Langsames Entschwinden - Inge Jens

  • Hardcover, 2016
    Verlag: Rowohlt
    160 Seiten


    Kurzbeschreibung:
    Vom Leben mit einem Demenzkranken


    Walter Jens litt ein Jahrzehnt lang an Demenz. Der einst wortgewaltige Gelehrte versank zunehmend in eine Welt jenseits der Sprache, jenseits der Gedanken. Er starb am 9. Juni 2013. Seine Frau Inge Jens, mit der er mehr als ein halbes Jahrhundert zusammenlebte, hat ihn in seiner Krankheit begleitet und ihn, unterstützt von anderen Menschen, bis zuletzt gepflegt.
    In vertraulichen Briefen an Freunde und Bekannte hat sie immer wieder geschildert, wie er sich veränderte und wie schwierig es ist, mit einem Demenzkranken umzugehen. «Ich sehe seinem Entschwinden zu – den Mann, den ich liebte, gibt es nicht mehr.»
    Das Buch dokumentiert mit ausgewählten Briefen und einem längeren Bericht die Leidensgeschichte von Walter Jens. Einfühlsam und respektvoll beschreibt Inge Jens die Veränderungen, die durch die fortschreitende Krankheit verursacht wurden; und offen reflektiert sie die eigene Unsicherheit, wie man sich dem Kranken gegenüber verhalten soll. Zugleich ist sie sich bewusst, wie privilegiert ihre Situation als Angehörige war – und dass die Akzeptanz und die Bezahlung von Pflegepersonal in unserer Gesellschaft dringend verbessert werden müssen.
    Eine berührende Schilderung und ein wichtiger Denkanstoß.


    Über die Autorin:
    Inge Jens, geboren 1927 in Hamburg. Studium der Germanistik, Anglistik und Pädagogik, Promotion 1953. Herausgeberin der Tagebücher Thomas Manns, Mitarbeit an zahlreichen weiteren kulturhistorischen Projekten. Zusammen mit ihrem Mann Walter Jens schrieb sie die Bestseller «Frau Thomas Mann» (2003) und «Katias Mutter» (2005). 2009 erschienen ihre «Unvollständigen Erinnerungen» und wurden ebenfalls ein Bestseller. Sie lebt in Tübingen.


    Mein Eindruck:
    Als Walter Jens 2013 neunzigjährig starb, war er schon einige Jahre Dement. Ungewöhnlich war, dass seine Krankheit in der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurde und auch Debatten um das Thema auslöste. Das brach das Tabuthema auf!
    Walter Jens war ein bekannter Intellektueller, der in Deutschland durch seinen Einsatz für die Friedensbewegung, für Sterbehilfe, für Flüchtlinge und für die Literatur für etwas stand. Ein Mann, der so durch Wort und Tat wirkte, war besonders schwer betroffen, als er merkte, wie seine geistigen Fähigkeiten mehr und mehr schwanden.
    Und natürlich war es auch überaus schwer für seine Angehörigen, insbesondere für seine Ehefrau Inge Jens, mit der er den Bestseller Frau Thomas Mann geschrieben hatte. Ich kann mich erinnern, wie ich die beiden ca. 2006 bei einer Lesung sah. Walter Jens verhielt sich etwas ungewöhnlich, fahrig und ungeduldig, aber an Demenz dachte ich damals natürlich nicht.


    In diesem Buch veröffentlicht Inge Jens Briefe, die sie zwischen 2005 und 2013 an Freunde und Bekannte geschrieben hatte.
    Es gibt ein einleitendes Vorwort von Inge Jens.
    Einziges Thema der Briefe, deren Empfänger übrigens anonymisiert wurden, ist dabei ihr Eindruck von Walter Jens Zustand, der sich schließlich immer mehr verschlimmerte, bis Kommunikation mit ihm unmöglich wurde. Trotzdem lebte Walter Jens bis zu seinem Tod zu Hause, weil Inge Jens das Glück hatte, dass eine ambitionierte Pflegerin und Freunde ihr halfen.


    Es gibt dann nach den Briefen noch einen weiteren Text von Inge Jens, ein Vortrag mit dem Titel "Leben mit einem Demenzkranken: Ein persönlicher Bericht und kritische Anmerkungen zum Alltag unserer Pflegeeinrichtungen."
    Hier setzt sie sich noch einmal damit auseinander, was es heißt, mit einem schwerstkranken Dementen zu leben, auch das Thema Sterbehilfe und lebenswertes Existieren ist enthalten.


    Inge Jens ist keine Romanautorin, aber sie kann wirklich schreiben und verfügt über einen Ton. Es war ein intensives Lesen dieses Buches. Es ist ein Plädoyer dafür, mit dem Tabu, über Demenz zu sprechen, zu brechen und stattdessen auf Information und Verständnis zu setzen und zu zeigen was dieser Zustand für Angehörige bedeutet.

  • Oh nein, wieder ein interessantes Buch. :wow
    Danke für die Rezi, Herr Palomar. Ich muss zwar zugeben, dass ich bisher gar nichts von Walter Jens gehört habe (Schande über mich :rolleyes), aber das Thema Demenz finde ich sehr interessant und die Briefform ist auch eine nicht ganz gewöhnliche Form. Da ich persönliche Erfahrungen oft viel hilfreicher finde als trockene Sachtexte, speichere ich mal das hier im Köpfchen.

    With love in your eyes and a flame in your heart you're gonna find yourself some resolution.


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  • Ich habe das Buch gerade beendet und weiß, daß meine Worte nicht ausreichen werden, das Geschriebene zu würdigen.


    Inge Jens hat mit der Veröffentlichung ein Tabuthema gebrochen und schreibt offen über die Demenzerkrankung ihres Ehemannes Walter Jens, eines Intellektuellen, dessen Leben das Wort und das Schreiben war. Sie veröffentlicht dazu auch anonymisierte Briefwechsel, wozu m. E. sehr viel Mut und Offenheit gehören. Denn darin mußte sie den immer schlechter werdenden Zustand ihres Ehemannes erst einmal akzeptieren und dann nach außen tragen. Sie betont auch immer wieder, daß sie in ihrer privilegierten Stellung die Möglichkeit hatte, eine Pflegerin zu engagieren und später noch einen zusätzlichen Helfer. Die Pflegerin stammt aus einer Großfamilie vom Lande und dahin nimmt sie Walter Jens jeden Nachmittag mit, damit der Ablenkung und Anregung bekommt. Sie ermöglicht es Inge Jens, einige Stunden alleine zu verbringen, zu arbeiten und auch kleinere Lesungsreisen oder Konzertbesuche zu unternehmen. Diese Pflegerin ist über alle Maßen engagiert und fühlt sich in ihren Patienten ein, versucht seine Wünsche quasi von den Augen abzulesen.


    Inge Jens versucht auch dem Leser ihre Ansicht und ihre Gedanken zum Thema Sterbehilfe nachvollziehbar zu machen. Den Abschluß des Büchleins bildet ein persönlicher Bericht und kritische Anmerkungen zum Thema „Leben mit einem Demenzkranken“, wobei sie hier speziell auf den Umgang mit Demenzkranken, hier z. B. ihres Mannes, während eines Klinikaufenthaltes eingegangen ist. Schlußendlich muß auch das Pflegepersonal ausgebildet und sensibilisiert werden, um mit dieser Krankheit richtig umzugehen.


    Keiner möchte diese Krankheit bekommen, aber es kann tatsächlich jeden treffen. Der Patient verschwindet immer mehr aus dem Leben, der Angehörige und Pflegende muß sich mit sich den Veränderungen stellen und auseinandersetzen. Für mich war es ein bewegendes, beklemmendes und mutiges Buch!

  • Langsames Entschwinden
    Vom Leben mit einem Demenzkranken


    Inge Jens



    Inhalt und meine Meinung


    Ich hatte die Beschreibung nicht sorgfältig gelesen und war erst einmal ein wenig erschrocken, dass es sich um eine Zusammenstellung von anonymisierten Briefen handelt. Meist lese ich die nicht besonders gerne, weil mir der Einblick ins Leben anderer Menschen oft zu nah und intim ist.


    Mit diesen Briefen war es anders. Inge Jens beschreibt sowohl die fortschreitende Demenz ihres Mannes Walter Jens als auch ihre eigenen Schwierigkeiten damit.
    Mich hat sehr beeindruckt, wie offen sie ihre Gedanken und Zweifel beschreibt. Denn es sind nicht nur die praktischen Probleme in der Bewältigung des Alltags, sondern auch die ständigen Zweifel daran, ob man selber das richtige für den Anderen tut, ob ihm ein Weiterleben zugemutet werden kann. Die Erkenntnis, dass von der Persönlichkeit des Menschen, mit dem man so lange zusammengelebt hat, nicht mehr viel übrig geblieben ist. Und dann auch die Vermutung, dass auch in einem solchen Leben Momente des Wohlbefindens und vielleicht auch der Freude möglich sind.
    Dabei ist es ihr gelungen, die Intimsphäre ihres Mannes und auch ihre eigene zu wahren und dennoch die Empfänger der Briefe und jetzt uns Leser an ihrem Leben teilnehmen zu lassen.


    Auch der anschließende kurze Text, der auf einem von Inge Jens gehaltenen Vortrag beruht, macht noch einmal verschiedene Fragestellungen deutlich, die beim Zusammenleben mit einem Demenzkranken wichtig werden und weist auf die Schwachstellen des derzeitigen Pflegesystems hin.
    Erschreckend sind insbesondere die Erfahrungen, die Frau Jens in Krankenhäusern machen musste und die ich aus eigener Anschauung nur bestätigen kann. In diesem Bereich muss viel getan werden, um dieser besonders hilfsbedürftigen Patientengruppe eine menschenwürdige Betreuung und medizinische Versorung zu sichern.


    Ein Buch, das zum Nachdenken anregt.

  • Ich war auch angetan von Inge Jens habe ich nur oder von ihrem Mann gehört.


    Das Buch spiegelt meiner Meinung nach sehr gut das Zusammenleben mit einem Demenzkranken wider.


    Auch die Probleme die man hat. Und ich fand Inge Jens sehr ehrlich.


    Mehr bitte von solchen Büchern.

  • Ich hatte das Ehepaar Jens und auch Frau Jens alleine ein paar Mal live erleben dürfen und war deshalb sehr froh, das Buch lesen zu können.


    Das Buch war keine leichte Kost, aber Frau Jens jammerte nicht, sie brachte den Mut auf über das Thema in der Öffentlichkeit zu reden, aber sie wusste auch, dass sie das Privileg hatte, private Pflege in Anspruch zu nehmen, was sich viele andere nicht leisten können. Nicht nur die Demenz war Thema, auch das Pflegesystem und dessen Missstände.


    Ich bekam Informationen über gewisse Situationen, die das Ehepaar Jens erlebte, dennoch waren die Mitteilungen an mich als Leser eher dürftig. Ich konnte mir nicht vorstellen wie ein ganzer Tag im Hause Jens aussah. Ich akzeptiere das, es geht um die Intimsphäre der Familie.


    Die Briefe hätte ich nicht alle lesen müssen, denn der Inhalt war oft sehr, sehr ähnlich. Die Briefe erreichten verschiedene Adressaten und die Lage war eben so, schleichend verschlechternd. Am zweiten Teil habe ich nichts zu kritisieren, wenn auch da bekannte Inhalte erneut zur Sprache kamen. Dieser Teil war auf einem Vortragskonzept aufgebaut.


    Es war ein unbequemes Buch, des Themas wegen, aber in einer sehr schönen Sprache verfasst. Danke dafür an Frau Jens, dass sie das Thema Demenz ein Stück weit enttabuisiert hat.