'Magnolienschlaf' - Seiten 124 - 185

  • Ich finde es trotzdem noch verständlich, sie hat es in Panik gemacht, um ihrem Kind Leid zu ersparen. Nach zig schlaflosen Bombennächten, in der sie immer nur Horror von Russen hört, hat sie eine Entscheidung getroffen, die ihr unter normalen Umständen nie in den Sinn gekommen wäre. Mir tut sie Leid.

  • @ Eva


    Dies zu wissen finde ich sehr interessant.


    Ich habe mich bei der Auflösung der Geschichte ja gefragt: wie unendlich groß muß die Angst gewesen sein, wenn man lieber zu solchen Maßnahmen greift als abzuwarten, ob es wirklich so schlimm kommt, wie man fürchtet...

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • Man sollte sich vor Augen halten, dass die Menschen dort nicht an unsere Medienkultur gewöhnt waren. Informationen hatten einen ganz anderen Stellenwert, zumal in diesen Zeiten.


    Daher steht dem Buch auch ein Textauszug aus der Deutschen Wochenschau vom 5.3.1945 vor. Hier anzusehen, die Stelle findet sich an der Spielminute 1:20.


    http://www.youtube.com/watch?v=7QkgBB6OBTE


    Es gab Frauen, die haben sich damit arrangiert und es gelassener betrachtet, aber manche hat die Furcht eben zu solchen Taten getrieben.


    Schöne Grüße


    Eva Baronsky

  • Ich fand die Auflösung sehr gut, ich habe mich bis zum Schluss gefragt, was Wilhelmine erlebt haben mag, dass sie so verfolgt, bis in ihre Träume. Die Anwesenheit von Lisa zwingt sie, sich ihrer Schuld zu stellen. Diese hatte sie wohl bisher verdrängt, indem sie alle Schuld den Russen gegeben hat. Auch Lisa sieht jetzt klarer, warum ihre Großmutter und ihre Mutter so sind, wie sie sind. Für beide ist es eine Katharsis, sie können anschließen ihren Frieden machen, mit sich selbst, ihrer Vergangenheit und ihrer Familie.
    Mir hat der Roman ganz ausgezeichnet gefallen. Vielen Dank für die zusätzlichen Erklärungen!

    :lesendCharlotte Roth - Grandhotel Odessa


    If you don't make mistakes, you're not trying hard enough. (Jasper Fforde)

  • Den sollte man eher in der Schule lesen, als manche andere zu dem Thema (mit denen man seit Jahrzehnten die Schüler quält). Gerade, weil er eine sehr junge, heutige Protagonistin hat.
    Und wir uns die Greuel nicht vorstellen können, und unsere Eltern vielleicht auch noch verquert ticken, ohne, dass wir nachvollziehen können, warum.
    Meine sind 39 und 40 geboren. Da sind Erinnerungen aus der frühen Kindheit, die ich nicht haben möchte ...

  • Zitat

    Original von xania
    Der Link geht leidr nicht. Danke, für die Erklärungen!


    Es scheint irgendeine Art von Sperre zu geben. Wen es interessiert, der kann den Film bei youtube unter den Stichworten Wochenschau 753 finden. Es gibt zwei Teile, die zitierte Stelle befindet sich im zweiten Teil.


    Diese Wochenschau ist umstritten. Möglicherweise wurden die betreffenden Szenen von der NS-Propaganda fingiert, um den Zorn auf die "bolschewistischen Steppenhorden" zu schüren.


    Was das bei Frauen, die unsere heutigen Fernsehbilder nicht gewohnt waren, ausgelöst haben mag, kann man sich ausmalen.


    Mit schönen Grüßen


    Eva Baronsky

  • @ Eva


    Direkte Verlinkungen zu youtube gehen nicht, da die Herkunft der dortigen Filme möglicherweise nicht immer einwandfrei ist (wegen Urheberrecht...).


    Aber mit den Suchbegriffen werde ich das dann nacher mal anschauen gehen.


    Danke für die zusätzlichen Infos.


    @ Jane


    Da sieht man mal wieder, wie verschieden die Lesegeschmäcker doch sind. Nichtsdestotrotz fand ich Deine Einwendungen wie immer sehr interessant, auch wenn wir (mal wieder) unterschiedlicher Meinung sind.


    Aber eine Leserunde, in der wirklich ALLE ausnahmslos dasselbe schreiben und meinen, wäre doch auch irgendwie fad. ;-)

    Lieben Gruß,


    Batcat


    Ein Buch ist wie ein Garten, den man in der Tasche trägt (aus Arabien)

  • so, ich bin heute auch mit dem Buch fertiggeworden. Ich muss sagen, es hat mich einerseits sehr berührt und auch sehr zum Nachdenken angeregt, aber stellenweise hat es mich auch verwirrt und einige Fragen (für mich) offengelassen.


    Bis es soweit kam, dass Lisa die Augen aufgingen und sie ihre eigene Geschichte verstand und somit auch Wilhelmine irgendwo verstehen konnte bzw. überhaupt begreifen, was Wilhelmine triebt, die Russen so zu hassen fand ich es streckenweise ein bisschen langwierig (die immer wiederkehrenden Szenen mit dem Essen bringen, dieses verweigen, Beleidigungen usw ...). Als dann beide Frauen ihre Geschichten erzählten bzw. darüber nachdachten gab es immer wieder schnelle Zeitsprünge die mich etwas verwirrten.

  • @ BJ: Ich habe mich keine Minute gelangweilt.
    @ Eva: Danke für die Erläuterungen.
    Aus Unterhaltungen längst verstorbener Verwandter weiß ich, dass auch in unserer Familie einige Urgroßtanten sich beim Einmarsch der Russen erhängt haben. Dass jemand seine Kinder umgebracht hat, habe ich allerdings, wenn wir Magda Goebbels jetzt mal außen vor lassen, bisher nur von Juden gehört, die nicht rechtzeitig flüchten konnten und wussten, was sie in den KZs erwartete. Es erscheint mir aber echt nachvollziehbar, wenn ich versuche, mich in ihre Situation zu versetzen.

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Als ich klein war, gab es nur diesen einen Satz: "Die haben sich alle umgebracht." Später kam ein zweiter hinzu: "Die haben alle Gift genommen." Erst nach und nach verdichtete sich alles zu einer Geschichte, die mich auf seltsam verbotene Weise fasziniert hat. Vor allem, weil das Unvorstellbare und das Alltägliche so nah beieinander liegen können.


    Als ich begann, diesen Stoff zu einem Roman zu verarbeiten, war die Ausgangsfrage, über die ich lange nachgedacht habe und die mich durchaus an gedankliche und emotionale Grenzen getrieben hat: Was müsste geschehen, damit ich meinen eigenen Kindern solches antun könnte?


    Ich bin bald zu dem Schluß gekommen, dass es durchaus so wäre. Dass, in Extremfällen - und damit meine ich wirklich ganz extreme Bedrohungen -, ich dazu fähig wäre.


    Wobei man immer im Auge behalten muss: Wilhelmine hat den gleichen Weg gehen wollen. Nur damit war ihre Tat für sie denkbar. Und das haben ja nun wirklich viele gemacht, wie es hier schon angesprochen wurde. Für viele dieser Menschen hatte es nicht nur etwas mit Angst, sondern auch mit Würde zu tun.


    Dass Wilhelmine es nicht geschafft hat, ihr zu folgen, ist das Eigentliche an der Geschichte. Ich habe, zusammen mit einer Anästhesistin und einem Apotheker lange recherchieren und tüfteln müssen, bis wir herausgefunden haben, was da nun eigentlich geschehen ist, wie es passieren konnte, dass sie wieder wach wurde.


    Weswegen Wilhelmine auch sagt:
    "Du kannst alles tun, solange du weißt, es gibt kein Danach. Wenn du dir keine Gedanken mehr darum machen musst, wem du Rechenschaft schuldest, dann hast du nur noch dich selbst. Und die Wahrheit. Aber es gibt mehr als eine Wahrheit, es gibt die Wahrheit davor und die Wahrheit danach. "


    Einen schönen Tag wünscht


    Eva Baronsky

  • Hallo :wave


    Vielen Dank an Eva für die zusätzlichen Informationen!! Ich habe das Buch gestern beendet. Mich lässt es doch recht bedrückt und nachdenklich zurück und bevor ich die Rezi dazu schreibe, werde ich ein paar Tage darüber nachdenken. Nur soviel: es hat mich absolut gefesselt, schockiert und berührt. Genau die Mischung, die ich von einem Buch dieser Kategorie erwarte.


    LG Nala

  • Die Überlegungen hier und jetzt finde ich dann wieder interessant, allerdings hat nicht das Buch sie ausgelöst, sondern die Diskussion hier.


    Im Buch wird diese Überlegung, das Abwägen, die Angst Wilhelmines um ihre Tochter nämlich (für mich) einfach nicht genug herausgestellt.
    Ja sie träumt schlecht, ja sie hat plötzliche Flashbacks, aber mein Gott, hat das nicht jeder, der ein traumatisches Erlebnis hatte dann und wann.
    Es geht für mich eben einfach in den sonst geschilderten Belanglosigkeiten unter und daran krankt der Text für mich eben.

  • Diese Wochenschau werde ich mir mal ansehen, danke für den Tipp.


    Wie leicht man mit falschen Informationen Massen anstacheln kann zu allem Möglichen, kann man heute noch sehen.


    Eins ist mir nicht klar geworden: Wer ist denn dieser Friedrich, von dem da mal die Rede war? Seitenzahl kann ich leider nicht liefern, sitze im Büro und das Buch liegt daheim ...

  • Liebe Susanne,


    der "kleine Friedrich" ist ein Kind, auf das Jelisaweta als Au Pair-Mädchen aufgepaßt hat. Sie war schon einmal in Deutschland und hat dort einen Sprachkurs gemacht. Gegen den Willen der Mutter, natürlich, deren Widerstand Jelisaweta gerade dazu veranlasst hat, nach Deutschland zu gehen und nicht in irgendein anderes Land.


    Herzlich


    Eva

  • Zitat

    Original von Eva Baronsky


    Wobei man immer im Auge behalten muss: Wilhelmine hat den gleichen Weg gehen wollen. Nur damit war ihre Tat für sie denkbar. Und das haben ja nun wirklich viele gemacht, wie es hier schon angesprochen wurde. Für viele dieser Menschen hatte es nicht nur etwas mit Angst, sondern auch mit Würde zu tun.


    Das war für mich auch der springende Punkt, sie wollte ja auch durch das Gift sterben (was ja wohl wirklich übliche Sitte war, wenn die Russen kamen, man denke nur an die ganze Nazi-Führungselite, wie z.B. Magda Goebbels in dem Film "Der Untergang", die ihren 6 (!) Kindern Gift gibt...). Wilhelmine sagt ja auch, dass sie die letzte war, die das Gift genommen hat, und dann war die übrige Ration wohl schlicht zu wenig... Man macht so etwas ja nicht mit dem Gedanken, dass die eigene Tochter stirbt und man selbst hernach noch 60 Jahre lebt. Wenn sie auch gestorben wäre, hätte es ja auch nicht so eine gute Geschichte abgegeben :grin Und wenn die beiden verwandt gewesen wären, hätte ich das auch als bei den Haaren herbeigezogen empfunden. Für mich ist die Geschichte gut so wie sie ist.


    Interessant auch, zu wissen, dass die Geschichte auf einer wahren Begebenheit basiert. Vielen Dank für die Info! :wave

    Liebe Grüße :wave


    Waldmeisterin


    Every day I give my family two choices for dinner: take it or leave it!


    Nulla unda tam profunda quam vis amoris furibunda