Die Nachteile des Plebiszits - Schweizer stimmen gegen Minarett-Neubauten

  • Hallo, Bernard.


    Einerseits, andererseits.


    In einer repräsentativen Demokratie - wie der unsrigen - wählt das Volk seine Vertreter (im direkten Sinn des Wortes) und überlässt ihnen die notwendigen Einzelentscheidungen. Es wird also jemand gewählt, dem man den Sachverstand zutraut, die "richtigen" Entscheidungen zu treffen, und man hat als Wähler nicht die Notwendigkeit oder sogar Pflicht, sich in jeder Einzelfrage schlau zu machen - das überlässt man dem "Vertreter". Damit geht (leider, mag mancher sagen) auch einher, dass der gewählte Vertreter nicht an Einzelfragen gebunden ist, sogar, mehr noch, sich schließlich im Parlament anders verhalten kann, als er zuvor versprochen hat. Das geschieht übrigens nicht nur (wie gerne behauptet wird), weil man die Wähler zuvor getäuscht hat, sondern weil man als in das Parlament eingebundener Volksvertreter erkennen muss, dass Einzelentscheidungen niemals unabhängig von anderen sind, und weil es noch viele weitere Zwänge gibt, nicht zuletzt finanzielle. Das einzige, was der Wähler noch als Richtungsentscheidung mitwählt, ist die Parteizugehörigkeit des jeweiligen Vertreters. Er stellt damit (aus seiner Sicht) sicher, dass alle Entscheidungen, wenn sie auch vorherigen Versprechungen widersprechen, zumindest in etwa einer bestimmten politischen Linie genügen werden.


    Diesen Volksvertretern obliegt aber nicht nur die Pflicht, in vielen Einzelfragen ja oder nein zu sagen. Sie bereiten die Entscheidungen (mit) vor, sie sind an der Umsetzung beteiligt, etwa beim Entwurf von Gesetzestexten oder Umsetzungsvorschriften. Als Bestandteil des "Apparats" sehen sie (im Idealfall!) nicht nur die Einzelfrage, sondern auch ihre Wertigkeit bezogen auf das ganze. Und es gibt tatsächlich nur wenige Einzelfragen, die sich aus dem Ganzen herauslösen lassen. Kann man für die EU eintreten und gleichzeitig gegen den Euro sein? Kann man den aktiven Versuch unternehmen, die Wirtschaft zu stärken, ohne dass man der Türkei wenigstens suggeriert, sie würde eines Tages EU-Mitglied werden? Kann man aktiver Bestandteil des sicherheitspolitischen Weltgefüges sein, sich aber bei Einsätzen wie im Kosovo oder in Afghanistan zurückhalten? Die Fragen sind tatsächlich sehr viel vielschichtiger; vieles (fast alles) hängt irgendwie zusammen.


    Und dann stellt sich noch die Frage nach der Kompetenz des Wählers. Nach einer "Polizeiruf 110"-Folge wie der (sehenswerten!) gestrigen, die vermutlich so was um die 10 Millionen Leute angeschaut haben, dürfte ein Votum bezüglich des Afghanistan-Einsatzes anders ausfallen als zum Beispiel noch am vergangenen Freitag. Vielleicht wäre es am kommenden Freitag schon wieder anders. Meiner Meinung nach aber kann man eine solche Frage nicht unabhängig vom gesamten Rest entscheiden. Sie hat vielschichtige Implikationen, die bei einer Verneinung dazu führen müssten, dass man vieles in Frage stellen müsste. Die gesamte Außenpolitik würde sich verändern. Die Bedeutung des Staates Deutschland auch. Und eine Regierung, die eine andere Haltung dazu hat, als das Volk in dieser Einzelfrage, wäre im Prinzip danach nicht mehr regierungsfähig.


    So reizvoll, wie es scheint, das Volk in Einzelfragen abstimmen zu lassen, und sei es auch nur, um sich "abzusichern", so gefährlich ist das auch. Viele Wähler wissen wenig (ich schließe mich da ein), und deshalb ist es besser, sie kompetente(re) Vertreter wählen zu lassen, als ihnen riskante Einzelentscheidungen zu überlassen. Das hat das Beispiel Schweiz m.E. gestern überdeutlich gezeigt. Dort hat man sich dafür entschieden, eine Gruppe zu unterdrücken. Nicht mehr und nicht weniger. Eine beherrschende religiöse Gruppe hat sich die Maske der Toleranz vom Gesicht gerissen und klar festgehalten, dass sie das Erstarken einer anderen Gruppe mit allen Mitteln bekämpfen wird. Das hat mit Demokratie nichts zu tun. Denn Demokratie bedeutet, dass nicht nur die Mehrheit bestimmt, sondern die Minderheiten auch Schutz genießen.

  • Das Problem ist nun leider, dass das Volk oft schlicht und ergreifend keine Ahnung hat. Ich durfte den Wahlkampf der Iren zur EU-Verfassung eine zeitlang mitverfolgen. :wow
    Die Verfassung wurde nicht aus sachlichen Gründen abgelehnt, nein, die Iren glaubten, sie müssten damit die Abtreibung legalisieren, Dudelsack spielen verbieten und mit der EU in irgendwelche Kriegseinsätze ziehen. Mit dem Absturz in Folge der Finanzkrise waren sie dann plötzlich dafür, weil sie hofften, die EU würde für sie die Kohle aus dem Feuer holen.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von Tom
    Das Christentum ist aber keineswegs in unserer Verfassung (d.h. in unserem Grundgesetz) als Staatsreligion verankert, ganz im Gegenteil garantiert Artikel 4 die Freiheit des Glaubens, also auch die Freiheit, nicht zu glauben.


    Die Präambel des GG beginnt mit folgenden Sätzen:


    "Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
    von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben."


    Daraus resultiert zwar keine Verankerung des christlichen Glaubens als Staatsreligion, nichtsdestotrotz wird hier aber der christliche Glaube bzw. die christliche Weltanschauung als eine Teil der verfassungsrechtlichen Grundlagen genannt. In diesem Zusammenhang sei der Hinweis erlaubt, dass sich der Begriff "Gott" ausschließlich auf den "christlichen Gott" bezieht, etwas wo sich alle GG-Kommentare mal einig sind. :-)

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Bis es zur gestrigen Abstimmung kam, dauerte es mehrere Jahre. Zuerst mussten die 100 000 beglaubigten Unterschriften gesammelt werden, dann wurde das ganze in Bundesrat und Parlament besprochen (zulassen zur Abstimmung oder nicht, welche Begründung etc.). Es wird also mehrfach geprüft und für gut oder nicht gut befunden.


    Hier wird der Initiativweg beschrieben: http://volksinitiative-unterschrift.ch/
    http://www.bk.admin.ch/themen/pore/vi/index.html?lang=de


    Der Initiativtext umfasste lediglich einen Satz, der nach deren Annahme genau so in die Bundesverfassung kommen kann/könnte: "Der Bau von Minaretten ist verboten". Nicht mehr und nicht weniger.


    Der Link zu minarette.ch ist mit Vorsicht zu geniessen. Das war zwar der Grundgedanke und was seit gestern Abend dort steht, sträubt manchen, die die Initiative angenommen haben, die Haare.


    Vielen Stimmbürgern ging es nicht um die Minarette allein, sondern darum, dem Parlament, der Regierung, der Politik eine Absage an ihre Art der Politik zu erteilen. Viele empfinden es so, dass die Leute, die als Gast in der Schweiz weilen, verlangen, dass man sich ihnen anpasst und nicht umgekehrt. Niemand wird gezwungen, im Land A oder B zu wohnen. Will man das aber, dann sollte man sich halt mit der dortigen Kultur etc. ein wenig mehr auseinandersetzen.


    Mit einem gesamtschweizerischen Ausländeranteil von über 20 Prozent (es gibt Gemeinden mit über 50 % Ausländeranteil ) hatten wohl auch einige das Gefühl, die Überfremdung nehme überhand. (Und Minarette sind nun mal was fremdes). Damit schliesst sich ein Kreis. Denn vor vielen Jahren gab es eine Überfremdungsinitiative (Schwarzenbachinitiative), und dort war Schlüer schon mit dabei.
    "Heimatschutz" mag sicher auch eine Rolle gespielt haben. Nur, was ist falsch daran, dass "man" seine Kultur bewahren möchte? Zumindest für die nächste Zeit.


    Leider sind viele Zuwanderer nicht sehr stark daran interessiert, sich zu integrieren. Integration heisst nicht Aufgabe der eigenen Kultur. Es heisst aber, sich gewissen Gepflogenheiten anpassen. Sei es, dass das Kind am Schwimmunterricht der Schule teilnimmt, dass es ins Schullager, auf die Schulreise gehen darf oder am Sporttag mitmacht. Dass die Eltern an Elternabenden dabei sind und wenigstens einigermassen die Sprache beherrschen.


    Erstaunlich ist, dass viele nun Angst haben, die Religionsfreiheit wird beschnitten. Dem ist aber nicht so, darum ging es auch nie bei der Initiative. Die Moscheen gibt es schon lange und wird es weiterhin geben, jeder Moslem kann dort seinen Glauben zelebrieren. Genau so wie der Buddhist in seinem Tempel oder die Freikirchler in irgendwelchen privaten Stuben der Mitglieder.


    Erstaunlich auch, wie oft Angehörige des Islams selber sag(t)en, sie bräuchten für ihre Gebete kein Minarett, die Moschee genüge ihnen. Das Minarett sei für den Muezzin und der dürfe eh weder selber noch per Tonband seine Reden loslassen. Mit dem Minarett fände höchstens ein Gläubiger einfacher zur Moschee, sofern er sich nicht schon vorher schlau über den Standort gemacht habe (so die Worte einer Nachbarin, die dem Islam angehört).


    Im Endeffekt haben die Stimmberechtigten ihr Recht auf Mitwirkung wahrgenommen wie das auch sonst viermal jährlich auf Bundesebene geschieht (ich weiss bereits, über was am 10. März 2010 auf eidgenössischer Ebene abgestimmt wird - und über das von meinem Wohnkanton). Es ist ein demokratisch gefällter Entscheid, den nun alle zu tragen haben, wie bei allen anderen Abstimmungen auch.


    Ich weiss nicht, ob euch bekannt ist, wie unsere Abstimmungsunterlagen aussehen. Klar, es gibt Abstimmungs- und Wahlplakate (deren ethische Aussagen ich mal ausser acht lasse), Zeitungen, Zeitschriften und Veranstaltungen, wo man sich ein Bild machen kann.
    Die Unterlagen, die jedem Stimmbürger in den Briefkasten gelegt werden, beinhalten die genauen Texte, die Argumente der Gegner sowie die Argumente der Befürworter. Sachlich und neutral eben ;-) Auf der Rückseite werden die verschiedenen Vorlagen nochmals kurz aufgelistet und die Empfehlung des Bundesrates aufgeführt, also Ja oder Nein. So weiss jeder Stimmbürger, was Sache ist und kann entsprechend etwas befürworten oder auch ablehnen. Niemand kann sagen, er hätte nicht genau Bescheid gewusst.




    Das Frauenstimmrecht gibt es übrigens schon seit März 1971 auf eidgenössischer Ebene, also flächendeckend. Klar, viel zu spät, aber immerhin. Einzig die Innerrhödler Frauen können erst seit 1990 auf kantonaler Ebene abstimmen. Aber Appenzell Innerrhoden(gehört zu den kleinsten Kantonen) und der Rest der Schweiz, das sind zwei Paar Schuhe...



    [edit] Link eingefügt: admin.ch In der Spalte rechts unter "Abstimungsbüchlein" auf das pdf "Erläuterungen des Bundesrates" klicken. Dort finden sich die Abstimmungsvorlagen von diesem Wochenende.

    Suche die Stille auf, damit du die Ruhe findest.

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  • Nachtrag: Es gab gestern noch zwei weitere Abstimmungen. Eine davon: Für ein Verbot von Kriegsmaterialexporten. Interessanterweise ist das kaum irgendwo ein Thema wert.
    Die Initiative wurde abgelehnt.

  • Zitat

    Original von Tom
    Denn Demokratie bedeutet, dass nicht nur die Mehrheit bestimmt, sondern die Minderheiten auch Schutz genießen.


    Das scheint mir ein eigenartiges Demokratieverständnis zu sein. In einer Demokratie genießt eine Minderheit dann Schutz, wenn die Mehrheit es will, ansonsten nicht. Diese Schutzlosigkeit kann einem gefallen (wie bei Kinderporno-Fans) oder nicht (wie bei ungeborenen Kindern, die man in Deutschland ja innerhalb recht weit gefasster Grenzen straffrei umbringen darf), aber so ist die Spielregel.


    Die Fragen zu den von mir aufgeworfenen Themen sind alle berechtigt. Dennoch oder vielleicht sogar gerade deswegen sind sie für Plebiszite besonders geeignet - weil sie eben weitreichende Konsequenzen haben. Es wäre aus meiner Sicht richtig, das Volk bei Dingen mit solch enormer Tragweite zu befragen. Dass dadurch das Geschäft der Berufspolitiker nicht einfacher würde, ist offensichtlich. Das Volk ist aber auch nicht dafür da, den Politikern das Leben einfacher zu machen, sondern die Regierung ist dazu da, das Volk so zu regieren wie dieses es wünscht (wenn man davon ausgeht, dass dieses der Souverän ist).

  • Voltaire : Eine "Präambel" soll die Absichten und Motive der Verfasser skizzieren. Sie ist nicht Bestandteil des eigentlichen Gesetzestextes und hat keinerlei bindende Wirkung. Übrigens ist ein entsprechender Passus aus dem Entwurf für die europäische Verfassung wieder gestrichen worden - vermutlich würde er es heutzutage auch nicht mehr ins deutsche Grundgesetz schaffen, müsste es neu gefasst werden.


    fabuleuse : Genau aus den Gründen, die Du eingangs nennst, sollte man es dem "Volk" nicht gestatten, solche Einzelentscheidungen zu treffen. ;-)

  • Zitat

    Original von Tom
    Voltaire : Eine "Präambel" soll die Absichten und Motive der Verfasser skizzieren. Sie ist nicht Bestandteil des eigentlichen Gesetzestextes und hat keinerlei bindende Wirkung. Übrigens ist ein entsprechender Passus aus dem Entwurf für die europäische Verfassung wieder gestrichen worden - vermutlich würde er es heutzutage auch nicht mehr ins deutsche Grundgesetz schaffen, müsste es neu gefasst werden.


    fabuleuse : Genau aus den Gründen, die Du eingangs nennst, sollte man es dem "Volk" nicht gestatten, solche Einzelentscheidungen zu treffen. ;-)


    Tom
    Eine Präambel ist immer Teil der Vorschrift. Ohne Präambel könnte ansonsten beispielsweise keine RVO erlassen werden; denn in ihr wird die Ermächtigungsgrundlage genannt.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


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  • Ich habe irgendwo mal gelesen, dass Demokratie nicht heißt, dass zwei Wölfe und ein Schaf darüber abstimmen, was es zum Abendbrot gibt.


    Ich stehe Volksentscheiden eher kritisch gegenüber. Im US-Bundesstaat Maine wurde zum Beispiel Anfang November die gleichgeschlechtliche Ehe wieder abgeschafft, nachdem ein entsprechendes Gesetz 6 Monate vorher schon von der Legislative in Maine (House, Senate) beschlossen und vom Governeur abgezeichnet worden war. Die Gegner stimmten am Dienstag mit 53 zu 47 Prozent für ein entsprechendes Volksbegehren gegen die gleichgeschlechtliche Ehe. Wenn wir davon ausgehen, dass etwa 5 - 10 % der Menschen homosexuell sind, hat hier also eine große heterosexuelle Mehrheit darüber entschieden, ob eine homosexuelle Minderheit ein Recht behalten darf, das die heterosexuelle Mehrheit selbst für sich weiterhin in Anspruch nimmt. Gleichgeschlechtliche Ehe wurde in allen 31 US-Staaten, in denen es eine Volksabstimmung darüber gab, abgelehnt. Und zwar vermutlich aus religiösen Befindlichkeiten heraus, denn nicht-religös motivierte Argumente gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gibt es meiner Meinung nach nicht, außer vielleicht, dass man generell die Institution Ehe ablehnt, aber dann muss man ja trotzdem nicht anderen das Recht darauf nehmen.


    Die Rechte von Minderheiten sollten meiner Meinung nach nicht einfach so von der Mehrheit abwählbar sein, sonst muss ich mir Sorgen machen, dass ich selbst einmal zu einer dieser Minderheiten gehöre.

  • Zitat

    Original von DraperDoyle: Das Problem ist nun leider, dass das Volk oft schlicht und ergreifend keine Ahnung hat. Ich durfte den Wahlkampf der Iren zur EU-Verfassung eine zeitlang mitverfolgen. Wow Die Verfassung wurde nicht aus sachlichen Gründen abgelehnt, nein, die Iren glaubten, sie müssten damit die Abtreibung legalisieren, Dudelsack spielen verbieten und mit der EU in irgendwelche Kriegseinsätze ziehen. Mit dem Absturz in Folge der Finanzkrise waren sie dann plötzlich dafür, weil sie hofften, die EU würde für sie die Kohle aus dem Feuer holen.


    Sollte man deswegen dem Volk die Möglichkeit absprechen, direkt an politischen Entscheidungsprozessen mitwirken zu dürfen?
    Ich denke Nein.
    Der Ansatz sollte bei der Auseinandersetzung mit Politik beginnen.
    Und das möglichst frühzeitig, ebenso wie der kritische Umgang mit Medien.
    Was die EU-Verfassung betrifft, habe ich mich mit ihr auch nur mäßig auseinandergesetzt. Im Gespräch mit Hobbypolitikern habe ich Fragen gestellt und die Diskussion gesucht und bin auf absolutes Desinteresse gestoßen.
    Nur ein Beispiel: Stell in Deinem Bekanntenkreis einmal die Frage nach dem Leitspruch der EU-Verfassung. Auf die Antworten darfst Du gespannt sein :grin.
    Kurzum, wir sollten nicht mit dem Finger auf die anderen zeigen, wenn es bei uns in Deutschland mit der politischen Bildung nicht weit her ist.


    Was die Schweiz betrifft, befürworte ich ihr Vorgehen, politischen Willen
    an der Basis beginnen zu lassen. Die Schweizer konnten sich entscheiden und als Außenstehende akzeptiere ich dieses Ergebnis. Im übrigen auch emotionslos, da sowohl die vorgebrachten Argumente der Befürworter als auch die der Gegner von Minaretten m.E. nachvollziehbar sind.

  • Zitat

    Eine Präambel ist immer Teil der Vorschrift.


    Und wie ist dann die GG-Präambel "vorschriftsmäßig" zu interpretieren? :gruebel


    Delphin : Die beiden Wölfe und das Schaf skizzieren das Problem sehr gut. Plebiszitäre Demokratie bedeutet, die Rasse Schaf grundsätzlich zu dulden, aber im Einzelfall hier und da doch eines zu schlachten.

  • Zitat

    Original von Tom


    Und wie ist dann die GG-Präambel "vorschriftsmäßig" zu interpretieren? :gruebel


    Die Frage verstehe ich jetzt nicht so ganz. :gruebel


    Der Wortlaut der Präambel ist folgender:


    "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.
    Die Deutschen in den Ländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen haben in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands vollendet. Damit gilt dieses Grundgesetz für das gesamte Deutsche Volk. "


    In ihrem letzten Satz regelt die Präambel, dass dieses GG für das gesamte deutsche Volk gilt. Die Beschreibung des Geltungsbereich ist ist eine Vorschrift. Die Präambel hat nicht nur programmatischen Charakter, sie ist vielmehr u.a auch eine klare, rechtsverbindliche Absichtserklärung und damit geltendes Recht. Die Verfassungsorgane sind genaugenommen gehalten, das Wesen und den Anspruch der Präambel zu vollenden. Dass das oftmals nicht geschieht ist leider Teil unserer Verfassungswirklichkeit.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


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  • Zitat

    Original von Bernard
    Ich verstehe noch nicht, wie man in dem Wolf-Schaf-Beispiel unter demokratischen Gesichtspunkten rechtfertigt, dass die Wölfe das Schaf nicht fressen dürfen.
    Woraus begründet sich die Autorität der Minderheit (Schaf) über die Mehrheit (Wölfe)? "Göttliches Recht"?
    :gruebel


    Der Schutz der Minderheit ergibt sich aus Art. 1 bis 19 GG. Schutz bedeutet aber nicht automatisch, dass Mehrheitsbeschlüsse auf die Minderheit keine Anwendung finden. Minderheitenschutz bedeutet lediglich, dass die Grundrechte von Minderheiten aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen nicht eingeschränkt werden dürfen.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Voltaire


    Der Schutz der Minderheit ergibt sich aus Art. 1 bis 19 GG. Schutz bedeutet aber nicht automatisch, dass Mehrheitsbeschlüsse auf die Minderheit keine Anwendung finden. Minderheitenschutz bedeutet lediglich, dass die Grundrechte von Minderheiten aufgrund von Mehrheitsbeschlüssen nicht eingeschränkt werden dürfen.


    Schon, aber das trifft die Frage nicht, denn auch das Grundgesetz ist ja ein demokratisch verabschiedetes Gesetz. Sprich: Ein anderes Land, das sich in einem demokratischen Verfahren eine Verfassung ohne Minderheitenschutz gäbe, wäre m.E. deswegen nicht weniger demokratisch als die Bundesrepublik.

  • Zitat

    Original von Bernard


    Schon, aber das trifft die Frage nicht, denn auch das Grundgesetz ist ja ein demokratisch verabschiedetes Gesetz. Sprich: Ein anderes Land, das sich in einem demokratischen Verfahren eine Verfassung ohne Minderheitenschutz gäbe, wäre m.E. deswegen nicht weniger demokratisch als die Bundesrepublik.


    Das ist wohl richtig. Die verfassungsgeschichtlichen Entwicklungen laufen eh von Land zu Land unterschiedlich. Und jedes Land schreibt eine "andere Verfassungsgeschichte".

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Voltaire ()

  • Zitat

    Ich stimme Voltaire zu - ohne die Präambel verlöre das Grundgesetz seine Rechtfertigung


    Das ändert nichts daran, dass die Formulierung "Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott" keinerlei gesetzliche Bedeutung hat und bestenfalls zeitgeistlich einzuordnen ist. Es bindet diejenigen, die diesem Gesetzeswerk folgen wollen, nicht an die "Verantwortung vor Gott", die die Verfasser vermeintlich empfunden haben; sie ist nicht implizit (außerdem beten die Muslime den selben Gott an). Ansonsten kommt das Wort "Gott" nur noch in Artikel 56 (Vereidigung des Bundespräsidenten vor), ergänzt um den Zusatz, dass der Eid auch ohne religiöse Beteuerung geleistet werden kann.


    Diesem Grundgesetz widerspräche ein Volksentscheid wie der gestrige aus der Schweiz vermutlich auch. Deshalb werden in Deutschland auch Bauvorschriften und andere Regelungen bemüht, um die Omnipräsenz des Christentums zu gewährleisten.

  • Der Nachteil eines Volksentscheids zeigt sich meiner Meinung nach bei den hochemotionalen Themen, wo das Bauchgefühl, von Medien geschürte Ängste, vom Pfarrer von der Kanzel gepredigte Vorgaben oder Stammtischpolemik Ratgeber vieler Wähler sind. Die sachliche Diskussion, ein inhaltlich orientiertes Pro und Contra und eine ausgewogene Diskussion, die zu einem Ergebnis führt, hat hier sicher nicht stattgefunden. Was bei solchen Themen hochkommt, ist Meinungsmache, die an die niedersten Instinkte und an die Ängste appeliert - und das funktioniert doch bestens.
    Ob nun Angst vor einer "Islamisierung", wie sie hier in der Schweiz geschürt wurde, oder die Homophobie, die in Kalifornien letztes Jahr zur Abschaffung der Ehegesetze für Homosexuelle geführt haben.


    Ja, für mich ist da ein Volksentscheid in solchen Fällen ein Nachteil, weil ich mich von den Stammtischparolen nicht repräsentiert fühlen würde. Die laute Mehrheit hat nicht zwangsläufig recht.


    Ich persönlich habe nichts gegen Minarette, die nur ein Symbol sind für einen ohnehin längst präsente Religion in unserem Land.
    Und wie will man als Christ sich darüber aufregen können, dass manche islamische Länder christliche Kirchenbauten verbieten, wenn man es selbst in einem doch so aufgeklärten, demokratischen Staat nicht besser macht.
    Ich habe keine Angst vor Religion - sondern vor Extremisten, egal ob sie unter einem Kirchturm beten oder und einem Minarett.

    :lesend
    If you can read, you can empathize, luxuriate, take a chance, have a laugh, hit the road, witness history, become enlightened, turn the page, and do it all again
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