Inhalt:
Sag uns, wie du heißt.
Jorg. Eigentlich Kronprinz Jorg von Ankrath, aber das war einmal.
Du siehst jung aus. Wie alt bist du, fünfzehn?
Knapp daneben. Mit fünfzehn werde ich König sein!
Du bist die meistgehasste Person im ganzen Land. Warum?
Nun ja, wenn man mit einer Horde Gesetzloser ganze Dörfer niederbrennt, löst das Unmut aus. Aber was würdest du tun, wenn die Königin, also deine Mutter, und dein Bruder vor deinen Augen getötet werden? Dieser Hass ist erst der Vorgeschmack auf meine Rache – denn die wird tödlich sein!
Nachdem er den Tod seiner Mutter, der Königin, und seines kleinen Bruders bei einem Überfall auf die königliche Kutsche mit ansehen muss, schwört der zehnjährige Kronprinz Jorg, einziger Überlebender, Rache am Verantwortlichen, dem Grafen Renar. Zu seiner maßlosen Enttäuschung zieht sein Vater, der König, allerdings nicht mit einem Heer gegen Renar, sondern gibt sich mit der Zahlung einer Entschädigung zufrieden. Daraufhin flüchtet Jorg bei Nacht und Nebel vom Königshof, zusammen mit einer Bande von Gesetzlosen, die er fortan als Brüder bezeichnet.
Vier Jahre später ist er mit seiner Bande zu einer gefürchteten Landplage geworden. Erbarmungslos und ohne jeden Sinn für Moral morden und rauben sie sich ihren Weg durch das Land, brandschatzen Bauerndörfer und ertränken ihre Bewohner in Blut. Jorgs tollkühne Wut und die vollkommene Abwesenheit jeglicher Skrupel, die ihn in einen grausamen Schlächter ohne Gnade verwandeln kann, machen ihn zu einem Anführer, den keiner in Frage stellt und dem sie alle blind folgen.
Doch nicht nur Rachedurst gegen den Grafen treibt ihn, sondern auch maßloser Ehrgeiz. Denn mit fünfzehn will er König sein...
Meine Meinung:
Dieses Buch ist ... anders. Faszinierend, dunkel, bricht es alle Konventionen in Bezug auf Moral und die Beschaffenheit eines Fantasy-Helden. Und kommt damit durch.
Jorg ist zweifellos der amoralischste, bösartigste, skrupelloseste und gemeinste Charakter, dem ich je als Hauptheld in einem Buch begegnet bin. Für ihn zählt einzig das Recht des Stärkeren, oder des Clevereren - je nachdem, was ihm zum Vorteil gereicht. Jorg kämpft nicht offen, wenn er nicht muss - was nicht heißt, dass er es nicht kann. Aber er fühlt keinerlei Skrupel, wenn es darum geht, einen Anführer der Gegenseite unter der weißen Flagge zu ermorden, Feinde in den Rücken zu schießen, einem Mann die Hand abzuschlagen, um seine Ringe zu stehlen oder sich über die Töchter der Bauern herzumachen, deren Dach er ihnen kurz zuvor niedergebrannt hat.
Trotzdem kommt man nicht umhin, seiner dunklen Faszination und dem Charme seiner Stärke zu erliegen. Das ist überhaupt ein sehr spannendes psychologisches Experiment - dass man als Leser Sympathien für eine Figur entwickelt, deren Werte den eigenen fundamental widersprechen. Vielleicht hat es etwas mit Urinstinkten zu tun, dem Respekt vor der Stärke. Der heimlichen Bewunderung für jemanden, der alle Regeln bricht und damit durchkommt, einfach weil er es so konsequent tut. Und weil er so gut darin ist.
Daran nämlich besteht kein Zweifel: Jorg ist wirklich gut in dem, was er tut. Furchtlos, oder zumindest gut darin, seine Furcht zu verbergen. Tollkühn, solange es ihm zum Vorteil gereicht. Gut im Morden, im strategischen Denken, im Führen von Menschen. Intelligent, clever, sehr gebildet. (Ich liebe ja die Passagen, in denen er auf dem Hintern einer Hure seine Bücher liest :grin). Gut im Plündern und im Brandschatzen. Jorg verschwendet keine Ressourcen aus einer Laune heraus. Aber er belastet sich auch nicht mit Sentimentalitäten. Er ist jemand, der seine Verwundeten auf der Straße zurücklassen würde, um sein Fortkommen nicht zu behindern.
Kurzum, nachdem man den ersten Schock verdaut hat, begreift man allmählich, wie er funktioniert, dieser Jorg. Und fühlt mit ihm. Teilt seine dunklen Erinnerungen, die Gespenster, die ihn verfolgen, die Sorgen, die ihn plagen. Jorg ist nicht ohne Gefühle. Aber diese Gefühle, die sind abgründig und nicht sehr nett.
Jorg lebt in einer archaischen Welt. 'Prinz der Dunkelheit' ist Fantasy, doch dieses Fantasy-Universum folgt einer wunderbaren Logik, die sich erst nach und nach erschließt und die ein echtes Aha-Erlebnis produziert, wenn man sie vollständig begriffen hat. Jorgs Welt schwebt nämlich nicht im Nirgendwo, sondern ist trickreich und logisch verankert. Mehr sei hier nicht verraten. In dieser Welt gilt ohnehin das Faustrecht, und deshalb behauptet sich Jorg auch so erfolgreich darin.
Dieser Roman hat mich ganz außerordentlich fasziniert. Jorg erzählt aus der Ich-Perspektive, was mich als Leser noch tiefer in seine abgründige Sicht der Dinge hineinzieht. Seine kühle, abgeklärte, oft sarkastische und manchmal überraschend amüsante Erzählstimme nimmt schnell für ihn ein und schafft eine konstant anwachsende Spannung, die für keine Sekunde schwankt oder abbricht.
Die Handlung weiß mit einer Reihe von Wendungen zu überraschen, die man nicht vorhersieht und die damit umso mehr die Dramatik schüren. Spätestens ab der Mitte fiebert man leidenschaftlich und kompromisslos mit Jorg, ist ihm mit Haut und Haaren verfallen und billigt praktisch alles, was er tut. Wobei er - faszinierenderweise - immer so haarscharf an der Grenze dessen entlangschleift, was man gerade noch tragen kann als Leser, ohne ihm die Freundschaft zu kündigen. Das ist ein Drahtseilakt, der zusätzliche Atemlosigkeit schafft, denn man hofft so sehr, dass er eben nicht strauchelt und vollkommen der Dunkelheit anheim fällt.
Die Handlung ist in sich abgeschlossen, aber läßt viele Fragen und Anknüpfungspunkte für eine Fortsetzung, von der ich sehr hoffe, dass sie bald erscheint.
'Prinz der Dunkelheit' ist so ein richtiges dunkles Juwel, das mich durch und durch begeistert hat. Ein Buch, das sich klar an ein erwachsenes Publikum richtet, mit einem Helden, den man sich erarbeiten muss.
Aber es lohnt sich, das tut es wirklich. Was für ein furioses Debüt! Man mag kaum glauben, dass das das erste Buch aus der Feder des Autors ist.
10 Punkte ohne Wenn und Aber.
- Elena