Die Apfelpflückerin - Lynn Austin

  • Wir sind alle Fremde in einem fremden Land, die sich nach der Heimat sehen, aber nicht genau wissen, was oder wo unsere Heimat ist. Manchmal erspähen wir sie in unseren Träumen oder wenn wir um eine Ecke biegen, und dann ist da plötzlich eine merkwürdige süße Vertrautheit, die beinahe so schnell wieder verfliegt, wie sie gekommen ist.
    Madeleine L’Engle (Seite 322)


    408 Seiten, kartoniert
    Originaltitel: Hidden Places
    Aus dem Amerikanischen von Dorothee Dziewas
    Verlag: Verlag der Francke Buchhandlung GmbH, Marburg, 4. Aufl. 2009
    ISBN-10: 3-86122-983-8
    ISBN-13: 978-3-86122-983-4




    Kurzinhalt / Klappentext


    Die junge Witwe Eliza kennt nach dem Tod ihres Schwiegervaters nur ein Ziel: Allein kämpft sie um die Rettung der Obstplantage, die seit Jahrzehnten das Ein und Alles der Familie ihres Mannes war. Schnell wird der Mutter von drei kleinen Kindern klar, daß dieses Vorhaben nur gelingen kann, wenn Gott einen Engel schickt, wie die verrückte Tante Gracie meint.
    Tatsächlich steht bald ein geheimnisvoller Fremder vor Elizas Tür. Ist er wirklich der erhoffte Gottesbote, oder hegt er finstere Absichten? Immerhin scheint er nicht der zu sein, der er zu sein vorgibt. Doch wer ist das schon? Eliza ist selbst gefangen in einem Netz aus Lügen über ihre Herkunft, und auch in der Familie ihres Mannes schlummert mehr als ein dunkles Geheimnis. Nur langsam fügen sich die Bruchstücke der Vergangenheit zu einem Gesamtbild zusammen.
    Wird Eliza letztlich alles verlieren, was ihr lieb und teuer ist, oder gewinnt sie sogar mehr, als sie je zu träumen wagte?


    Das Buch wurde im Jahre 2002 im Bereich „North American Historical“ mit dem Christy Award ausgezeichnet.


    Warum man allerdings aus dem Originaltitel „Hidden Places“ einen „Die -in“ - Titel machen mußte, das hat sich mir nicht erschlossen, zumal sich der Originaltitel aus dem dem Buch vorangestellten Motto ergibt und auch zur Handlung paßt.



    Über die Autorin


    Viel habe ich nicht gefunden. Lynn Austin hat im Jahre 1992 ihre Tätigkeit als Lehrerin aufgegeben und widmet sich seither hauptberuflich dem Schreiben. Sie hat mit ihrem Ehemann drei Kinder und lebt in der Nähe von Chicago.


    Lynn Austin hat in diesem Jahr den Christy Award im Bereich „Historical Fiction“ für ihr Buch „Until We Reach Home“ erhalten.


    - < Klick > - da ist die Website der Autorin (in englischer Sprache)
    - < Klick > - da ist die Seite zum Buch beim Originalverlag (in englischer Sprache, mit Leseprobe und Reading Guides. Achtung: in den Reading Guides sind teilweise massive Spoiler enthalten!)



    Meine Meinung


    Ein Buch wie das volle Menschenleben. Ich habe gelacht und geweint, geliebt und gehaßt, gelitten und mich gefreut. Für vierhundert Seiten habe ich meine Welt verlassen und war tief eingetaucht in jene von Eliza, Gabe, Tante Crazy und wie sie alle hießen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich das Buch schließlich in tiefer innerer Ruhe und dem Bewußtsein zugeschlagen, eines meiner Jahreshighlights gelesen zu haben.


    Durchzogen von einer leisen Melancholie, ist das Buch voller (Lebens-)Freude und Hoffnung. Was wie ein Gegensatz erscheint, ist hier in einer einmaligen Synthese vereint. Wie mich das Buch auch etliche Male überrascht hat.


    Das fängt bei der Übersetzung an. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich das Gefühl, eine Übertragung aus dem Amerikanischen zu lesen, nie das Bedürfnis zu wissen, wie es denn im Original heißt. Es ist, als ob das Buch ursprünglich auf Deutsch geschrieben wurde. Die Übersetzerin Dorothee Dziewas hat ausgezeichnete Arbeit geleistet.


    Die Autorin schreibt in einer wundervollen Sprache und hat mich immer wieder auch durch ihre Vergleiche überrascht. Ein paar Beispiele dafür seien zitiert:


    Zusätzlich zu meiner Sorge darum, dass Mr Harfner sterben könnte, erschien es mit, als hätte ich mehr Sorgen als Hiobs Frau. (Seite 42)
    Vermutlich hatte ich einfach vergessen, wie es war, einen Tag zu verleben, ohne über Schwierigkeiten zu stolpern. (Seite 59)
    Obwohl Frank höflich und wohlerzogen war, taute er nie so weit auf, dass die Eiskrem in Gefahr gewesen wäre zu schmelzen. (Seite 122)
    Sie sind alle vertrocknet, Lydia, wie Blüten nach dem Frost. (Seite 145)
    Tante Crazys Geschichten hatten mehr Löcher als Schweizer Käse. (Seite 166)
    Manche der schönsten Menschen der Welt haben ein Herz, das schlimmer stinkt als Elefantenkot. (Seite 350)


    Große Teile des Buches sind in Ich-Form geschrieben. Mich hat das nicht gestört, wurde dadurch doch eine recht große Nähe, ein Einbeziehen des Lesers in die Handlung, geschaffen; als ob man am Tisch sitzt und die Geschichte direkt von den Betroffenen erzählt bekommt. Das Buch ist sehr gut und flüssig lesbar, ich konnte mir alles plastisch vorstellen und war während des Lesens weit weg von jeder mich umgebenden Realität.


    Das Wort „Familiengeschichte“ wirkt auf mich eigentlich eher abstoßend denn anziehend. Doch wenn das so erzählt wird, wie hier von Lynn Austin, dann will ich noch viele solcher Geschichten lesen. Normalerweise mag ich nicht, wenn in Büchern zu viel Realität auftaucht. Die habe ich schon im täglichen Leben mehr als genug. Hier ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen mich das Auftauchen der Realität eben nicht gestört oder abgeschreckt hat.


    Sowohl der Originalverlag (Bethanyhouse) als auch der deutsche sind christliche Verlage. Es war mir daher bewußt, daß es sich um einen christlich geprägten Roman handelt. Nicht bewußt war mir, daß ich eine durchaus differenzierte Darstellung des (gelebten) christlichen Glaubens vorfinden würde. Daß die „gute“ wie die „böse“ Seite gleichermaßen auftauchen und teilweise hart aufeinanderprallen. Daß fundamentalistische Auswüchse, um mich mal vorsichtig auszudrücken, so deutlich und durchaus ablehnend angesprochen und dargestellt werden wie hier im Buch geschehen.


    Selten habe ich auf eine Romanfigur solchen Haß entwickelt wie auf diesen Frank Wyatt, der die Bibel benutzt, um andere zu quälen und zu tyrannisieren. :fetch

    Der Glaube spielt auf die eine oder andere Art immer wieder eine Rolle. Dabei erschien es mir nie aufgesetzt oder oberlehrerhaft, sondern so gut in die Geschichte verwoben, daß es einfach so gehörte. Die Protagonisten haben für mich in sich stimmig und glaubwürdig gehandelt. Das gilt für Tante Crazy (!), wenn sie über ihre Ansichten über Gott und das Leben sprach genauso wie für Frank Wyatt, wenn er aus der Bibel ableitete, seine Frau und seine Kinder aufs schwerste zu züchtigen.


    Ein paar Mal schlucken mußte ich, als Eliza schließlich ihre Geschichte erzählte. Mama, die immer krank war und ihre Medizin brauchte. Was für eine „Medizin“ das war, wird dem Leser schnell klar. Doch nicht dem kleinen Kind von damals. Gut beobachtet.


    Das Thema Schuld und Sünde, besser sollte ich sagen falsch verstandene Schuld und Sünde, taucht immer wieder auf. Meist ist es Tante Crazy, die sich eine klare und unverstellte Sichtweise bewahrt hat und damit den Anstoß zum richtigen Verständnis und zur Heilung gibt. In den Lebensläufen der Protagonisten kommen auch sehr deutlich die verschiedenen Möglichkeiten, damit umzugehen, zum Vorschein.


    Es ist ein komplexes Geflecht von Schicksalen, das die Autorin im Laufe des Buches enthüllt, wie die Einzelteile eines Puzzles vor uns ausbreitet und langsam zusammenfügt, bis alles ein stimmiges Gesamtbild ergibt. In neun Teilen erfahren wir die Geschichte von Eliza und ihrem Mann Sam Wyatt, von Frank und Matthew Wyatt, von Gabe Harfner, von Walter Gibson und Tante Crazy, wie sie genannt wird, die trotz allem weder ihren Lebensmut noch ihren Glauben verloren hat.


    Am Ende, wenn dann alles erzählt ist und im Epilog die letzten offenen Enden verknüpft sind, wird klar, daß der Wunsch des Vaters der kleinen Eliza vielleicht doch in Erfüllung gegangen ist, wenn auch ganz anders, als man sich das landläufig so vorstellt.


    Möge der Herr seine Engel um Dich stellen. (Seite 12)



    Kurzfassung:


    Wie die Teile eines Puzzles fügen sich die Schicksale zu einem Bild zusammen. Die bisweilen tragische, bisweilen schöne Geschichte von Eliza, Gabe und ihren engsten Verwandten. Melancholisch, heiter, tragisch, hoffnungsvoll. Eine Geschichte wie ein Menschenleben. Und über das, was Familie eigentlich sein sollte.



    Edit. Link ergänzt
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Lynn Austin: Hidden Places


    Hier die amerikanische Originalausgabe. Die dort zu findende Rezension (in deutscher Sprache) beschreibt das Buch und vor allem die Intention der Autorin sehr treffend, besser als ich es ausdrücken könnte.



    Kurzinhalt (Quelle: Amazon)


    A deep yearning for home had led Eliza to Wyatt Orchards ten years ago. Now widowed with three young children, she faces mounting debts and the realization it is all up to her. But she has no idea how to run an orchard alone. When a stranger appears at her doorstep, Eliza guesses he is no different than the other out-of-luck characters searching for work during the Depression. But the familiarity with which Gabe tends to the farm raises unanswered questions. With a vulnerable heart, she is unwittingly drawn to his gentle ways. But Eliza also fears that Gabe hides a past and motives that could jeopardize all she has fought to attain for herself and her children.
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    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Hidden Places


    Das Buch wurde im Jahre 2006 fürs US-Fernsehen verfilmt, eine typische Hallmark-Produktion. :-] In Europa ist er nie erschienen, und daher nur als Region-1-DVD erhältlich. (Solche DVDs laufen nicht in europäischen DVD-Playern bzw. PC-DVD-Laufwerken. Man braucht einen Region-1 oder Codefree-Player oder ein PC-DVD-Laufwerk mit Region-1-Codierung.)


    In den Hauptrollen sind Sydney Penny als Eliza und Jason Gedrick als Gabe zu sehen. Shirley Jones, die Tante Batty spielte, wurde für diese Rolle im Jahre 2006 für den Emmy nominiert. Es gibt einige Änderungen im Vergleich zum Roman: so hat Eliza etwa (analog wie in der Verfilmung von „Season For Miracles“) im Film nur zwei Kinder statt im Buch drei und einige Änderungen mehr. Auch wurde die im Buch recht komplexe Handlung in eine eher geradlinige verwandelt, wodurch viel von der Tiefe des Buches verloren geht. Allerdings möchte ich, ehrlich gesagt, die Taten eine Frank Wyatt gar nicht im Film sehen. Das darüber Lesen war schon schlimm genug.


    Die Stimmung, das Feeling der dreißiger Jahre, ist für meine Begriffe jedoch gut getroffen, desgleichen das Grundthema des Buches. Daß manches ein bißchen „hochglanzmäßig“ daherkommt, sei verziehen (und ist bei Hallmark-Produktionen zu erwarten). Also etwa schwitzt man bei harter Arbeit schon, daß heißt aber nicht, daß man deswegen wer weiß wie unansehnlich aussieht oder nicht die Zeit hätte, sich vor dem Einschalten der Kamera kurz die zu Hände waschen. ;-)


    Nicht sehr auffällig war das christliche Element. Gabe betet vor dem Essen, Tante Batty spricht viel vom Glauben. Das wars auch schon. Man merkt, daß der Film eher für ein allgemeines Publikum gedreht wurde.


    Alles in allem hat er mich gut unterhalten. Langsam, wie ich es mag, schreitet die Handlung voran, bis der Film schließlich im (erwarteten) Ende ausklingt und mich innerlich ruhig und zufrieden zurückließ.


    - >Klick< - da geht es zur Produktseite bei Amazon.com (USA)
    - >Klick< - da geht es zur Produktseite bei Amazon.co.uk (Großbritannien). Da habe ich meine DVD über Marketplace bestellt.
    - >Klick< - da ist die Seite bei imdb.com (in englischer Sprache, mit vollständigem Cast & Credit)



    Edit hat die Amazon-Verlinkung zur inzwischen erhältlichen deutschen DVD (ohne Originalton!) ergänzt.
    .

  • Man SiCollier, du weißt wie man einen in Versuchung führt ... mit direkten Links zum Amazon. Bist du am Umsatz beteiligt ;-) :grin


    Übrigens tolle Rezi. Ich bin am Überlegen, ist schwer zu entscheiden. Buch in Deutscher Übersetzung, Originalbuch oder Film. Was würdest du empfehlen? Wie ist der Film zu verstehen? Hat der deutsche Untertitel?

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von Suzann
    Man SiCollier, du weißt wie man einen in Versuchung führt ...


    Ich??? Niemals nie nicht ... :grin


    Zitat

    Original von Suzann
    mit direkten Links zum Amazon. Bist du am Umsatz beteiligt Augenzwinkern


    Leider nicht. Wäre aber eine gute Idee. Ich sollte man mit Herrn Bezos in Verhandlungen treten. ;-)



    Zu Deinen Fragen.


    Am leichtesten zu beantworten ist m. E. die zur Buchausgabe. Ich habe mir nur darum die deutsche Ausgabe gekauft, weil ich schon „Fionas Geheimnisse“ auf Deutsch habe, und Bücher nunmal am liebsten in ähnlicher Ausstattung besitze. :rolleyes Allerdings hat sich das hier als Glücksfall erwiesen. Ich kenne zwar das Original nicht, doch die deutsche Übersetzung ist wirklich ganz hervorragend gelungen. (Dabei gehe ich davon aus, daß die Übersetzerin inhaltlich nichts verändert hat, wie dies etwa bei den dt. Ausgaben von Marion Zimmer Bradley geschehen ist.) Es ist (für mein Sprachempfinden) sehr gutes Deutsch, wie ich es mir in manchen deutschen originalsprachlichen Büchern wünschen würde. Ich werde mir nach und nach alle Bücher von Lynn Austin zulegen und lesen. Solange die von Dorothee Dziewas übersetzt werden, denke ich über die Originalausgabe gar nicht erst nach; selbst wenn ich etwas warten muß und obwohl Bethanyhouse derzeit einer meiner Lieblingsverlage ist. (Wie ich überhaupt inzwischen immer darauf achte, wer ein Buch übersetzt hat.)



    Buch oder Film ist schwieriger. Das Buch ist auf jeden Fall wesentlich besser, weil tiefgründiger, als der Film. Frank Wyatt erscheint nur zu Beginn kurz als verbitterter alter Mann; mit kaum bis keinen Hinweisen auf seine tyrannische Vergangenheit. Matthew Wyatt fehlt vollständig, was bedeutet, daß die Geschichte von Gabe sehr viel einfacher ist. Der Film für sich alleine gesehen ist nicht schlecht; nicht umsonst gab es eine Emmy-Nominierung. Ich würde ihn als Wohlfühlfilm bezeichnen, habe ihn gerne gesehen und gucke ihn mir mit Sicherheit noch mehrmals an. Aber mit zeitlichem Abstand zum Buch. Für mein Dafürhalten wurden etliche Elemente und Figuren aus dem Buch genommen und daraus ein in sich stimmiger Film geschaffen. Die im Buch behandelten Thematiken (s. u.) wurden weitgehend bis völlig ausgeklammert. Aus einer sehr komplexen Geschichte wurde eine eher einfache, geradlinige gemacht, die sich gut als Film in rund 90 Minuten erzählen läßt.


    Es gibt übrigens - wie bei den meisten meiner US-DVDs - keinerlei Untertitel. Zu Beginn hatte ich etwas Verständnisprobleme, im weiteren Verlauf nicht mehr. Allerdings habe ich in den letzten Monaten etliche US-Filme im Original gesehen, so daß ich den Slang gewohnt bin. (Nach „Lonesome Dove“ kann mich sprachlich gesehen sowieso nichts mehr erschüttern.) Außerdem informiere ich mich vor dem ersten Ansehen möglichst weitgehend über den Inhalt und sehe einen Film mit kurzem Abstand mindestens zwei Mal an. Ab dem dritten Mal verstehe ich dann fast jedes Wort und ich merke gar nicht mehr, daß es eine Fremdsprache ist. Allerdings benutze ich immer einen guten Kopfhörer; nur über die Lautsprecher wäre es schwieriger.



    Nochmals zum Buch. Je mehr ich drüber nachdenke, um so besser gefällt es mir, denn es steckt ungemein viel drin. Um die Stichworte zu nennen: Kindesmißhandlung (physisch wie psychisch), Gewalt in der Ehe, rücksichtlose Macht, Verzweiflung, Glaube, falsch verstandener und falsch praktizierter „Glaube“ - und wie geht man damit um, was für Folgen zeitigt das, was lernt man daraus für das eigene Leben. Wie wird das weitere Leben eines Menschen, der solches erleiden mußte, beeinflußt; wie wirkt sich das auf den Umgang mit den Mitmenschen aus? Es geht auch das ganze Buch hindurch darum, was eine Familie eigentlich ist. Und es gibt den besten Rat, den man einem Menschen, der gerade Vater geworden ist, geben kann. Das ist etwas, worauf einen niemand vorbereitet. Ich weiß noch sehr genau, wie es war, als im Krankenhaus die Schwester ins Zimmer kam, mir ein Bündel in die Arme gab und sagte „herzlichen Glückwunsch“. Doch nirgendwo gab es eine „Bedienungsanleitung.“ Ich wünschte, mir hätte damals jemand die Worte aus diesem Buch gesagt:
    “Du brauchst keine Angst zu haben, Sam“, sagte ich zu ihm. „Sei einfach der Vater, den du dir immer gewünscht hast. Wenn du dir gewünscht hast, dass dein Papa dich abends zudeckt, dann deck den kleinen Jimmy zu. Wenn du dir gewünscht hast, dass dein Papa mit dir angeln geht, dann nimm ihn zum Angeln mit. Mehr brauchst du nicht zu tun.“ (Seite 377)
    Eigentlich ganz einfach. Und doch so schwer.


    Insofern ist der deutsche Buchtitel völlig daneben. Der Originaltitel „Hidden Places“ bezieht sich auf das dem Buch vorangestellte Motto:


    Im Leben eines jeden von uns ...
    gibt es einen Ort,
    abgelegen wie eine Insel -
    einen Ort unendlichen Bedauerns
    oder heimlichen Glücks.

    Sarah Orne Jewett (Seite 5)


    Ich finde es beachtlich, wie die Autorin es geschafft hat, das alles in vierhundert Seiten zu packen; in eine Geschichte, die sich so zwangläufig entwickelt und ergibt, daß nichts künstlich, gewollt oder aufgesetzt wird. Selbst die Gespräche, in denen es um Gott ging, könnten m. E. so stattgefunden haben. Das christliche (oder auch unchristliche) ist einfach Teil der Personen, ihres Lebens, ohne daß das Buch ins missionarische oder oberlehrerhafte, gar ins Unglaubwürdige abgleiten würde. Die Balance ist wirklich sehr gut gewahrt. (Konnte ich mich jetzt verständlich ausdrücken?)


    Ich habe im Eingangspost die Seite zum Buch beim Originalverlag verlinkt. Dort gibt es „Reading Guides“, die alles nochmals recht gut auf den Punkt bringen. Doch Vorsicht: Über weite Strecken des Buches ist die wahre Identität von Gabe Harfner unklar. Wer mitraten möchte, sollte diese Reading Guides erst nach der Lektüre des Buches lesen!


    Das war zwar mein erstes Buch der Autorin, aber mit Sicherheit werde ich so nach und nach alle ihre Bücher lesen.



    Edit ergänzt, bei Interesse könnte das Buch auch auf die Wanderschaft gehen (und hat Tippfehler berichtigt).

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Also, wenn ich das so lese, werde ich erst mal das deutsche Buch besorgen und dann entscheiden, ob ich den Film auch gucken will. Danke für deine ausführliche Antwort SiCollier :wave


    PS: Ich werde mal bei Herrn Bezo zu deinen Gunsten vorsprechen ;-) :lache

    smilie_sp_274.gif
    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Ein Buch wie das volle Menschenleben. Ich habe gelacht und geweint, geliebt und gehaßt, gelitten und mich gefreut. Für vierhundert Seiten habe ich meine Welt verlassen und war tief eingetaucht in jene von Eliza, Gabe, Tante Crazy und wie sie alle hießen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich das Buch schließlich in tiefer innerer Ruhe und dem Bewußtsein zugeschlagen, eines meiner Jahreshighlights gelesen zu haben.


    Wieder einmal eine Meister-Rezi!
    Auch wenn ich das Buch kenne und sehr liebe, haben Deine Worte dazu geführt, dass ich es sofort aus dem Regal gezogen habe und einige Seiten noch einmal gelesen habe.


    Lynn Austins Bücher empfinde ich allesamt als zutiefst menschlich. Und Du hast recht, der Glauben, der zwar die Protas prägt, wird dem Leser nicht aufgezwungen, sondern er gehört den Figuren. Ohne ihn, so denke ich immer, fehlt ihnen etwas. Ich kenne jedenfalls keines von ihr, auf das ich noch verzichten würde.


    Auf Deine Meinung zu "Fionas Geheimnisse" bin ich extrem gespannt.

  • @ Suzann


    Alles klar. Wegen des Filmes kannst Du ggf. bei mir anfragen. Allerdings läuft die DVD nicht in europäisch auf Region-2 codierten Playern; zumindest in unserem nicht - ich habe es versucht. Ich habe einen codefree-Player (der aber aus Altersgründen dabei ist, seinen Dienst zu quittieren) und ein DVD-ROM Zweitlaufwerk im PC, das auf Region 1 codiert ist. Eins von beiden Geräten geht immer; hoffentlich.



    Danke Lipperin. :wave


    Zitat

    Original von Lipperin
    Auf Deine Meinung zu "Fionas Geheimnisse" bin ich extrem gespannt.


    Ich auch. :grin
    Im Ernst: vielleicht bekomme ich das zwischen das Wanderbuch und die nächste Leserunde (ab 26. September) hin. Lynn Austin hat mich sehr beeindruckt; ich habe heute mal etwas auf ihrer Homepage gestöbert und ich vermute, daß ich wieder mal eine Autorin entdeckt habe, von der ich vermutlich jedes Buch unbesehen kaufen (und irgendwann auch lesen) werde.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Ein Buch wie das volle Menschenleben. Ich habe gelacht und geweint, geliebt und gehaßt, gelitten und mich gefreut. Für vierhundert Seiten habe ich meine Welt verlassen und war tief eingetaucht in jene von Eliza, Gabe, Tante Crazy und wie sie alle hießen. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge habe ich das Buch schließlich in tiefer innerer Ruhe und dem Bewußtsein zugeschlagen, eines meiner Jahreshighlights gelesen zu haben.


    :write
    was für ein Buch! Ich habe zwar erst 100 Seiten gelesen, aber ich bin schon total begeistert.
    Meine Lieblingsfigur ist Tante Crazy :-] Diese Frau hätte ich gerne in meiner Familie gehabt.
    Dieser Roman wird garantiert mein Monatshighlight :anbet
    Danke SiCollier :knuddel1 :knuddel

    to handle yourself, use your head, to handle others, use your heart
    SUB 15
    _______________________________________________________
    :kuh:lesend

  • Ich bin gerade fertig geworden und noch ganz gefangen von der Geschichte. Ich bin restlos begeistert. Mit Fionas Geheimnissen hatte ich an der ein oder anderen Stelle meine Probleme, hier hingegen habe ich überhaupt nichts auszusetzen. Wie SiCollier schrieb, ist der Glaube zwar an vielen Stellen des Buches präsent (und machmal wird das sogar der Hauptprotagonistin zu viel :grin), aber er wirkt nie aufgesetzt oder gewollt in die Geschichte eingewebt.


    Das ein geheimnisvoller Fremder plötzlich vor der Tür steht und das Leben einer ganzen Familie quasi auf den Kopf stellt mag nicht neu sein, ist hier von Lynn Austin aber sehr sensibel und glaubhaft erzählt worden. Sehr gefallen hat mir auch, dass es hier wieder mehre Zeitebenen in Form der Lebensgeschichte einzelner Protagonisten gab, und auf diese Weise nach und nach beleuchtet wurde, welche Ereignisse und Erlebnisse Tragödien ausgelöst und Lebenswege verändert haben.


    Durch die Ich-Form, in der das Buch erzählt ist, rückt man zudem näher an die Protagonisten heran und wird fast schon selber zum Teil der Geschichte.


    Mein zweites Buch von Lynn Austin und sicher nicht mein letztes.

  • Ich habe das Buch gestern zu Ende gelesen (danke SiCollier) und ich hätte sehr viel verpasst, wenn ich es nicht gelesen hätte. Es ist eines der besten Bücher, welche ich in letzter Zeit gelesen habe. Bereits Fionas Geheimnis fand ich sehr schön geschrieben, die Apfelpflückerin jedoch noch besser.


    Ich kann mich nur anschließen. Auch ich wähnte mich für 3 Abende nicht in meinem Bett, sondern auf der Apfelplantage Wyatt Orchards. Habe dort mitgelebt, mitgezittert und mitgehofft. Die Bücher aus dem Fracke Verlag sind immer wieder echte Perlen. Dass sie sehr christlich angehaucht sind stört überhaupt nicht, sondern gibt ihnen nochmals eine ganz besondere Note, welche sie von der Alltagskost in der Belletristik stark abhebt ( und das sage ich als jemand, der nicht sehr christlich veranlagt ist).


    Das Buch bekommt von mir vorbehaltlos die Höchstpunktzahl und ich werde mich mal wieder bei Ebay auf die Suche nach anderen Romanen aus diesem Verlag machen.

  • Ich habe das Buch auch gelesen und bin sehr angetan. Da SiCollier schon eine wirklich tolle Rezi verfasst hat, weiß ich gar nicht, was ich noch schreiben soll.


    Die Geschichte hat mich berührt, alle Personen standen klar vor meinem geistigen Auge und haben sich absolut glaubwürdig verhalten. Am besten gefallen hat mir auch Tante Crazy... :-]


    Die christliche Komponente fand ich nicht aufgesetzt, sondern passte sich harmonisch ins Geschehen ein und wirkte auch nicht missionarisch o.ä.
    Ich habe jetzt schon einige Bücher aus christlichen Verlagen gelesen und diese wirken bei mir häufig nach, d.h. ich beschäftige mich gedanklich noch eine Zeit damit oder habe noch Fragen diesbezüglich.
    Vielleicht sollte ich es mal mit so einem "Reading Guide" versuchen?

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Schön, daß Dir das Buch gefallen hat. :-)



    Zitat

    Original von grottenolm
    Vielleicht sollte ich es mal mit so einem "Reading Guide" versuchen?


    Ähm, damit es keine Mißverständnisse gibt: diese Reading Guides sind keine Empfehlungen, was man noch lesen könnte, sondern enthalten konkrete Fragen zum Buch. Wer keine Spoiler mag, sollte diese immer erst nach der Lektüre lesen, da konkrete Fragen zum Handlungsverlauf (und ggf. der Intention der Autorin) gestellt werden, und man dadurch auf große Teile des Buches bis hin zum Ende schließen kann.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • SiCollier :


    genau so hatte ich es auch verstanden :wave


    Ich habe ganz konkrete Fragen zu diesem Buch, allerdings mehr bezogen auf die christlichen Teile und nicht zur allgemeinen Handlung, sodaß ich sie nicht hier öffentlich im Forum stellen möchte.

    Ich weiß nicht, was das sein mag, das ewige Leben.
    Aber dieses hier, das diesseitige, ist ein schlechter Scherz. (Voltaire)

  • Ich durfte dieses wundervolle Buch als Wanderbuch lesen. Danke an dieser Stelle noch einmal an SiCollier!!!
    Ich kann nicht wirklich genau sagen, was mich an diesem Buch so begeistert hat. Es hat mich einfach von Anfang an in seinen Bann gezogen und ich musste es fast an einem Stück lesen. Ich habe mitgefiebert, mitgefühlt und fast mitgebetet. :grin
    Alle Charaktere sind wundervoll gezeichnet und die Sprache des Buches ist faszinierend und verzaubernd zugleich. Ich fühlte mich fast wie ein Teil des Buches. Besonders die Tante und ihre Lebensgeschichte haben mich berührt und mir sehr gut gefallen.


    Ich werde definitiv mehr von dieser Autorin lesen!!!

    :wave Gruß Dany


    Die Wirklichkeit ist etwas für Leute, die mit Büchern nicht zurechtkommen.
    Leserweisheit

  • Zitat

    Original von Dany-Maus1986
    Ich werde definitiv mehr von dieser Autorin lesen!!!


    Schön, daß es Dir gefallen hat. :-) Ich habe die Autorin schon mehrfach weiterempfohlen, denn Lynn Austin Bücher sind einfach lesenswert.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Seit ich diese Rezi das erste Mal gelesen habe, hatte ich schon immer vor, das Buch zu lesen. Letzte Woche habe ich es dann in der Bibliothek gefunden und gleich verschlungen.


    Ich fand es zuckersüß und berührend, es war genau das Richtige für mich momentan. Beim Lesen fühlte ich mich ein wenig an "Vom Winde verweht", "Grüne Tomaten" und an "Wasser für die Elefanten" erinnert, Bücher, die ich allesamt heiß und innig liebe.
    Wie den anderen Rezensenten hat es mir auch besonders Tante Crazy angetan - obwohl ich sagen muss, dass sie für mich gen Ende ein wenig zu sehr über Religion geredet hat.
    Dennoch fand ich das Religiöse an sich nicht störend, es gehörte halt so dazu.
    Ich möchte gar nicht allzu sehr von dem Buch verraten, aber für mich war es eine absolut stimmige Familiengeschichte (wie auch immer diese Familie zusammengestellt ist!), die den Wert des Lebens und der Liebe besonders hervor hebt. Das klingt jetzt furchtbar kitschig, dennoch würde ich das Buch nicht in diese Ecke schieben. Austin schreibt nur ganz liebevoll (ohne aber auch finstere Geheimnisse auzusparen), ohne Hektik und mit viel Detailverliebtheit und erzählt dabei eine Geschichte, die auch auf 30 Seiten passen würde, die aber so nett und unterhaltsam und lebensbejahend ist, dass man noch gerne nach zuklappen des Buches bei den Protagonisten bleiben würde.


    Für mich ein Buch wie eine warme Decke! Ich wünsche diesem Buch noch ganz viele Leser und werde definitiv noch weitere Bücher der Autorin lesen.


    8 von 10 Punkten. :wave


    Übrigens möchte auch ich die besondere Qualität der Übersetzung hervor heben. Sie wirkt an keinem Punkt gekünstelt oder falsch, sondern der deutsche Text liest sich wirklich so, als wäre er auch in dieser Sprache verfasst worden. :-)

  • Kein Titel für mich.
    Lynn Austins Bücher sind mir irgendwie zu schwermütig. Ich las den Austintitel "Fionas Geheimnis". Das Buch war sehr tiefgründig, mir persönlich viel zu tiefgründig und ich denke, dass "Die Apfelpflückerin" nicht anders ist.

  • @ Cookiemonster


    Für mich ist dieses hier das beste aller Lynn Austin Bücher, die ich bisher gelesen habe. Sehr bald danach kommt "Rhapsodie der Freundschaft". Das schon erwähnte "Fionas Geheimnisse" fällt mE zwar etwas ab, ist nichtsdestotrotz lesenswert.


    Die Übersetzungen von Dorothee Dziewas sind allesamt so hervorragend. Wenn sie übersetzt, denke ich über die Originalversion erst überhaupt nicht nach.




    @ Heinzelfreu


    Also ich habe beide Bücher gelesen, und "Fionas Geheimnisse" ist deutlich anders als "Die Apfelpflückerin", die sehr viel tiefgründiger ist. Beide Bücher lassen sich nicht unbedingt vergleichen; "Die Apfelpflückerin" ist auf jeden Fall besser und wurde auch mit dem Christy Award ausgezeichnet - verdientermaßen. Und "schwermütig" paßt für mich nun so gar nicht zu den Austin-Büchern. "Schwermütig" ist für mich fast schon ein Synonym für "depressiv" - und das sind diese Bücher, auch wenn es sehr hart für die Protagonisten kommt, mE nicht. Ganz im Gegenteil.


    "Die Apfelpflückerin" ist anders.




    Im übrigen - sorry, ich kann es mir nicht verkneifen - bin ich immer wieder überrascht, wenn man sich wundert, daß Bücher aus explizit christlichen Verlagen (und der Originalverlag Bethanyhouse dürfte in den USA zu den großen evangelikalen Verlagen gehören, Francke ist ein christlicher Verlag) christliche Themen enthalten bzw. solches in den Romanen vorkommt, hier mE relativ wenig und zurückhaltend.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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