So 'n Gedicht ...

  • Wieder ein bisschen Busch geschmökert.

    Sommer - Sonntag - Sonnenschein

    Sommer - Sonntag - Sonnenschein. -

    Blühende Kirchhofslinde

    Nickt durchs zerbrochene Fenster hinein

    Der Kirche im Morgenwinde.


    Vogel fliegt dort ein und aus

    Friedlich am Sonntagmorgen,

    Oben im stillen Gotteshaus

    Glaubt er sein Nest geborgen.


    Kirche - Orgel und Choral,

    Warm ist's im Kirchenraume;

    Dorfes Mütterchen allzumal

    Nicken behaglich im Traume.


    Still Gesang. Das Wort beginnt:

    Gott kommt in Strafgewittern;

    Worte so da geschrieben sind:

    Heulen und Kniezittern. -


    Jeder Schläfer fährt so bang

    Auf aus behaglichem Traume.

    Doch der Vogel, der Vogel sang

    Laut ein Lied in dem Raume.


    War ein Lied vom Sonnenschein,

    Frühling und Frühlingstriebe:

    War ein Lied so hell und rein;

    Frühling und Gottes Liebe!


    Dummen Vogels dummes Lied,

    Dachte der Küster verdrossen.

    Als er, der letzte, die Kirche mied,

    Hat er das Nest zerstoßen.


    Ängstlich flattert das Vögelein

    In der blühenden Linde,

    Die da nickt zum Fenster hinein

    Der Kirche im Morgenwinde.


    Wilhelm Busch

    fueller.gifAus der Sammlung Gelegenheitsdichtung

  • Europa


    Am Rhein, da wächst ein süffiger Wein –

    der darf aber nicht nach England hinein –

    Buy British!

    In Wien gibt es herrliche Torten und Kuchen,

    die haben in Schweden nichts zu suchen –

    Köp svenska varor!

    In Italien verfaulen die Apfelsinen –

    laßt die deutsche Landwirtschaft verdienen!

    Deutsche, kauft deutsche Zitronen!

    Und auf jedem Quadratkilometer Raum

    träumt einer seinen völkischen Traum,

    Und leise flüstert der Wind durch die Bäume . . .

    Räume sind Schäume.


    Da liegt Europa. Wie sieht es aus?

    Wie ein bunt angestrichnes Irrenhaus.

    Die Nationen schuften auf Rekord:

    Export! Export!

    Die andern! Die andern sollen kaufen!

    Die andern sollen die Weine saufen!

    Die andern sollen die Schiffe heuern!

    Die andern sollen die Kohlen verfeuern!

    Wir?

    Zollhaus, Grenzpfahl und Einfuhrschein:

    wir lassen nicht das geringste herein.

    Wir nicht. Wir haben ein Ideal:

    Wir hungern. Aber streng national.

    Fahnen und Hymnen an allen Ecken.

    Europa? Europa soll doch verrecken!

    Und wenn alles der Pleite entgegentreibt:

    daß nur die Nation erhalten bleibt!

    Menschen braucht es nicht mehr zu geben.

    England! Polen! Italien muß leben!

    Der Staat frißt uns auf. Ein Gespenst. Ein Begriff.

    Der Staat, das ist ein Ding mitm Pfiff.

    Das Ding ragt auf bis zu den Sternen –

    von dem kann noch die Kirche was lernen.

    Jeder soll kaufen. Niemand kann kaufen.

    Es rauchen die völkischen Scheiterhaufen.

    Es lodern die völkischen Opferfeuer:

    Der Sinn des Lebens ist die Steuer!

    Der Himmel sei unser Konkursverwalter!

    Die Neuzeit tanzt als Mittelalter.


    Die Nation ist das achte Sakrament –!

    Gott segne diesen Kontinent.


    Kurt Tucholsky als Theobald Tiger 1932

  • Igelfilm und Igelgeschichten hier erinnern mich an einen Klassiker von Wilhelm Busch, den wohl jeder kennt. Es war das erste Gedicht, das ich (als Kind) auswendig lernte ... Und: Iss immer noch gut! :)


    Zu guter Letzt:

    Bewaffneter Friede


    Ganz unverhofft, an einem Hügel,

    Sind sich begegnet Fuchs und Igel.


    Halt, rief der Fuchs, du Bösewicht!

    Kennst du des Königs Ordre nicht?

    Ist nicht der Friede längst verkündigt,

    und weißt du nicht, daß jeder sündigt,

    Der immer noch gerüstet geht?

    Im Namen seiner Majestät

    Geh her und übergib dein Fell.


    Der Igel sprach: Nur nicht so schnell.

    Laß dir erst deine Zähne brechen,

    Dann wollen wir uns weiter sprechen!

    Und allsogleich macht er sich rund,

    Schließt seinen dichten Stachelbund

    und trotzt getrost der ganzen Welt,

    Bewaffnet, doch als Friedensheld

  • Heute hat er Geburtstag, der Kaspar Hauser, Peter Panter, Theobald Tiger, Ignaz Wrobel.


    Zweifel


    Ich sitz auf einem falschen Schiff.

    Von allem, was wir tun und treiben,

    und was wir in den Blättern schreiben,

    stimmt etwas nicht: Wort und Begriff.


    Der Boden schwankt. Wozu? Wofür?

    Kunst. Nicht Kunst. Lauf durch viele Zimmer.

    Nie ist das Ende da. Und immer

    stößt du an eine neue Tür.


    Es gibt ja keine Wiederkehr.

    Ich mag mich sträuben und mich bäumen,

    es klingt in allen meinen Träumen:

    Nicht mehr.


    Wie gut hat es die neue Schicht.

    Sie glauben. Glauben unter Schmerzen.

    Es klingt aus allen tapfern Herzen:

    Noch nicht.


    Ist es schon aus? Ich warte stumm.

    Wer sind Die, die da unten singen?

    Aus seiner Zeit kann Keiner springen.

    Und wie beneid ich Die, die gar nicht ringen

    Die habens gut.

    Die sind schön dumm.


    Kurt Tucholsky ( 9.1.1890 - 21.12.1935 )



  • Den Mann gibt es gar nicht; er ist nur der Lärm, den er verursacht.

    1931 über Hitler in: Die Weltbühne


    Absage


    Noch einmal? Ich dächte, wir hätten jetzt Frieden?

    Über Gesetze wird friedlich entschieden …

    Ein Straßensturm auf ein Parlament

    ist kein Argument.


    Diese Matrosen sind keine Matrosen.

    Dazwischen Schwärme von Arbeitslosen.

    Kämpfer. Banausen. Neugierige. Mob.

    Nun aber stop –!


    Das Parlament ist ein Spiegel des Landes.

    Da sitzen Vertreter jeden Standes.

    Will euch die Politik verdrießen –:

    Wählen! Nicht schießen!


    Eine Gasse der Freiheit – nicht eine Gosse!

    Rückt ab von jenem Lärmmachertrosse!

    Wir brauchen Ruhezeit. So wird das nie

    eine Demokratie –!


    Kurt Tucholsky


    Je engstirniger, je kleiner, je schmalhorizontiger der Standpunkt eines Menschen – um so unnachgiebiger wird er vertreten.

  • Doch mal wieder so'n Gedicht, ein Herbstgedicht vom Ringelnatz:


    Herbstliche Wege


    Des Sommers weiße Wolkengrüße

    zieh'n stumm den Vogelschwärmen nach,

    die letzte Beere gärt voll Süße,

    zärtliches Wort liegt wieder brach.


    Und Schatten folgt den langen Wegen

    aus Bäumen, die das Licht verfärbt,

    der Himmel wächst, in Wind und Regen

    stirbt Laub, verdorrt und braun gegerbt.


    Der Duft der Blume ist vergessen,

    Frucht birgt und Sonne nun der Wein

    und du trägst, was dir zugemessen,

    geklärt in deinen Herbst hinein.


    Joachim Ringelnatz

    (1883 - 1934), eigentlich Hans Bötticher, deutscher Lyriker, Erzähler und Maler

  • Am 3. November 1914 starb Georg Trakl in Krakau.

    Ob er die Überdosis Kokain absichtlich zu sich genommen hatte, ist nicht geklärt. In das Militärhospital war er allerdings nach einem vereitelten Selbstmordversuch eingewiesen worden.


    Rondel


    Verflossen ist das Gold der Tage,

    Des Abends braun und blaue Farben:

    Des Hirten sanfte Flöten starben

    Des Abends blau und braune Farben

    Verflossen ist das Gold der Tage.

  • Die Schnupftabaksdose

    Es war eine Schnupftabaksdose

    Die hatte Friedrich der Große

    Sich selbst geschnitzelt aus Nußbaumholz.

    Und darauf war sie natürlich stolz.

    Da kam ein Holzwurm gekrochen.

    Der hatte Nußbaum gerochen

    Die Dose erzählte ihm lang und breit.

    Von Friedrich dem Großen und seiner Zeit.

    Sie nannte den alten Fritz generös.

    Da aber wurde der Holzwurm nervös

    Und sagte, indem er zu bohren begann

    „Was geht mich Friedrich der Große an!“


    RIngelnatz, despektierlich über den Mythos um die wundersame Rettung des alten Fritzen durch dessen Schnupftabakdose.

  • Hier ist sie einmal mehr grandios:


    Sozusagen grundlos vergnügt


    Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen

    Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.

    Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,

    Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.

    - Dass Amseln flöten und dass Immen summen,

    Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.

    Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.

    Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.

    Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht

    Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.

    Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,

    Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,

    Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht sehn.

    Man kann nicht alles mit dem Kopf verstehen!

    Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.

    Ich freue mich vor allem, dass ich bin.

    In mir ist alles aufgeräumt und heiter:

    Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.

    An solchem Tag erklettert man die Leiter,

    Die von der Erde in den Himmel führt.

    Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,

    - Weil er sich selber liebt - den Nächsten lieben.

    Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne

    Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.

    Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!

    Ich freue mich, dass ich ... Dass ich mich freu.


    Mascha Kaléko

  • Frölich, zärtlich, lieplich und klärlich,

    lustlich, stille, leise,

    in sanfter, suesser, keuscher, sainer Weise,

    wach du minnikliches, schönes Wip!

    reck, streck, preis dein zarten, stolzen Leip!

    Sleuss auf dein vil liechte euglin klar!

    taugenlich nim war,

    wie sich verschart der sterne gart

    in der schonen, haitren,

    claren sunnen glanz!

    Wol auf zu dem Tanz!

    machen wir einen schönen Kranz

    von schaunen, praunen, plauen, grauen,

    gel, rot, weiss, viol plümelin spranz!


    ASIN/ISBN: 3150184908

  • Die Krähen schrein

    Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:

    Bald wird es schnein, -

    Wohl dem, der jetzt noch

    - Heimat hat!


    Nun stehst du starr,

    Schaust rückwärts,ach!

    wie lange schon!

    Was bist du Narr

    Vor Winters in die Welt entflohn?


    Die Welt - ein Tor

    Zu tausend Wüsten stumm und kalt!

    Wer das verlor,

    Was du verlorst, macht nirgends halt.


    ASIN/ISBN: 3520175010

  • "Vereinsamt" , also "Die Krähen schrein" gehört zu meinen all time favourites.


    Genial von Nietzsche auch:


    An den Mistral


    Ein Tanzlied


    Mistral-Wind, du Wolken-Jäger,

    Trübsal-Mörder, Himmels-Feger,

    Brausender, wie lieb ich dich!

    Sind wir zwei nicht Eines Schoßes

    Erstlingsgabe, Eines Loses

    Vorbestimmte ewiglich?

    Hier auf glatten Felsenwegen

    Lauf ich tanzend dir entgegen,

    Tanzend, wie du pfeifst und singst:

    Der du ohne Schiff und Ruder

    Als der Freiheit freister Bruder

    Über wilde Meere springst.

    Kaum erwacht, hört ich dein Rufen,

    Stürmte zu den Felsenstufen,

    Hin zur gelben Wand am Meer.

    Heil! da kamst du schon gleich hellen

    Diamantnen Stromesschnellen

    Sieghaft von den Bergen her.

    Auf den ebnen Himmels-Tennen

    Sah ich deine Rosse rennen,

    Sah den Wagen, der dich trägt,

    Sah die Hand dir selber zücken,

    Wenn sie auf der Rosse Rücken

    Blitzesgleich die Geißel schlägt, –

    Sah dich aus dem Wagen springen,

    Schneller dich hinabzuschwingen,

    Sah dich wie zum Pfeil verkürzt

    Senkrecht in die Tiefe stoßen, –

    Wie ein Goldstrahl durch die Rosen

    Erster Morgenröten stürzt.

    Tanze nun auf tausend Rücken,

    Wellen-Rücken, Wellen-Tücken –

    Heil, wer neue Tänze schafft!

    Tanzen wir in tausend Weisen.

    Frei – sei unsre Kunst geheißen,

    Fröhlich – unsre Wissenschaft!

    Raffen wir von jeder Blume

    Eine Blüte uns zum Ruhme

    Und zwei Blätter noch zum Kranz!

    Tanzen wir gleich Troubadouren

    Zwischen Heiligen und Huren,

    Zwischen Gott und Welt den Tanz!

    Wer nicht tanzen kann mit Winden,

    Wer sich wickeln muß mit Binden,

    Angebunden, Krüppel-Greis,

    Wer da gleicht den Heuchel-Hänsen,

    Ehren-Tölpeln, Tugend-Gänsen,

    Fort aus unsrem Paradeis!

    Wirbeln wir den Staub der Straßen

    Allen Kranken in die Nasen,

    Scheuchen wir die Kranken-Brut!

    Lösen wir die ganze Küste

    Von dem Odem dürrer Brüste,

    Von den Augen ohne Mut!

    Jagen wir die Himmels-Trüber,

    Welten-Schwärzer, Wolken-Schieber,

    Hellen wir das Himmelreich!

    Brausen wir ... o aller freien

    Geister Geist, mit dir zu zweien

    Braust mein Glück dem Sturme gleich. –

    – Und daß ewig das Gedächtnis

    Solchen Glücks, nimm sein Vermächtnis,

    Nimm den Kranz hier mit hinauf!

    Wirf ihn höher, ferner, weiter,

    Stürm empor die Himmelsleiter,

    Häng ihn – an den Sternen auf!




  • Als ich jung war und leicht

    unter den Apfelzweigen

    Um das schwingende Haus und

    fröhlich grün wie das Gras.

    Sternennacht über dem dunklen Grund,

    Ließ rufend aufgehen mich die Zeit

    Golden in brausenden Tagen ihrer Augen

    Und geehrt bei den Karren war

    Fürst ich der Apfelstädte

    Und außerzeiten verfügte ich

    Gänseblümchen und Gerste

    In die Schleppe von Bäumen und Blättern

    Auf Strömen des windabgeworfenen Lichts.

    ...

    Nicht scherte es mich in den lammweißen Tagen, daß einmal die Zeit

    Hoch mich hinauf am Handschatten nähme zum

    schwalbenflatternden Erker,

    Im immer aufgehenden Mond,

    Noch das ich im Schlafensritt

    Sie hören sollte im Fluge mit

    hohen Feldern

    Und erwachen müsste zur Farm,

    dem kindlosen Land auf immer

    entflohen.

    O da ich jung war und leicht im

    Vermögen ihrer Gnade,

    Hielt mich die Zeit grün und sterbend,

    Ob ich doch sang wie das Meer

    In meinen Ketten.


    ASIN/ISBN: 3446272216

  • An's Haf nun fliegt die Möwe,

    Und Dämm'rung bricht herein;

    Über die feuchten Watten

    Spiegelt der Abendschein.


    Graues Geflügel huschet

    Neben dem Wasser her;

    Wie Träume liegen die Inseln

    Im Nebel auf dem Meer.


    Ich höre des gärenden Schlammes

    Geheimnißvollen Ton,

    Einsames Vogelrufen -

    So war es immer schon.


    Noch einmal schauert leise

    Und schweiget dann der Wind;

    Vernehmlich werden die Stimmen,

    Die über der Tiefe sind.


    ASIN/ISBN: 3458324313