'Elf ist freundlich und Fünf ist laut' - Kapitel 07 - 09

  • Daniel ist auf dem Weg nach Kaunas in Litauen. Er traut sich von zu Hause abzunabeln und in die weite Welt zu gehen. Mittlerweile kann ich als Leser nicht mehr so recht glauben, dass Daniel autistisch sein soll. Entweder hat er enorm gelernt, sich in der Welt (allein) zurechtzufinden oder seine autistischen Züge sind nicht (so) stark. Er mag es zwar immer noch nicht in einem vollgepackten Bus mitzufahren - aber wer mag das schon. Andererseits redet er mit fremden Menschen ohne Probleme.


    Als Leser bin ich ab Kapitel 7 etwas gelangweilt. Ich freue mich zwar für Daniel, dass er sein Leben in Litauen meistert, aber dies liest sich nicht anders als wenn ein "Nicht-Autist" im Ausland ist. Mich freut, dass Daniel die litauische Sprache in Kürze erlernt hat, aber das Lesen der Geschichte ist (leider) wenig interessant. Mittlerweile plätschert alles vor sich hin.


    In Kapitel 8 verliebt sich Daniel in Neil, dem u.a. auch das Buch gewidmet ist. Er outet sich bei seinen Eltern und diese reagieren wieder wunderbar und wünschen ihm ein glückliches Leben. Neil scheint auch ein Außenseiter zu sein. Beide verstehen sich prächtig. Jeder respektiert den Anderen auf seine Art und Weise und lässt den Anderen leben wie er möchte. Schön!

    Lilli
    "The more you ignore me, the closer I get." [Morrissey]

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  • Die Kapitel 7 und 8 stellen für mich einen Bruch in der Geschichte dar. Allein die Entscheidung, alleine für ein Jahr nach Litauen zu gehen, paßt nicht zum Bild, daß Daniel bislang selbst von sich gezeichnet hat. Ich habe das Gefühl, daß in seinem letzten Schuljahr etwas Einschneidendes passiert sein mußte, sodaß er nun auf einmal eher fähig war, sozial zu interagieren. Schon daß er als Ersatzperson für die Hauptfigur einer Schulaufführung einsprang, war für mich wenig plausibel, hatte er doch kurz zuvor noch einen Horror davor, einen Klassenraum zu betreten, wenn alle anderen bereits saßen, sodaß sich die Aufmerksamkeit und die Blicke auf ihn richten würden.
    Daniel kommt in Litauen sehr souverän zurecht, findet Freunde und befaßt sich erstmals mit seiner Homosexualität. Auch als Lehrer scheint er keine nennenswerten Probleme zu haben, was für mich doch erstaunlich kommt.
    So erfreulich die positive Wende in seinem Leben ist, so sehr hätte ich mir doch gewünscht, die Ursachen der Wandlung wären näher beleuchtet worden. Am Ende von Kapitel 7 stellt er es so dar, als hätte ihn der Aufenthalt in diesem fremden Land stark verändert; ich habe aber immer noch das Gefühl, die Reifung müsse schon früher geschehen sein.


    Kapitel 8 handelt vom Finden der Liebe zurück in seiner Heimat. Da waren für mich vor allem zwei Dinge bemerkenswert: zum einen die entspannte Reaktion der Eltern auf sein Coming out, zum anderen die Zuneigung, mit der er von der Katze spricht und wie er diese behandelte. Ich mag Menschen, die gut zu Tieren sind.


    Kapitel 9 rund um sprachliche Aspekte fand ich deutlich interessanter als die beiden vorangegangenen. Esperanto als konstruierte Universalsprache ist mir schon häufiger untergekommen, schön, einmal einzelne Details dazu zu lesen. Faszinierend auch, daß Daniel sich eine eigene Sprache zusammenschustert und mit welcher Komplexität er dies betreibt.

  • Eine Detailfrage zu Kapitel 8 treibt mich noch um, nämlich das Stipendium. Er sagt, aufgrund seiner Freiwilligentätigkeit im Ausland hat er einen Anspruch darauf und bekommt es auch bewilligt. Bloß kauft er sich damit einen Computer - ich dachte immer, Stipendien wären an irgendetwas gekoppelt, also ans Studium samt Leistungsnachweis oder an eine Ausbildung u.dgl. Weiß da jemand, wie dies in Großbritannien zu verstehen ist?

  • Zitat

    Original von mankell
    Die Kapitel 7 und 8 stellen für mich einen Bruch in der Geschichte dar. Allein die Entscheidung, alleine für ein Jahr nach Litauen zu gehen, paßt nicht zum Bild, daß Daniel bislang selbst von sich gezeichnet hat. Ich habe das Gefühl, daß in seinem letzten Schuljahr etwas Einschneidendes passiert sein mußte, sodaß er nun auf einmal eher fähig war, sozial zu interagieren.


    Ich glaube auch, dass etwas passiert sein muss, was dem Leser wohl leider vorenthalten bleibt.

  • Du hast den Link ja schon gepostet - ich wollte gerade danach suchen :-)


    Ich finde auch, dass uns als Leser irgendwas verschwiegen wird. Die meiste Zeit in Litauen kommt er ja genauso gut klar wie jemand von uns. Und mal ehrlich, wer von uns hat nicht an normalen Arbeitstagen auch ne gewisse Gleichmässigkeit. Die meisten stehen zur gleichen Zeit auf, frühstücken das gleiche, fahren den gleichen Weg zur Arbeit etc.
    Dass er unterrichten konnte fand ich auch sehr seltsam. Gerade bezogen auch auf das Stehen vor einer Menge von Leuten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das auf einmal kann, wenn er vorher Angst hatte, in eine Klasse voller Schüler zu kommen. Aber ich glaube, wir werden es eh nicht rausfinden und müssen uns mit dem zurfrieden geben, was er uns in dem Buch mitteilt.


    Ich finde es toll, wie Neil sich auf Daniel einlässt. Wie ich vorher schon sagte - ich könnte das nicht. Nicht, weil es zu anstrengend ist - was es ohne Zweifel ist, aber ich glaube, ich würde die Nerven verlieren, wenn er beim Spülen nen Löffel runterfallen lässt und dann durchdreht. Daher finde ich es umso bewundernswerter, dass ein "normaler" Mensch, sei es auch ein Aussenseiter, sowas so gut hinbekommt. Und mit dem Satz, dass das wichtigste ist, dass man sich gegenseitig liebt, hat er vollkommen recht.
    Sehr interessant fand ich sein Verhalten der Katze gegenüber. Intuitiv hat er genau das richtige gemacht. Das können meiner Meinung nur sehr wenige Menschen.


    Das Kapitel mit den Sprachen fand ich auch total interessant. Ich bin ja selbst ein kleiner Sprachenfetischist. Leider kann ich um einiges weniger sprechen und verstehen, als ich gerne würde.
    Hat jemand eine Ahnung, was es für einen Vorteil hat, Esperanto zu können? Ich habe den Sinn dahinter noch nicht so wirklich verstanden. Das ist mal eine Sprache, die mir total Spass machen würde.
    Die Sprache, die Daniel sich selbst ausgedacht hat, hat sehr sehr viele finnische Züge. Ich habe ja ne Weile finnisch gelernt und kannte ein paar Worte, die er seiner Sprache angeglichen hat.
    Es wäre toll, wenn er die Sprache mal veröffentlichen würde. Die hört sich bestimmt toll an.

  • Zitat

    Original von mankell
    Eine Detailfrage zu Kapitel 8 treibt mich noch um, nämlich das Stipendium. Er sagt, aufgrund seiner Freiwilligentätigkeit im Ausland hat er einen Anspruch darauf und bekommt es auch bewilligt. Bloß kauft er sich damit einen Computer - ich dachte immer, Stipendien wären an irgendetwas gekoppelt, also ans Studium samt Leistungsnachweis oder an eine Ausbildung u.dgl. Weiß da jemand, wie dies in Großbritannien zu verstehen ist?


    :write
    Das hat mich auch gewundert. Ich dachte auch, dass das mit Unterstützung einer Ausbildung/Studium zu tun hat und nicht nur ein Betrag um etwas beliebiges davon zu kaufen...


    Das Jahr in Litauen hat mich auch überrascht. So wie ich Daniel zuvor wahrgenommen hatte, hätte ich nicht gedacht, dass er einen solchen Schritt wagt, und dann auch noch um zu unterrichten! Schade, dass wir nicht erfahren, was ihn da verändert hat.


    Neil scheint sehr sympathisch zu sein...



    Schön fände ich, wenn es im Buch auch ein paar Fotos geben würde...

  • Zitat

    Original von Lilli
    Mittlerweile kann ich als Leser nicht mehr so recht glauben, dass Daniel autistisch sein soll.


    Ein Mensch mit Asperger-Syndrom ist bei oberflächlicher Betrachtung nicht von einer normalen (viele Autisten sagen gerne "neurotypischen") Person zu unterscheiden, außer dass er vielleicht ein wenig exzentrisch erscheint. Bei mir selbst fand die Diagnose erst letzten Sommer statt. Zu diesem Zeitpunkt war ich wohlgemerkt bereits 20 Jahre alt. Daniel Tammet schreibt im ersten Kapitel ja selbst, dass bei fast der Hälfte aller "Aspies" die Diagnose erst nach dem 16. Lebensjahr gestellt wird, was auf ihn ebenfalls zutrifft.
    Es gibt Autisten, die erst mit über 40 ihre Diagnose erhalten. Oder nie.


    Es sind eben nicht alle Autisten ein Raymond Babbitt (aus "Rain Man"), bzw. Raymond Babbitt ist mit Sicherheit kein Asperger-Autist. Der kürzlich verstorbene Kim Peek, das reale Vorbild für diese Filmfigur, war sogar überhaupt gar kein Autist, sondern hatte nach heutigem Kenntnisstand vermutlich das FG-Syndrom.


    Als Asperger-Autist kann man somit einerseits froh sein, dass man eine mildere Behinderung hat als etwa die meisten Kanner-Autisten, andererseits stellt aber genau das auch eines der größten Probleme dar, weil man selbst von Personen, die eigentlich tolerant gegenüber Behinderten sind, gelegentlich als taktlos, egoistisch, faul oder gefühlskalt betrachtet wird.
    Manchmal stimmt das vielleicht. Aber meistens wissen wir es einfach nicht besser.

  • Quetzalcoatlus, es ist schön das auch aus deiner Sicht zu sehen bzw. das du es uns erklärst :-)


    Das hat mich jetzt auch glatt beeinflusst, nicht sowas zu schreiben wie "Die Geschichte plätschert inzwischen vor sich hin und bei manchem erscheint er mir mutiger als so manch normaler Mensch". Ich weiß zuwenig über Autisten bzw. über die verschiedenen Auswirkungen die es gibt. Bei manch einem wird man es also sofort merken und bei anderen nicht so sehr.


    Trotzdem ist es schon ein Riesenschritt von vorher "bloss keine Menschen" auf "nagut, unterrichten wir andere Menschen und reisen in ein fremdes Land". Das gelingt selbst vielen Menschen ohne Behinderung gar nicht, denn es ist eine Überwindung 1. in ein Land zu reisen, dessen Sprache man anfangs gar nicht beherrscht und 2. dann komplett fremde Menschen zu unterrichten. Auf der anderen Seite sind manchmal die Fremden eher die, auf die man sich einlassen kann, weil die einen nicht kennen, während Leute die einen kennen automatisch eine Meinung von einem haben und nicht mehr voreingenommen reagieren bzw. was erwarten. Vielleicht hat das mitgespielt? Wir wissen es nicht. Das mit der Sprache ist für ihn zum Glück ja nicht so das Problem - ich beneide ihn immer noch darum, ich gebs zu :lache


    Dementsprechend interessant fand ich natürlich das Kapitel der Sprachen auch - es muss etwas unheimlich tolles sein, sich mit allen rein theoretisch unterhalten zu können und so eine Sprache innerhalb einer Woche erlernen zu können.


    Das er und Neil sich gefunden haben finde ich auch sehr toll. Auch die gegenseitige Einstellung der Liebe und den anderen einfach sein zu lassen wie er ist, aber dennoch zu lieben - da können sich mal viele was davon abschauen. Mit seinen Eltern ist er ohnehin gesegnet seit Beginn an, die ihn unterstützen und ihn ebenfalls so sein lassen wie er ist. Man sucht selbst das teilweise ohne Erfolg in der heutigen Gesellschaft. Man könnte fast den Eindruck bekommen, das vieles zu glatt läuft, weil man solche Reaktionen zwar erhofft aber wohl kaum bekommt. Es ist so schön zu lesen, das es doch auch mal wirklich anders sein kann.


    Ich geh nun weiter lesen :lesend


    Was mir noch eingefallen ist, das mit der Katze hab ich jetzt nicht so herausragend gefunden weil es für mich selbstverständlich ist. Das es das nicht ist, weiß ich aber wenn man als Katzenmama von Katzen umgeben ist denkt man da nicht mehr so dran und es liest sich selbstverständlich. Allerdings haben gerade jene Menschen auch sofort ein Gespür für Tiere und was sie wollen bzw. wie sie gerne behandelt werden würden und was richtig ist.

    Man kann im Leben auf vieles verzichten, aber nicht auf Katzen und Literatur! :-]


    :lesend Sophie Kinsella - Kein Kuss unter dieser Nummer

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  • Zitat

    Original von Quetzalcoatlus


    Als Asperger-Autist kann man somit einerseits froh sein, dass man eine mildere Behinderung hat als etwa die meisten Kanner-Autisten, andererseits stellt aber genau das auch eines der größten Probleme dar, weil man selbst von Personen, die eigentlich tolerant gegenüber Behinderten sind, gelegentlich als taktlos, egoistisch, faul oder gefühlskalt betrachtet wird.
    Manchmal stimmt das vielleicht. Aber meistens wissen wir es einfach nicht besser.


    Das ist - finde ich - ein riesiges Problem für "normale" Leute. Wir haben z. B. eine Kollegin, die alles nach einem bestimmten Muster macht. Immer den gleichen Ablauf und wenn irgendwas dazwischen kommt, steht sie total auf den Schlauch. Ich ärgere mich immer über sie. Vielleicht sollte ich das nicht tun.
    Denn ich denke nicht, dass ein Asperger-Autist durch die Welt läuft und es allen erzählt - wenn er es überhaupt weiss, das kommt ja auch noch dazu.
    Ich werde wohl mehr Verständnis für sie aufbringen müssen....

  • Ich kann Skvisas Beitrag eigentlich wenig hinzufügen, denn er drückt auch meine Ansichten gut aus. :-)


    Nur auch noch einmal danke für die weiteren Erklärungen zum Asperger-Syndrom. Da ich mich vorher noch nie wirklich damit beschäftigt hatte, kann ich schlecht einschätzen, inwiefern diese Menschen wirklich normal wirken können.


    Und Daniel wirkt für mich in diesen Kapiteln ziemlich normal bzw. so, dass er gut mit seinem Anderssein umgehen kann. Denn schließlich ist es selbst für normale Menschen nicht einfach in ein fremdes Land zu gehen und dort zu unterrichten. Aber er hat das gut gemeistert.

  • Zitat

    Original von chiclana


    :write
    Das hat mich auch gewundert. Ich dachte auch, dass das mit Unterstützung einer Ausbildung/Studium zu tun hat und nicht nur ein Betrag um etwas beliebiges davon zu kaufen...


    Stipendien gibt es sehr viele verschiedene. Sie haben unterschiedliche Anforderungen an die Studenten, unterschiedliche Geldhoehen, sie sind gelegentlich zweckgebunden, gelegentlich nicht. Ich hab mal ein Stipendium bekommen, das setzte sich zusammen aus einem Geldbetrag zum Lebensunterhalt (konnte ausgegeben werden wie ich wollte), einem Buecherstipendium (Belege zum Buchkauf mussten nachgewiesen werden), und einem Geldbetrag fuer einen Flug (Quittung musste nachgereicht werden), da es sich hier um ein Auslandsstipendium handelte.


    Computer gehoeren zu den haeufigsten Sachen, die sich Leute mit Stipendien kaufen. Sind ja nun heutzutage auch wirklich notwendig fuer die Arbeit, genauso wie Buecher auch.


    Es gibt Stipendien, die bekommt man nur, wenn man einkommensschwache Eltern hat. Andere die bekommt man nur, wenn man in einer Sportart sehr gut ist. Und ja es gibt auch welche, die ehrenamtliche Arbeit belohnen.


    Die vielen Unterschiede kommen vor allem daher, dass die Geldgeber, die hinter Stipendien stehen, sehr unterschiedlich sein koennen. Nur ein Teil der Stipendien wird vom Staat/Regierung fianziert. Und jeder Geldgeber setzt eben seine eigenen Bedingungen.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Zitat

    @Original von chiclana:


    Das Jahr in Litauen hat mich auch überrascht. So wie ich Daniel zuvor wahrgenommen hatte, hätte ich nicht gedacht, dass er einen solchen Schritt wagt, und dann auch noch um zu unterrichten! Schade, dass wir nicht erfahren, was ihn da verändert hat.


    Das fand ich auch sehr mutig von Daniel, einfach für ein Jahr nach Litauen zu gehen, ohne die Sprache zu kennen.


    Irgend eine große Veränderung muss wohl stattgefunden haben. :gruebel Er dreht sich quasi um 180 C.

  • Quetzalcoatlus, darf ich vielleicht noch etwas fragen?


    Du hast ja geschrieben, dass ein Mensch mit Asperger-Syndrom oberflächlich betrachtet wie ein etwas exzentrischer Mensch wirkt, aber ich würde gerne wissen, wie du das selbst erlebt hast. War dir schon vor der Diagnose klar, dass du vielleicht so etwas haben könntest? Wie genau kam es denn dazu, dass du dich untersuchen lassen hast?


    :wave

  • Es hat mich auch sehr überrascht, das Daniel in dem Theaterstück einfach so eingesprungen ist.


    Das er nach Litauen gegangen ist, war sehr mutig. Ich fand diesen Abschnitt sehr interessant und es freut mich für ihn, das er es so gut gemeistert hat.

    "If you wanna make the world a better place
    Take a look at yourself and then make a change" - Man In The Mirror