Die Radleys - Matt Haig

  • Originaltitel: The Radleys (2010)
    Kiepenheuer & Witsch 2010, 424 S.


    Über den Inhalt:
    Lernen Sie die Radleys kennen, eine total verbissene Familie!
    Auf den ersten Blick wirken sie ganz normal: Vater Peter ist Arzt, Mutter Helen kümmert sich um die beiden pubertierenden Kinder Clara und Rowan. Doch warum erstickt Peter fast am thailändischen Salat, warum nimmt jedes Tier vor Clara Reißaus und warum kann Rowan nachts nicht schlafen und hat trotz Lichtschutzfaktor 60 Probleme mit der Haut?
    Das Geheimnis der Radleys ist so unfassbar wie offensichtlich: Sie sind abstinente Vampire!


    Über den Autor:
    Matt Haig wurde 1975 in Sheffield geboren und wuchs in Nottinghamshire auf. Autor mehrerer Jugendbücher und Bücher für Erwachsene. Mit „Die Radleys“ gelang ihm der internationale Durchbruch. Er lebt heute in Yorkshire.


    Meine Meinung:
    Nicht noch ein Buch über Vampire … dachte ich und beäugte den schwarzen Umschlag mit der weißen Tasse und dem roten Blut darauf skeptisch. Das äußere Cover ist schwarz, der Einband dagegen blutrot und passt damit perfekt zum Inhalt. Der Autor schreibt in kurzen Kapitel, die manchmal nur eine Seite lang sind, kurzweilig und amüsant. Selbst der britische Humor kommt in der deutschen Übersetzung rüber.


    Auf den ersten Blick wirken die Radleys wie eine völlig normale, durchschnittliche, englische Mittelstandsfamilie. Allerdings verbergen sie ein Geheimnis, von dem selbst ihre Kinder nichts wissen: sie sind Vampire. Vampire, die sich entschlossen haben, wie Menschen zu leben. Deshalb trinken sie kein Blut, greifen zum Ausgleich aber gern mal zum rohen Steak. Um die Fassade aufrecht halten zu können, hilft ihnen frei nach dem Vorbild der Anonymen Alkoholiker das „Handbuch für Abstinenzler“, aus dem zwischendurch zitiert wird. Etwa „Wenn Blut die Antwort ist, haben Sie die falsche Frage gestellt.“ Doch was einst als erstrebenswert galt, wird mit den Jahren zunehmend zur Qual. Als die 15-jährige Clara in Notwehr einen Jungen im Blutrausch tötet, bekommt der mühsam aufgebaute Schutzwall der Familie erste Risse und das Leben gerät außer Kontrolle. Nicht ganz unschuldig daran ist Peters Bruder Will, den Helen in ihrer Not zur Hilfe ruft, um den Tod des Jungen zu vertuschen. Will ist der krasse Gegensatz zu seinem Bruder, verzichtet im Leben auf nichts, schon gar nicht aufs Blutsaugen. Mit dem Auftauchen des lebenslustigen Vollblutvampirs kommt Farbe ins Spiel. Auch er trägt Geheimnisse mit sich herum, die er auf seine Art zu schützen versucht. Hierdurch wird es im letzten Viertel des Buches zunehmend spannend und lebendiger, sprich blutiger.


    Viel Sorgfalt wurde auf die Figuren verwandt und die Charaktere sind liebevoll mit sehr typischen menschlichen Eigenarten ausgestattet. Jeder verbirgt sein kleines oder großes Geheimnis und so ist für Missverständnisse und Konflikte gesorgt. Im Gegensatz zur konventionellen Vampir-Mythologie hat sich Haig für seine Vampire ein paar Besonderheiten einfallen lassen.


    Humorvoll und satirisch dreht der Autor den Spieß um: nicht das Vampirische ist erstrebenswert. Es gibt keine romantisch verklärten, bluttrinkenden Schönlinge. Das ganz alltägliche menschliche Dasein gilt als das Nonplusultra. Und so funktioniert das Buch auf mehreren Ebenen: vordergründig ist dies die amüsante Geschichte über eine Vampirfamilie, die der eigenen Natur abgeschworen hat, um so zu sein wie alle anderen, nämlich genauso angepasst, unauffällig und langweilig wie ihre Nachbarn. Auf den zweiten Blick entpuppt sich die Story als eine Parabel auf die Gesellschaft. Die Klischees der einengenden Moralvorstellungen des gutbürgerlichen Lebens sind wohl eher für ein erwachsenes Publikum gedacht. Leider mangelt es den satirischen Zügen dabei etwas an Raffinesse. Durch den ausreichenden Schuss Romantik dürfte das Buch auch jugendliche Leser ansprechen.

    Die Geschichte beginnt sehr originell, viele nette Ideen brachten mich zum Schmunzeln. Leider verliert sich der Witz im Verlauf der Handlung. Ganz bis zum Ende hält Haig seinen amüsanten, satirischen Unterton nicht durch. Im letzten Drittel wandelt sich der Ton und hier übernimmt sozusagen der Blutdurst die Überhand.
    Alles in allem habe ich eine muntere, teils witzige, teils skurrile Geschichte über eine etwas ungewöhnliche Familie gelesen.

    Ach ja: Der Anfang erinnert ein wenig ein Twilight und Harry Potter. So verwundert es wenig, dass der mexikanische Filmemacher Alfonso Cuarón - Regisseur von Harry Potter und der Gefangene von Askaban – eine Verfilmung des Romans plant.

  • Danke für die Rezension! Hatte das Buch vor einiger Zeit mal angefangen, kam aber nicht so richtig in die Story rein und es deshalb vorerst mal wieder auf Eis gelegt...

    "Katzen achten nicht drauf, welche Namen wir ihnen geben. Sie haben ihre eigenen Namen und brauchen unsre nicht. Darum schaut einen eine Katze auch immer so mitleidig an, wenn man sie beim Namen ruft, den man ihr gegeben hat, als ob man es nie lernt.

  • Mir hat es sehr gefallen. Ich habe es auf Englisch gelesen und fand, dass der Autor eine tolle Art hat, sich auszudrücken und Stimmungen zu erzeugen. Ich konnte sogar damit leben, dass das Buch im Präsens geschrieben ist.


    Ich hatte irgendwie etwas anderes erwartet. So was wie die Adams Familie, skurriler und lustiger. Ich fand es jetzt aber eigentlich gar nicht so amüsant, sondern eher ernst. Es ging ja auch viel um die Angst, abgelehnt zu werden und um das Unterdrücken von Instinkten zu Gunsten einer Anerkennung in der Gesellschaft. Und darum, dass nicht immer die Vampire die Ungeheuer sind, sondern sich auch unter den Menschen das eine oder andere Monster findet.


    Könnte auch Eulen gefallen, die die üblichen Vampirromane ablehnen.
    .

  • Zitat

    Original von Delphin
    Ich fand es jetzt aber eigentlich gar nicht so amüsant, sondern eher ernst. Es ging ja auch viel um die Angst, abgelehnt zu werden und um das Unterdrücken von Instinkten zu Gunsten einer Anerkennung in der Gesellschaft. Und darum, dass nicht immer die Vampire die Ungeheuer sind, sondern sich auch unter den Menschen das eine oder andere Monster findet.


    Aber als es im Tonfall ernster wurde, wurde es gleichzeitig auch blutiger und ging dann nur noch um die Vampire, nicht mehr um gesellschaftliche Themen.

  • Ich fand, es war von Anfang an ernst. Rowan wurde von seinen Mitschülern gehänselt, Peter war ständig müde und erschöpft und Helen spielte krampfhaft normale, glückliche Familie. Die einzige, die halbwegs klar kam, schien mir Clara zu sein...die dann ja aber ziemlich früh ihren Mitschüler tötet.

  • Zitat

    Original von Delphin
    Mir hat es sehr gefallen. Ich habe es auf Englisch gelesen und fand, dass der Autor eine tolle Art hat, sich auszudrücken und Stimmungen zu erzeugen.


    Alles klar, runter von der Wunschliste, rein ins Einkaufskörbchen... :grin

  • Die deutsche Übersetzung fand ich auch nicht schlecht, habe neulich das Hörbuch gehört. *Hier* ist eine Leseprobe der deutschen Ausgabe, *hier* die der englischen Ausgabe, auf der Homepage des Autors, auf der man mit folgendem Text auf der Startseite begrüßt wird:


    "I'm Matt Haig and I'm trapped inside my own website. I can no longer enjoy earthly pleasures like peanut butter sandwiches or dog-eared paperbacks. Instead I must hover back and forth through pages of self-promotion and vain attempts to convey my 'personality'."

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Dieses Buch hatte ich als Hörbuch gewonnen, aber irgendwie konnte ich mit dem Inhalt so gar nichts anfangen. Zum einen finde ich, dass der Markt mit Vampirgeschichten in letzter Zeit einfach nur überflutet wird und zum anderen finde ich passt die Kombination, also Vampire und Humor nicht so gut zusammen. Wie gut, dass es für solche Dinge Tauschticket gibt ;-)

  • Ich habe diesen Roman gelesen, weil die Buchvorstellung hier attraktiv klang und die sich anschließende Diskussion noch mehr. Ich habe das Buch heute beendet.


    1. Ich verstehe nicht, warum es in dieser Rubrik eingeordnet ist. Es ist entspricht in keinem Punkt den Kriterien. Es ist auch keineswegs eine Satire noch eine rein humorvolle Abhandlung des Vampir-Daseins.
    Es gehört zur Belletristik, es ist eigentlich ein Eheroman und der Roman einer Familie. Von der Teenager-Seite her gesehen, ist es auch noch ein 'Coming of age'-Roman.


    2. Die Handlung ist klasse ausgedacht. Ja, es handelt von Vampiren mit allen Konsequenzen. Zugleich aber handelt es davon, wie man als ganz normaler Mensch mit dem umgeht, was man so gemeinhin 'die dunkle Seite in einer selbst' nennt. Man ist ja den ganzen Tag Versuchungen ausgesetzt. Hier wird der Frage nachgegangen, was passiert, wenn man den Versuchungen widersteht oder wenn man ihnen nachgibt. Was man verliert, was man gewinnt und wie hoch jeweils der Preis ist. Das ist sehr, sehr gescheit durchdiskutiert. Es ist ein ernstes Thema.


    3. Es enthält eine Menge Witz und Humor. Dieser ergibt sich aber strikt aus den Gegebenheiten der Geschichte selbst. Es gibt keine lustigen Dialoge oder Szenen, in denen sich die Leserinnen sofort wiederfinden, weil sie sie in anderen Büchern, in Zeitschriften oder gar im Fernsehen schon gehört haben. Es gibt keine augenzwinkernde Verbrüderung mit den Romanfiguren. Das ist ein großes Plus bei diesem Buch, denn damit hält der Autor strikt die 'Andersartigkeit' seiner Figuren aufrecht.
    Die Lektüre macht es dadurch allerdings zuweilen sperrig. Man sieht meist von außen auf die Personen, auch wenn man ihre Handlungsweise durchaus versteht. Man bleibt auf Distanz, sie sind eben anders als Du und ich. Zugleich bleibt durchgängig der Anspruch bestehen, daß es hier in letzter Konsequenz um das Angebot einer Diskussion moralisch-ethischer Fragen geht.


    Aussagen, Motti und Pep-Sprüche aus dem Enthaltsamkeits-Handbuch einzufügen, fand ich hinreißend. Allerdings sind mir solche Bücher nicht unvertraut. Haig erwischt den Ton aus Praxisnähe, Trost, gesundem Menschenverstand, abgehobenem Geschwätz und salbungsvollen Gedöns, das solche Bücher auszeichnet, also so der Ton zwischen praktischen Großmutter-Tips und US-amerikanischem Fernsehprediger. Das im Anhang abgedruckte Glossar mit den wichtigsten Begriffen aus dem Leben enthaltsamer Vampire ist köstlich.


    Echten Witz findet man schließlich in den schrägen Blicken, die auf die behauptete Traditionsreihen der Vampire seit dem 19. Jahrhundert geworfen werden, vornehmlich der Literaturgeschichte. Behauptungen etwa wie die, daß alle englischen Romantiker Vampire waren, außer natürlich Wordsworth, haben mich Tränen lachen lassen, wie auch der Hinweis, daß Bram Stokers Dracula 'Anti-Vampir'-Propaganda ist, wie sie nur ein enthaltsam lebender Vampir schreiben kann.


    Tatsächlich hätte das Buch weit bösartiger sein können, gemeiner, weniger freundlich. Der Autor hat sich sichtlich in seine Figuren verliebt und wünscht ihnen ein ordentliches Happy End. Die Sondereinheit der Polizei ist eine spannende, aber unterhaltungsromangerechte Dreingabe. Es ist recht gut gemacht, zieht aber das Ganze auch etwas in die Länge.
    So manches gerät ein wenig überdramatisch, hin und wieder wird es klischeehaft und ein wenig kitschig. Hin und wieder kam es mir in die Länge gezogen vor, obwohl ich am Handlungsablauf kleben blieb. Das mag durchaus daran liegen, daß sehr viele handelsüblichen Versatzstücke verwendet wurden, die eben bestimmte Erwartungen beim Lesen wecken, die dann nicht in jedem Fall erfüllt werden. Man soll ja immer mitdenken und nicht nur mitfiebern.


    Für mich war es ein tolles Buch, eine wirklich interessante Leseerfahrung, einmal etwas ganz anderes, und mir wäre wirklcih etwas entgangen, hätte ich es nicht entdeckt.


    Bei einer Sache aber sollte man aufpassen: die Lektüre macht neugierig auf den Geschmack von Blut.
    ;-)



    :wave


    magali



    PS. Gelesen habe ich die englische Ausgabe

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    1. Ich verstehe nicht, warum es in dieser Rubrik eingeordnet ist. Es ist entspricht in keinem Punkt den Kriterien. Es ist auch keineswegs eine Satire noch eine rein humorvolle Abhandlung des Vampir-Daseins.
    Es gehört zur Belletristik, es ist eigentlich ein Eheroman und der Roman einer Familie. Von der Teenager-Seite her gesehen, ist es auch noch ein 'Coming of age'-Roman.


    Ich bin mit der Einordnung auch nicht wirklich glücklich. Ich habe es letztendlich hier reingepackt, weil es sich um Vampire handelt und die sind hier verortet.

  • Vampire sind nicht verortet?
    So Richtung Hals, oder? :lache
    Ist jemand beim Lesen dieses herliche 'Neckbook' anstelle von Facebook aufgefallen?


    Was hältst Du von Belletristik allgemein?
    Es ist ein gehobener Unterhaltungsroman. Dort hätte ich es eingeordnet. Chick.Lit. ist mir einfach zu fluffig. Und die Erotik ist wichtig, auf jeden Fall - ich meine, sobald die Figuren sich zu ihrer dunklen Seite bekennen, haben sie tollen Sex :grin - , aber eben mit Folgen.
    Es wird immer auf den Preis verwiesen und er wird unweigerlich eingefordert.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Behauptungen etwa wie die, daß alle englischen Romantiker Vampire waren, außer natürlich Wordsworth, haben mich Tränen lachen lassen, wie auch der Hinweis, daß Bram Stokers Dracula 'Anti-Vampir'-Propaganda ist, wie sie nur ein enthaltsam lebender Vampir schreiben kann.


    :lache
    Da musste ich auch lachen. Ich dachte ja bisher immer, dass bei Bram Stokers "Dracula" der Beamte in Stoker rauskam, aber seit ich Haig gelesen habe, weiss ich, dass es der enthaltsam lebende Vampir war. :grin

  • Habe das Buch letzte Woche gelesen und hätte mir gewünscht, es im Rahmen meines Englisch-LKs lesen zu können, so viel Interpretationspotential gibt es.


    Die Geschichte an sich, ohne den Vampiraspekt wäre schon interessant und ich denke das die Tatsache, dass die Radleys Vampire sind, einzig und allein zeigen sollen, wie das so ist mit Anpassung und Anderssein und darin aufwachsen und feststellen, dass man ja im Grunde anders ist und dass alles was man immer komisch fand, einen Sinn ergibt. (Puh, hoffe der Satz ist nicht zu kompliziert).


    Ich fand die Gedankengänge der einzelnen Charaktere schon sehr gut nachvollziehbar und wie da der Wunsch so zu sein wie alle, damit man in die Gesellschaft passt und das Eingestehen, dass man einfach anders ist, sehr glaubhaft. UNd auch jeder einzelne Charakter ist sehr ausgefeilt und anders in seinem Handeln mit den einzelnen Problemen.



    aber wenn man dieses 'Problem' als Metapher nimmt für beispielweise Homosexuallität, dann werden die Lösungsansätze vielleicht die Gleichen sein. Dann gibt es auf einmal den Onkel, der sich in der Szene auskennt und weiß, was zutun ist.


    Es war auf jeden Fall interessant, wie ein Wochenende und eine Handlung, eine Familie auf den Kopf stellen kann und das Leben ändern kann und zwar in dem Fall zum besseren. Und es zeigt auch, dass es einem nichts bringt, sich zu verstellen, das daraus viel mehr Probleme entstehen, als wenn man direkt mit offenen Karten gespielt hätte.


    Ich fand das Buch jedenfalls klasse und würde mich freuen, mehr von den Radleys zu hören.