"Der Jakubijân-Bau" - Alaa Al-Aswani

  • Titel der arabischen Originalausgabe: "Imarat Ya'cubyan"


    Zum Buch


    Die Armen wohnen oben, auf dem Dach, in kleinen Kabüffchen, die ursprünglich als Abstellkammern konzipiert waren. In den Stockwerken darunter geht es weniger knapp zu. Dort hat ein durch die Revolution von 1952 teilenteigneter Grundbesitzer sein Büro mitsamt Liebesnest, ein Chefredakteur seine Wohnung, ein Neureicher das Domizil für seine Zweitfrau und haben viele Ungenannte ihr ganz normales Zuhause. Auf vielfältige Weise verweben sich die Leben der Bewohner. Das Haus wird zum Mikrokosmos für Ägypten. Alaa al-Aswanis Roman stellt vieles dar, was es in Ägypten gibt, worüber aber nicht häufig - und eigentlich nie in dieser Direktheit - gesprochen wird. Da kommt der junge Mann nicht an die Polizeischule, weil sein Vater nur Türhüter ist. Da hält sich der wohlhabende Journalist einen armen Oberägypter als Bettgenossen. Da predigt der eine Geistliche für die Regierungspolitik, der andere für den Terror. Da bereichern sich manche schamlos mit den zweifelhaftesten Geschäften. Da wird das junge Mädchen, das für seine Familie sorgen muss, von allen Arbeitgebern systematisch belästigt. Da träumt der ehemalige Aristokrat von vorrevolutionären, besseren Zeiten. Da wird im Bereich der Politik geschmiert, geschnüffelt und gefoltert. Da wird eben das tägliche Leben Ägyptens gezeigt.


    Über den Autor


    Alaa al-Aswani wurde 1957 in Ägypten geboren. Er hat das französische Gymnasium in Kairo besucht und in den USA Zahnmedizin studiert. Al-Aswani lebt in Kairo, wo er als Zahnarzt, Journalist und Schriftsteller tätig ist. Er ist in der Oppositionsbewegung "Kifaja" aktiv, die die korrupten Eliten Ägyptens für die Misere im Land verantwortlich macht und damit den Staat und die religiösen Autoritäten herausfordert. Der Jakubijan-Bau (erschienen 2002 in Ägypten) ist al-Aswanis erstes Buch in deutscher Übersetzung. Für seine Erzählungen und Romane erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. 2008 wurde Alaa Al-Aswani mit dem "Coburger Rückert-Preis 2008" geehrt.


    Meine Meinung


    Das Cover der englischen Ausgabe hat mich gleich an "44 Scotland Street" denken lassen, und das Buch ist auch in einem humorvollen, leicht ironischen Ton geschrieben, die Themen sind allerdings ernster. Es geht um Korruption, soziale Ungerechtigkeit, um die Gier der Reichen und die mangelnden Perspektiven der Armen, Folter, religiöser Radikalisierung, Frauenrechte und Homosexualität.


    Der leicht heruntergekommene Jaubijan Bau hat, wie auch Ägypten insgesamt, schon bessere Zeiten gesehen. Die Bewohner bilden einen Querschnitt durch die ägyptische Gesellschaft ab - vom reichen Playboy in seinem Sechs-Zimmer-Appartment zu den Armen, die in kleinen Hütten auf dem Dach des Gebäudes wohnen, einer für Kairo typischen Parallelwelt. Die einzelnen Geschichten der Hausbewohner sind nur lose miteinander verknüpft, das übergreifende Thema ist die Ausnutzung, politischer, finanzieller und religiöser Macht.


    Die Handlung spielt 1991 während des zweiten Golfkrieges, der Autor sagt allerdings im Vorwort, dass es eigentlich ein aktuelles Buch ist (es erschien 2002), die Verlegung der Handlung in die Zeit des Golfkrieges war möglicherweise ein Kniff um das Buch durch die staatliche Zensur zu bekommen, wie ich in einer Rezension gelesen habe.


    Sehr lesenswert, finde ich.
    .

  • Kennst du Machfus, Delphin? Sind die vergleichbar (wobei mit Machfus die Latte natürlich hoch hängt)?


    Von Al-Aswani war ja in letzter Zeit so einiges zu hören, aber ist das Buch in erster Linie eine Anprangerung der Verhältnisse oder auch die Schilderung des ägyptischen Alltags vor dem Hintergrund der Verhältnisse? Ich habe in letzter Zeit nämlich etwas Schwierigkeiten mit Büchern, in denen die eigentlich Geschichte vor der Botschaft des Autors zu sehr in den Hintergrund rückt.

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Ich habe noch kein Buch von Machfus gelesen, aber ich würde sagen, dass dieses Buch eins ist, in dem anhand einer kleineren Gruppe von Menschen die Verhältnisse in Ägypten angeprangert werden. Also, dass möglicherweise die Botschaft des Autors in den Vordergrund rückt und die einzelnen Episoden der Vermittlung der Botschaft dienen.

  • "humorvoller, ironischer Ton" klingt zumindest mal nicht so, dass der Autor vor lauter Anprangerung vergisst, zu erzählen :grin
    ich probier das einfach mal aus, kostet ja nicht die Welt :wave

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Nee, er erzählt schon. Die Geschichten der einzelnen Leute sind auch Geschichten im eigentlichen Sinne, was mir nur aufgefallen ist, jetzt wo Du fragst :grin, ist, dass der Autor sehr bemüht war, möglichst viele unterschiedliche Leute aus allen Gesellschaftsschichten in dem Buch unterzubringen und möglichst viele Missstände anzusprechen und anzuprangern, aber die einzelnen Geschichten an sich wenig verbunden sind.

  • Wer hat denn da die letzte Ausgabe bestellt? Laut Amazon ist jetzt eine Wartezeit von einem Monat!! Soviel Geduld hab ich aber nicht...ich werd' doch auch nicht jünger. Menno. :bonk


    Aber danke Delphin für's Anfixen. :grin

  • Ein verspäteter Dank auch von mir für deine Rezension, Delphin. :wave Bei mir ist das Buch nun auf die Wunschliste gewandert und hat es hoffentlich nicht mehr allzuweit bis zum Bücherregal :grin

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]

  • Zitat

    Original von Delphin
    Ich habe die englische Ausgabe gelesen, weil ich das Cover schöner fand.
    .


    Delphin . Das Cover ist wirklich viel schöner. Kannst du mal nachschauen, welches die Originalsprache ist? Arabisch? Französisch? Englisch?


    Danke schön!
    SteffiB :wave

    Ship me somewhere's east of Suez,
    where the best is like the worst,
    where there aren't no ten commandments
    an' a man can raise a thirst


    Kipling

  • Zitat

    Original von Delphin
    [...] dass der Autor sehr bemüht war, möglichst viele unterschiedliche Leute aus allen Gesellschaftsschichten in dem Buch unterzubringen und möglichst viele Missstände anzusprechen und anzuprangern, aber die einzelnen Geschichten an sich wenig verbunden sind.


    Das fiel mir ebenfalls auf - die Geschichten sind zwar darüber verbunden, dass die Protagonisten alle im gleichen Haus wohnen oder arbeiten, aber abgesehen davon hatte ich auch das Gefühl, dass al-Aswani soviele Missstände wie möglich unterbringen wollte und es dementsprechend wenig Querverbindungen zwischen den Geschichten gibt. Zudem hätte das Ende ruhig etwas weniger theatralisch sein können - das war wieder ein Buch, bei dem ich fast das Gefühl hatte, dass der Autor es schnell zu Ende bringen wollte und es deshalb ein kurzes und knappes Finale gibt. Naja.


    Man merkt dem Buch eben an, dass es einen politischen Hintergedanken gibt. Aber wie Delphin schon schrieb, vergisst al-Aswani das Erzählen nicht und deshalb bekommt das Buch von mir trotzdem noch gute 7 Punkte.

    "Es gibt einen Fluch, der lautet: Mögest du in interessanten Zeiten leben!" [Echt zauberhaft - Terry Pratchett]