Die Nachteile des Plebiszits - Schweizer stimmen gegen Minarett-Neubauten

  • Zitat

    Original von Behrnie
    Je mehr Leute "ihre" Wahrheit propagieren, desto stärker wird der Leser zum selber denken angeregt.


    In der Schweiz haben die Wahlbürger ihre Wahrheit propagiert. Sie lautet: Der Neubau von Minaretten gehört verboten.


    Wodurch zeichnet sich für Dich die Demokratie aus wenn nicht dadurch, dass das Volk herrscht?
    Mir leuchtet keinesfalls ein, warum die Leute von damals, die sich eine Verfassung ausgedacht haben, schlauer gewesen sein sollen als die Leute von heute - und zudem noch in die Zukunft sehen konnten, sodass sie Probleme adressieren konnten, die Jahrzehnte in der Zukunft lagen. Ich halte diese Vorstellung bestenfalls für Mumpitz, schlimmstenfalls für eine Herrschaft der (inzwischen) Toten über die Lebenden.


    Und die viel gepriesenen Menschenrechte ... :rolleyes
    In einem anderen Fred in diesem Forum hat sich jemand darauf berufen, dass zu den Menschenrechten auch ein Recht auf Bildung gehöre und daraus abgeleitet, dass Studiengebühren ihn in seinen Menschenrechten beschneiden würden. Egal, wie man dazu steht, zeigt es doch, dass die Menschenrechte erheblichen Interpretationsspielraum lassen. Sie werden in Rot-China ja auch ganz anders ausgelegt als in den USA oder bei uns.

  • Zitat

    Original von Bernard


    In der Schweiz haben die Wahlbürger ihre Wahrheit propagiert. Sie lautet: Der Neubau von Minaretten gehört verboten.


    Nein.
    1. Wenn "die Wahlbürger ihre Wahrheit" so eindeutig festgelegt hätten, dann wäre die Abstimmung nicht 53 zu 47 ausgegangen sondern 100 zu 0
    2. "Ihre Wahrheit propagieren" heißt nicht zwangsläufig "Gesetze für andere machen". Auch Du und Tom und Licht und Babyjane propagieren genau hier im Forum ein jeder seine Sicht der "Wahrheit", ganz ohne daß eine dieser Sichtweisen "Gesetzeskraft" erlangen würde, aber immer mit der Möglichkeit, zum Selbstdenken anzuregen.

  • Zitat

    Original von Bernard
    Und die viel gepriesenen Menschenrechte ... :rolleyes
    In einem anderen Fred in diesem Forum hat sich jemand darauf berufen, dass zu den Menschenrechten auch ein Recht auf Bildung gehöre und daraus abgeleitet, dass Studiengebühren ihn in seinen Menschenrechten beschneiden würden.


    Daß Bildung ein Menschenrecht ist, kann man so sehen, und ich würde jederzeit unterschreiben, daß es eine Verletzung der Menschenrechte ist, wenn in manchen Kulturen Frauen gezielt davon abgehalten werden, existierende Bildungsangebote wahrzunehmen.


    Daß es jedoch Geld kosten kann, Menschenrechte praktisch wahrzunehmen, ist sicher keine Verletzung dieser Rechte - ansonsten müßten nicht nur Universitätsprofessoren und Lehrer "für Gotteslohn" arbeiten, sondern auch Rechtsanwälte.


    Und was es ganz sicher nicht geben kann, ist ein Rechtsanspruch, daß meine Grundrechte von allen anderen finanziert werden.


    Das "Recht auf Nahrung" heißt ja nicht, daß ALDI verpflichtet wäre, Lebensmittel kostenlos abzugeben. Es heißt vielmehr, daß kein Staat und kein Großgrundbesitzer und kein Viehbaron einen Kleinbauern von dem Stück Land verjagen darf, das dieser Bauer mit eigener Hände Arbeit urbar gemacht hat, um sich von den Früchten ebendieses Feldes zu ernähren.

  • Weshalb wirft unsere Entscheidung im Ausland immer noch Diskussionen auf? Über diese Sachfrage wurde im Vorfeld gesprochen und debattiert und dann hat das Schweizer Volk seinen Willen per Stimmzettel kundgetan. 57 % für das Verbot 43 % dagegen, immerhin eine deutliche Differenz von 14 %. Wir Schweizer stimmen jedes Jahr vier Mal über zehn bis zwölf Sachfragen ab. Mal steht das Schweizer Stimmvolk eher links der Mitte mal eher rechts der Mitte aber sehr, sehr selten werden Anliegen die von sehr weit links aussen oder sehr weit rechtsaussen kommen gutgeheissen.


    Nun wurde ein rechtsaussen Anliegen bei der Abstimmung plötzlich angenommen. Ja was heisst denn das? Da wir jedes Jahr so viele Abstimmungen haben dienen diese der Regierung und dem Parlament auch als Stimmungsbarometer und als Hinweis wo dem einfachen Volk der Schuh drückt und wo allenfalls Ängste vorhanden sind die von den Politiker nicht wahrgenommen werden. Unser System zwingt die Politiker geradewegs dazu sich laufend mit der Stimmung im Lande und den Bürgern zu beschäftigen und nicht bloss alle vier Jahre ein paar Monate vor einer Wahl.


    Nebenbei, soviele Abstimmungen zu haben bedeutet auch mit vielen Abstimmungsniederlagen umzugehen. Etwas das viele noch lernen müssten.

  • Zitat

    Original von sapperlot
    Weshalb wirft unsere Entscheidung im Ausland immer noch Diskussionen auf?


    1. weil baurechtliche Vorschriften nicht in eine Bundesverfassung gehören
    und
    2. weil es schon ziemlich heftig ist, eine Vorschrift zu erlassen, die einzig und allein der Diskriminierung einer religiösen Minderheit dient.


    Das Gesetz könnte genauso auch lauten "der Bau von Buddha-Statuen ist verboten" - wer erinnert sich noch daran, daß die Taliban Mitte 2000 das letzte "Weltkulturerbe" innerhalb Afghanistans mit schwerer Artillerie zerstörten?

  • Zitat

    Original von Behrnie
    Das Gesetz könnte genauso auch lauten "der Bau von Buddha-Statuen ist verboten" - wer erinnert sich noch daran, daß die Taliban Mitte 2000 das letzte "Weltkulturerbe" innerhalb Afghanistans mit schwerer Artillerie zerstörten?


    Du willst nicht ernsthaft eine gewachsene Demokratie und den berechtigten Versuch des Erhalts derselben mit der Benutzung von "schwerer Artillerie" vergleichen? Genau damit in der Schweiz nicht irgendwann durchgeknallte Gotteskrieger auf Kirchtürme usw. feuern - genau darum hat wohl ein Großteil der Schweizer so abgestimmt, wie es eben geschehen ist.

  • Einspruch. Die religöse Diskriminierung findet in keiner Weise statt. Es geht um Türmchen, nicht um die Ausübung der religiösen Rechte. Die werden den Moslems genau so zugestanden wie den Katholiken, Reformierten, Hindi, Freikirchlern und was es da noch so gibt.
    Es wird während Ramadan sogar extra Rücksicht genommen, weil vor allem die Schulkinder in der Zeit eher "schwächeln".
    Wir haben - im Gegensatz zur Türkei (wobei sich das dort auch langsam ändert) - kein Kopftuchverbot. Zwang zum Schwimmunterricht in den Schulen gibt es auch keinen.


    Die Abstimmung wurde nun mal zugelassen und der Souverän hat entsprechend entschieden.


    Wie sapperlot richtig schreibt: Die Schweizer Stimmberechtigten wissen, dass sie viermal jährlich abstimmen dürfen und dass sie mal zur "Gewinnerseite" und mal zur "Verliererseite" gehören. Damit lernt man umgehen und leben. Jeder Stimmberechtigte hat die Freiheit, sich zu den Geschäften zu äussern, ob ihm das Resultat gefällt, ist eine andere Geschichte.


    Noch was zu den von dir erwähnten Waffen. Nein, normal ist es wirklich nicht, diese Dinger daheim im Wäscheschrank zu haben. Immerhin wird neuerdings die Taschenmunition nicht mehr mit nach Hause gegeben. Die müssten eigentlich alle abgegeben haben. Aber die zukünftig beste Armee der Welt (ist nicht mein Zitat) hat das leider noch nicht im Griff. Es fehlt noch ziemlich viel von dieser Taschenmunition. Abgesehen davon, dass einige AdA auch Munition abzweigen und nach Hause nehmen.


    Schulhofmassaker hatten wir zum Glück keine. Auf den Schulhöfen passiert dennoch genug. Aber um die vierhundertfünfzig Todesfälle jährlich gehen auf Privat- oder Armeewaffen zurück. Ein Teil davon Suizide, ein Teil davon Familiendramen. Väter, die ihre Frauen und Kinder damit umbringen und allenfalls sich selbst oder z. B. der Amoklauf im Zuger Parlament.
    Und oft genug droht/e einer mit den Worten: "Warte nur, ich hole meine Waffe, dann wirst du schon sehen". Für keine Familie schöne Zustände, wenn der zu Jähzorn neigende Vater regelmässig solche Aussagen macht. Irgendwann kann er leider doch ernst machen.


    Was mich aber immer wieder erstaunt: Gleichzeitig wurde über den Kriegsmaterialexport abgestimmt. Es wird also weiterhin Material exportiert. Selbstverständlich nur in "brave" Länder (was die dann damit machen... nun ja). Kein Mensch findet das eine Verurteilung wert. Die neutrale Schweiz exportiert Waffen...



    Baurechtliche Vorschriften hat es etliche in der Verfassung. Wasserbau/Stauanlagen, Nationalstrassenbau, Bauverbote in Schutz- und Moorlandschaften, Festigung des bäuerlichen Grundbesitzes etc. etc. um nur einige Beispiele zu nennen. Und wie die auszusehen hat, nun auch das entscheidet der Souverän und nicht das Ausland.
    Vor allem nicht solche wie du Behrnie, der sich ja nicht einmischen will. Du schreibst selber, es gehe dich nichts an, was Nachbar tut und was auf der anderen Rheinseite geschieht. So gesehen bist du sehr widersprüchlich in deinen Ausagen.

  • Seit mindestens 20 Jahren wenn nicht um etliche Jahre länger, tauchten in den Medien immer und immer wieder Meldungen über neue Minarett-Bauvorhaben auf. Diese immerwiederkehrenden, ewigen "Affentheater" (wirklich!!! :fetch) die sie auslösten, konnten/mussten wir des Langen und Breiten mitverfolgen. Es sei denn, man habe einfach keine Zeitungen mehr gelesen, kein Radio mehr eingeschaltet, kein TV mehr geguckt.


    Da meldeten sich die Bewohner derjenigen Ortschaften und Quartiere zu Wort, wo diese Minarette gebaut werden sollten. Es wurde über die Einsprachen berichtet, von den Baugesuchen die bewilligt oder auch nicht bewilligt wurden, die entsprechenden Reaktionen darauf, von denjenigen Kreisen die entsprechend dann betroffen waren, je nach dem.... Muslime und ihre Sympathisanten (aus linken, halblinken, hellgrünen, mittel- und dunkelgrünen Kreisen) die mit Transparenten und mit lautstarken Sprechchören auf die Strasse gingen um zu demonstrieren, sich fotografieren und filmen liessen, um dann die Bilder und ihre Anliegen den Medien vor allem für PR-Zwecke für ihre Sache zu überlassen.....
    Dann darüber hinaus das ganze bürokratische Hin- und Hergehacke bei den zuständigen Gemeindeverwaltungen, die Bombardements von jedwelchen Eingaben, Rekursen etc. All die Gerichte, die sich immer und immmer wieder mit diesen Bauvorhaben beschäftigen mussten....


    ....von diesen ganzen Quengeleien und Zwängereien und Querelen hatten wohl die allermeisten Schweizer Bürger langsam aber sicher die Nase voll.


    Und den meisten dieser Schweizer Bürger war es auch bewusst, dass dieses ewige Insistieren auf neue Minarett-Bauten nicht von den einfachen Menschen muslimischen Glaubens herrührten, nicht von denjenigen, welche aus existentieller Not zu uns in die Schweiz gekommen sind. Auch unser Hausabwart und seine Famlilie, Muslime aus Ex-Jugoslavien, die wollen mit dieser ganzen Sache absolut nichts zu tun haben, sie möchten mit uns zusammen möglichst in Frieden leben....


    Nein, das sind ganz andere Kreise, die ums Biegen und Brechen sich ihre Minarette erzwingen wollen und zwar nicht um der Minarette und der Ausübung des Glaubens willen......
    Um einen Glauben ausüben zu können, braucht es keine Kirchtürme, es braucht die entsprechenden Räume/Treffpunkte, und die stehen in der Schweiz für alle Glaubensrichtungen zu Verfügung.

    Avatar: James Joyce in Bronze... mit Buch, Zigarette und Gehstock.
    Diese Plastik steht auf seinem Grab. (Friedhof Fluntern, Zürich)
    "An Joyces Grab verweht die Menschensprache." (Yvan Goll)

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  • Zitat

    Original von Joan


    Um einen Glauben ausüben zu können, braucht es keine Kirchtürme, es braucht die entsprechenden Räume/Treffpunkte, und die stehen in der Schweiz für alle Glaubensrichtungen zu Verfügung.


    In Saudi-Arabien bzw. der dortigen Auslegung des Islams sind Minarette nicht gerne gesehen, da sie den Stolz der Menschen befördern; man kann den Arabern sicherlich nicht vorwerfen unislamisch zu sein.
    Demzufolge ist die Begründung, die Abstimmung wäre anti-islamisch genau so ein Populismus, wie den, den man zu bekämpfen trachtet.


    Es steht auch in der Schweizer Verfassung, dass die katholische Kirche ihre Bistümer nicht selbst ordnen darf - wo war da der Aufschrei der ganzen Gutmenschen?

  • Zitat

    Original von fabuleuse
    Einspruch. Die religöse Diskriminierung findet in keiner Weise statt. Es geht um Türmchen, nicht um die Ausübung der religiösen Rechte.
    [...]
    Vor allem nicht solche wie du Behrnie, der sich ja nicht einmischen will. Du schreibst selber, es gehe dich nichts an, was Nachbar tut und was auf der anderen Rheinseite geschieht. So gesehen bist du sehr widersprüchlich in deinen Ausagen.


    Die religiöse Diskriminierung findet in der Weise statt, daß explizit nur solche "Türmchen" verboten werden, die von Moslems an ihren Moscheen errichtet werden. Die einzigen, die vom Verbot betroffen sind, sind Moslems. Das ist die Diskriminierung.


    Das Verbot, Juden im öffentlichen Dienst einzustellen, hat die Juden auch nicht in ihren religiösen Rechten beeinträchtigt.


    Und was meine "Nichteinmischungsprinzip" betrifft: ich hätte die Finger stillgehalten, wenn einzelne schweizer Städte Minarette "in Sichtweite ihres Kirchturmes" verboten hätten.

  • Tom
    Ich wende mich an Dich, weil Du diesen Thread nun einmal gestartet hast.
    Was die Begründung der Mehrheit der Schweizer anbelangt stimme ich deinen Ausführungen zu. (Ausnahme: die Erklärung, Religionsfreiheit bedeute auch die Freiheit, religiösen Symbolen nicht ausgesetzt zu sein, doch das wäre ein eigenes Thema, das ich hier nicht vertiefen möchte) Auch die Festellung, dass Volksentscheide nicht die Krone der Demokratie seien, sondern bestenfalls ihre Krücke könnte ich so mit unterschreiben. Nur werte ich das dann etwas anders, indem ich feststelle, dass es immer noch besser ist, mit Krücken zu laufen, als immobil zu sein.
    Insofern kann ich auch dem unerfreulichen Ergebnis,das ich übrigens in Deutschland ähnlich vermute, auch etwas positives abgewinnen: Solche Plebiszite zwingen die Politik dazu, die Realitäten anzuerkennen, ob man sie nun mag oder nicht. Da fällt es dann nicht mehr ganz so leicht, in Sonntagsreden von einem sich ständig verbessernden Miteinander zu reden, wenn dies nicht den Alltag prägt.
    Mit Plebisziten könnte eine Demokratie deshalb zwar wesentlilch anstrengender, aber auch ehrlicher werden - die Mühe lohnt sich.
    In Abwandlung eines bekannten Zitats heißt das, die Verantwortung für jeden Mist, der geschieht, liegt nicht allein bei denen, die ihn fabrizieren, sondern ebenso bei jenen , die ihn nicht verhindern.

    "Hebt eure Prinzipien für die wenigen Augenblicke im Leben auf, in denen es auf Prinzipien ankommt. Für das meiste genügt ein wenig Barmherzigkeit."
    (Albert Camus)

  • Hallo, Twiärsdriever.


    Es gibt in Deutschland auch Plebiszite, allerdings nur auf Landes- und Kommunalebene, und die sind, was ihre Vorbereitung, aber auch, was ihre Auswirkungen anbetrifft, sehr unterschiedlich geregelt. Auf Bundesebene gäbe es Volksentscheide nur, wenn die Gliederung des Bundesgebiets geändert werden soll(te). Die Wahlberechtigten in den betroffenen Bundesländern müssten per Volksentscheid zustimmen (Artikel 29, Absatz 2 GG: "Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der
    Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Die betroffenen Länder sind zu hören.")


    Die Volksentscheide, die in Ländern und Kommunen möglich sind, weichen, wie gesagt, je Region stark voneinander ab. Meistens aber haben sie - vor allem auf Landesebene - bis zu einem gewissen Punkt keinen bindenden Charakter für die jeweils Regierenden. Mit anderen Worten: Die Gewählten können sich über den Wunsch der Wähler hinwegsetzen.


    Die Sozialdemokraten und die Grünen haben angekündigt, in der laufenden Legislaturperiode dafür sorgen zu wollen, dass es Volksentscheide in Deutschland auch auf Bundesebene geben wird, Grundrechte sollen dabei aber ausgespart bleiben. Natürlich hat es etwas für sich, in Sachfragen das Volk entscheiden zu lassen. Es würde nicht nur das Gefühl vermitteln, dass der Wähler in einer repräsentativen Demokratie außerhalb von Personalenscheidungen doch etwas zu sagen hat, und es gäbe den Regierenden die Möglichkeit, sich in Sachfragen direkt beim Volk "abzusichern". Was ansonsten dafür und dagegen spricht, ist aber in diesem Thread auch schon erwähnt worden. Volksentscheide - das hat der Minarett-Entscheid in der Schweiz auch gezeigt - können von Populisten missbraucht werden, und häufig kommt es nicht auf die Sachfragen selbst, sondern auf die Kampagnen an, die dazu veranstaltet werden. Viele Sachfragen kann man nicht aus einer politischen Linie ausblenden. Häufig fehlen beim Wähler die Sachkompetenzen. Undsoweiter.


    Die Frage ist, ob Demokratie besser funktioniert, wenn es Volksentscheide gibt. Und: Was ist "besser"? Möglicherweise würde das Gefühl, den Staat mitzugestalten, das Demokratieverständnis aufwerten, überhaupt die Identifikation mit dem eigenen Staatsgefüge. Andererseits sind die auf Kommunal- und Landesebene veranstalteten Volksentscheide regelmäßig Wahlbeteiligungsflops (interessanterweise vor allem die auf Landesebene), und der Vorlauf ist - aus guten Gründen - so lang, dass die zu entscheidende Sachfrage am Tag des Plebiszits längst alle ermüdet hat. Gleichzeitig sind bis zu diesem Tag den Regierenden in dieser und allen mittelbar betroffenen Fragen die Hände gebunden. Je höher die Anzahl der Volksentscheide, umso weniger regieren die gewählten Vertreter tatsächlich selbst. Die Legislative würde sich der Exekutive annähern.


    Ich halte die Aspekte Populismus und Sachkompetenz für entscheidend. Sicherlich hätte es z.B. zum Atomausstieg einen Volksentscheid geben können, aber eigentlich hatten die Wähler das schon entschieden, indem sie damals Grüne und SPD mit einer Mehrheit ausgestattet haben. Natürlich war das nicht verpflichtend; in einer repräsentativen Demokratie gibt es keine bindenden Wahlversprechungen. Die Parteien müssen aber schon darauf achten, die Wähler nicht gänzlich zu verprellen. Und ein Atomausstieg ohne sinnvolles Konzept für die Stärkung der erneuerbaren Energien hat keinen Sinn, beides muss einhergehen. Jede Sachfrage wirft viele weitere auf.


    "Mehr Demokratie" ist so ein Schlagwort. Ich glaube nicht, dass mehr Demokratie stattfindet, nur weil Wähler häufiger ja oder nein sagen können. Demokratie heißt, den Staat mitzugestalten, und das sollte man - wie auch hier schon ausgeführt wurde - aktiv tun, und nicht durch das Abnicken von gelegentlichen Plebisziten.