Marina Lewycka: Das Leben kleben

  • Marina Lewyckas ist mit ihrem dritten Roman „Das Leben kleben“ ein herrlich schwung- und humorvoller Roman mit vielen ernsten und politischen Untertönen gelungen.


    Georgie Sinclair ist Mitte Vierzig und hat gerade ihren Ehemann vor die Tür gesetzt. Da lernt sie durch einen Zufall Mrs. Shapiro kennen, die mit ihren vielen Katzen am Ende der Straße in einem alten, etwas heruntergekommenen Haus lebt. Das allerdings ist ein Prunkstück für jeden Immobilienhändler, denn auch im Norden Londons sind die Preise hoch. So kümmert sich Georgie nicht nur um die alte Dame, die als Jüdin in den 40er Jahren von Hamburg nach England flüchtete, sie muss sich auch gegen jede Menge Immobilienhaie wehren, die Mrs. Shapiro nur zu gern entmündigt im Altersheim sehen würden. Was für ein Glück, dass ihr gerade jetzt mit Mr. Ali ein fähiger Handwerker über den Weg läuft, der das Haus so richtig auf Vordermann bringen kann – selbst wenn er nun ausgerechnet aus Palästina stammt. Doch Georgie hat auch Probleme mit ihrem 16-jährigen Sohn, der immer mehr in die Cyberwelt abtaucht und den nächsten Weltuntergang beschwört.


    Nach „Der ukrainische Traktor“ und „Caravan“ ist Marina Lewyckas mit ihrem dritten Roman „Das Leben kleben“ wieder ein herrlich schwung- und humorvoller Roman mit vielen ernsten und politischen Untertönen gelungen. Es geht um die Liebe, um das Miteinander, um Geschichte und um den Klebstoff, der alles zusammenhält. Erneut schafft Lewycka dabei durch ihren hintergründig-ironischen Stil eine besondere Atmosphäre, in der sich ihr Thema wie von selbst entwickelt – hier ist es, am verhängnisvollen Beispiel von Israelis und Palästinensern, die Frage von Menschlichkeit, Verständnis und Aussöhnung zwischen Menschen und Nationen. Und die beste Antwort gibt ihre Heldin Georgie selbst: „Rache ist irgendwann uninteressant. Spannender ist der Blick nach vorne.“ Von diesem Roman sollten sich so manche verfeindete Länder eine Scheibe abschneiden!

  • Das Leben von Georgie Sinclair wird durch die Trennung von ihrem Mann auf den Kopf gestellt. Da sie die Sachen von Rip aus ihrem Leben bannen will lernt sie Naomi Shapiro kennen. Als sie Mrs. Shapiro besucht erkennt sie, das sie dieses Haus schonmal angeschaut hat. Allerdings ist sie von den Lebensumständen von Mrs. Shapiro entsetzt. Als nun Mrs. Shapiro ins Krankenhaus muss gibt diese Georgie als Nächste Angehörige an, so kommen die beiden sich näher und Georgie erfährt immer mehr aus dem Leben von Naomi. Inzwischen gibt es aber auch immer mehr häusliche Probleme wie mit Sohn Ben. Im Laufe des Buches spitzt sich die Geschichte in vielen Teilen zu und wird immer konfuser. Man erfährt sehr viel über die Problematik Israel und Palästina, genauso wie über die Weltuntergangsprognosen.


    Ich habe dieses Buch sehr gerne gelesen. Eine langeweile kam nicht auf. Durch die verschiedenen Handlungsstränge war die Geschichte an sich sehr kompakt, aber die Autorin hat es auf Wunderbare Weise geschafft, alle Handlungen zusammen zu bringen. Sehr schön war auch, das wirklich alles zu Ende gebracht wurde und nicht im Sande verlaufen ist. Dieses Buch kann ich nur weiterempfehlen, von mir bekommt dieses Buch 10 Punkte.

  • Gestern war in Hannover bei Lehmanns eine Lesung mit Marina. Als Moderatin war Margarete von Schwarzkopf mit dabei, die wieder einmal spannende Fragen gestellt und wunderbar durch den Abend geleitet hat. Die deutschen Passagen wurden hervorragende von der hannoverschen Schauspielerin Susana Fernandes Genebra vorgelesen. Die Lesung war zum Teil auf Englisch. Wer nicht da war, hat wirklich etwas verpasst. Falls ihr in einer anderen Stadt noch mal die Möglichkeit hagt, sie "live" zu sehen: Es lohnt sich. Eine sehr charmante und interessante Frau, die viel zu sagen hat.

  • Sisch
    Es wäre schön wenn du etwas ausführlicher von dieser Lesung berichten würdest.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Wieder nur ein weiterer Frauenroman? Oder was möchte uns Marina Lewycka mit diesem Titel nur sagen? Passen Abhandlungen aus der Welt der Klebstoffe in einen Roman? Sie passen – wie die Faust aufs Auge und ihre kurzen Einführungen sorgen für eine ganz besondere Note in dem neuesten Werk der Autorin. Genauso wie die ganzen herrlich skurrilen Personen, die in das Leben von Georgie Sinclair treten, plötzlich und unvorbereitet.


    Georgie hat ihren Mann vor die Tür gesetzt, jetzt ist sie alleine mit ihrem Teenager Sohn Ben, der ihrer Meinung nach viel zu häufig vor seinem Computer klebt. Eines Tages lernt sie ihre alte schrullige Nachbarin Naomi Shapiro kennen, die alleine mit ihren Katzen in einer riesigen, verwahrlosten Villa haust. Als sie nach einem Unfall im Krankenhaus landet, tritt der Sozialdienst auf den Plan, der sie am liebsten enteignen und die Villa auf nicht ganz koscheren Wegen gewinnbringend verkaufen möchte. Georgie kommt hinter die Machenschaften und versucht mit allen Mitteln, sie zu enttarnen und Naomi zu helfen. Die beiden Immobilienmakler Mark Diavollo und Nick Wolfe sind ihr dabei – wenn auch nicht ganz uneigennützig – eine große Hilfe. Genauso wie Miss schlechter Aal vom städtischen Sozialdienst, die sich dafür einsetzt, dass Senioren so lange wie möglich in ihren eigenen vier Wänden bleiben können. Und dann gibt es noch Mr. Ali, einen All-Round Handwerker mit seinen beiden nichtsnutzigen Neffen. Sie alle wirken wie Karikaturen, völlig skurril und überzogen und eigentlich nicht von dieser Welt. Aber wenn man dann einen Blick hinter ihre Masken wirft, erkennt man Geheimnisse, Verzweiflung und vielschichtige Charaktere, die das Leben geprägt hat.


    Wann genau haben sich eigentlich die vielen ernsten Töne eingeschlichen? Davon gibt es eine Menge, denn Marina Lewycka spielt die Melodie des Lebens nicht nur an, sie vertieft sie und bringt den Leser zum Nachdenken und vor allem dazu, Blicke hinter Fassaden zu werfen. Ben, der glaubt, die Endzeit ist nah und sich auf diversen obskuren Websites erkundigt, kommt mit der Trennung seiner Eltern eigentlich ganz gut zurecht. Aber er weiß nicht, was er glauben soll – können sich denn Millionen von Menschen wirklich so irren? Einfühlsam beschreibt die Autorin die verwirrenden Gefühle eines Teenagers, der sich mit allen möglichen Glaubensrichtungen beschäftigt und einfach nicht das Richtige findet. Wer ist Naomi Shapiro wirklich? Auf der Suche nach Papieren stößt Georgie auf einige Ungereimtheiten und merkwürdige Photos und Briefe. Sie reichen weit in die Vergangenheit und enthüllen erschütternde Schicksale im Nationalsozialismus. Besonders schockierend ist der Lebensbericht von Mr. Ali, der aus Palästina fliehen musste, als der Staat den vertriebenen Juden des Zweiten Weltkriegs versprochen wurde. Unfassbar auch die Ignoranz den Senioren gegenüber und deren Hilflosigkeit, sich skrupellosen Geschäftemachern entgegenzusetzen, die ihre wertvollen Besitztümer gewinnbringend für sich ausnutzen wollen. Ein Fünkchen Wahrheit ist bestimmt enthalten in der Art und Weise, wie Naomi Shapiro im Krankenhaus und anschließend im Altersheim behandelt wird.


    Marina Lewycka bringt uns all diese ernsten Themen näher, oft mit einer Spur Ironie und Alltagswahnsinn. Ihr Stil ist flüssig und man merkt kaum, wie die Seiten fliegen. Selbst die trockenen Abhandlungen über die verschiedenen Klebstoffarten schildert sie einprägsam und absolut fesselnd. Ihre Sprache ist recht bildhaft und nicht zu übertrieben, wenn die Situationskomik mal wieder zuschlägt. Ihr sprachliches Spiel mit Namen ist sehr gelungen und sorgt für so manchen Schmunzler. Sie beschönigt nichts und mehr als einmal steigen einem beim Lesen nicht nur angenehme Düfte in die Nase. Insgeheim fragt man sich, ob Menschen wirklich so leben wie Naomi Shapiro, aber davon wird es bestimmt mehr geben, als man glaubt.


    Fazit


    Ein unheimlich vielschichtiges Buch hat uns Marina Lewycka hier präsentiert. Sie schafft es, ernste Themen in einen skurrilen Roman zu verpacken, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen. Ein Buch, was den Leser zum Lachen bringt, zum Nachdenken anregt und einfach nur unheimlich gut unterhält. Diese Mischung ist der Klebstoff, der den Leser an das Buch fesselt und ihn auffordert, doch einmal genauer in die Gesichter seiner Nachbarn zu schauen.


    LG
    Patty

  • Das Leben kleben


    Georgie entsorgt die Klassikschallplattensammlung ihres Mannnes Rip, der sie verlassen hat.
    Die skurile Naomi Shapiro fischt alles aus dem Container, sie ist entsetzt wie jemand sowas wegwerfen kann. Dann trifft Georgie sie im Kaufhaus beim Kampf um runtergesetzte Lebensmittel.
    Georgie freundet sich mit ihr an. Sie wird von Mrs Shapiro zum Essen eingeladen, ganz schön mutig, die vielen Katzen, der Schmutz und der Gestank.
    Ihr Sohn Ben beschäftigt sich hauptsächlich am Computer und leidet unter Weltuntergangsangst, Georgie kann ihm dabei nicht richtig helfen.
    Besser ist sie in Nachbarschaftshilfe, als Mrs Shapiro ins Krankenhaus kommt, kümmert sich um das Haus und die Katzen. Dann setzt sie sich dafür ein, das Mrs Shapiro nicht ins Heim muß. Sie kämpft gegen die Bürokratie und die Häusermakler.
    Zwischendurch versucht sie einen Roman mit ihrer Frustikation gegen Rip um zu schreiben, das fand ich allerdings nicht so interessant.
    Für die Klebstofffirma arbeitet sie von zu Hause aus. In ihre Überlegungen kommt immer wieder vor wie sie was zusammenkleben kann.


    Da gibt es dann auch noch die Völkerverständigung zwischen Juden und Palastinensern.
    Marina Lewycka hat das witzig und manchmal auch ernst geschrieben.
    Es war ein schönes Lesevergnügen.

  • Meine Rezension
    Wieder einmal ein sehr schräges Buch der Autorin Marina Lewycka! Die Kurzbeschreibung fasst den Inhalt schon ganz gut zusammen. Doch zu dieser Rahmenhandlung gibt es natürlich noch einige schräge Nebenstränge, die dieses Buch zu einem turbulenten Lesevergnügen machen.


    Georgie Sinclair hat die Nase voll von ihrem Gatten Rip. In einer – leider ein wenig klischeehaften und vor allem kindischen – Trennungsszene setzt sie ihn vor die Türe, um zukünftig ihren Weg alleine zu gehen. Sie stellt ihm ein Ultimatum, seine Sachen abzuholen, lässt aber den Container mit seinem Hab und Gut bereits schon vorher abholen…


    Sie lernt die verrückte alte Naomi Schachtel Naomi Shapiro kennen, als diese die Hinterlassenschaft von Georgies Noch-Ehemann durchstöbert. Die beiden kommen sich näher und als Naomi ins Krankenhaus muß, fühlt Georgie sich für die alte Dame verantwortlich – auch, weil sie mitbekommt, wie gierige Immobilienmakler das Anwesen von Naomi umschwirren wie die Motten das Licht.


    Nun ist also Initiaitive gefordert, wie man Naomi aus den Klauen einer fiesern Sozialarbeiterin bekommt und ihr Anwesen vor der Beutegier der Immobilienhaie schützt. Dabei erweist sich Georgie als sehr kreativ bei der Ideenfindung.


    Ihren Lebensunterhalt verdient Georgie als Journalistin für ein Klebstofffachmagazin, ihre Leidenschaft ist aber ein Liebesroman, „das verspritzte Herz“, aus dem immer wieder ganz fürchterliche, schwer adjektivverseuchte Passagen abgedruckt sind :lache, in die sie ihre aktuelle Situation einstrickt… diese Passagen sind so abgrundtief grausig, daß es schon wieder schön ist.


    Georgie hat also alle Hände voll zu tun mit ihren diversen Projekten. Doch wie das Ganze endet, müsst ihr schon selbst nachlesen.


    Wie die anderen Romane von Marina Lewycka, so ist auch dieser Roman wieder ziemlich schräg und überrascht mit ungewöhnlichen Ideen. Das hat mir auch dieses Mal wieder ziemlich gut gefallen. Ein wenig verwirrend fand ich teilweise den (ich hab ihn für mich mal so bezeichnet) „Palästina-Nebenstrang“, hier hätte es mir besser gefallen, wenn dieser nicht so viel Handlungsraum beansprucht hätte.


    Dennoch hat mir das Buch alles in allem gut gefallen. Ich würde mir aber wünschen, dass die Autorin zukünftig auch einmal andere Wege beschreitet, denn alle drei Bücher von ihr, die ich bislang gelesen habe, waren ein wenig nach dem selben Muster gestrickt. Ein viertes Mal möchte ich das nicht mehr haben.


    Fazit: Wer die bisherigen Bücher von Marina Lewycka mochte, kann auch hier wieder bedenkenlos zugreifen. Ich hatte meinen Spaß beim Lesen, würde mir für die Zukunft aber Abwechslung von der Autorin wünschen.

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Die Infos im Spoilerbereich kann man getrost mitlesen, sie enthalten nur weitere Infos über die Personen/Handlungsstränge, keinen Geheimnisverrat.

    ***


    Marina Lewycka: Das Leben kleben, OT: We Are all Made of Glue, aus dem Englischen übersetzt von Sophie Zeitz, München 2010, dtv Deutscher Taschenbuch Verlag, ISBN 978-3-423-24780-1, 454 Seiten, Format: 13,5 x 21 x 3,5 cm, EUR 14,90 (D), EUR 15,40 (A).


    „Alle wurden still, bestürzt über die Eskalation der Ereignisse, und ein Gedanke kam mir, so klar, als flammte in meinem Kopf eine Glühbirne auf: diese Leute sind alle vollkommen verrückt.“ (Seite 386)


    Jede gute Tat rächt sich! Arglos hilft die Journalistin Georgie Sinclair einer alten Dame, die beim Versuch, Gerümpel aus einem Müllcontainer zu zerren, gestürzt ist. Das ist der Auftakt zu einem Schlimmassel, der ihre kühnsten Alpträume übertrifft.


    Die alte Dame ist reichlich extravagant zurechtgemacht und stellt sich als Naomi Shapiro vor. Ihre Altersangaben schwanken zwischen 61 und 96, und die Wahrheit dürfte wohl irgendwo in der Mitte liegen. Dass sie allein mit sieben Katzen in einer verfallenen viktorianischen Villa in Georgies Nachbarschaft haust, das stimmt. Dass sie Jüdin ist und in den 40-er Jahren von Hamburg nach London kam, stimmt vermutlich auch. Ansonsten ist ihr Umgang mit der Wahrheit ziemlich kreativ. Georgie Sinclair könnte das eigentlich egal sein. Sie hat nicht mehr als eine oberflächlich-nachbarschaftliche Bekanntschaft im Sinn. Nur widerwillig lässt sie sich von Mrs. Shapiro in die schäbige Villa einladen.


    „Canaan House“ muss einmal großartig gewesen sein. Jetzt macht es eher den Eindruck, als könne es der Bewohnerin jeden Moment auf den Kopf fallen. Die hygienischen Zustände sind grauenvoll, die Kochkünste von Mrs. Shapiro, die berüchtigt ist für ihre Schnäppchenjagd nach abgelaufenen Lebensmitteln, sind es ebenfalls. Georgie ist froh, dass sie sich bei dem Besuch nichts Schlimmeres eingefangen hat als einen verdorbenen Magen. Und auch wenn die alte Dame noch so faszinierende Geschichten über ihren verstorbenen Ehemann, den weißrussischen Musiker und Geigenbauer Artem Shapiro, erzählen kann – Georgie möchte lieber Distanz halten.


    Mrs. Shapiro sieht das freilich anders. Sie kommt überraschend ins Krankenhaus und gibt dort Georgie als nächste Angehörige an. Und nun muss die arme Nachbarin nicht nur die sieben Katzen füttern, deren Dreck wegräumen und auf das alte Haus aufpassen, sie muss sich auch noch mit Mrs. Goodknee von der Sozialstation herumärgern, die offiziell „Mrs. Shapiros Wohnsituation prüfen“ will. Doch hat sie auch einen heißen Draht zu einem Immobilienmakler und Interesse daran, Mrs. Shapiro in ein Heim einzuweisen, damit das Haus auf den Markt kommt. Das kann Georgie Sinclair nicht zulassen!


    Dabei hat die hilfsbereite Nachbarin doch wahrlich genug am Hals!


    Ihre Brötchen verdient sie damit, Artikel für das Online-Fachmagazin „Klebstoffe in der modernen Welt“ zu verfassen. Und immer wieder stellt sie fest, dass es im zwischenmenschlichen Bereich ganz ähnlich zugeht wie in der Chemie. So skurril ihre Vergleiche mitunter anmuten mögen, ganz von der Hand zu weisen sind sie nicht. „Und wenn man nur die menschlichen Bindungen richtig hin bekam, vielleicht ergaben sich dann die Details – Gesetze. Grenzen, Verfassung – von ganz allein. Vielleicht ging es einfach darum, den richtigen Klebstoff für diese speziellen Fügeteile zu finden. Erbarmen. Vergabung. Wenn es sie doch aus der Tube gäbe.“ (Seite 392)



    Dank ihrer wohlmeinender Einmischung sind jetzt nicht nur die Immobilienmakler von Hendricks & Wilson hinter Mrs. Shapiros Canaan House her, sondern auch noch die Makler von Wolfe und Diabello. Wenigstens ist Mark Diabello attraktiv. Georgie beginnt zu ihrer eigenen Überraschung eine Affäre mit ihm.


    Während die Immobilienmakler Mrs. Shapiro im Krankenhaus mit Angeboten umgarnen, hütet Georgie Canaan House samt Katzen, fragt sich, wer wohl der „Phantomscheißer“ ist, der stets an der selben Stelle im Haus einen Haufen absetzt, kramt schamlos in Naomis Papieren, wundert sich über auffällige Widersprüche – und stellt eines Tages fest, dass der Schlüssel zur Hintertür geklaut wurde.


    Mit dem Austauschen des Schlosses beauftragt sie den Handwerker Mustafa al Ali, den sie aus dem Baumarkt kennt, und den sie für einen Pakistaner hält. Seine Reaktion auf die Fotos und religiösen Kultgegenstände in Mrs. Shapiros Haus belehren sie eines Besseren: al Ali ist Palästinenser.


    Ob einer der Immobilien-Interessenten Mrs. Shapiro aus dem Haus mobben will? Kaum ist sie wieder zu Hause, gehen die Sabotageakte los – und gipfeln in einem tätlichen Angriff auf die alte Dame, der sie erneut ins Krankenhaus bringt. Auf diese Gelegenheit scheinen die Aasgeier von der Sozialstation nur gewartet zu haben: Man verfrachtet Naomi in ein Altenheim, wo sie weder Besuch empfangen noch telefonieren darf. „Die haben sie heut Morgen weggebracht“, berichtet ihre Mitpatientin Lillian Brown. „Heut Morgen. Die hat sie schön beschimpft. Das hätten Sie mal hören sollen. Und ich hab gedacht, sie wäre eine Dame.“ (Seite 227)


    Georgie hat immer noch Hoffnung, dass Mrs, Shapiro in ihr Haus zurückkehren kann und lässt Mr. al Ali die Dachrinne reparieren. Mittlerweile hat er zwei Assistenten, die er nicht umsonst „die Nichtsnutze“ nennt: seinen Neffen Ismael und dessen Kumpel Nabil. Als sich herausstellt, dass die beiden jungen Männer dringend eine Bleibe suchen, quartiert Georgie sie bis zur Rückkehr Mrs. Shapiros als Housesitter und Hausmeister in Canaan-House ein.


    Inzwischen kennt die Journalistin den palästinensischen Handwerker al Ali gut genug, um ihm seine traurige Familiengeschichte zu entlocken. So lernt sie, nach Mrs. Shapiros von Holocaust und Zionismus geprägter Weltsicht, auch die palästinensische Seite des Nahostkonflikts kennen.


    Überraschend gelingt Naomi Shapiro die Flucht aus dem Altenheim. Und weil die beiden palästinensischen „Nichtsnutze“ so schnell keine andere Unterkunft finden, lässt sie sie im Canaan House wohnen und erklärt sie spontan zu ihren Betreuern. Dann steht auf einmal Chaim Shapiro vor der Tür, Naomis Sohn, der aus Israel eingeflogen ist, um hier mal nach dem Rechten zu sehen. Und nicht nur das! Mit ein paar Sätzen macht er Georgie und den Palästinensern klar, dass das meiste, was die alte Dame ihnen erzählt hat, Bullsh*t war.


    Wenn Immobilienmakler Nicky Wolfe wüsste, was Georgie und die Canaan-WG nun wissen, würde er den Plan, Mrs. Shapiro wegen des Hauses zu heiraten, noch einmal überdenken ...


    Ist mit dem Einzug von Naomis Sohn ins Canaan House nun alles in Butter? Sind die fiesen Sozialheinis in die Schranken gewiesen, die gierigen Immobilienhändler gebändigt? Mitnichten! Die eigenwillige alte Dame hat sich lediglich den Nahostkonflikt im Kleinformat ins Haus geholt. Die Aasgeier draußen intrigieren, während Chaim und die Palästinenser reparieren, renovieren, diskutieren und politisieren: „Das Problem mit euch Arabern ist“, sagte Chaim, „ihr sucht euch immer schlechte Anführer aus.“ – „Weil ihr Juden alle guten in Gefängnis steckt.“ (Seite 439)


    Läuft also alles weiter wie bisher? Nicht ganz! Denn nicht nur die alte Dame hat über Jahrzehnte hinweg ein Geheimnis gehütet, sondern auch die alte Villa. Und so erleben Freund und Feind zu guter Letzt noch eine Überraschung. Und die ist ein echter Kracher ...


    Ein Roman, der zum Wiehern komisch ist, ohne dabei albern zu werden, und der Themen behandelt wie den Holocaust, den Nahostkonflikt, Vertreibung, Alter, Pflegebedürftigkeit, Einsamkeit, Ehekrisen und Teenager-Probleme – wie passt das zusammen? Mit dem richtigen Kleber geht alles! Und auch wenn man manchmal heftig zwischen Komik, Mitgefühl und Entsetzen hin- und hergeschleudert wird, ist Marina Lewyckas Roman DAS LEBEN KLEBEN sehr vergnüglich zu lesen.


    Die anarchische und bisweilen schandmäulige Exzentrikerin Naomi, die mit ihren sieben Katzen in einer heruntergekommenen Villa haust, ist auf den ersten Blick eine komische alte Schachtel – und auf den zweiten Blick eine tragische Figur. Doch stellt die Autorin sie nicht in die Opfer-Ecke. Sie lässt sie eigensinnig und unbeugsam für ihre Eigenständigkeit und Unabhängigkeit kämpfen.


    Die Nebenfiguren sind nicht weniger schräg und schicksalsgebeutelt. Und sie geben mit ihren politischen Disputen nicht nur einen Einblick in die Hintergründe des Nahostkonflikts, sie entdecken auch, wie – zumindest im Mikrokosmos des Canaan House – das Zusammenleben verschiedener Gruppierungen halbwegs funktionieren kann.


    Auch Georgie lernt dazu. Nicht nur über den Nahostkonflikt, der für sie bislang nur eine irrelevante Klopperei irgendwo am Ende der Welt war. Ihr Roman endet im Zuge der Ereignisse anders als geplant. Das Rachekapitel streicht sie. Und auch die Beziehung zum Ex-Gatten in spe überdenkt sie. „Ich merkte, dass sich etwas in mir verschoben hatte – Rache interessierte mich nicht mehr besonders. Ich war bereit, nach vorn zu blicken.“ (Seite 415)


    Und so ist der Roman komisch und traurig, skurril und doch glaubhaft, traurig und dennoch hoffnungsvoll, informativ und auf jeden Fall unterhaltsam.


    Die Autorin
    Marina Lewycka wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Kind ukrainischer Eltern in einem Flüchtlingslager in Kiel geboren und wuchs in England auf. Sie ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter, lebt in Sheffield und unterrichtet an der Sheffield Hallam University. Ihr erster Roman „Kurze Geschichte des Traktors auf Ukrainisch“ wurde zu einer beispiellosen Erfolgsgeschichte, eroberte die internationalen Bestsellerlisten, wurde in 33 Sprachen übersetzt und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

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  • Ich habe das Buch in März gelesen und hab leider meine Notizen verlegt. Zwar hab ich bei vorablesen.de eine Rezi geschrieben, aber die ist jetzt auch nicht so dolle, darum erspar ich das den Eulen.


    Ich fand das Buch insgesamt schon ganz nett, aber eigentlich nicht sooo lustig wie anscheinend viele anderen. Zeitweise sogar recht langweilig, mir war das eindeutig zuviel Vergangenheitsgeschwafel und außerdem sehr viele seltsame Leute. :lache
    Außerdem haben mir am Ende zwei Sachen nicht gefallen.


    Es war mein erstes Buch von der Autorin und es war ein netter Zeitvertreib, auch den Schreibstil fand ich angenehm zu lesen, aber ich muss nicht unbedingt noch mehr von ihr lesen, das ist nicht so ganz mein Fall, denk ich.


    Würde dem Buch so 7-8 Punkte geben. Eher 7. :grin

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


    *Bestellungen bei Amazon bitte über Forumlinks (s. Eulen-Startseite) tätigen, um so das Forum zu unterstützen.*

  • Das Buch ist gestern spontan in meinen Besitz gewechselt, als ME für 3,50 vom Wühltisch, ich brauchte etwas zum Lesen für die Bahn. :grin


    Nach Lektüre der ersten knapp 50 Seiten und Euren Rezis hier gehe ich davon aus, dass ich keinen Fehlkauf getätigt hatte.


    Herrlich skurril, Georgie und Naomi versprechen gute Unterhaltung, ich musste gestern im Zug schon einige Male vor mich hingrinsen.


    Edit hat ein paar Tippfehler entdeckt

  • Ich habe den "Ukrainischen Traktor" als sehr angenehm unterhaltende Lektüre für unterwegs in Erinnerung und werde auch das neue Buch lesen, wenn es mir irgendwo über den Weg läuft. (Vielleicht ja auch in einem Wühltisch um € 3,50).

  • Georgie Sinclair, Mutter eines Teenagersohnes und einer gerade erwachsenen Tochter, frisch vom Ehemann getrennt, Mitarbeiterin eines Online-Magazins über Klebstoffe und „unveröffentlichte Autorin“ lernt eines Tages zufällig Mrs. Shapiro kennen, eine alte Frau, die mit sieben Katzen in einem baufälligen Anwesen wohnt. Als Mrs. Shapiro eines Tages ins Krankenhaus muss, ändert sich für beide Frauen das Leben …


    Die Autorin beherrscht es, wunderbar skurrile Figuren zu erschaffen. Auch in diesem Buch lernen wir wieder eine ganze Reihe davon kennen (inklusive einiger Katzen). Besonders Mrs. Shapiro leuchtet hier heraus, sie ist eine exzentrische alte Dame, die Zustände in ihrem Haus ließen mich mehr als einmal schlucken, jedoch ist sie einem sehr sympathisch und man bangt um sie. Gleichzeitig hat sie ganz offensichtlich ein Geheimnis, das nicht nur Georgie sondern auch die Leser gerne gelöst haben möchten.


    Auch Georgie, deren Name im Roman in allen möglichen Varianten benutzt wird (jeder Charakter hat eine eigene Namensvariante für sie), gefällt mir gut. Sie ist die Identifikationsfigur des Romans, ihr Leben ist es vor allem, das geklebt werden muss. Da die Geschichte in Ich-Form aus ihrer Sicht geschrieben ist, lernen wir sie sehr gut kennen, erleben ihren Frust, ihre Hoffnungen und Ängste und ihre Versuche, ihr Leben neu zu gestalten, hautnah mit – und alle anderen Charaktere aus ihrer Sicht. Ich finde, das passt sehr gut und gibt der Geschichte eine ganz eigene Stimmung. Recht lustig finde ich die Ausschnitte aus dem Roman, an dem sie gerade schreibt, schon der Titel ist klasse: „Das verspritzte Herz“ … Für mich etwas störend ist allerdings die Storyline um Geogies Sohn Ben, die meiner Meinung nach „zu viel“ ist und die ich nicht recht in die restliche Geschichte einordnen kann, zumal mir auch gar nicht gefällt, wie Georgie mit Bens Problemen umgeht, nämlich so gut wie gar nicht.


    Auch sehr gut gefällt mir der Handwerker Ali, ein Palästinenser, durch den der israelisch-palästinensische Konflikt thematisiert werden konnte, Mrs. Shapiro ist nämlich Jüdin. Im Laufe der Geschichte erleben wir einige Rückblenden, in denen erfahren wir nicht nur jüdisches Leid sondern auch palästinensisches – und auch die ganz aktuellen Probleme beider Völker kommen zum Tragen. Jedoch setzt der Roman auf Toleranz und die Charaktere merken, dass einen Akzeptanz und Miteinander deutlich weiter bringt, das ist mir mich überhaupt die Botschaft dieses Buches.


    Der Roman lässt sich sehr flüssig lesen, für mich ist er ein richtiger Pageturner. Dabei ist es nicht die übeliche Spannung, die einen dazu bringt, immer weiter zu blättern, nein, man möchte wissen, in welche Situationen Georgie noch so kommen wird, was mit Mrs. Shapiro passiert ist und noch passieren wird und mit welchen Charakteren Georgie (und der Leser/die Leserin) noch konfrontiert werden.


    Das Buch lässt einen Schmunzeln, bietet aber auch Stoff zum Nachdenken und zum Mitleiden, es hat mich stellenweise betroffen und auch traurig gemacht, letztendlich hat sich aber immer ein Lächeln durchgesetzt. Ohne Bens übertriebene Problematik hätte ich gerne die volle Punktzahl vergeben, eine Leseempfehlung verdient der Roman aber allemal.