"Visby" von Barbara Slawig

  • Kurzbeschreibung:
    Dhanavati war fünf, als ihre Mutter bei Visby von den Klippen sprang. Danach brach alles auseinander. Die spirituelle Kommune, in der sie gelebt hatten, löste sich auf, Eglund, der Kopf der Gruppe, wurde wegen Drogenhandels verhaftet. Sogar Adrian, der sich stets liebevoll um Dhanavati gekümmert hatte, ließ sie allein. Jetzt, über zwanzig Jahre später, will die junge Mathematikerin endlich Klarheit. Warum hat ihre Mutter Selbstmord begangen? Und wer ist ihr Vater? Adrian, der inzwischen mit Annika zusammenlebt? Oder der charismatische Guru Bengt Eglund?
    Eine Spurensuche beginnt - und nimmt schnell eine bedrohliche Wendung, als sich herausstellt, dass Eglund inzwischen im internationalen Waffen¬geschäft tätig ist. Zwei Unbekannte heften sich an Dhanavatis Fersen, sie wird beschuldigt, Forschungsgeheimnisse ihres Instituts verraten zu haben. Plötzlich ist niemand mehr auf Dhanavatis Seite, und ihre Suche gerät zur Flucht.
    „Visby“ ist ein Roman darüber, dass jeder Mensch einen Anker braucht, eine innere Gewissheit, in diese Welt hineinzugehören - und darüber, wie verletzlich und manipulierbar uns diese Sehnsucht macht.


    Zur Autorin:
    Barbara Slawig, 1956 in Braunschweig geboren, lebt in Berlin. Sie hat Biologie studiert und eine Doktorarbeit über Meningitis-Epidemien in Afrika geschrieben, bevor sie der Wissenschaft den Rücken kehrte. Seit 1990 übersetzt sie englischsprachige Belletristik. Sie schreibt Erzählungen und Romane, häufig mit phantastischem Einschlag. 2003 erschien „Die lebenden Steine“ von Jargus im Argument-Verlag; unter dem Pseudonym Carla Rot erschienen 2009 und 2010 Kriminalromane bei Droste. Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie u.a. ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats.


    Meine Meinung:
    Ich öffnete den Mund, um sie anzuschreien – und da begriff ich, was ihre Fragen bedeuteten.
    „Soll das heißen, du weißt nicht, wo er ist?“
    Danach war es still. Sehr lange. Ich kann diese Stille immer noch hören, ich muss nur die Augen schließen, schon ist sie da. Der Wasserhahn tropft. Feuchtigkeit zischelt aus dem Holz im Ofen.


    Zwanzig Jahre lang hat Annika ihre Angst begraben. Die Angst, dass ihr Lebensgefährte Adrian sie und die gemeinsame Tochter Nina verlassen wird – für Dhanavati, die Tochter von Gisela, seiner großen Liebe. Und jetzt ist genau das passiert: Adrian ist verschwunden. Ohne Abschied, ohne eine Nachricht. Seit drei Monaten hat Annika nichts mehr von ihm gehört, und als nun auch noch Dhanavati bei ihr auftaucht und nach ihm fragt, entschließt sich Annika, nicht länger auf Adrian zu warten. Sondern ihn zu suchen.


    Auch Dhanavati ist auf der Suche. Sie möchte herausfinden, warum ihre Mutter bei Visby von den Klippen gesprungen ist. Und sie möchte endlich wissen, wer ihr Vater ist. Ist es Adrian? Oder Bengt Eglund? Der Kopf der Kommune, der damals wegen Drogenhandels verhaftet wurde? Ohne es zu ahnen, bringt Dhanavati sich durch ihre Nachforschungen in große Gefahr – denn Eglund ist inzwischen im internationalen Waffenhandel tätig.


    Und dann ist da noch Jens Nilsson – Dipl.-Ing. Institut für Angewandte Informatik. Köln. Das steht auf seiner Visitenkarte, die er Annika bei ihrem ersten Treffen überreicht. Und auch er ist auf der Suche: Er will Dhanavat finden, die er im Verdacht hat, geheime Forschungsergebnisse ihres Instituts verraten zu haben. Aber wer ist dieser Jens NIlsson wirklich? Und für wen arbeitet er?


    Mehr möchte ich vom Inhalt nicht verraten, denn „Visby“ entfaltet von den ersten Seiten an einen Sog, dem man sich nur schwer entziehen kann. Barbara Slawig erzählt in ihrem beeindruckenden Roman ein intensives Beziehungsdrama. Und die Präzision, mit der sie das zwischenmenschliche Geflecht aus Lügen und (Halb-)Wahrheiten in einer sehr spannenden Handlung seziert, hat mich ungemein fasziniert und begeistert. Was ist die Wahrheit? Und welchen Preis ist man dafür zu zahlen bereit? Das Ende von "Visby" hat mich regelrecht erschüttert, gerade weil die „endgültige“ Wahrheit ans Licht kommt, aber vor allem, weil bereits in diesem Augenblick auch schon die nächste Lüge geboren wird. Und konsequent wie die Autorin ist, bleibt der Leser mit der Frage zurück, die lange in ihm nachhallt: Was hätte ich gemacht? Was wäre die richtige Entscheidung gewesen? Das Verschweigen der Wahrheit oder das Aussprechen?


    Oder wie es der Autor Andrea Bajani formuliert hat: „Am Ende prägt das Ungesagte, das Geheimgehaltene die Beziehungen von Paaren, Familien, Generationen stärker als die Dinge, die ans Licht kommen.“ Ein Satz, der perfekt auf das Leben der jungen Mathematikerin Dhanavati zutrifft. Was für ein Mensch wäre ich heute, könnte ich heute sein, wenn ich um das Gestern wüsste? Darum geht es in „Visby“. Und eigentlich vereint dieser Roman vier Geschichten in sich: die von Dhanavati, die von Annika, die von Jens Nilsson - und die des Lesers, der aus diesen drei Perspektiven eine eigene Wahrheit erhält.


    Ich kann diesen spannenden und mit einer wunderschönen Sprache geschriebenen Roman nur wärmstens empfehlen.


    Dies ist kein Ort, an dem man jemanden findet. Hier gehen die Menschen eher verloren, sie treten hinter einen Felsen und sind nicht mehr da. Man schlendert ein paar Schritte ohne sie weiter, bleibt stehen und schaut aufs Meer, und man hört nur noch das unrhythmische Klatschen der Wellen und das Rascheln und Pfeifen und Sausen des Windes, eine rauschende Stille, die Ohren und Gedanken betäubt: bis man aufschrickt, weil man schon zu lange allein ist, und man kehrt um und ruft und schaut hinter den Felsen, hinter dem der andere verschwunden ist, aber dort sind nur weitere Felsen. Und Wind, und ein Möwenschrei, und Stille.


    Liebe Grüße :wave
    Lille


    Edit: Rechtschreibfehler verbessert.

  • Irène Bluche vom rbb Kulturradio hat Barbara Slawig zu "Visby" und zum Schreiben befragt. Das Ergebnis ist ein kurzer Beitrag, der morgen (Donnerstag) in der Reihe "Das Porträt" ausgestrahlt wird, und zwar um 6:10 und noch einmal um 11:45 Uhr.

    Hier der Link zum Sender:


    Dort findet sich oben im Menü ein Link zum Live Player, so dass man übers Internet mithören kann.


    Liebe Grüße :wave
    Lille

  • Barbara Slawig erzählt die Geschichte der jungen und äusserst klugen Mathematikerin Dhanavati deren Mutter vor zwanzig Jahren im Visby mit einem Sprung über die schroffen Klippen Selbstmord begangen hat. In diesem kleinen schwedischen Dorf lebte Dhanavati damals als fünfjährige in einer religiösen Gemeinschaft die sich an den Lehren Bhagvans orientiert hat und die von einem Guru namens Bengt Englund geführt wurde. In dieser spirituellen Bewegung dürfte auch ihr unbekannter Vater zu suchen sein. Aber wer von den männlichen Sektenmitgliedern die auf Gotland lebten ist ihr Vater? Warum hatte sich die Kommune aufgelöst? War es nur wegen Englunds Verhaftung wegen Drogenhandels oder schlummern da noch andere Gründe im Verborgenen? Ist es klug die ruhenden Geister der Erinnerung zu neuem Leben zu erwecken?


    Es ist ist nicht nur eine Reise in die Vergangenheit auf der Suche nach der inneren Gewissheit, dass man in diese Welt hineingehört sondern das Hier und Jetzt spielt eine wichtige Rolle. Es geht um mathematische Programme und Modelle die den Verlauf und die Verbreitung von Epidemien und Krankheiten nachbilden und um Insiderwissen über dieses Projekt das nach aussen dringt. In der Folge nimmt der Roman phasenweise krimihafte Züge an und mit der stets wechselnden Erzählperspektive verschiedener Personen wird die Geschichte zunehmend komplexer was es schwierig macht den Inhalt weiter zusammenzufassen. Meiner Meinung nach verlangt der Roman sowieso eine hohe Konzentration und die ungeteilte Aufmerksamkeit des Lesers und selbstverständlich ein stetes Mitdenken damit alle Vorgänge, Fakten und Personen gedanklich erfasst werden können.


    Es ist eine Geschichte voller Unterströmungen, wie Wasser, das oberflächlich still wirkt und einem doch in die Tiefe zieht. Leise. Beiläufig. Unaufhörlich. Eine Geschichte die sich kontinuierlich ändert wie ein kleiner sich selbst stabilisierender Wirbel. Mit hoher sprachlicher Sensibilität werden Erinnerungsspuren der Vergangenheit mit gegenwärtigen Wünschen und Ängsten verwoben und so entsteht ein aussergewöhnlich dichter Roman der mit seiner ruhigen Erzählweise über weite Strecken zu überzeugen vermag. 8 Eulenpunkte von mir für dieses schön gestaltete Buch.

  • Auch ich habe diesen hochinteressanten Roman schon gelesen, hier meine Rezension (auf www.schreib-lust.de zu finden):


    Dhanavati ist eine begnadete Mathematikerin mit einem interessanten Job in der Epidemieforschung in Århus, Dänemark, umgeben von netten Kollegen, ihre Patentante Maria als Chefin.
    In Dhanis Leben liegt jedoch einiges im Argen. Einerseits leidet sie unter Panikattacken und Klaustrophobie. Andererseits hat sie nie das Gefühl, dazuzugehören. Schon immer war sie ein Fremdkörper. Bei den strikten Verwandten, bei denen sie aufwuchs. unter den Wissenschaftskollegen einer Tagung.


    „Ein Anker. Diese innere Gewissheit, dass man in die Welt hineingehörte. Was Timo besaß. Und Maria natürlich, kein anderer Mensch so stark wie Maria.“


    Diesen Anker hat Dhanavati verloren, als sie mit fünf Jahren Zeugin wurde, wie ihre Mutter sich in Schweden von den Klippen warf, in Visby, wo sie mit einer Hippie-Kommune lebte. Dhani weiß noch nicht einmal, wer ihr Vater ist.
    Adrian, der sich immer um sie kümmerte? Bengt, der die Hippie-Kommune leitete? Und wer war dieser Mann, mit dem ihre Mutter sich gestritten hat, bevor sie losrannte?
    Dhanavati beginnt, in Internetforen zu forschen.
    Als ihr ein Job in einem Institut angeboten wird, das mit Rüstungsforschung zu tun hat, beschuldigt der Sicherheitschef Nilsson sie, Geheimnisse verraten zu haben. Agenten bedrängen sie. Ihre Vatersuche hat Staub aufgewirbelt: Bengt, der einstige Guru der Hippie-Kommune, ist inzwischen im internationalen Waffenhandel tätig.
    Adrian verschwindet spurlos und lässt Freundin und Tochter im Stich.
    Dhanavati muss Hals über Kopf fliehen.
    Niemand ist mehr da, dem sie vertrauen kann.


    Jedes Kind will wissen: Wer bin ich, wo komme ich her? Doch was ist, wenn einem Kind alle Gewissheit weggerissen wird? Diese Frage stellt die Autorin in ihrem Roman. Dhanavati, eine facettenreiche, unter die Haut gehende Hauptperson bei ihrer Suche zu beobachten, ist faszinierend.
    Barbara Slawig rollt die Geschichte nicht chronologisch auf. Wie Mosaiksteine ergeben die Kapitel das Gesamtbild, erst am Ende werden die Zusammenhänge klar. Abwechselnd aus der Sicht von Dhanavati, Adrians Freundin Annika und dem Sicherheitsbeamten Nilsson erzählt, erfährt der Leser verschiedene Versionen der Geschehnisse. Was ist wahr, was gelogen? Welche Erinnerungen trügen?
    Was passiert, wenn Menschen einer Kommune, die sich den Idealen von Liebe und Frieden verschrieben haben, diese verraten? Inwieweit können Hass und Neid Leben zerstören?
    Durch seine thrillerartige Spannung und unerwartete Wendungen lässt sich das Buch kaum aus der Hand legen und es bietet sich an, nach dem Ende wieder vorne anzufangen, um die komplexen Zusammenhänge und versteckten Hinweise aufzuspüren.
    Barbara Slawig erzählt in einer präzisen Sprache, kristallklar, wie aus Eis gemeißelt, manche Passagen möchte man laut lesen.
    Ihre Beschreibungen erzeugen stimmungsvolle Bilder.


    „Es lag am Licht. Diesem gleichmäßigen Licht. Es füllte das Zimmer, obwohl die Fenster nach Norden gingen. Es füllte jeden Raum, jeden Winkel, es bleichte die Nächte und dünnte den Schlaf aus; es filterte, was von der Außenwelt zu ihr drang. Als schwebte sie in der Mitte eines Ballons, der mit diesem Licht gefüllt war, so dass alles, was draußen lag, schemenhaft wurde, zweidimensionale Formen auf der Außenhülle des Ballons.“


    Die wunderbaren Beschreibungen, zusammen mit den lebensechten Figuren, geben dem Buch einen langen Nachhall. Das geheimnisvolle Buchcover mit dem überdimensionierten Sternenhimmel und den Lichtschwaden passt hervorragend zur Stimmung des Romans.


    Barbara Slawig, 1956 in Braunschweig geboren, lebt in Berlin. Sie hat Biologie studiert und eine Doktorarbeit über Meningitis-Epidemien in Afrika geschrieben. Seit 1990 übersetzt sie englischsprachige Belletristik. Sie schreibt Erzählungen und Romane, häufig mit phantastischem Einschlag. 2003 erschien „Die lebenden Steine von Jargus“ im Argument-Verlag; unter dem Pseudonym Carla Rot schrieb sie zwei Kriminalromane („Patentlösung“ und „Blutasche“), die im Droste Verlag erschienen (ebenfalls bei Schreib-Lust besprochen).
    Für ihr literarisches Schaffen erhielt sie u.a. ein Arbeitsstipendium des Berliner Senats.

  • Zitat

    Original von sapperlot


    Es ist eine Geschichte voller Unterströmungen, wie Wasser, das oberflächlich still wirkt und einem doch in die Tiefe zieht. Leise. Beiläufig. Unaufhörlich. Eine Geschichte die sich kontinuierlich ändert wie ein kleiner sich selbst stabilisierender Wirbel.


    Was fuer ein schoenes, treffendes Bild!


    "Eine Geschichte voller Unterstroemungen" - das wird Visby - finde ich - wie kaum etwas anderes gerecht.
    Das ist einer der Romane, bei denen ich aufatme und mir denke: Egal, was auf dem Buchmarkt passiert, unvergessliche Buecher voller erzaehlerischer Klugheit und Kraft werden immer erscheinen, darum brauche ich mich nicht zu sorgen.
    Die sprachliche Sensibilitaet, die sapperlot lobt, berauscht auch mich: Es ist ein praeziser, ueberlegter Text, bei jedem Wort sitzt, der aber trotzdem gleitet und nirgendwo bemueht wirkt. Auch nirgendwo ueberladen, sondern geradezu oekonomisch. Und schoen.


    Neben der sprachlichen und erzaehlerischen Brillanz der Autorin hat mich noch etwas anderes an "Visby" geradezu verbluefft: Die tiefe Menschenkenntnis und Lebenserfahrung. Hier schreibt jemand, der nicht nur erzaehlen kann, sondern auch etwas zu erzaehlen hat.


    Bitte mehr davon!


    Herzlich,
    Charlie

  • Adrian ist verschwunden und seine Partnerin Annika muss sich eingestehen, dass er sich bereits ein paar Tage vorher merkwürdig benommen hat. Das Paar, das an der nordfriesischen Küste lebt, hat eine gemeinsame Tochter. Auf den Anruf einer Frau hin, um die er sich in deren Kindheit einmal gekümmert hat, ließ Adrian nun alles stehen und liegen. Annika grübelt, ob Dhanavati, die Anruferin, vielleicht doch Adrians leibliche Tochter sein könnte. Vertrauen hatte doch beiden immer bedeutet, dass man einander nicht bedrängt. Würde Adrian seine leibliche Tochter zugunsten seiner Pflegetochter im Stich lassen? Während seines bewegten Lebens hat Adrian vor zwanzig Jahren in einer Bhagwan-Kommune auf der Insel Gotland gelebt, gemeinsam mit Dhanavatis Mutter Gisela. Politisch war es eine aufregende Zeit; der Vater eines der Kommunarden war Weggenosse Olof Palmes. Gisela hatte sich zwar gewünscht, dass Adrian sich weiter um Dhana kümmern sollte, falls das einmal nötig sein sollte. Doch da sie in Deutschland noch Eltern und einen Bruder hat, bleibt Giselas Wunsch nach ihrem Tod leider nur ein Traum. Adrian hat als Pflegevater keine Ansprüche auf Dhana. Das Mädchen wächst bei Onkel und Tante in Westfalen auf und arbeitet inzwischen in Dänemark als promovierte Mathematikerin über die Verbreitung von Seuchen. Beruflich steht Dhana gerade vor einem Umbruch. Sie realisiert, dass ihre Arbeitsergebnisse für die biologische Kriegsführung einzusetzen sind und dass sich Institutionen für sie als Mitarbeiterin interessieren, deren Ziele Dhana nicht gutheißen kann. So machen sich drei Personen auf die Suche: Annika sucht Adrian, Dhana will endlich wissen, wer ihr leiblicher Vater ist, und Jens Nilsson sucht im Auftrag eines deutschen Forschungsinstituts den Kontakt zu Dhana. Jeder von ihnen konstruiert seine persönliche Wahrheit und setzt sich ganz individuell mit den eigenen Fehleinschätzungen und Lebenslügen auseinander. Angelpunkt der drei Suchbewegungen ist Bengt Eglund, einer von Giselas Mitbewohnern in Visby, der inzwischen in seinem Metier ein mächtiger Mann geworden ist. Dass Eglund die Grenze zwischen privaten und geschäftlichen Angelegenheiten anders festlegt als sie selbst, erkennt Dhana erst, nachdem sie sich in eine gefährliche Situation manövriert hat.


    In einer Handlung, die mich streckenweise wie ein Wissenschafts-Thriller fesselte, habe ich mich den Figuren in "Visby" außerordentlich nahe gefühlt. Mit Dhana und ihrer Chefin Maria schafft Barbara Slawig mit dem Hintergrund ihrer eigenen wissenschaftlichen Arbeit zum Thema Epidemien sehr glaubwürdige Figuren. Auch Jens wird kaum einen Leser unberührt lassen, wenn er in einem schriftlichen Bericht seine Irrwege in dieser komplizierten Geschichte offenlegt. Ein großartiges, lebenskluges Buch, das die Bedeutung frühkindlicher Bindung und den Konflikt zwischen biologischer und sozialer Elternschaft eindringlicher vermittelt als manch umfangreiches Fachbuch das kann.


    10 von 10 Punkten

  • Ihr Lieben,
    manche Bücher haben mir so gefallen, dass ich sie mehrmals lesen muss - "Visby" gehört dazu. Demnächst würde ich den Roman gerne ein zweites Mal lesen - vielleicht hat jemand von euch Lust auf eine kleine, private Leserunde (ich hoffe, ich verletze jetzt keine Regeln, wenn ich das hier poste/frage!)? Da ich die Autorin kenne, könnte ich sie fragen, ob sie vielleicht Lust hat, uns zu begleiten. Vielleicht hat ja jemand Lust, der das Buch noch nicht gelesen hat - die Kommentare von "Erstlesern" finde ich beim zweiten Mal Lesen besonder spannend!


    Was meint ihr?


    Liebe Grüße :wave
    Lille

  • Ach so: Wann wollen wir denn loslegen bzw. wann wäre Frau Slawig denn bereit, sich von uns mit Fragen bombadieren zu lassen? Davon hängt sicher auch der Starttermin ab.


    Mir wäre Mai ganz recht, weil jetzt im April mein Lesekalender knüppeldick voll ist.

  • Dhanavati lebt mit einer Ungewissheit: warum hat sich ihre Mutter vor 20 Jahren umgebracht? Und wer ist ihr Vater? Diesen Fragen geht sie nach. Annika hat da ganz andere Probleme: von einen Tag auf den anderen verschwindet ihr Lebensgefährte Adrian. Zu den Sorgen um ihn gesellen sich immer mehr Leute, die wissen wollen, wo er ist. Was hat er verborgen?


    "Visby" war mein erstes Buch von Barbara Slawig und ich fühlte mich nur mäßig unterhalten. Der Anfang des Buches verspricht etwas anderes, als das Ende hält. Und so musste ich mich zum Schluss hin damit abfinden, dass die Autorin andere Handlungsstränge als wichtiger erachtet hat, als ich mir erhofft hatte.


    Die Geschichte wird von verschiedenen Personen und aus verschiedenen Perspektiven erzählt. Ich kam damit recht gut klar, bis ich feststellen musste, dass die Personen auch unterschiedliche Kenntnisstände und zu unterschiedlichen Zeiten erzählten. Dies fand ich im Laufe des Lesens heraus und kam dadurch völlig aus dem Tritt. Hier hätte ich zumindest Datumsangaben sinnvoll gefunden.


    Die Figuren, die Barbara Slawig erschafft, agieren bemerkenswert verantwortungslos. Die eine lässt ihr Kind allein um auf blauen Dunst ihren Partner zu suchen. Die andere begibt sich scheinbar blind in eine lebensgefährliche Situation und wundert sich dann, warum sie nicht mit offenen Armen empfangen wird.


    Die Autorin erschafft zu Beginn ein spannendes und auch bedrohliches Szenario, was aber im Laufe des Buches immer mehr in den Hintergrund gedrängt wird, bis es völlig verschwindet. Offene Fragen werden nicht geklärt, Figuren, die nicht mehr ins Bild passen, kommen einfach nicht mehr zu Wort und die gesamte Geschichte bekommt einen Drall, den ich zu Beginn nun gar nicht vermutet hätte. Das hat mich schon enttäuscht, denn auch die "vergessenen" Stränge boten sehr viel Potenzial zum Erzählen.


    Der Stil von Barbara Slawig ist nach einer gewissen Gewöhnungszeit gut zu lesen. Sie passt ihre Erzählweise ihren einzelnen Figuren an, was ich sehr gut und auch passend fand.


    Fazit: leider konnte mich das Werk nicht überzeugen. Thriller ist hier aber auch das falsche Wort für diesen Roman.

  • Zitat

    Original von Susanne Ruit.


    „Es lag am Licht. Diesem gleichmäßigen Licht. Es füllte das Zimmer, obwohl die Fenster nach Norden gingen. Es füllte jeden Raum, jeden Winkel, es bleichte die Nächte und dünnte den Schlaf aus; es filterte, was von der Außenwelt zu ihr drang. Als schwebte sie in der Mitte eines Ballons, der mit diesem Licht gefüllt war, so dass alles, was draußen lag, schemenhaft wurde, zweidimensionale Formen auf der Außenhülle des Ballons.“


    .


    Genau dies fast poetisch anmutenden Beschreibungen von Stimmung und Landschaft habe mich in diesem Buch fasziniert.
    Trotz der etwas herben aber immer klaren und genauen Ausdrucksweise liest sich das Buch oft wie eine Reisebeschreibung. Wobei reisen ja bei den verschiedenen Protagonisten Vorrang und Sinn hat.
    Womit ich etwas Probleme hatte, waren die Wechsel der erzählenden Personen, das wäre ein gutes Mittel um unterschiedliche Sichtweisen und Erlebnisse deutlicher zu machen, wenn sie entweder chronologisch folgen würden oder aber datiert wären.
    So gab es immer einen kleinen Ruck, bis man wieder wusste, aha, das war früher oder danach.


    Dhanavati, die kühle Mathematikerin, die versucht ihre Ängste und Panikattacken naturwissenschaftlich in Griff zu bekommen, ist auf der Suche nach ihrem Vater. Lang ist es her, zuletzt sah sie ihn als kleine Kind in Visby, einer Stadt auf Gotland, wie er von der Polizei verhaftet wurde.
    Da ist Annika, die auf ihren Freund und Vater ihrer Tochter blind vertraute und der doch nach merkwürdigen Besuchen auch eine Suche beginnt.
    Der ganze Roman, der thrillerartige Züge trägt und ziemlich spannungsgeladen ist, wird durch wahrheitssuchende Personen geprägt. Am Ende ist nichts wie es schien, fast jeder bleibt enttäuscht zurück und muss einen neuen Platz in seinem Leben finden und einrichten.
    Nicht alle Handlungen sind nachvollziehbar und Annika kehrt von ihrer Suche nach Adrian eher ernüchtert zurück.
    Brisante Diskussionen könnten auch entstehen durch den evtl. Missbrauch wissenschaftlicher Daten die im Falle eines Krieges zu unabsehbaren Folgen führen könnten. Das steht zwar im Buch nicht im Vordergrund aber ich könnte mir vorstellen, dass die Autorin durchaus zum nachdenken anregen wollte.


    Ich gebe 8 von 10 Punkten, weil ich das Buch wirklich verschlungen habe.

  • Die Geschichte in "Visby wird aus der Sicht von drei unterschiedlichen Personen erzählt:


    Zum einen ist da Dhanavati, eine junge Mathematikerin. Sie lebte als kleines Kind zusammen mit ihrer Mutter auf Gotland bei einer spirituellen Kommune in einem Waldhaus. Als Dhanavati 5 Jahre alt war, musste sie mit ansehen wie ihre Mutter sich von den Felsklippen ins Meer gestürzt hat. Dhani wuchs daraufhin bei ihren Großeltern und später bei ihrer Tante auf und möchte nun endlich wissen, warum ihre Mutter damals Selbstmord begangen hat. Außerdem weiß sie nicht wer ihr Vater ist. Dhani macht sich auf die Suche nach ihren Wurzeln.


    Annika ist seit 20 Jahren mit Adrian zusammen und sie haben eine gemeinsame Tochter. Plötzlich tauchen 3 fremde, gefährlich wirkende Männer auf die Annika Fragen über Adrian und Dhanavati stellen. Adrian lebte damals auch auf Gotland in der spirituellen Kommune und war eng mit Dhanavatis Mutter befreundet. Als daraufhin Adrian verschwindet, muss sich Annika eingestehen wenig über Adrians Vergangenheit zu wissen und ihm blind vertraut zu haben.


    Und dann ist da noch Jens, der Sicherheitsbeauftragte eines wissenschaftlichen Forschungsinstitutes welches Dhanavati eine Stelle angeboten hat. Jens überprüft Dhanis E-Mails und stößt dabei auf eine Person die im internationalen Waffengeschäft tätig ist.


    Die Handlung wird immer abwechselnd aus einer der drei Perspektiven erzählt. Dabei wird die Sprache immer der jeweiligen Person angepasst und die Geschichte ist so sehr lebendig und abwechslungsreich.
    Die Sprache der Autorin finde ich wunderschön. Sie schafft es mit einer ganz nüchternen, klaren Ausdrucksweise und zum Teil sehr kurzen aber prägnanten Sätzen eine tolle Atmosphäre und schöne Stimmungen zu schaffen.
    Ich fand das Buch zu weiten Teilen sehr spannend und fesselnd, auch dadurch das die Handlung nicht chronologisch verläuft und die einzelnen Personen unterschiedliche Kenntnisstände haben.
    Alle Personen sind auf der Suche: nach ihren Wurzeln und nach einem festen Anker im Leben.
    Ich habe mich zum Teil ein wenig schwer getan die Handlungen der Figuren nachzuvollziehen und ich konnte mich mit keiner von ihnen gut identifizieren oder ihre Gedanken richtig nachvollziehen.
    Auch finde ich "Thriller" keine passende Beschreibung für dieses Buch! Es ist doch eher ein Familiendrama.
    Trotzdem hat es mir Spaß gemacht dieses Buch im Rahmen der Leserunde und mit der Begleitung der Autorin lesen zu dürfen.