Kurzbeschreibung:
La Hague im Nordwesten der Normandie: Es heißt, der Wind bläst hier zuweilen so stark, dass er den Schmetterlingen die Flügel fortreißt. Nur wenige leben hier, am Ende der Welt, am Meer, dort, wo die Menschen ebenso schroff sind wie die Natur. Sie hat ihren Mann verloren und sich in diese raue Gegend geflüchtet. Sie beobachtet Vögel, eine monotone Arbeit, die ihr gut tut und sich mit ihrem Seelenleben deckt. Sie lebt in einem Haus, der Griffue, das fast im Meer steht; niemand versteht, wie man es dort aushalten kann. Das Leben ist ruhig, von der Außenwelt so gut wie abgeschnitten, es wird vom Wetter, vom Wind, den Gezeiten bestimmt – bis eines Tages Lambert auftaucht. Fremde, die länger bleiben, gibt es selten; sie werden von den Einheimischen argwöhnisch beäugt, aber Lambert ist nicht wirklich fremd: irgendwie gehört er dazu. Vor vierzig Jahren starben hier seine Eltern und sein jüngerer Bruder bei einem Bootsunglück. Nun ist er zurückgekommen, um das dramatische Unglück von damals aufzuklären. Und allmählich bröckelt die Wand des Schweigens, hinter der jeder Dorfbewohner ein Geheimnis zu verbergen scheint. Was das Meer genommen hat, das spuckt es irgendwann wieder aus ...
Über die Autorin:
Claudie Gallay, 1961 im Département Isère geboren, gilt als eine der populärsten Schriftstellerinnen Frankreichs. Mit ihrem Roman »Die Brandungswelle« sorgte sie dort für Furore. Er stand monatelang auf der französischen Bestsellerliste und verkaufte sich allein in Frankreich über 260.000 Mal. 2009 wurde Claudie Gallay mit dem renommierten Grand Prix des lectrices de Elle ausgezeichnet und mit dem Prix des lecteurs du Télergramme. Im Herbst 2010 kommt »Die Brandungswelle« in die Kinos.
Meine Meinung:
Der Wind pfeift nur, wenn er auf Widerstand stößt. Auf ein Hindernis. Er pfeift nie über dem Meer. Im freien Raum ist er stumm.
Dieses Buch ist voller Stellen wie dieser: poetisch, präzise, nachdenklich machend. Schon mit den ersten Sätzen entführt Claudie Gallay den Leser in die Stille und Einsamkeit von La Hague. Hier kennt jeder jeden, hier verstreichen die Tage in gleichförmiger Eintönigkeit - nur das Wetter und das Meer ändern sich stündlich.
Die Ich-Erzählerin, in ihrem "früheren" Leben Biologin und Professorin an einer Universität in Avignon, hat sich in diese Einsamkeit, diesen rauen Landstrich zurückgezogen, nachdem sie ihren Mann verloren hat. Sie zählt und zeichnet die Vögel und durchstreift Tag für Tag die Landschaft, denn Laufen ist lange Zeit das einzige, das gegen ihre Trauer hilft. Als am Tag des großen Sturms ein Fremder in La Hague ein Haus bezieht, verändert sein Erscheinen nicht nur das Leben der Dorfbewohner, sondern auch ihres.
Neben der spannenden und berührenden Geschichte und den facettenreichen und sehr fein gezeichneten Figuren hat mich der Roman vor allem wegen seiner Sprache und der äußerst genauen Komposition begeistert. Hier gehen Inhalt und Form wirklich eine Symbiose ein. Über die Erzählweise versetzt die Autorin den Leser in die Atmosphäre von LaHague: Immer wieder gibt es Kapitel, in denen vordergründig nichts passiert, die aber einfach nur wunderschön geschrieben sind und auf perfekte Art und Weise den Tagesablauf in diesem weltvergessenen Winkel wiedergeben: Zeit, die so viel langsamer verstreicht, als wir es gewöhnt sind. So passt sich auch die Geschichte diesem langsameren Fluss an, ohne dabei ihre Spannung zu verlieren.
Beeindruckend auch die Tatsache, dass mir die Ich-Erzählerin trotz ihrer zurückhaltenden, ja beinahe reservierten Art, sehr nahe und vertraut ist - und das, obwohl ich fast nichts über sie weiß. Ich kenne nicht einmal ihren Namen, wie ich erst jetzt beim Schreiben dieser Rezension verwundert feststelle. Er ist nicht nötig. Genauso wenig wie ihr Aussehen oder ihr Alter. Und so setzt sich die äußere Kargheit von LaHague auch inhaltlich fort, Claudie Gallay gibt uns nur die allernötigsten Informationen - und erzeugt genau dadurch eine Tiefe, die mich sehr berührt hat.
Dieses Buch ist eines meiner absoluten Lese-Highlights in diesem Jahr. 10 Punkte!
Liebe Grüsse
Lille
Edit: Rechtschreibfehler