In Watte packen - die "Eulenautoren"?

  • [quote]Original von Tom


    Kritik bedeutet mehr oder weniger "Infragestellung". Kritik ist also immer negativ konnotiert! Es gibt insofern keine "negativen Kritiken" und deshalb auch keine positiven. Es mag Besprechungen oder Rezensionen geben, die überwiegend negativ oder positiv ausfallen, aber wenn jemand kritisiert, hat er immer etwas auszusetzen. /quote]


    Tommilein, das ist - mit Verlaub - Quark.


    Nehmen wir die Sätze: "Die Aufführung erhielt ausschließlich euphorische Kritiken" oder "Die Kritiker waren begeistert."


    :kiss nach Baaalin! :-)

  • Wiebkelein,


    dann anempfehle ich mal den Blick in den Kluge oder ein anderes etymologisches Lexikon. Der Wahrig tut's auch. Sogar Wikipedia. Kritik, sich mit etwas kritisch auseinanderzusetzen, bedeutet immer, es hinterfragend zu beleuchten, also mit dem Gegenstand prinzipiell nicht einverstanden zu sein. Wenn ein Buch kritisiert wird, wird der Kritiker seiner Berufsbezeichnung gerecht. Wenn er es abfeiert, dann nicht. ;-)


    :kiss nach Hamburch.

  • Zitat

    Original von Bouquineur
    ,
    Wenn ich für das Buch eines Eulen-Autoren eine begeisterte Rezension schreibe, dann nicht aus Wohlwollen sondern einzig und allein aus dem Grund, dass mir das Buch gefallen hat, mich angesprochen und bewegt hat. Daran lasse ich andere Leser gerne teilhaben.


    :write :write Genau so ist es bei mir auch.

  • Hallo, Bell.


    Zitat

    Das stimmt schon, in einem Schreibforum z.B. ist diese Formulierung sicher angebrachter, aber auch beim fertigen Roman kann man sie doch anwenden, finde ich, wenn der Autor nämlich vorhat, weitere Bücher zu schreiben. Nicht umsonst schreibt ja auch Claudia Toman: sagt mir, was ich "falsch" mache oder was Euch missfällt, dann kann ich das beim nächsten Buch vielleicht verbessern.


    Das ehrt Claudia, wenn sie es denn ernst meint. Ich empfinde "konstruktive Kritik", also den Versuch, einem Autor zu erklären, wie er es hätte besser machen können, als anmaßend, und zwar nicht aus meiner Sicht als Autor, sondern als Rezensent. Vor allem, wenn sich diese Form der Belehrung nicht auf stilistische und faktische Elemente (Rechtschreibung, Adjektivflut u.ä.), sondern auf Metaelemente (Figurenzeichnung, Dramaturgie, Plot) bezieht. Da schwingt immer mit: Ich hätte es so gemacht. Das halte ich, mit Verlaub, für idiotisch. Zudem probieren Autoren ja nicht herum, sondern gehen absichtsvoll vor (so sollte es jedenfalls sein). Wenn mir ein Kritiker erklärt, er hätte die Zeitsprünge in einem Roman als störend empfunden, und mir damit nahelegt, in Zukunft auf derlei zu verzichten, schreibt er mir vor, wie ich die Texte zu gestalten habe, die ihm bitteschön zu gefallen haben. Soll er doch selbst Bücher ohne Zeitsprünge schreiben! Das ist nicht "konstruktiv", auch wenn jener Rezensent möglicherweise glaubt, es wäre so. Um nicht falsch verstanden zu werden - es ist vielleicht sogar berechtigte Kritik, aus seiner Sicht, möglicherweise auch aus derjenigen vieler anderer. Aber sie unterstellt, ich hätte etwas getan, weil ich die Möglichkeiten nicht kannte, die mir jener Kritiker gönnerhaft aufzeigt. Das Gegenteil ist der Fall. Und das ist der Normalfall. ;-)


    Dieses "konstruktiv" soll eigentlich beschönigen, dass der Text Missfallen erregt hat. Wenn das mit Vorschlägen, also "konstruktiven" Elementen verbunden wird, gibt sich der Kritiker (ich benutze das Wort an dieser Stelle absichtlich) mäzenisch, bringt sich über die Kritik hinaus vermeintlich ein. Tatsächlich aber verbindet er Abwertung mit Arroganz. Das kommt einer Blümchentapete in der U-Haft-Zelle gleich.

  • Tschja - wat schall man dor nu to seggen?
    Bi de Kritik dor giv dat goode un slechte. Jümmers schnackt wi do oak von "posetev" un "negatev". Dat weer so und dat wüll oak so bliven. Kanns nix bi moken.


    Aver da ick vonne dütsche Sprock eh nix kapeert hebbt - schriv ick in Tokonft wohl beeter in Platt. Ick weeß ja nich mol, wat een "Verriss" weer. Bin nu mol nich so plietsch.......deid mi leeid. :wave

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Zitat

    Original von Tom


    Kritik bedeutet mehr oder weniger "Infragestellung". Kritik ist also immer negativ konnotiert! Es gibt insofern keine "negativen Kritiken" und deshalb auch keine positiven. Es mag Besprechungen oder Rezensionen geben, die überwiegend negativ oder positiv ausfallen, aber wenn jemand kritisiert, hat er immer etwas auszusetzen. Als noch blöder empfinde ich übrigens den Terminus "konstruktive Kritik", eine Unwortkombination, die mich schon seit Anbeginn der Zeit ärgert. Etwas konstruktiv infrage zu stellen, dass unveränderbar existiert, ist schlichtweg unmöglich. "Konstruktiv" bedeutet: aufbauend. Es mag mir gerne irgendwer erklären, wie das bitteschön gehen soll. Im Rahmen von Textarbeit vielleicht, aber bei Buchrezensionen - nein.


    Aber hallo!
    Natürlich kann Kritik (auch negative) konstruktiv und aufbauend sein. Für dieses eine Buch mag der Zug abgefahren sein, sofern es nicht überarbeitet neu aufgelegt wird (was ja eher selten gemacht wird, oder?)
    Aber sieht man den Autor als Ganzes, dann kann auch die schärfste Kritik hilfreich sein.


    Achtung - fiktives Beispiel, ich kenne deine Bücher (noch) nicht! (Und das soll keine Drohung sein :grin)
    Wenn ich dir schreibe: "Die Figuren sind einseitig und langweilig", dann ist das für dieses eine Buch vielleicht abgehakt und sch...ade.
    Aber solltest du etwas daraus mitnehmen und beim nächsten Buch mehr auf die Charakterisierung achten, dann war die Kritik sehr wohl aufbauend/ konstruktiv/ hilfreich.



    Zitat

    Original von TomEin Verriss ist eine Sonderform der Kritik, aber es ist schlichtweg Unsinn, zu behaupten, dass beim Verriss der Kritiker im Vordergrund steht und bei Kritik der Gegenstand der Auseinandersetzung. Ein Verriss lässt kaum etwas Gutes am besprochenen Kulturgut, ist eine Steigerung, aber auch das kann - im Rahmen der Möglichkeiten - relativ gesittet stattfinden, also ohne schmissige Bonmots, sprachliche Albernheiten oder überzogene Metaphorik. Ein Verriss im Deutschunterricht besteht aus einer Zahl und einem Suffix: Fünf minus.


    Das sehe ich anders. ich kann ein Buch sehr negativ rezensieren, indem ich sachlich auf die Schwachstellen eingehe. Das empfinde ich nicht als Verriss, egal wie schlecht das Buch dabei wegkommt.


    Beispiel (fiktiv und mal eben an den Haaren herbei gezogen):
    Negativkritik:
    "Ich konnte nicht nachvollziehen, wie Figur Uschi am Scheideweg für Weg A entscheiden konnte, hätte sie doch bei der ihr unterstellten Intelligenz dahinter kommen müssen, dass B der richtige Weg war."


    Verriss:
    "Da steht Uschi am Scheideweg zwischen A und B. Jedem Leser ist spätestens jetzt klar, dass nur A der richtige Weg sein kann. Uschis unterstellte Intelligenz berücksichtigend, müsste sie bereits einen blinkenden Neonpfeil vor sich sehen, der auf A hinweist. Hört man genau hin, so vernimmt man Stimmen aus dem Papier, die da singen: AA, Uschi, AAAA"
    Uschi aber sieht ihr Leben vermutlich einfach noch nicht dramatisch genug oder will weitere 100 Seiten lang blind durch die Geschichte tappern - und geht Weg B."



    Das ist - für mich - der Unterschied zwischen negativer Kritik und Verriss. Beides kann aussagen, dass ich das Buch sch...lecht fand.



    Zitat

    Original von TomUnd dann noch etwas zum häufig kolportierten Ton, der angeblich die Musik macht. Ich glaube, Ihr verwechselt da was. Ein fundierter Verriss, der präzise den Finger in die blutenden Wunden einer künstlerischen Arbeit legt, funktioniert umso besser - vernichtender in diesem Fall -, je sachlicher er vorgetragen wird. Wenn jemand "musiziert", also sich sprachlich dergestalt gebärdet, dass er versucht, auch über die Wortwahl seine Meinung zu verstärken, geht das so gut wie immer nach hinten los. Nichts schmerzt mehr, intensiver und langanhaltender, als eine nüchterne und punktgenaue Vernichtung mit einfachsten Waffen.


    Dies nur zur Klarstellung. ;-)


    Da gebe ich dir absolut recht. Wenn wir nun mal bei meiner Interpretation von Verriss und Negativkritik bleiben, dann würde mir die Negativkritik tiefer gehen. Über den Verriss könnte ich mit etwas Abstand vielleicht sogar lachen.


  • Wenn mir die Blümchentapete hilft, besser zu werden, dann nur her damit. Ich kann es ertragen, wenn mir jemand über Verbesserungsvorschläge mitteilt, dass er es besser machen kann - vielleicht stimmt's ja? Ein einzelner Mensch kann schwerlich alle Möglichkeiten erkennen. Mehr Gehirne - mehr Gedanken - mehr Möglichkeiten.

  • Zitat

    Original von Tom
    Wiebkelein,


    dann anempfehle ich mal den Blick in den Kluge oder ein anderes etymologisches Lexikon. Der Wahrig tut's auch. Sogar Wikipedia. Kritik, sich mit etwas kritisch auseinanderzusetzen, bedeutet immer, es hinterfragend zu beleuchten, also mit dem Gegenstand prinzipiell nicht einverstanden zu sein. Wenn ein Buch kritisiert wird, wird der Kritiker seiner Berufsbezeichnung gerecht. Wenn er es abfeiert, dann nicht. ;-)


    :kiss nach Hamburch.


    Dem fett gesetzten stimme ich zu.
    Hinterfragend zu beleuchten, vielleicht mit der Frage: "kann es mich gut unterhalten?" oder "Ist es gut geschrieben?"
    Wenn die Antwort auf diese Fragen "Ja" lautet, dann ist es doch nicht weniger Kritik als wenn sie "Nein" lautet, oder??

  • Hallo, Mulle.


    Zitat

    Wenn ich dir schreibe: "Die Figuren sind einseitig und langweilig", dann ist das für dieses eine Buch vielleicht abgehakt und sch...ade.
    Aber solltest du etwas daraus mitnehmen und beim nächsten Buch mehr auf die Charakterisierung achten, dann war die Kritik sehr wohl aufbauend/ konstruktiv/ hilfreich.


    Diese Kritik ist, wenn man das Wort denn überhaupt um ein Adjektiv ergänzen kann/darf/will/muss, destruktiv. Du empfindest die Figuren als einseitig und langweilig. Selbst wenn Du geschrieben hättest: Über Person A hätte ich gerne noch mehr erfahren, vielleicht wäre aus dem Holzschnitt dann auch eine Skulptur geworden. - dann ist das negativ und wirklich nicht "aufbauend" (also konstruktiv). Du verbindest damit vielleicht den Vorschlag, dass sich der Autor in Zukunft mehr Gedanken über solche Aspekte machen sollte und könnte, unterstellst aber gleichzeitig, dass er zu diesen Gedanken offenbar nicht in der Lage war, als er das Buch geschrieben hat. Auch das ist destruktiv. Und, wenn man so will, arrogant und anmaßend. Zudem ignoriert diese Vorgehensweise, dass es möglicherweise die Absicht des Autors war, einseitige und langweilige Figuren zu schaffen.


    Ich will keineswegs davon abraten, so vorzugehen! Mir geht es in erster Linie um diese Wortkombination. Sie redet etwas schön, das nun wirklich nicht schön ist, und sie macht aus jemandem, der etwas kritisiert, also aburteilt, auch noch einen Besserwisser. Wie gesagt: Man kann, darf und sollte etwas schreiben wie "Über XY hätte ich gerne noch mehr erfahren, vielleicht hätte mir der Roman dann besser gefallen", aber das ist keine "konstruktive Kritik", sondern schlicht: Kritik.

  • Zitat

    Ein einzelner Mensch kann schwerlich alle Möglichkeiten erkennen.


    An diese Stelle gehört als Zitat das bekannteste Bonmot aus dem Mund des Regierenden Bürgermeisters von Berlin. ;-)


    Zitat

    Mehr Gehirne - mehr Gedanken - mehr Möglichkeiten.


    Und: Anderes Kunstwerk. Eines, dass der Autor sehr wahrscheinlich nicht im Sinn hatte. Bei Textarbeit mag das hilfreich sein, aber danach nicht mehr.


    An diese Stelle: Köche, Brei und so weiter.

  • Zitat

    Original von Tom
    ...
    Ich empfinde "konstruktive Kritik", also den Versuch, einem Autor zu erklären, wie er es hätte besser machen können, als anmaßend, und zwar nicht aus meiner Sicht als Autor, sondern als Rezensent. Vor allem, wenn sich diese Form der Belehrung nicht auf stilistische und faktische Elemente (Rechtschreibung, Adjektivflut u.ä.), sondern auf Metaelemente (Figurenzeichnung, Dramaturgie, Plot) bezieht. Da schwingt immer mit: Ich hätte es so gemacht. Das halte ich, mit Verlaub, für idiotisch. Zudem probieren Autoren ja nicht herum, sondern gehen absichtsvoll vor (so sollte es jedenfalls sein). Wenn mir ein Kritiker erklärt, er hätte die Zeitsprünge in einem Roman als störend empfunden, und mir damit nahelegt, in Zukunft auf derlei zu verzichten, schreibt er mir vor, wie ich die Texte zu gestalten habe, die ihm bitteschön zu gefallen haben. Soll er doch selbst Bücher ohne Zeitsprünge schreiben! Das ist nicht "konstruktiv", auch wenn jener Rezensent möglicherweise glaubt, es wäre so. Um nicht falsch verstanden zu werden - es ist vielleicht sogar berechtigte Kritik, aus seiner Sicht, möglicherweise auch aus derjenigen vieler anderer. Aber sie unterstellt, ich hätte etwas getan, weil ich die Möglichkeiten nicht kannte, die mir jener Kritiker gönnerhaft aufzeigt. Das Gegenteil ist der Fall. Und das ist der Normalfall. ;-)


    Ähm, aber ist es nicht in jedem Fall hilfreich, zu wissen, was den Lesern nun gefällt und was vielleicht nicht.
    Okay, wenn ein Leser schreibt, er fand die Zeitsprünge blöd, dann ist es doch sein gutes recht, dir das mitzuteilen. Nicht aus Arroganz, sondern weil
    - er gerne erklärt, warum er nicht volle Punktzahl gibt
    - damit einen Hinweis für Unentschlossene gibt (manche mögen Zeitsprünge, andere nicht - beiden ist damit geholfen)
    - und auch als Hinweis an dich: "DAS hat MIR nicht gefallen."
    Was du damit machst, ist doch deine Sache.


    Ich für meinen Teil würde es mir überlegen, ob der Kritiker vielleicht recht hat. Je nach Ergebnis kann ich beim nächsten Mal dann sagen: "Ich mache diese Zeitsprünge sehr überlegt und bewusst weiterhin" oder (gerade wenn die Kritik häufiger angebracht wurde) "Ich versuche, es mal anders/ besser zu lösen."


    Kein Interesse an Kritik kann im Grunde nur der Autor haben, der keine Lust hat, besser zu werden oder sich selbst schon als perfekt betrachtet.
    Von zweiterem würde ich gerne mal ein Buch lesen :peitsch

  • Die Frage ist auch, ob wir hier alle die Voraussetzungen haben, eine fundierte Kritik schreiben zu können. Müsste man dazu nicht Literaturwissenschaftler sein oder sonstwas Gelehrtes in der Art?


    Ich bin nix dergleichen und trau mir das demzufolge auch nicht zu.


    Ich kann auch dem Autor keine Verbesserungsvorschläge machen und allenfalls sagen, wie seine Geschichte bei mir ankam.


    Bin mir nicht mal sicher, ob mein Geschreibsel den Tatbestand einer Rezension erfüllt. Ich denke, ich schreibe einfach Buchvorstellungen, ganz ohne wissenschaftlichen Anspruch. Eine Kaufentscheidungshilfe für Interessierte Unentschlossene. "Will ich" oder "will ich nicht" ist die einzige Reaktion, die ich auslösen will.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Tom


    Nein. Mit dieser Einstellung setzt Du AutorInnen absolut.
    Man macht Fehler beim Schreiben, in der Logik des Handlungsablaufs, bei der Figurenzeichnung, im Ziehen der Spannungsbögen etc. pp. Wer schreibt, ist in ihrer Geschichte gefangen. Eine Autorin sieht Dinge, denkt Hintergründe, Abläufe, sogar Ereignisse mit, die andere hinterher nicht sehen, weil sie für die Autorin so selbstverständlich sind, daß sie vergessen hat, sie aufzuschreiben. Oder sie hat sie nicht klar genug formuliert.
    Dann gibt es Techniken, die eine Autorin nicht beherrscht. Ein guter Einstieg ist eine Kunst, mehr noch ein guter Schluß. Manche 'können' keine Schlüsse. Oder sie fangen im Mittelteil zu schwallern an.
    AutorInnen sind nicht perfekt, gleich, wie gut ihre Absichten sein mögen. Auch sie greifen sich oft genug hinterher an den Kopf und sagen: O, Schreck, wie konnte ich das nur übersehen.
    (Manchmal kann man es auf die Lektorin schieben, uff! :grin)


    Leserinnen kommen von außen an das Buch, sie haben kein Vorwissen. Wenn sie sich auf die Geschichte einlassen, merken sie oft ganz genau, was fehlt. Das ist nicht in jedem Fall gleichzusetzen mit dem, was ihnen fehlt. Nicht ihr Gefühl wird nicht befriedigt, sondern ihr Verstand.
    'Da verhält sich Clara aber doof' kann tatsächlich bedeuten, daß die Autorin geschlampt hat. Nicht daß die Leserin ihre eigene Clara anders hätte handeln lassen. Aufmerksame Leserinnen konstruieren Clara nach den Vorgaben der Autorin.


    Kritikerinnen sind gleichfalls solche Leute, die immer und grundsätzlich von außen an einen Text herangehen. Ihre Tätigkeit besteht im unterscheiden, nicht im werten. Es geht darum, wo in der Menge der bereits bestehenden Texte der neue eingeordnet werden soll.


    Das ist leider ziemlich in Vergessenheit geraten. Wichtig ist längst vor allem das Werten und da wird es eben haarig. Da fließen Moralurteile, Geschmacksurteile, Freund - und Feinddenken in einem breiten Strom.



    Zur konstruktiven Kritik bei Büchern, Kompositionen, Gemälden etc: in dem Punkt gebe ich Dir weitgehend recht. Ich habe keine Ahnung, was der Ausdruck in diesem Zusammenhang bedeuten soll. Das Buch ist da, das Gemälde ist gemalt.
    'Konstruktiv' kritisieren im Sinn von 'Verbesserungsvorschlge einbringen' kann man bei allem, was noch im Fluß ist. Aber richtig verstanden habe ich den Ausdruck auch noch nie.




    Voltaire


    schöner Text.
    ;-)



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Wenn der Vorschlag nicht ins Konzept passt, dann ignoriere ich ihn doch einfach, und fertig. Wenn er doch passt, arbeite ich die gewonnene Erkenntnis in meine nächsten Geschichten ein. Ganz einfach. Die Gefahr, den Brei zu verderben, besteht nicht, wenn man sich sein Konzept gut und gründlich durchdacht hat.


    Ich verstehe nicht, welchen logischen Grund es geben soll, diese (zugegeben manchmal arroganten) Vorschläge nicht zu überdenken. Es sei denn, das Konzept schwächelt. Aber dann hat man sowieso ein Problem.

  • Hi Tom,


    Zitat

    Original von Tom
    Hallo, Mulle.



    Diese Kritik ist, wenn man das Wort denn überhaupt um ein Adjektiv ergänzen kann/darf/will/muss, destruktiv. Du empfindest die Figuren als einseitig und langweilig. Selbst wenn Du geschrieben hättest: Über Person A hätte ich gerne noch mehr erfahren, vielleicht wäre aus dem Holzschnitt dann auch eine Skulptur geworden. - dann ist das negativ und wirklich nicht "aufbauend" (also konstruktiv). Du verbindest damit vielleicht den Vorschlag, dass sich der Autor in Zukunft mehr Gedanken über solche Aspekte machen sollte und könnte, unterstellst aber gleichzeitig, dass er zu diesen Gedanken offenbar nicht in der Lage war, als er das Buch geschrieben hat. Auch das ist destruktiv. Und, wenn man so will, arrogant und anmaßend. Zudem ignoriert diese Vorgehensweise, dass es möglicherweise die Absicht des Autors war, einseitige und langweilige Figuren zu schaffen.


    Wenn ich so denken würde, hätte ich große Angst vor der ersten Kritik :grin Zu große, um etwas zu veröffentlichen.
    Ist vielleicht eine Sache, wie man heran geht. Mich interessiert, was meine Leser denken, denn die kaufen mein Buch und sollen gefälligst auch das nächste kaufen. :kiss


    Natürlich *will* niemand flache Figuren schreiben. Warum gibt es dann so viele davon?
    Weil die Autoren eine andere Sicht auf ihr Personal haben. Eine tolle, interessante, vielschichte Figur zu erschaffen, gelingt jedem Kind. Die Kunst ist es, dem Leser im Roman zu zeigen, wie diese Fantasiefigur ist, sie den Leser "sehen" zu lassen.
    Ob das gelingt kann der Autor NIE erkennen, weil er nie in der Leserperspektive drin steckt.
    Daher empfinde *ich* es als total wichtig, dass die Leser mich wissen lassen, sobald sie meine Figuren als flach empfinden. Das würde ich nämlich keinesfalls so weiterführen wollen.



    Zitat

    Original von Tom
    Ich will keineswegs davon abraten, so vorzugehen! Mir geht es in erster Linie um diese Wortkombination. Sie redet etwas schön, das nun wirklich nicht schön ist, und sie macht aus jemandem, der etwas kritisiert, also aburteilt, auch noch einen Besserwisser. Wie gesagt: Man kann, darf und sollte etwas schreiben wie "Über XY hätte ich gerne noch mehr erfahren, vielleicht hätte mir der Roman dann besser gefallen", aber das ist keine "konstruktive Kritik", sondern schlicht: Kritik.


    Einigen wir uns darauf, dass es Ansichtssache ist?
    Ich würde es als konstruktiv betrachten und dafür dankbar sein, ehrlich.
    Aber das mag daran liegen, wie ich das Schreiben gelernt habe: Ausprobieren, Kritik fressen, Danke sagen, besser machen.
    Nur weil jetzt die ersten Geschichten in gedruckter Form erscheinen, sehe ich den Weg noch nicht als beendet.

  • Zitat

    Original von Vandam
    Die Frage ist auch, ob wir hier alle die Voraussetzungen haben, eine fundierte Kritik schreiben zu können. Müsste man dazu nicht Literaturwissenschaftler sein oder sonstwas Gelehrtes in der Art?


    Ich bin nix dergleichen und trau mir das demzufolge auch nicht zu.
    ...


    Das mag vermutlich wieder jeder anders sehen, aber mich persönlich interessiert die Sicht der Leser weit mehr, als die eines fundierten Kritikers, der nur liest, um eine Kritik abzugeben.
    Die Sichtweise derer, die sich ein Buch mit bestimmten Erwartungen kaufen, ist mir persönlich das Wichtigste, wichtiger noch als das, was Verlag, Lektor oder meine oberkritische Mutti dazu sagen :knuddel1
    Was hätte ich davon, dass ein Literaturpapst mein Buch toll fände, wenn die Leser des Genres nur die Schultern zucken und es unter "nicht weiter erwähnenswert" verbuchen?
    Nö, dann lieber einen fetten Rüffel vom Berufskritiker und dafür zufriedene Leser.

  • Hallo, Mulle.


    Nochmal: Es geht mir nicht darum, derlei nicht zu tun. Wenn man das Bedürfnis verspürt - warum nicht? Ich schreibe so etwas auch in meine Rezensionen. Sie sind deshalb noch lange nicht "konstruktiv". Und nur darum geht es mir.


    Ja, es ist irgendwie hilfreich, zu erfahren, was "den Lesern" gefällt und was nicht, aber erstens erfährt man das bestenfalls (und sehr, sehr hoch geschätzt) von vielleicht einem Zehntelpromille "der Leser" und zweitens mag man als Autor auch abseits von möglicher Perfektion durchaus wissen, was man tut, selbst wenn das bei einzelnen auf Nichtgefallen stößt. Davon abgesehen wird man es sowieso nie allen recht machen können.


    Ich habe vor kurzem im Rahmen einer Recherche die Biographie von Dieter Bohlen gelesen ("Nichts als die Wahrheit"). Das Buch hat mir, vorsichtig ausgedrückt, keineswegs gefallen. Ganz im Gegenteil. Ich fand es abstoßend, die Lektüre war mir unangenehm. Sehr unangenehm. Ich bin sehr sicher, dass es vielen Lesern sehr ähnlich ging. Und viele haben das Buch genau deshalb gelesen.


    Das ist natürlich ein etwas schräges Beispiel. Ein einfacheres. "Gargoyle" von Andrew Davidson. Der Mann kann richtig gut schreiben, da lächelt einem das Talent aus jeder Zeile entgegen. Ich fand das Buch trotzdem schrecklich, weil es sehr akribisch auf eine Botschaft hinarbeitet, die ich widerwärtig fand. Davon abgesehen häbe ich möglicherweise einiges nicht verstanden. Beides wollte der Autor wahrscheinlich so. Wie sollte hier eine "konstruktive Kritik" aussehen? Soll ich ihn darum bitten, mir ein "persönliches Buch" zu schreiben, eines nur für Tom, damit der jetzt Davidson mag - und nicht nur dessen Schreibstil?


    Noch eins. Mein Hassbuch des vergangenen Jahres, "Neu-Erscheinung" von Michael Gantenberg. Klischees, plumper Witz, dummer Plot, simple Figuren. Ich könnte eine Doktorarbeit über dieses Buch schreiben, hätte ich je irgendeine Istik studiert. Zu jedem zweiten Absatz ließen sich Dutzende "Fehler" aufzählen, die dazu geführt haben, dass dieses Buch aus meiner Sicht alles andere als funktioniert. Andere aber sind begeistert, der Titel hat sich ganz okay verkauft, der Verlag hat einen weiteren angefragt, der irgendwann demnächst erscheint oder schon erschienen ist. Eine "konstruktive Kritik" wäre mir aber völlig unmöglich. Gantenberg hat im Rahmen seiner Möglichkeiten genau das getan, was er tun wollte - und etwas Originelles im Wortsinn abgeliefert, quasi: Seins. Und er wollte ganz sicher keinen Roman schreiben, der sich wie einer von mir oder von irgendwem sonst "anfühlt". Ich unterstelle einfach mal, dass er eine Geschichte voller Klischees, plumpen Witzen, mit einem dummen Plot und simplen Figuren erzählen wollte. Das ist ihm auch fraglos gelungen.


    Ich mache fast schon seit Jahrzehnten Textarbeit mit anderen Autoren, auch an meinen eigenen Texten. Projekte in der Frühphase werden von anderen Autoren untersucht und besprochen. Keiner von denen, die etwas zum Text sagen (Laien und "Profis"), sei es (zusammengefasst) "Tonne" oder "nobelpreiswürdig", hat recht. Gut, es werden stilistische, perspektivische, dramaturgische, technische Schwächen aufgezeigt, in einer Weise, wie das auch Lektoren tun (die übrigens keineswegs unfehlbar sind, ganz im Gegenteil), aber auch das ist zu einem Gutteil, obwohl es sich vielleicht so anfühlt, keineswegs konstruktiv. Sondern (abseits von objektiven Fehlern) schlicht Kritik. Was der jeweilige Autor daraus macht, ist ihm überlassen, und so sollte es auch sein. Manch einer geht aus einer solchen Besprechungsrunde mit vielen Blessuren, sogar offen blutenden Wunden hervor, und legt zwei Wochen später einen Verlagsvertrag vor. Oder krepelt noch jahrelang herum, obwohl er nur positive Testate abbekommen hat. Aber das ganze ist natürlich produktiv, weil es zu einem Moment geschieht, in dem der Autor noch die Chance hat, etwas zu tun. In der Redaktionsphase (Lektorat) erlebt er dann abermals ähnliches.


    Mein letztes Buch fanden viele Leute lustig, andere mögen es nicht so. Unter diesen anderen sind nicht wenige, die meine vorigen Bücher sehr gemocht haben. Ein paar davon haben versucht, mir zu erklären, warum das so ist, und ich habe das auch verstanden. Aber auch das war keine "konstruktive Kritik", also etwas, an dem ich lernen kann, denn ich bin kein Sprachrohr meiner Leser, sondern verdammt noch eins mein eigenes. Comprende? ;-)

  • Ich hab mir jetzt die gesamte angesprochene Leserunde reingezogen und finde keine Beiträge, wie sie hier erwähnt wurden.
    Wurde da nachträglich zensiert oder bin ich einfach blind? :wow


  • Du hast recht, ich habe wohl das falsche Wort gewählt. Ich wollte nur ausdrücken, dass es durchaus auch Leser gibt, die dein Buch ... mh, sagen wir mal, mittelmäßig finden. Im Grunde gefiel es ihnen, aber das ein oder andere gab es auszusetzen. Manchmal resultieren daraus Denkanstöße, meistens allerdings nicht, denn da muss ich Tom recht geben.


    Offen gesagt, ein wie hier beschriebener Verriss im Sinne des Wortes, kann verletzend sein. Eine Leserstimme, die es mit meinem Genre versucht hat, es aber doch nicht als das ihre empfindet, kann ich nicht als persönlichen Angriff nehmen. Es ist halt eine subjektive Meinung, daran ändert man überhaupt nichts.


    Herzlichst
    Helene

  • Zitat

    Original von Tom
    Hallo, Mulle.


    Nochmal: Es geht mir nicht darum, derlei nicht zu tun. Wenn man das Bedürfnis verspürt - warum nicht? Ich schreibe so etwas auch in meine Rezensionen. Sie sind deshalb noch lange nicht "konstruktiv". Und nur darum geht es mir.


    Tom, ich glaube, ich merke gerade an welcher Stelle wir aneinander vorbei reden.
    Kann es nicht sein, dass ein Kritiker/ Rezensist überhaupt nicht in der Hand hat, ob seine Rezi nun "konstruktiv" war oder nicht?
    Weil eine Kritik erst dann konstruktiv wird, sobald der Autor etwas darauf mitnimmt?
    Ich sehe das gerade zu sehr aus Autorensicht, stelle ich fest.


    Aus Sicht des Rezensenten empfinde ich es auch als kaum möglich, etwas "Kontruktives" zu verfassen, weil ich nicht weiß, ob das, was ich als "schlecht" empfinde, nicht vielleicht genau so gewollt war, aus Gründen, die ich einfach nicht verstehe.
    Ich kann das kritisieren, klar. Aber ob darauf konstruktive Kritik wird, weil der Autor sich denkt: "Da hat sie vielleicht recht, muss ich mehr drauf achten", liegt nicht in meiner Hand.
    Vielleicht denkt der sich auch:" Die dumme Funz hat mein ganzes Buch nicht verstanden."
    Dann war der gleiche Satz wohl nicht konstruktiv. Pech.


    Ich finde es nur absolut nicht richtig, Kritik (in welcher Form auch immer) als arrogant oder anmaßend zu bezeichnen.
    Der Kritiker macht sich schließlich Mühe, seine Eindrücke zu dem Buch zu verfassen. Die kann ich als Autor dann als hilfreich empfinden oder auch nicht. Es kommt immer auf die Eindrücke und meine Meinung dazu an, ob ich sage: "Stümmt, er hat recht, das könnte man besser machen" oder "Gefällt ihm nicht - schade, muss aber so sein".