"Visby" von Barbara Slawig

  • Meine Meinung:
    Mit „Visby“ ist Barbara Slawig ein vielschichtiger Roman gelungen.
    Besonders gut gefallen hat mir, dass die Geschichte von drei verschiedenen Erzählern erzählt wird. So werden nicht nur die Licht- und Schattenseiten eines einzigen Ereignisses deutlich, sondern jeder Erzähler bekommt seine ganz eigene Sprache, sein eigenes Tempo, sein eigenes Fenster.
    Welche Wahrheit ist gültig und gibt es überhaupt eine alleingültige Wahrheit? Diese Frage habe ich mir beim Lesen oft gestellt.
    Barbara Slawig konfrontiert den Leser mit sperrigen Figuren, die impulsiv und zum Teil widersprüchlich handeln. Vor allem aber gesteht sie ihren Figuren zu, Fehler zu machen. Das macht sie nicht unbedingt zu Sympathieträgern, aber zu Menschen.
    In dem Buch begeben sich ganz verschiedene Menschen auf die Suche- vordergründig haben sie alle eine konkrete Fragestellung. Doch im Grunde geht es um die Frage, was einem Menschen im Leben Halt gibt, ob man in sich selbst Wurzeln schlagen kann.
    Dies wird besonders in der Figur der Dhanavati deutlich, einer jungen Frau, die sich auf den Weg macht, dem Tod ihrer Mutter nachzuspüren und die am Ende vor der Frage steht, wer sie ist und wo sie ihren Platz im Leben verankern will.


    Die Autorin schafft es, mit einer glasklaren, zum Teil kühl wirkenden Sprache, atmosphärisch dicht zu beschreiben. Sie schafft in ihrem Roman für den Leser einen Raum für eigene Gedanken und Vorstellungen und lädt ein, seinen eigenen Platz in der Geschichte zu finden.
    Mir hat der Roman sehr gut gefallen.


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    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • Die junge Mathematikerin Dhanavati Reinerts ist auf der Suche nach der Wahrheit. Was passierte damals, vor 20 Jahren, wirklich in Visby? Warum beging ihre Mutter Suizid? Wer ist ihr Vater und wo? Und was hat die spirituelle Kommune, in der ihre Mutter lebte, mit all dem zu tun?
    Dhanavatis Suche beginnt und bald gerät sie in eine Welt voll von Drohungen, Waffenhandel und Geheimnissen.
    Auf „Visby“ von Barbara Slawig war ich schon sehr gespannt. Vorweg, ich finde, dass die Bezeichnung „Roman“, so wie sie auf der Hardcoverausgabe aufgeführt wird, weitaus passender als „Thriller“ auf der Taschenbuchausgabe.
    Aus drei Perspektiven wird die Geschichte erzählt: Annika, Freundin von Adrian, der spurlos verschwindet, weil er Dhanavati, die Tochter seiner Jugendfreundin, treffen will. Jens Nilsson, der ebenfalls auf der Suche nach Dhana ist. Und Dhanavati.
    Dabei bekommt man einen kleinen Einblick in das jeweilige Leben und spürt auch eine gewisse Distanz zu den Personen. Ich konnte mit keinem wirklich Sympathie oder Empathie empfinden.
    Das hat den Lesespaß aber keineswegs geschmälert.
    Slawigs Schreibstil ist flüssig, bildreich und mitreißend. Die Handlung ist fließend und besonders ab der Hälfte des Buches nimmt das Tempo enorm zu und endet in atemberaubender Spannung im letzten Drittel.
    „Visby“ kann zudem auch mit interessanten Hintergrundinformationen zu Biowaffen, Lassafieber, Epidemiemodellen und Forschungsarbeit aufwarten.
    Für mich war es ein atmosphärisch gutes, teilweise bedrückendes Buch, das zum Nachdenken anregt und bei mir in Erinnerung bleiben wird.


    9 von 10 Punkten!

  • Was soll ich nach all diesen tollen Rezensionen noch schreiben?
    Ich gebe hier einfach ein paar Eindrücke zum Besten, die beim Lesen entstanden sind, ohne Inhaltsangabe und ohne Anspruch auf Vollständigkeit und bedanke mich dafür, dass ich an der Leserunde teilnehmen durfte.


    Mir gefielen die "eckigen" Charaktere Dhanavita und Maria besonders gut.
    Sehr gelungen ist der multiperspektivische Aufbau des Romanes, der ein herrlich vertracktes und raffiniertes Spiel mit den unterschiedlichen "Wahrheiten" aus den jeweiligen Perspektiven der Protagonisten ermöglicht.
    Stil und Sprache finde ich ebenfalls sehr gelungen. Sowohl präzise und klar, ohne unnötige Längen, als auch mit treffenden metaphorischen Passagen, in denen Gefühle oder auch Nicht-Gefühle zum Ausdruck kommen, die mit einfachen Worten nicht zu beschreiben wären. Tiefe Einblicke in die Seelen von Menschen werden auf diese Art möglich, ohne dabei Klischees oder Kitsch zu bemühen.
    Dieser Roman steckt voller überraschender Wendungen und Verwicklungen, ist spannend und thematisch interessant. Und das auf mehreren Ebenen.
    Lediglich zum Ende waren es mir ein paar Verwicklungen und Zeitsprünge zuviel, da wurde es anstrengend, mitzuhalten.
    Insgesamt ein anspruchsvoller und interessanter Roman mit Thrillerelementen (oder Thriller mit Romanelementen :grin), den ich weiterempfehlen kann.


    9/10 Punkten

  • Als kleines Mädchen verliert Dhanavati ihre Mutter auf tragische Weise. Trotz allen Widrigkeiten ist sie ihren Weg gegangen und hat Mathematik studiert. Doch die damaligen Vorkommnisse lassen sie auch als Erwachsene nicht los und sie begibt sich – nicht ahnend in was für Gefahr sie sich damit bringen wird – auf Spurensuche.


    Die junge Protagonistin ist mir während des ganzen Buches recht fremd geblieben. Es scheint so, als ob sie sich vor der ganzen Welt – inklusive der Leser – verschlossen und eingeigelt hat, um ihre Gefühle auf keinen Fall preis zu geben. Gerade diese Distanz hat mir als emotionalem Leser zu Beginn der Lektüre Mühe bereitet. Auch die sehr eigenwillige, etwas abhakte Erzählweise bremste mein Eintauchen in die Geschichte.


    Nachdem ich mich damit arrangiert hatte, dass die Figuren derart auf Distanz bleiben, konnte ich mich doch noch auf die Geschichte einlassen und ich lernte mit der Zeit den unaufdringlichen und klaren Schreibstil zu schätzen. Die grosse Stärke des Buches sehe ich vor allem auch in den verschiedenen Perspektiven, in denen es der Autorin sehr gut gelungen ist, die Sprache und den Erzählfluss der jeweiligen Figur anzupassen.


    Aufgrund der nicht-chronologisch-erzählten Geschichte musste ich mich das eine oder andere Mal ganz besonders konzentrieren, um nicht den Faden zu verlieren. Da „Visby“ aber sowieso kein Buch ist, das man einfach so zwischen Tür und Angel lesen kann, störte das meinen Lesefluss nicht weiter.


    Der Plot selber wusste mich zu begeistern und die Spannung stieg kontinuierlich an. Auch wenn ich mit dem Verhalten der Figuren oft nicht konform ging, empfand ich ihr Handeln als schlüssig und so endet auch das Buch in konsequenter Weise.


    Alles in allem bin ich froh, dass ich nach meinen Anfangsschwierigkeiten zum Buch und damit zur Geschichte gefunden habe – eine Geschichte, die weder laut noch sentimental oder gar reisserisch ist und gerade durch die zurückhaltende Erzählart sehr intensiv rüber kommt.

  • Barbara Slawig hat einen sehr komplexen Roman geschrieben, der eine Vielzahl von Gedankenansätzen und mehrere Handlungsstränge bietet. Das Spektrum reicht von der fundiert beschriebenen Arbeit an einem Forschungsinstitut, Geheimnisverrat, Waffenhandel. In erster Linie ist dies jedoch der Roman einer Roman einer Suche. So werden verschwundene Personen, Verräter, mutmaßliche Väter und Spuren der Vergangenheit gesucht.


    Trotzdem es den Anschein hat, es würde sich bei „Visby“ um einen Thriller handeln, ist dem nicht so. Für mich ist dies ein Roman mit Thrillerelementen, der ungeheuer spannend ist und den Leser förmlich in einen Lesesog zieht. Daneben hat mich der schöne Sprachstil von Barbara Slawig beeindruckt, jedes Wort scheint wohl überlegt und gezielt gesetzt. Die beschreibenden Abschnitte sind besonders eindrucksvoll.


    Zitat

    „Dies ist kein Ort, an dem man jemanden findet.Hier gehen Menschen eher verloren, sie treten hinter einen Felsen und sind nicht mehr da. Man schlendert ein paar Schritte ohne sie weiter, bleibt stehen und schaut aufs Meer, und man hört nur noch das unrhythmische Klatschen der Welle und das Raschen und Pfeifen und Sausen des Windes, eine rauschende Stille, die Ohren und Gedanken betäubt: bis man aufschreckt, weil man schon zu lange allein ist, und man kehrt um und ruft und schaut hinter den Felsen, hinter dem der andere verschwunden ist, aber dort sind nur weitere Felsen. Und Wind, und ein Möwenschrei, und Stille.“ (S. 36/37)


    Aber auch vom Schriftsatz her ist dieser Roman sehr interessant gestaltet. E-Mails, Forenbeiträge und Notizen lassen „Visby“ modern und realistisch erscheinen. Dieser Roman zeugt von dem großen Fundus an Erfahrungen, der der ehemals selbst an einem Forschungsinstitut tätigen Autorin eigen ist. Die Personen und deren Tun sind glaubhaft und wirken sehr authentisch.
    „Visby“ ist wieder einer der von mir geschätzten Romane, die sowohl von der Sprache als vom Anspruch, der Zeichnung der Charaktere, der Vielschichtigkeit der Handlung und der Spannung her zu überzeugen wissen. Für mich war es ein echtes Leseerlebnis.

  • Ich muss leider sagen, dass mich das Buch nicht ganz überzeugt hat, auch wenn es die meiste Zeit sehr spannend war.
    Die Hauptperson Dhanavati hält den Leser sehr lange auf Abstand und auch viele andere Personen. Mit Dhanavati wurde ich nach einiger Zeit zwar warm, allerdings hätte das Ende so meiner Meinung nach nicht sein müssen.


    Leider konnte ich auch oft das Handeln der einzelnen Personen nicht so recht verstehen/nachvollziehen.
    Interessant fand ich vor allem zu Biowaffen wie Lassaviren oder Epidemiemodellen und wo man Mathematiker überall braucht. ;-)
    Gut gefallen hat mir der klare Erzählstil und auch, dass er an die Persönlichkeit der Personen angepasst war.
    Und die Idee, dass jeder irgendwie auf der Suche nach sich selbst ist und wissen möchte, wo er herkommt und was aus seiner Vergangenheit wichtig für einen selbst ist, fand ich auch sehr gut.


    Daher gibt es von mit 7 von 10 Punkten!

  • Meine Meinung:
    Ich gehöre auch zu dem Personenkreis, den dieses Buches nicht so richtig überzeugen konnte. Warum dies so ist, kann ich gar nicht genau sagen. Aber ich versuche es trotzdem einmal. Zum einem bin ich mit sehr hohen Erwartungen an das Buch herangegangen, was bei den vielen positiven Meinungen, die ich gelesen habe, natürlich nicht ausbleibt. Zum anderen hatte ich eine temporeiche Geschichte erwartet, weil der Roman dem Thriller-Genre zugeordnet wurde. Diese Einordnung kann ich im Nachhinein nicht wirklich verstehen. Das Buch ist zwar recht spannend geschrieben, aber ich hatte nie das Gefühl durch die Geschichte zu rasen, wie bei einem Thriller oft der Fall ist. So fühlte ich mich vom Verlag doch etwas in die Irre geführt. Die allgemeine Zuordnung "Roman" wäre vielleicht doch besser gewesen. Und als dritten und letzten Punkt muss ich leider die Figuren nennen. Irgendwie lagen alle einfach nicht auf meiner Wellenlänge und insbesondere bei Annika konnte ich nicht wirklich nachvollziehen, warum sie so gehandelt hat. Die einzige Figur, die mir zumindest etwas sympathisch war, war Jens.


    Aber es gab auch Aspekte an diesem Buch, die mir sehr gut gefallen haben. Hier ist allen voran der ständige Wechsel der Erzählperspektiven zu nennen. Gerade in Bezug auf Dhanavati hat mir es sehr geholfen die Figur irgendwie zu verstehen. Wenn die komplette Geschichte nur von ihr erzählt worden wäre, hätte ich Dhanavati noch weniger verstanden als ohnehin. Aber dadurch dass verschiedene Personen die Geschichte erzählen, bekommt der Leser einen guten Rundumblick und ein besseres Verständnis. Vielleicht hätten Zeitangaben zu Beginn eines Kapitels geholfen das Gelesene besser im Gesamtzusammenhang einzuordnen. So musste man halt immer wieder etwas nachdenken, was auch nicht so dramatisch ist. Auch wenn mich das Buch nicht so fesseln konnte wie ein Thriller, war es doch spannend geschrieben und voller überraschender Wendungen.


    Den vielen positiven Stimmen kann ich mich leider nicht anschließen. Für mich hatte das Buch seine guten und aber auch seine schlechten Seiten, so dass ich am Ende 6 Eulenpunkte vergebe.

  • Hundertprozentig überzeugen konnte mich Barbara Slawigs "Visby" letztlich auch nicht. Zum Inhalt ist ja bereits recht viel geschrieben wurden, daher beschränke ich mich auf die mir im Gedächtnis gebliebenen Kritikpunkte.


    Vorab: Interessant fand ich die Handlungsorte und das romantisch beschriebene Schweden mit sehr verschwiegenen Bewohnern. Stimmung Schreibstil waren somit schon einmal okay. Etwas verwirrt wurden ich lediglich durch recht viele Wendungen der Handlung. Die mag ich zwar grundsätzlich, aber hier waren es mir ein oder zwei zu viel. Des weiteren waren mir die Fähigkeiten der handelnden Personen irgendwie zu perfekt, die ich dadurch auch nicht sehr realitätsnah empfand.


    Alles in allem komme ich aber doch noch auf 7 Punkte.