfährt, dass er niemanden gefährdet oder gefährden kann, tötet auch niemanden. Das Gegenteil ist hier geschehen.


    Vulkan :


    Vorsatz oder Fahrlässigkeit muss man m.E. auch vor dem Hintergrund der Tatfolgen sehen. Und es mag sein, dass Althaus keine Erinnerung an den Ablauf hat, aber es kann auch sein, dass er sich durch das Übernehmen der Verantwortung und das Drängen auf einen schnellen Prozess schwerwiegenderen Konsequenzen entziehen wollte.

  • Ergänzung:


    Meine Frage ging auch eher dahin, ob das richtig ist, sich richtig anfühlt, als einen der höchsten Repräsentanten des Staates jemanden zu haben, der, wie man so sagt, "ein Menschenleben auf dem Gewissen hat". Ob beabsichtigt, fahrlässig, stark mitschuldig, gering mitschuldig, vorsätzlich oder gar heimtückisch, das spielt m.E. nur eine untergeordnete Rolle. Es geht um ein Tötungsdelikt, nicht um Steuerhinterziehung oder Amigogeschäfte.

  • @ Tom
    Mag sein - aber nun begeben wir uns endgültig in das Reich der Spekulationen. Die Amnesie ist bei dem Verletzungsgrad wohl relativ glaubhaft. Und zivilrechtlich ist die Übernahme der Verantwortung mit entsprechenden Schadenersatzforderungen auch nicht ohne. Vielleicht bin ich naiv - aber noch sehe ich ehrlich gesagt nichts extrem Verwerfliches an all dem.
    Was wären Deiner Meinung nach "schwerwiegendere Konsequenzen", denen er (eventuell) aus dem Weg gehen wollte?


    Edit:
    Nochmal konkret auf Deine Frage: Ja, ich würde eher einen Menschen wählen, der fahrlässig ein Menschenleben auf dem Gewissen hat (zumindest auf die Art, wie es hier wohl passier ist; jemand der betrunken Auto fährt oder meint mit 150 km/h durch die brandenburgischen Alleen zu rasen, würde ich da ausnehmen) als jemanden der bewusst illegale oder menschenverachtende oder demokratieinkompatible Entscheidungen trifft. Aber darüber kann man sicher differenter Meinung sein. Zumal wenn jemand ohne juristische Winkelzüge seine durch ein Gutachten nahegelegte Verantwortung übernimmt, auch wenn er sich damit vielleicht politisch vernichtet. (Ich sehe ohnehin noch nicht, dass er bis zur Wahl wieder auf die Beine kommt - physisch, psychisch und politisch.)

  • Ich kann mir meine Meinung nur aus der Berichterstattung bilden. Mir ist sehr wohl klar, dass diese Informationen auch immer bestimmte Absichten verfolgen und nicht immer unvoreingenommen sind. Wenn die Berichte über das Drängen der Anwälte Althaus' nach einem zügigen Verfahren stimmen und man andererseits weiß, dass solche Verfahren in der Regel (zumindest in Deutschland) nicht nach so kurzer Zeit nach der Tat terminiert werden, dann ja, dann empfinde ich das durchaus als kühl kalkuliert.


    Ein Schuldeingeständnis ist eine ehrenvolle Sache, ja. Aber das ändert trotzdem nichts an den Tatfakten. Und ich glaube darüber hinaus immer noch, dass ein Regierungschef eines Bundeslandes, der damit zur Führungsriege des Landes gehört, einen moralisch strengeren Maßstab anlegen lassen muss.
    Nennt es meinetwegen idealistisch. Der Hinweis auf andere "schlimmere" Politiker macht die Misere leider nicht besser. obwohl man bei manchen Wahlen tatsächlich das Gefühl hat, nur zwischen kleineren und größeren Übeln wählen zu können. Ich behalte mir allerdings das Recht vor, diese Übel anzuprangern.

  • Vulkan : Eine "schwerwiegendere" Konsequenz könnte in einem härteren Urteile (fahrlässige Tötung kann auch mit Haftstrafen belegt werden) bestehen, oder in der Abwahl, durch die zeitlich geringere Nähe zur Landtagswahl bei einem längeren Verfahren. Althaus' Anwalt hat das Urteil akzeptiert, und damit ist der Thüringer Ministerpräsident der fahrlässigen Tötung schuldig, faktisch. Über den Verlauf des Unfalls oder Althaus' Anmesie kann man nur spekulieren, das ist richtig, aber es ist auch nicht nötig.


    Du siehst nichts extrem Verwerfliches an dem? Du siehst mich verblüfft. Es geht hier nicht um einen Opel-Personalchef, sondern um einen Repräsentanten des Staates.

  • "Ein Menschenleben auf dem Gewissen" haben sehr viele Politiker, sehr viele auch mehrere... Und manche durchaus auch wissentlich. Wer Armeen in den Krieg schickt ist am Tod der Erschossenen nicht unschuldig.


    Mich wundert an der gesamten Geschichte, dass offenbar die gründliche Aufarbeitung des Ganzen mit dem schnellen Urteil hinfällig geworden ist. Vor ein paar Wochen hieß es noch, dass sehr gründlich untersucht würde, mit Gutachtern und pi pa po... Irgendwie beschleicht mich da der Verdacht, dass das Herrn Althaus (oder seinen Beratern) sehr gut in den Kram passen dürfte. Ebenso die Tatsache, dass diese Untersuchungen nun keinen Wahlkampf mehr stören. Dass er vorbestraft ist, wird doch (leider) in ein paar Wochen keinen mehr interessieren. Auch das riecht mir nach Taktik... und das finde ich ärgerlich: warum wird auf solche Dinge ganz offensichtlich so viel Rücksicht genommen??


    Ich finde es immer bedenklich, wenn Politiker mit Vorstrafen so immense Verantwortung haben. Und es kann zwar jedem passieren, wie der Generalsekretär der CDU Thüringen erzählt, aber nicht jeder ist MP und es sollte eben nicht jedem passieren. Nicht umsonst ist das Ganze strafbar und strafwürdig.


    Die Thüringer CDU hat allerdings keine Alternative zu Althaus. Selbst Frau Lieberknecht, die bisweilen gehandelt wurde, ist zu blass. Alle andern sind zu blöde oder zu unbekannt.


    Nun wird ers wohl wieder werden...


    Allerdings erinnere ich mich an einen Grafen Lambsdorff von der FDP, der rechtskräftig wegen Steuerhinterziehung verurteilt wurde und dann munter weiter im Bundestag mitgemischt hatte. Gut finde ich das nicht, auch wenn natürlich jeder sein Recht auf eine zweite Chance haben soll...

  • Tom,
    das weiß ich. Ich wollte ihm solche Absichten aber wirklich nicht unterstellen. Angesichts der festgestellten Fakten gab es trotz fehlender Zeugen wohl wenig alternative Ursachen für den Unfall.


    Spontanes Abstreiten der Schuld oder Schweigen scheint trotzdem bei vielen Menschen eher das Mittel der Wahl zu sein, wenn sie mit derartigen Anschuldigungen konfrontiert werden. Wahrscheinlich empfinde ich das Eingeständnis daher auch als ehrenvoll, eben weil es wohl nicht der Regelfall ist. Für mehr Bonuspunkte ist allerdings zurzeit kein Platz.

  • Ich erinnere an den Fall Wiesheu.


    Auch Lambsdorff und Friedrichs sind in den Achtzigern wegen einer Verurteilung von ihren politischen Ämtern zurückgetreten. (Steuerhinterziehung)
    Damals fielen allerdings vor allem die Zeugen durch 'Amnesie' auf.


    zu Althaus: was macht man mit jemandem, der nicht einmal auf der Skipiste darauf achtet, wo er hinfährt?


    Wenn ich es recht gehört habe, ist der Staatsanwalt mit dem Urteil auch nicht zufrieden.
    :gruebel



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Tom, ich halte mich daran, was ein Mensch mit welcher Motivation tut. Wenn Zumwinckel keine Lust hat, einen Teil seiner Millioneneinkünfte zu versteuern und diese illegal außer Landes bringt, tut er das absichtlich, wider besseren Wissens. Das finde ich moralisch kritikwürdig.


    Was hat Althaus gemacht? Genau wissen wir das nicht. Wir wissen nur, dass er anscheinend - aus welchen Gründen auch immer - falsch auf diese Route eingebogen ist. Wir wissen nicht, ob er das wissentlich und absichtlich getan hat, die Orientierung verloren hat, oder welchen Grund er dafür hatte. Und ja, ich bin mir zumindest sicher, dass er nicht im Traum auf die Idee gekommen wäre, dass sein Handeln solche Konsequenzen nach sich ziehen kann.


    Wie gesagt - ich habe kein Problem damit, wenn Ihr das anders seht, aber menschlich hat sich Althaus bisher nicht für mich diskreditiert.

  • @ Vulkan
    Grundsätzlich würde ich das ähnlich sehen, wie du es in deinem letzten Posting ausdrückst.
    Er hat einen Fehler gemacht, der zu dem Tod eines Menschen geführt hat. Ganz sicher war dies nicht beabsichtigt und wie Seestern schreibt ein tragischer Unfall.


    Wie aber kann ich einem Menschen, der einen solch schwerwiegenden Fehler begeht, ein so hohes Amt erteilen?
    Was sagt mir, daß dieser Mensch bei wesentlich wichtigeren Entscheidungen, als der in welche Richtung er die Piste runter zu fahren hat, nicht ebenfalls den Überblick verlieren wird?


    Natürlich, jeder macht Fehler und hat eine zweite Chance verdient, aber ob so jemand unbedingt an die Spitze eines Bundeslandes gehört, um seine zweite Chance zu verwirklichen, halte ich für fraglich....zu einem wirklichen Ergebnis bin ich da aber auch noch nicht gekommen...

  • Zitat

    Original von Vulkan
    Was hat Althaus gemacht?


    Zumindest hat er die gebotene Sorgfalt außer Acht gelassen. Entschuldbar? Wenn man die möglichen Folgen bedenkt, wohl nicht. Als versierter Skifahrer dürften ihm die Gefahren nicht völlig unbekannt gewesen sein.


    Das man das angesichts der Folgen als "nicht so schlimm" empfindet, zeigt eigentlich, wie sich Werte verschieben. Ein wegen eines Tötungsdekliktes vorbestrafter Regierungschef ist für mich nicht wählbar.