Fragen an die Übersetzerin Christiane Pöhlmann

  • Zitat

    Original von Christiane P.
    Bei der Gelegenheit hätte ich auch einmal eine Frage: Wie stehst Du bzw. wie steht ihr zu der Behauptung, bei einer Übersetzung gehe viel verloren?


    Hm, ich denke, bei einer Übersetzung geht immer etwas verloren, das lässt sich gar nicht vermeiden. Wie viel genau, hängt dann aber von mehreren Faktoren. Wenn der Autor schon im Original mit vielen Anspielungen und Wortwitz arbeitet, ist es natürlich umso aufwendiger bzw. manchmal vermutlich gar nicht möglich, diese mit herüberzunehmen. Ich gehe mal davon aus, dass es Übersetzern nicht anders geht als in anderen Berufen, dass also auch ein gewisser Zeitdruck dahintersteht der eingehalten werden muss. Manchen suchen dann wohl eben den einfacheren Weg und übersetzen nur das was zum Verständnis der Geschichte notwendig ist. Sprach- und Erzählstil des Autors wird dadurch dann natürlich praktisch unkenntlich gemacht.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von Christiane P.
    Auch diesmal ein herzlicher Dank fürs Kompliment.


    Bei der Gelegenheit hätte ich auch einmal eine Frage: Wie stehst Du bzw. wie steht ihr zu der Behauptung, bei einer Übersetzung gehe viel verloren?


    Soweit ich das beurteilen kann (ich lese viel englische Originale) kann man das nicht pauschalieren. Es gibt Bücher, bei denen kann nicht viel verloren gehen, weil nichts schwieriges, anspruchvolles oder besonderes vorhanden ist. Und es gibt Bücher, denen eine lieblose Übersetzung, ihren Charme nimmt. Für mich haben auch Bücher Ausstrahlung und Charakter. Ich kenne zum Beispiel eine Buchreihe, deren Sprache nicht besonders anspruchsvoll ist, aber deren Protagonistin einen gewissen Typ repräsentiert, der mit einer schnoddrigen Sprache transportiert wird. Damit steht und fällt die Handlung. Entweder man findet sie glaubhaft oder nicht. In einem solchen Fall muss die Übersetzung ein gutes Händchen haben und diesen Zwischenton konsequent rüberbringen können, sonst sind die Storys einfach nur doof.


    Das bringt mich auf eine weitere Frage: Gibt es im Russischen viele Variationen des Wortes "sagen"? Im Deutschen gibt es ja unendlich viele Ausdrücke für dieses Verb und die werden beim Dialogeschreiben ja auch benötigt. Mir fiel nämlich einmal auf, dass ich im englischen relativ oft das Wort "say" las und mir dachte im Deutschen wäre das unmöglich...

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."

  • Die Abführung der direkten Rede ist so eine Sache. Im Englischen ist es wohl viel weniger "problematisch" öfter "say" zu wählen. Im Deutschen gehen die Meinungen auseinander, es hängt auch ein wenig mit der Zeit der Übersetzung zusammen; früher war eine häufige Wiederholung von "sagen" eher möglich, auch in der Literatur, die originalsprachlich auf Deutsch entstanden ist, heute ist das breiter gefächert, manche lassen (fast) nur "sagen" gelten, andere achten auf Abwechslungen, weigern sich aber, Verben im "Grenzbereich" durchgehen zu lassen (so was wie "japsen", "schniefen" oder vielleicht sogar "lachen").


    Im Russischen gibt es schon viele Varianten, aber eine häufige – oder zumindest häufiger als im Deutschen – Wiederholung von "sagen" (ru.: skasal – sagte er; skasala – sagte sie) gilt nicht als schlechter Stil. Andererseits ist im Russischen auch eine Abführung bzw. Einleitung möglich, die nichts mit "sagen" zu tun hat (z. B. "abwinken"). (Wenn's mir zu viel "sagen" ist, variiere ich einfach mal.)


    Was im Russischen viel auffälliger ist, ist, dass die direkte Rede häufig eingeleitet wird. Es heißt also: Sowieso sagte: "..." Das war im Deutschen früher auch mal üblich, gibt es auch heute noch, aber das meide ich ein wenig, da mache ich dann meistens draus: "...", sagte sowieso.


    Die Frage, ob bei einer Übersetzung viel verloren gehe, habe ich vor allem deshalb gestellt, weil ich finde, jede Übersetzung ist vor allem Gewinn. Komischerweise höre ich aber oft: Bei der Übersetzung ist ja so viel verloren gegangen. Klar, das kommt auch vor, dass eine Übersetzung mal nicht so toll ist, vielleicht einzelne Stellen verpatzt sind oder auch mal, schon ein wenig ärgerlicher, der Ton nicht getroffen ist. Aber die meisten Übersetzungen sind, wie ich finde, schon gut, viele auch sehr gut. Und die Alternative wäre ja, überspitzt formuliert, dass ich einen Roman oder Text nie kennenlerne, eben weil ich die Sprache nicht kann.

  • Zitat

    Original von Christiane P.
    Die Frage, ob bei einer Übersetzung viel verloren gehe, habe ich vor allem deshalb gestellt, weil ich finde, jede Übersetzung ist vor allem Gewinn. Komischerweise höre ich aber oft: Bei der Übersetzung ist ja so viel verloren gegangen. Klar, das kommt auch vor, dass eine Übersetzung mal nicht so toll ist, vielleicht einzelne Stellen verpatzt sind oder auch mal, schon ein wenig ärgerlicher, der Ton nicht getroffen ist. Aber die meisten Übersetzungen sind, wie ich finde, schon gut, viele auch sehr gut. Und die Alternative wäre ja, überspitzt formuliert, dass ich einen Roman oder Text nie kennenlerne, eben weil ich die Sprache nicht kann.


    Ich finde die Diskussion sehr interessant!


    Bevor ich ein Buch gar nicht lesen kann, weil ich die Sprache nicht beherrsche, greife ich natürlich auch zu einer Übersetzung. (Um so lieber, wenn sie wie in diesem Fall, so gelungen ist!) :anbet


    Aber generell versuche ich (wenn möglich) auf den Originaltext zurückzugreifen, weil ich die Gedanken des Autors selbst lesen möchte. Natürlich muss man diese sich dann übersetzen / interpretieren, aber man hat die Möglichkeit die Worte zu lesen, die der Autor gewählt hat und selbst zu überlegen was genau damit ausgesagt werden soll.


    Bei einer Übersetzung habe ich immer die Befürchtung, dass man aber das zu lesen bekommt, was der Übersetzer hineininterpretiert. Und gerade das möchte ich lieber selbst tun. Ich denke, dass zwar in den seltensten Fällen Inhalte verfälscht werden, aber ich möchte doch möglichst direkt an der Aussage des Autors bleiben.

  • Was für ein spannendes Thema! Ich freue mich, dass ich es unter der Vielzahl der Diskussionen entdeckt habe.


    Zitat

    Bei der Gelegenheit hätte ich auch einmal eine Frage: Wie stehst Du bzw. wie steht ihr zu der Behauptung, bei einer Übersetzung gehe viel verloren?


    Ich würde diese Behauptung anders formulieren: "Bei einer Übersetzung kann viel verloren gehen."


    Ein Werk aus einer anderen Sprache in seinen verschiedenen Ebenen zu erfassen und so zu "transponieren", dass sich über die reine, technisch perfekte Übersetzung hinaus auch die begleitenden Stimmungen / Anspielungen / Sprachmelodien weitest möglich erhalten, ist für mich eine Kunst. Diese erfordert über das technische Sprachverständnis hinaus ein hohes Maß an Empathie, damit das, was den Autoren bewegt hat, auch in der anderen Sprache zum Tragen kommen kann. Für den Übersetzer wäre es in diesem Zusammenhang aus meiner Perspektive wichtig, so gut wie möglich die je-individuellen Merkmale des Schriftstellers, mit dessen Arbeit er sich befasst, zu kennen und verstehen, seine unverwechselbare „Schreibe“, seinen sozio-kulturellen Hintergrund, seine Anliegen, seine Macken etc... Er – der Übersetzer – müsste auf der anderen Seite auch über die Disziplin der freiwilligen Beschränkung eigener Anteile verfügen. Das empfinde ich als einen schwierigen Spagat: die Bilder eines Autoren lebendig wieder zu geben ohne ihre Herkunfts-Prägung zu verfälschen.


    (Kommunikationswissenschaftliche Denkmodelle könnten als Grundlagenwissen für Übersetzende hilfreich sein, denn sie eröffnen ein Verständnis für den Reichtum von Sprache, ihr Entstehen aus dem Gefühlsgemenge des Unbewussten hin zu Worten und weiter hin zu Sätzen. Sie zeigen die Vielschichtigkeit von Botschaften, die wir sprachlich aussenden, machen aufmerksam auf die mit dem Wort transportierten non-verbalen Anteile (Gestik, Mimik, Tonfall, Lautstärke etc.) sowie auf die Verständnisfilter beim Sender und beim Empfänger.)


    Ich bin der Überzeugung, dass eine schriftstellerische Arbeit durch das Übersetzen viel verlieren kann, wenn dem Übersetzer das Wissen um die Komplexität des Formulierens nicht zu eigen ist. Sie kann aber auch viel gewinnen.


    LG, Holle

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  • Ich denke schon, dass bei Übersetzungen viel verloren gehen kann, bzw. viel verdorben werden kann. Klar stehen Übersetzer oft unter großem Zeitdruck und es ist nicht immer möglich, Rücksprache mit dem Autor zu halten, wie diese oder jene Formulierung gemeint war. Aber auf der anderen Seite fällt mir - wie Nachtgedanken auch schon - oft gerade bei Krimis bzw. Thrillern die sehr ungenaue Übersetzung auf. Da werden Redewendungen so gekonnt übersetzt wie der englische Titel von "The Postman Always Rings Twice". ;-)


    Sicherlich gibt es auch Übersetzungen, die einen Gewinn darstellen - wie z.B. Deine Übersetzungen von Trix. So kann ich Russischunkundige die Bücher genießen und sogar der Sprachwitz wurde für Ausländer rübergebracht. Perfekt. Oder wenn kurz in Fußnoten Dinge erläutert werden, die im Herkunftsland nicht erklärt werden müssen. Sowas scheint mir aber leider eher selten der Fall zu sein. Wobei ich Übersetzungen aus dem Englischen inzwischen eher meide, wegen der allzu häufigen Qualitätsprobleme. Aber wie schon zuvor geschrieben bin ich da berufsbedingt auch sehr kritisch.

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  • Zitat

    Original von Christiane P.
    Die Frage, ob bei einer Übersetzung viel verloren gehe, habe ich vor allem deshalb gestellt, weil ich finde, jede Übersetzung ist vor allem Gewinn. Komischerweise höre ich aber oft: Bei der Übersetzung ist ja so viel verloren gegangen. Klar, das kommt auch vor, dass eine Übersetzung mal nicht so toll ist, vielleicht einzelne Stellen verpatzt sind oder auch mal, schon ein wenig ärgerlicher, der Ton nicht getroffen ist. Aber die meisten Übersetzungen sind, wie ich finde, schon gut, viele auch sehr gut. Und die Alternative wäre ja, überspitzt formuliert, dass ich einen Roman oder Text nie kennenlerne, eben weil ich die Sprache nicht kann.


    Ich komme auch mal kurz in diese Diskussion rein, auch wenn ich das Buch gar nicht gelesen hab. Arbeite naemlich selber seit kurzer Zeit als Uebersetzerin, wenn ich mich auch (noch?) nicht an literarisches ran traue ....


    Meine Erfahrung ist da naemlich eher gespalten. Denn fuer mich ist Sprache auch ein Spiegel der Kultur und die Sprache zu aendern ohne dabei auch etwas von der Ursprungskultur zu veraendern bzw. zu verlieren ist sehr sehr schwer.


    Ich habe durchaus auch Uebersetzungen gesehen, die tatsaechlich nicht nur gelungen sondern auch eine Bereicherung fuer den Kulturschatz geworden sind. Hervorheben moechte ich da vor allem Anthea Bells Uebersetzungen der Asterix Reihe. Was da an kulturellem Wortwitz im Original drin ist, der im englischen einfach nicht so existiert, ist schon beaengstigend fuer einen Uebersetzer. Sie hat es aber sehr gut gemeistert. Und auch Lob vom Autor bekommen. Hier ist ein recht gutes Interview mit ihr dazu zu lesen, das wirklich guten Einblick in diese komplexe Arbeit gibt.


    Ein weiteres positives Beispiel fuer eine bereichernde Uebersetzung ist die fuer Markus Zusaks "The Book Thief". Dazu hatten wir hier bei den Eulen auch mal eine Leserunde mit Begleitung der Uebersetzerin. Da haben die deutsche Uebersetzerin und das Lektorat sehr hart dran gearbeitet, um einige der historischen Fehler/Ungenauigkeiten im Original auszubuegeln. Letztlich ist die deutsche Uebersetzung vielleicht sogar besser geworden als das Original.


    Und dann gibt es leider zu viele Uebersetzungen, die durch den Prozess doch sehr gelitten haben. Vielleicht auch, weil nicht genug Zeit gegeben wurde? Ich denke da an die deutsche Uebersetzung fuer Stieg Larsons "Vergebung". Den Band hatte ich auf englisch und auf deutsch gelesen und fand die englische Uebersetzung um Laengen besser, weil sie etliche hundert Seiten kuerzer war!!! Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass eine schnell gemachte Uebersetzung meist viel zu lang wird .... In diesem Fall ging aufgrund der exzessiven Laenge das Tempo verloren, was bei einem Thriller ganz sicherlich keine Bereicherung ist.

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Zitat

    Original von Christiane P.
    Am problematischsten war vielleicht die Anspielung auf "Anna Karenina". Dieser Romananfang ist im Russischen sehr bekannt, im Deutschen eher nicht so. Ich hätte zwar auch ein anderes Zitat suchen können, habe dann aber entschieden, die Stelle so zu lassen, auch wenn vielleicht nicht alle die Anspielung verstehen.


    Gut, dass du es so gelassen hast. Das ist doch ein Zitat, das ueberall in der Welt eigentlich recht gut bekannt ist. Hab es auch schon in anderen Romanen zitiert gesehen (sowohl in englischen als auch in deutschen). Ich wuerd es jederzeit erkennen und kann es immer noch auswendig hersagen :grin

    Gruss aus Calgary, Canada
    Beatrix


    "Well behaved women rarely make history" -- Laura Thatcher Ulrich

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  • Ich hätte da auch noch eine Frage. Das Buch ist ja nun wirklich mit Andeutungen und Zitaten gespickt. Hattest Du irgendwie Unterstützung von Sergej Lukianenko oder musstest Du die auch alle selbst finden? Falls es Unterstützung gab, ist das die Regel? Oder eher die Ausnahme, weil es eben eine ganz besondere Art von Buch ist?

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  • Es folgt eine längere Antwort, weil ich ein bisschen im "Rückstand" bin.


    Noch einmal grundsätzlich zum Übersetzen:
    In der Translationswissenschaft gibt es den Ausdruck der "translatorischen Kompetenz" (die hier einmal auch als "Kunst" bezeichnet wurde). Darunter ist zu verstehen, dass beim Übersetzen Fertigkeiten (im Sinne des Handwerks), aber, vermutlich, auch Talent (im Sinne einer künstlerischen Begabung) zum Tragen kommen. Anders ausgedrückt: Es reicht eben nicht, eine Fremdsprache und die Muttersprache gut zu können, es ist, ganz unbedingt, auch die Fähigkeiten nötig, sich zwischen beiden bewegen zu können. Hört sich ziemlich leicht und selbstverständlich an, ist es aber leider nicht immer. Ein einfaches Beispiel sind zweisprachige Menschen, die zwar in keiner Sprache einen Fehler machen – aber trotzdem nicht immer eine überzeugende Übersetzungslösung finden. Ein Problem sind nämlich sogenannte Interferenzen; ich glaube, dieses Phänomen schmälert am häufigsten den Genuss einer Übersetzung. Es bedeutet, dass bei einer Übersetzung Strukturen der Ausgangssprache (Fremdsprache) in die Zielsprache (Muttersprache) übernommen werden und es dann zu "Fehlern" kommt, die man nicht machen würde, wenn man eigenständig einen Text in der Zielsprache formulierte. Das reicht von einfachen Kommafehlern bis hin zur Syntax oder "komischen Ausdrücken": Ich sage, Übersetzen ist harte Arbeit, ist es nicht? ;)


    Dann konkret zur Zusammenarbeit mit Sergej Lukianenko:
    Ich kann ihn immer und jederzeit etwas fragen, angefangen von banalen Dingen bis hin zu schwierigeren Sachen. Insgesamt hält sich das aber von meiner Seite in Grenzen. Wir haben verschiedene grundsätzliche Dinge im Laufe der Jahre abgestimmt, ansonsten hat er – und das empfinde ich als besonders schönes Kompliment, für das ich ihm sehr dankbar bin – mir sein Vertrauen ausgesprochen und lässt mir freie Hand; ihn haben da auch Lesungen hier in Deutschland überzeugt, bei denen die Reaktion des Publikums ähnlich war wie die der russischen Leser und Leserinnen bei entsprechenden Veranstaltungen in Russland.
    Bei Trix 2 gab es natürlich auch Stellen, die ich nicht aus dem Ärmel geschüttelt habe. Als Tiana und Trix die Zeitreise hinter sich haben, geben sie beide Sachen von sich, bei denen es sich einfach um Zitate handeln musste. Tiana stößt den Großen Fermatschen Satz aus, Trix Zeilen aus einem Puschkin-Gedicht. Den Passus von Fermat habe ich ganz leicht herausgekriegt (dem Internet sei Dank), die Puschkinzeilen auch, aber die habe ich dann zusätzlich einer russischen Freundin vorgelegt, einfach um abzuklären, wie weit sie zum russischen "Kanon" dazugehören: Es waren wirklich Zeilen, die sozusagen jedes Kind kennt, vielleicht aber nicht immer zuordnen kann, ähnlich wie es z. B. im Deutschen bei dem Zauberspruch zum Kamelantreiben war, wo ja auch Vieles bekannt klang, selbst wenn man nicht auf Anhieb wusste, von wem genau das Zitat stammte.
    Insgesamt hatte ich bei der Übersetzung dieses Romans dann am Ende nicht den Eindruck, in einer Stelle müsse noch eine Anspielung drinstecken, die ich nicht verstanden habe, sonst hätte ich Sergej danach gefragt. (Aber ausschließen kann ich es natürlich nicht ...)
    Die schwierigsten Stellen bei der Übersetzung waren aber gar nicht die Anspielungen, sondern eher solche, die ganz klar waren. Ein Beispiel sind die Herrschaftsformen bei den Gnomen, die voll von (verständlichen) Wortspielen waren und mich beim "Handzwergtum" fast in die Verzweiflung getrieben hätten (weil die Bezeichnung der Finger im Russischen anders ist als bei uns, so dass sich jeweils andere Bilder ergeben). Und das sind die Momente, bei denen mir Sergej leider gar nicht helfen kann.

  • Wow, vielen Dank für diese ausführliche Antwort! :anbet Es ist für einen Außenstehenden einfach wahnsinnig interessant, da mal so ein bisschen hinter die Kulissen gucken zu dürfen. Wirklich toll, dass Du mit Sergej Lukianenko eine so freundschaftliche Zusammenarbeit pflegst.


    Das mit der Schwierigkeit beim Vermitteln zwischen den Sprachen ist manchmal das Problem bei mir. Wenn meine Mutter mich bei einem englischen Lied mal danach fragt, was das jetzt genau heisst, komme ich auch schon mal ins schleudern, weil ich zwar in meinem Kopf weiß, was es bedeutet, aber spontan keine flüssige oder stimmige Übersetzung anbringen könnte.

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Klar!


    Ich habe zunächst Slawistik in Berlin studiert, später Russisch und Italienisch im Studiengang Übersetzen, in Berlin und in Moskau. Und nein, ich hatte Russisch noch nicht an der Schule. Es war harte Arbeit, die Sprache zu lernen, aber ich habe es nie bereut. Im Gegenteil.


    Mit dem Übersetzen habe ich dann schon parallel zum Studium angefangen, zunächst ein Roman, dann viel Fachtexte (das mache ich auch heute noch).


    Der große Durchbruch kam für mich mit Sergej Lukianenko, seitdem mache ich beruflich hauptsächlich das, was ich mir immer gewünscht habe: Belletristik übersetzen.


    Liebe noani,


    ich möchte Dich persönlich noch einmal in dieser Leserunde willkommen heißen. Es ist schön, dass Du wieder dabei bist.

  • Zitat

    Original von Christiane P.


    Mit dem Übersetzen habe ich dann schon parallel zum Studium angefangen, zunächst ein Roman, dann viel Fachtexte (das mache ich auch heute noch).


    Wie bist du denn dazu gekommen, schon während des Studiums zu Übersetzen?
    Ich studiere Übersetzen in Heidelberg, allerdings mit Englisch und Französisch eine etwas langweiligere Sprachenkombination ;)


    Und wie bist du zum Literaturübersetzen gekommen? Also wie hast du da den "Einstieg" gefunden?

  • Langweilige Kombinationen gibt's doch gar nicht. Außerdem ist es ja auch nicht schlecht, eine Sprache zu haben, aus der viel übersetzt wird.


    Beim Einstieg hatte ich immer auch Glück: Ich musste sowieso parallel zum Studium arbeiten, da habe ich natürlich auch gezielt nach Übersetzungen gesucht. Dann haben mich Freundinnen empfohlen, die wussten, wie ich an eine Übersetzung rangehe, mir wurde eine Chance gegeben - das ist das wirklich große Glück! -, und das Ergebnis hat wiederum die Leute überzeugt, die mir die Übersetzung anvertraut haben. Mit der Zeit hat sich rumgesprochen, wie ich arbeite, so dass ein Auftrag den nächsten nach sich gezogen hat (auch wenn's Durststrecken gab).


    Beim Einstieg in die Literatur habe ich zusätzlich von mir aus mit Verlagen Kontakt aufgenommen.


    Insgesamt war es also eine Mischung aus Glück, Empfehlungen, persönlicher Sturheit, viel - wirklich viel - Arbeit und auch Zufall.

  • Allmählich wird es ruhig, doch bevor sich alle neuer Lektüre zuwenden, möchte ich mich unbedingt noch von euch verabschieden.
    Die Leserunde hat mir viel Spaß gemacht; es war toll, mit welcher Offenheit auch Themen diskutiert wurden, die nicht direkt mit dem Roman zu tun hatten.
    Dann ergeht natürlich noch mal ein ganz herzliches Dankeschön an alle. Wenn eine Übersetzung von mir erscheint, habe ich gewissermaßen Lampenfieber. Euer "Applaus" tat mir sehr wohl, und im Geist verneige ich mich jetzt, lass den Vorhang aber nicht runtergehen, denn wer immer noch bei der Leserunde dabei ist, soll nach wie vor die Möglichkeit zum Fragen haben.
    Allen anderen viel Zeit zum Lesen und kurzweilige, erschütternde, verwirrende, anregende ... Bücher.

  • Danke für deine intensive Begleitung dieser Leserunde, Christiane. Da macht das Lesen gleich noch mehr Spaß, wenn man ein bisschen hinter die Kulissen blicken kann. :wave

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    "Es hat alles seine Stunde und ein jedes seine Zeit, denn wir gehören dem Jetzt und nicht der Ewigkeit."