Der Fluch der Serie oder: Der Autor im Heidelbeerquark

  • Ein ernstes Problem:


    Ein Autor schreibt eine Krimi-Serie. Darin kommt ein in allen Sätteln gerechter Ermittler vor, und der hat eine Lieblingsspeise: Heidelbeerquark, gut durchgerührt.


    Im ersten Band der Serie entgeht unser Ermittler um Haaresbreite einem hintertückischen Mordanschlag. Ein böser Schuft hat dem guten Ermittler ein fieses Gift in den Quark gerührt: E 605, das aufgrund seiner blauen Farbe normalerweise leicht erkennbar ist, aber im Heidelbeerquark nicht auffällt (so einen Fall hat es in Realität schon gegeben).


    Dieser Vergiftungsversuch ist eine Schlüsselszene in Band 1 der Serie.


    Was passiert aber in Band 2 mit dem Ermittler und seinem Lieblingsquark? Da kriegt unser wackerer Autor echte Schwierigkeiten:


    Variante 1a:


    Der Ermittler isst ganz normal seinen Quark weiter. Da fragen sich die LeserInnen, die Band 1 schon kennen: Ist der Ermittler denn nicht quarktechnisch traumatisiert? Warum schreibt der Autor denn nichts dazu?


    Varante 1b: Der Ermittler verachtet fortan Heidelbeerquark, und sei er noch so liebevoll angerührt. Da fragen sich die LeserInnen: Warum will der Ermittler seinen Quark nicht mehr?


    Problem: Wenn der Autor ausführlich begründet, warum der Ermittler den Quark weiterhin isst bzw. nun nicht mehr isst, müsste der Autor die Schlüsselszene aus Band 1 spoilern, würde also LeserInnen, die Band 1 noch nicht kennen, ihres Vergnügens berauben.


    Variante 2: Der Autor lässt in Band 2 den Heidelbeerquark einfach weg. Ohne jede Begründung. Aber was ist mit den LeserInnen, die sich in Band 1 so sehr mit dem Ermittler solidarisiert haben, gerade weil sie selbst so gern Heidelbeerquark essen? Diese LeserInnen sind dann enttäuscht und merken an: Wo bleibt denn bloß der Quark?


    Was würdet Ihr unserem Autor raten?

  • Ich würde ihn Himbeerquark essen lassen. Vielleicht mit dem dezenten Hinweis, dass er früher Heidelbeerquark gegessen habe, nun aber umgeschwenkt sei. Die, die Band 1 kennen, wissen dann warum, die die den Vorgänger nicht kennen, denken nicht weiter darüber nach.

  • Ich halte das für unproblematisch.


    Die, die den ersten Band kennen, wissen ja, dass der Ermittler Heidelbeerquark vom Speiseplan gestrichen hat und warum. Die, die den ersten Band nicht kennen, wird das vollständige Fehlen von Heidelbeerquark im zweiten Band nicht auffallen.


    Man könnte natürlich im zweiten Band erwähnen, dass dem Ermittler der Angstschweiß ausbricht, wenn er ein Kind Heidelbeerquark schlabbern sieht, was auf seine traumatischen Erfahrungen im letzten Jahr zurückzuführen sei.
    Die, die den ersten Band kennen, werden wissend nicken und sich im wohligen Gefühl suhlen, Geheimnisträger zu sein. Die anderen werden stehenden Fußes in die Buchhandlung rennen, um sich den ersten Band zu kaufen und endlich hinter das Geheimnis um.... den Heidelbeerquark zu kommen

    Menschen sind für mich wie offene Bücher, auch wenn mir offene Bücher bei Weitem lieber sind. (Colin Bateman)

  • Zitat

    Original von DraperDoyle
    Ich halte das für unproblematisch.


    Die, die den ersten Band kennen, wissen ja, dass der Ermittler Heidelbeerquark vom Speiseplan gestrichen hat und warum. Die, die den ersten Band nicht kennen, wird das vollständige Fehlen von Heidelbeerquark im zweiten Band nicht auffallen.


    Man könnte natürlich im zweiten Band erwähnen, dass dem Ermittler der Angstschweiß ausbricht, wenn er ein Kind Heidelbeerquark schlabbern sieht, was auf seine traumatischen Erfahrungen im letzten Jahr zurückzuführen sei.
    Die, die den ersten Band kennen, werden wissend nicken und sich im wohligen Gefühl suhlen, Geheimnisträger zu sein. Die anderen werden stehenden Fußes in die Buchhandlung rennen, um sich den ersten Band zu kaufen und endlich hinter das Geheimnis um.... den Heidelbeerquark zu kommen


    Ich kann DraperDoyle hier nur voll und ganz zustimmen, dass in Band 2 der Heidelbeerquark weggelassen werden sollte, denn wer isst schon freiwillig nochmal davon, wenn man fast damit vergiftet worden ist?


    Die Idee mit dem Angstschweißausbruch bei der Beobachtung eines Kindes, dass Heidelbeerquark schlabbert, würde ich hier echt als sehr angebracht empfinden. Noch besser, wenn der Ermittler sich dazwischen wirft und dem Kind den Löffel aus den Händen reißt... (natürlich um es zu retten...)


    Für das Geheule kann ja dann keiner was. :-)

  • Zitat

    Original von nicigirl85


    [...]


    Ich kann DraperDoyle hier nur voll und ganz zustimmen, dass in Band 2 der Heidelbeerquark weggelassen werden sollte, denn wer isst schon freiwillig nochmal davon, wenn man fast damit vergiftet worden ist?


    Dem kann ich ebenfalls nur zustimmen. Unser wackerer Autor hatte sich tatsächlich für Variante 2 entschieden, also dem Weglassen in Band 2, weil nach dem Vergiftungsversuch die Sache ja klar sein dürfte. Doch einige LeserInnen haben den Heidelbeerquark dann doch schmerzlich vermisst.


    Vielen Dank für Eure Anregungen. Voltaire: wunderbar appetitlicher Joghurt! Und bei der Farbe würde blaues E 605 natürlich sofort auffallen. Jane-Doe, das mit dem Umschwenken ist auch eine prima Idee.


    Das nächste Mal wird unser Autor wohl diese Regel beachten:
    Alles, was zur lieben Gewohnheit einer Figur gehört und was LeserInnen in den Folgebänden vermissen könnten, sollte nicht Gegenstand von Schlüsselszenen werden, die zur Auflösung eines Falls wichtig sind. Denn dann gerät man als AutorIn tatsächlich schnell in die beschriebene Zwickmühle.


  • Ich würde ihm raten andeutungsweise zu spoilern...
    Ist der Leser doch selbst Schuld, wenn er Band 2 zuerst liest.....

  • Zitat

    Original von piper1981



    Ich würde ihm raten andeutungsweise zu spoilern...
    Ist der Leser doch selbst Schuld, wenn er Band 2 zuerst liest.....



    Ja, das hat der Autor auch überlegt. Die Frage ist natürlich immer: Was ist "andeutungsweise"?


    Selbst wenn der Autor schriebe


    "Ein Fall im letzten Jahr hatte Hauptkommissar Raskolnikoff den geliebten Heidelbeerquark verleidet, seitdem aß er immer nur Erdbeerjoghurt."


    könnte das für LeserInnen, die aus was für Gründen auch immer den zweiten Band zuerst lesen, schon zu viel Andeutung sein.

  • Wie schon gesagt:
    Selbst Schuld, wenn der Leser erst Teil2 liest.....



    Aber ich finde dein Beispiel verrät auch nicht zu viel....


    Ich fänds viel wichtiger, wenn man bei Teil 2 auch draufschreibt, zB im Titel oder wenigstens auf den Buchrücken, dass es sich um Teil2 handelt.....
    Bei manchen Reihen ab ich mich nämlich auch schon ziemlich geärgert, dass das nicht wirklich ersichtlich war...

  • Es gäbe noch zwei Möglichkeiten: die Leser, die über das Ausbleiben des Heidelbeerquarks in Teil 2 enttäuscht sind, haben in Teil 1 einfach nicht wirklich mitbekommen, wie traumatisch das Erlebnis für die Figur war, und verstehen deshalb die Konsequenz nicht. Oder: den Lesern war gar nicht wichtig, daß die Hauptfigur den Heidelbeerquark löffelt, sondern ihnen gefiel einfach nur, daß überhaupt Heidelbeerquark im Buch vorkam. Weswegen sie jetzt enttäuscht sind, wenn das nicht mehr der Fall ist.


    Allen Lesern recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann ;-).

    Meine Bewertungsskala: 1-4 Punkte: Mehr oder minder gravierende formale Mängel (Grammatik, Rechtschreibung, Handlung). 5/6 Punkte: lesbar. 7/8 Punkte: gut. 9/10 Punkte: sehr gut. Details und Begründung in der Rezi.

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  • Wie wär's, wenn du mit dem Thema spielst? Zum Beispiel, indem du ihn an seiner Angst vor dem Quark leiden lässt. Indem er verzweifelt Alternativen sucht, andere Cremespeisen ausprobiert und verwirft, Dritte heimlich vorkosten lässt und sich dann, wenn denen nichts passiert, richtig hineinstürzt...


    Kann ein wunderbares Spielzeug sein, so ein Heidelbeerquark.

  • Ein Autor sollte sich bei der Wahl des Titels sehr bewusst sein, wie sich der Käufer von diesem "Entree" beeinflussen lässt.
    Ich esse zum Beispiel niemals Quark. Noch schlimmer aber wären Gurken!


    Buchtitel wie: Der Gurkenmörder oder der Mörder mit der Gurke würden sofort negative Gefühle wecken und mich vom Kauf dieses Buches abhalten.


    Problematisch wird es natürlich, wenn ein Autor an Veganer denken muss, die sich vom Titel beeinflussen lassen. Rainer Erlers Buch/Film "Fleisch" hätte durchaus Millionen von Käufern und Kinobesuchern mehr haben können, wäre er bei der Titelwahl anders vorgegangen.


    Darüber sollte man mal nachdenken und diskutieren. :chen

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Selbst der dickste Engel passt durch jedes Nadelöhr." :chen

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Marlowe ()

  • @ Cristiane: Wunderbare Idee! :-] Meine neue Krimiserie (ab 2015) geht ja eher in die komische Richtung. Und wenn da die Heldin ein Quarktrauma erleiden sollte, kann sie es im nächsten Band ausgiebig überwinden.


    Piper : Warum auf den Büchern nur selten steht, um den wie vielten Band einer Reihe es sich handelt, habe ich auch schon überlegt. Ich kenne mich in den Marketing-Strategien von Verlagen nicht aus, aber ich nehme an, es hat damit zu tun. Vielleicht will man verhindern, dass potenzielle LeserInnen ein Buch nicht kaufen, weil sie denken: Ach, ich kenne den Band davor ja noch gar nicht, dann lese ich den hier lieber (noch) nicht.



    Zitat

    Original von Josefa
    Es gäbe noch zwei Möglichkeiten: die Leser, die über das Ausbleiben des Heidelbeerquarks in Teil 2 enttäuscht sind, haben in Teil 1 einfach nicht wirklich mitbekommen, wie traumatisch das Erlebnis für die Figur war, und verstehen deshalb die Konsequenz nicht. Oder: den Lesern war gar nicht wichtig, daß die Hauptfigur den Heidelbeerquark löffelt, sondern ihnen gefiel einfach nur, daß überhaupt Heidelbeerquark im Buch vorkam. Weswegen sie jetzt enttäuscht sind, wenn das nicht mehr der Fall ist.


    Allen Lesern recht getan, ist eine Kunst, die keiner kann ;-).


    :gruebel Die Vergiftung durch den Quark kann man im ersten Band beim besten Willen nicht überlesen. Und, Josefa, was Deine andere Erklärung angeht: Ja klar, es gibt alle Sorten von Menschen. Bestimmt auch ausgesprochene Heidelbeerquarkfetischisten. Fifty Shades of Lila oder so.


    Vielleicht hat der erste Band diese LeserInnen heidelbeerquarktechnisch erst so richtig auf den Geschmack gebracht - und dann im zweiten Band: Kein Quark mehr da! Alles futsch! Wie furchtbar! Da lässt sich natürlich auch verstehen, wie schmerzlich der Verlust sein muss. :yikes


  • Dann machen wir das jetzt sofort, Marlowe. Wir denken nach und diskutieren - genau in dieser Reihenfolge.


    Gibt es eigentlich schon Krimis über mafiösen Tofu-Handel?