Dostojewski

  • Hallo zusammen,


    ich habe vor, in der nächsten Zeit einige Romane von Dostojewski zu lesen. Zur Zeit lese ich einige Biographien über ihn, um mir einen Überblick zu verschaffen. Es wäre nett, wenn der eine oder andere etwas schreiben könnte, was er an einem der Romane gut findet oder nicht so.


    MfG, Ben

  • ich habe die ersten Dostojewski romane mit 18 oder 19 gelesen, was heute immerhin 8 jahre her ist, habe mich seitdem auch mit vielen anderen klassischen autoren bekannt gemacht, aber keiner konnte jemals seine tiefe erreichen, sowohl intellektuell als auch emotional nicht. womit du anfangen solltest hängt von deinen persönlichen tendenzen ab. um es grob zu formulieren: Schuld und Sühne beschäftigt sich hauptsächlich mit einer einzelnen persönlichkeit - Raskolnikow -, ein "charakterporträt" eines intellektuellen außenseiters. immer noch mein meist geliebtes buch.

    Die Dämonen ist eher erzählung über die ideologischen grabenkämpfe der russischen gesellschaft in der zweiten hälfte des 19 jhts. das emporkommen der bolschewistischen bewegung, ihre strategie.....sehr intelligent. man hat den eindruck, dass trotzki und co sich da was abgeschaut haben.

    Die Aufzeichnungen aus einem Totenhaus hat autobiographischen hintergrund, er hat sich ja selber in so einer katorga aufgehalten, allerdings würde ich deswegen nicht sagen, dass es dem buch an künstlerischem wert fehlt. es hat eine melancholische schönheit in vielen szenen.

    Der Jüngling ist ähnlich wie Schuld und Sühne eher ein roman über eine einzelne persönlichkeit und die unangenehmen erfahrungen eines "jünglings" innerhalb der höheren gesellschaft in die er eher unbeabsichtigt hineingerät. gesellschaftsstudie zu dieser zeit, um es so primitiv zu beschreiben und auch eine erzählung über die ersten enttäuschungen und beschämungen.

    Der Idiot ebenso ein roman der auf eine einzelne figur konzentriert ist, der epileptische Fürst Myschkin, der sich ebenso in der höheren gesellschaft bewegt.


    das ist wie gesagt alles nur sehr grob umrissen, sämtliche geschichten enthalten sehr viel mehr als nur das, und ich wünschte ich könnte mehr dazu sagen, aber mir fehlt es an der lust selbst romane zu schreiben. Die Brüder Karamasow gelten als sein Magnus Opum, und das wohl zurecht, allerdings habe ich es selbst noch nicht abgeschlossen, da ich es mir noch aufheben will sobald ich selber reifer geworden bin. am ende muss ich sagen dass ich wohl noch zu jung war um alles zur gänze zur verstehen das sich in anderen romanen abgespielt hat - im sinne der ganzen tiefe-, ich bereue es allerdings nicht, da mir Dostojewski den wert der höheren literatur gezeigt hat und ich bis heute auch nichts vergleichbares gesehen habe.

    To me the most important thing is the sense of going on. You know how beautiful things are when you’re traveling.
    - Edward Hopper

  • (...) Die Brüder Karamasow gelten als sein Magnus Opum, und das wohl zurecht, allerdings habe ich es selbst noch nicht abgeschlossen, da ich es mir noch aufheben will sobald ich selber reifer geworden bin. am ende muss ich sagen dass ich wohl noch zu jung war um alles zur gänze zur verstehen das sich in anderen romanen abgespielt hat - im sinne der ganzen tiefe-, ich bereue es allerdings nicht, da mir Dostojewski den wert der höheren literatur gezeigt hat und ich bis heute auch nichts vergleichbares gesehen habe.

    Vielen Dank für die ausführliche Antwort! In den letzten Monaten hab ich "Die Brüder Karamasow" überflogen und insgesamt vielleicht ein Viertel davon gelesen. Vom "Idiot" hab ich auch die ersten 200 Seiten überflogen.

    Vielleicht war es für mich auch erstmal zu viel zum Verdauen, um Karamasow gleich ganz am Stück zu lesen; ich würde zustimmen, dass ich bei Romanen bisher nichts vergleichbar Tiefgründiges gefunden habe.


    Deshalb lese ich jetzt erstmal Biographien über Dostojewski, auch Bücher mit Interviews mit Swetlana Geier, wo sie interessante Sachen sagt.


    Zum kompletten Durchlesen würde ich nach jetzigem Stand wohl erstmal "Die Brüder Karamasow" nehmen ; zum "großflächig Lesen" mit dem Idiot weitermachen. Bei "Böse Geister" bin ich noch nicht sicher, ob ich es lesen werde; scheint ja recht 'gruselig' zu sein. Vom "Jüngling" und z.B. dem "Doppelgänger" konnte ich mir bisher noch nicht so recht ein Bild machen.

  • wieso interessiert dich Dostojewski denn? ich würde da keine halben sachen machen in bezug auf teilweise lesen, großflächig lesen. wenn man einmal im lesefluss drinnen ist, gibt es kaum etwas ergreifenderes als den "sturm der gefühle" den die figuren seiner romane durchmachen, und der sollte des "effekts" halber auch nicht durch wechsel unterbrochen werden, da es schwerer fällt, sich wieder auf dieselben gefühlebenen zu bewegen. zumindest war für mich der leseansporn meistens die entwicklungen weiter zu verfolgen. aber das ist auch nur eine subjektive sache. jedenfalls muss man sich für die ideen interessieren können, die in den romanen vermittelt werden, da sie der antrieb der figuren sind; dass du dich mit den hintergründen, seiner biographie undsoweiter auseinandersetzt, ist da wahrscheinlich recht sinnvoll.


    ich bevorzuge die übersetzung von e.k rahsin die in zusammenarbeit mit Mereschkowski ausgearbeitet wurde, aber das ist auch nur persönliche präferenz. ich habe ebenso mit der Geier übersetzung begonnen.


    ich halte auch nicht allzu viel von seinen frühen romanen wie dem doppelgänger, dem spieler, erniedrigte und beleidigte etc. es sind keine schlechten bücher im vergleich zu - allen anderen werken die jemals geschrieben wurden, aber sie sind konzeptionell einfach nicht auf dieselbe tiefe ausgelegt. an die großen dinge hat Dostojewski sich erst später gewagt.

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  • Das große "Die Brüder Karamasow" steht noch aus, und es ist etwa 1000 Jahre her, dass ich Dostojewski las. Großartig und einzigartig, aber du brauchst Zeit für ihn. Ich selbst musste in der Stimmung sein für ihn. Als Einstieg empfehle ich: „Aufzeichnungen aus einem Totenhaus (Kellerloch).“ Nicht nur Nietzsche war begeistert. ;) „Der einzige Psychologe, von dem ich noch etwas zu lernen hatte“, schrieb er nach der Lektüre.

    Gilt als Schlüssel für sein Gesamtwerk.

    Ich fand es grandios, zumal es in die Tiefe geht und trotzdem keine Längen hat.

  • (...) ich bevorzuge die übersetzung von e.k rahsin die in zusammenarbeit mit Mereschkowski ausgearbeitet wurde, aber das ist auch nur persönliche präferenz. ich habe ebenso mit der Geier übersetzung begonnen. (...)

    Danke für den Tipp! Bisher habe ich auch vor allem von Rahsin und Geier Gutes gehört.

    Zitat

    wieso interessiert dich Dostojewski denn?

    Mich persönlich interessieren vor allem die glaubensbezogenen und die psychologischen Aspekte, wie Dostojewski die Personen beschreibt (vor allem in den Passagen über den Starez, Alexej und Dimitri). Auch die teilweise fast hoffnungslos verzwickten, turbulenten und wendungsreichen Konflikte, in die Dostojewski seine Personen immer wieder hineinstürzt und wie sich die einzelnen Charaktere dazu verhalten, finde ich interessant. Z.B. während der Gerichtsverhandlung in "Karamasow" oder mit den unübersichtlichen Geldströmen/Besitzansprüchen bei Dimitri. Auch im "Idiot" geht es ja schön turbulent zu.

    Wie Dostojewski das Leiden beschreibt und wie er Ideen von verschiedenen Seiten beleuchtet, finde ich ebenfalls beeindruckend.


    Du hast ziemlich sicher Recht, dass der "Effekt" stärker ist, wenn man es als Ganzes liest, aber in der Hinsicht hat mich "Karamasow" bisher vielleicht überfordert, und ich habe mir dann eben (leider?) nur einige Stellen herausgepickt.


    Nietzsche hat ja übrigens wohl auch gesagt, Dostojewski gehöre "zu den schönsten Glücksfällen seines Lebens".

  • Mich persönlich interessieren vor allem die glaubensbezogenen und die psychologischen Aspekte, wie Dostojewski die Personen beschreibt (vor allem in den Passagen über den Starez, Alexej und Dimitri).



    ich habe auch aufgrund des Glaubens zu ihm gefunden; das war der eigentliche anlass für mich, mich mit ihm zu beschäftigen. gleichzeitig ist es er aber niemals tendenziös in seiner charakterisierung - wie es viele andere christliche oder unchristliche schriftsteller sind, die die neigung haben, ihre eigene einstellung innerhalb ihrer werke in das "richtige" licht zu rücken, was heißen soll, als die allgemeine wahrheit zu verkaufen, die dann natürlich nur von den höchsten exemplaren der menschlichen spezies vertreten wird (ich denke da immer an Turgenjews Basarow in Väter und Söhne; ich habe es anfangs für eine parodie der russischen jugend gehalten, bis ich von einem brief turgenjews las, der klarstellte, dass er in ihn nur die höchsten eigenschaften hineinlegen wollte). die hervorhebende eigenschaft Dostojewskis ist es, die perspektiven anderer geisteshaltungen zu verstehen (meistens besser als sie selber) und sie einnehmen und darlegen zu können. das hat ihm bis heute niemand nachmachen können.

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  • Ich habe mal gehört, dass Dostojewski quasi immer gegen einen "iron man" argumentiert statt gegen einen "straw man". Viele Autoren lassen ihre Überzeugung nur gegen eher schwache "Strohmann"-Argumente angehen, während Dostojewski anscheinend immer versucht, möglichst die allerstärksten Argumente aufzufahren, die gegen seine Überzeugung sprechen. So gibt er etwa in "Schuld und Sühne" dem Raskolnikow alle möglichen angeblichen Rechtfertigungen für seinen Mord in die Hand (z.B. mit dem erbeuteten Geld Gutes für die Menschheit tun, seine Schwester vor einer unglücklichen Ehe retten, ...), um dann dagegen zu argumentieren.


    Mir hat zu dem Thema mal jemand zwei kurze Links von Uni-Vorlesungen zugeschickt, die ich hier mal anfüge, falls es Dich interessiert.



  • danke für die videos! Peterson erfasst das schon alles ziemlich gut. was ich ergänzen will, ist, dass es Raskolnikow (um auf diese person einzugehen) weniger um besserung für allgemeinheit bemüht war, er nicht aus irgendeinem moralischen grund gehandelt hat, sondern er den mord in erster linie begangen hat, um sich selbst und der welt zu beweisen, dass er als ein mensch höherer art über jeder moral erhaben ist; er genau wie Napoleon die welt ergreifen kann wenn er es wollte - das streben nach macht und überlegenheit und das restliche volk hat ihm zu dienen auf seinem weg. „Auf das Leben von einer Million Soldaten scheiße ich ...“ - soll Napoleon gesagt haben, die geisteswelt des herrenmenschen. deswegen verschwendet er im ganzen buch auch kaum einen gedanken an die verwendung des geldes, er rührt es kaum an, das ist nur netter zusatz der seiner situation dienlich wäre. im epilog wird Raskolnikows auseinandersetzung mit seinem scheitern an seinen ansprüchen auf ergreifende weise geschildert; er war nicht stark genug, um seine idee bis in letzte konsequenz zu verfolgen, es ist kein schuldgefühl oder reue die ihn begleitet (nach der reue sehnt er sich sogar).

    das faszinierende daran ist, dass es diese art zu denken keineswegs abwegig ist für einen person, die bereit ist über den engen horizont der lächerlichen konventionen hinaus zu sehen und es gibt auch genügend historische beispiele dafür. es ist eine sache, die abhängig ist von grundannahmen, die schwierig oder gar nicht zu beweisen sind, wie z.b. Gott.

    wenn es keinen Gott gibt, welche wahrheit kann man dann noch für sich anerkennen? was ist tatsächlich die letzte schlussfolgerung aus dieser erkenntnis? deswegen sind konträre positionen der figuren seiner bücher auch auf ihre weise berechtigt, weil sie nicht auf demselben fundament gebaut wurden, aber bis ins höchste und konsequenteste hinaus gedacht sind - unabhängig davon, ob sie das wohlgefallen der gesellschaft finden. - gerade das machen die autoren nicht, die sich so gern der "strohmänner" bedienen; sie denken wahrscheinlich nicht mal ihre eigene ideologie richtig zu ende. solche typen sind aber die regel.

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  • deswegen verschwendet er im ganzen buch auch kaum einen gedanken an die verwendung des geldes, er rührt es kaum an, das ist nur netter zusatz der seiner situation dienlich wäre. im epilog wird Raskolnikows auseinandersetzung mit seinem scheitern an seinen ansprüchen auf ergreifende weise geschildert; er war nicht stark genug, um seine idee bis in letzte konsequenz zu verfolgen, es ist kein schuldgefühl oder reue die ihn begleitet (nach der reue sehnt er sich sogar).

    Interessant; da hatte ich von dem, was ich bisher gehört habe, wohl ein falsches Bild. Hätte Raskolnikow sich denn am Ende gewünscht, er hätte seine Idee konsequenter verfolgt? (so hört sich das in dem Zitat an; und dafür müsste er ja eventuell "stark genug sein", um das Sehnen nach Reue ablegen können - würde er das am Ende wollen?)

    das faszinierende daran ist, dass es diese art zu denken keineswegs abwegig ist für einen person, die bereit ist über den engen horizont der lächerlichen konventionen hinaus zu sehen und es gibt auch genügend historische beispiele dafür. es ist eine sache, die abhängig ist von grundannahmen, die schwierig oder gar nicht zu beweisen sind, wie z.b. Gott.

    wenn es keinen Gott gibt, welche wahrheit kann man dann noch für sich anerkennen? was ist tatsächlich die letzte schlussfolgerung aus dieser erkenntnis? deswegen sind konträre positionen der figuren seiner bücher auch auf ihre weise berechtigt, weil sie nicht auf demselben fundament gebaut wurden, aber bis ins höchste und konsequenteste hinaus gedacht sind - unabhängig davon, ob sie das wohlgefallen der gesellschaft finden. - gerade das machen die autoren nicht, die sich so gern der "strohmänner" bedienen; sie denken wahrscheinlich nicht mal ihre eigene ideologie richtig zu ende. solche typen sind aber die regel.

    Ich würde mal vermuten, dass die meisten sowieso das glauben, was sie gerne glauben wollen, unabhängig von Beweis oder nicht und egal, wie stark/schwach die Argumente sind.

  • Interessant; da hatte ich von dem, was ich bisher gehört habe, wohl ein falsches Bild. Hätte Raskolnikow sich denn am Ende gewünscht, er hätte seine Idee konsequenter verfolgt? (so hört sich das in dem Zitat an; und dafür müsste er ja eventuell "stark genug sein", um das Sehnen nach Reue ablegen können - würde er das am Ende wollen?)


    "Wenn doch das Schicksal ihm Reue schenken würde!"

    -

    "Wodurch, wodurch", dachte er "ist meine Idee dümmer, als die anderen Ideen und Theorien, die in der Welt, solange die Welt besteht, herumschwirren und aneinanderprallen? Man braucht bloß die Sache aus von einem völlig unabhängigen, weiten und von den alltäglichen Einflüssen losgelösten Standpunkt zu betrachten, und da erscheint, sicher, mein Gedanke gar nicht so...sonderbar. Oh, Ihr Verneiner und Weisen, von einem Groschen Werte, warum bleibt ihr auf halben Wege stehen!"


    nur zwei der zitate, die in diese richtung gehen, der ganze epilog beschäftigt sich damit. Dostojewski war kein billiger mensch, der so eine persönlichkeit wie Raskolnikow jahrelang in seiner abgeschotteten dachbodenwohnung über eine ganz spezielle idee brüten lassen würde, nur damit er im moment des scheiterns sofort erkennt, wie verfehlt sie war. seine wandlung wird nur angedeutet, und darin nicht einmal die reue - nur die wandlung seiner grundeinstellung zum leben. aber eigentlich ist es schade, dir davon zu vorweg zu nehmen, der epilog enthält einige der schönsten seiten, die jemals geschrieben worden sind.

    es ist jedenfall eindeutig keine reue - das ist nicht so interpretativ von mir vor sich hingesagt - sondern verzweiflung darüber, dass er sich selbst nicht gerecht werden konnte und die gesellschaft ihn aufgrund ihrer beschränktheit verdammt hat.


    auf der letzten seite beginnt er das Neue Testament zu lesen.


    Zitat


    Ich würde mal vermuten, dass die meisten sowieso das glauben, was sie gerne glauben wollen, unabhängig von Beweis oder nicht und egal, wie stark/schwach die Argumente sind.


    sehe ich ganz genauso. in einem religiösen kontext habe ich damit auch keine probleme - mache ich selbst genauso - bei allen anderen weltlicheren und profaneren dingen allerdings schon.

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  • aber eigentlich ist es schade, dir davon zu vorweg zu nehmen, der epilog enthält einige der schönsten seiten, die jemals geschrieben worden sind.

    Im Gegenteil, ich glaube, das erhöht mein Interesse und meine Motivation zum Lesen, wenn ich schonmal einige interessante Passagen und Zusatzinfos kenne. Früher hätte ich Vorwegnahmen nicht gewollt, um mehr Spannung beim Lesen zu haben, aber darum geht es mir nicht mehr so sehr.

    Deshalb hab ich jetzt auch schonmal in den Epilog reingeschaut; da heißt es in der Gerichtsverhandlung (in der Raskolnikow wohl, wenn ich es richtig verstehe, sehr ehrlich Auskunft gibt) durchaus, dass das Geld Wichtigkeit für R. gehabt hätte:


    "auf die endgültigen Fragen, was ihn denn zum Totschlag bewogen und was ihn den Raub zu vollziehen angetrieben habe, antwortete er sehr klar, mit der plumpesten Genauigkeit, dass der ganze Beweggrund seine schlechte Lage, seine Armut und Hilflosigkeit und der Wunsch gewesen sei, die ersten Schritte seiner Laufbahn mit Hilfe von mindestens dreitausend Rubeln zu sichern, die er bei der Erschlagenen zu finden gehofft habe. Entschlossen habe er sich zum Mord infolge seines leichtsinnigen und kleinmütigen Charakters, der außerdem durch Entbehrungen und Misserfolge verbittert gewesen sei."


    Dass er das Geld nach dem Schock des Mordes nicht mehr anrührt, ist sehr verständlich. Aber ich habe natürlich nicht das ganze Bild des Romans, und es hätte wohl auch wenig Sinn gemacht, vor dem Gericht seine Ideen auszubreiten.

    es ist jedenfall eindeutig keine reue - das ist nicht so interpretativ von mir vor sich hingesagt - sondern verzweiflung darüber, dass er sich selbst nicht gerecht werden konnte und die gesellschaft ihn aufgrund ihrer beschränktheit verdammt hat.

    Dass es keine wirkliche Reue ist, da stimme ich zu. Allerdings laut Dostojewski wohl eine Art von teilweiser Reue, als es vor Gericht (wo Raskolnikow, wie gesagt, anscheinend ehrlich Auskunft gibt) heißt:

    "Auf die Frage aber, was ihn denn eigentlich bewogen habe, sich selbst anzuzeigen, antwortete er freimütig, das sei infolge aufrichtiger Reue geschehen. Dies alles wurde von ihm so gesagt, dass es fast schon an Grobheit grenzte."


    Allerdings wohl nur in dem Sinn, dass er anerkennt, dass er sich gegen den "Buchstaben des Gesetzes" (das er in diesem Punkt wohl verachtet) vergangen hat:

    "gewiss, der Buchstabe des Gesetzes ist übertreten, und Blut ist vergossen, nun, so nehmt doch für den Buchstaben des Gesetzes meinen Kopf ... und damit basta!"

    Und in dem Sinn, dass er in dem Moment, als er sich zum Geständnis entschließt, Sonjas Worten (vielleicht, weil er keine bessere Alternative sieht) zustimmt:

    "Geh auf einen Kreuzweg, verneige dich vor der ganzen Welt, küsse die Erde, die du entweiht hast, und sage laut vor allen Menschen: Ich habe getötet!"

  • "auf die endgültigen Fragen, was ihn denn zum Totschlag bewogen und was ihn den Raub zu vollziehen angetrieben habe, antwortete er sehr klar, mit der plumpesten Genauigkeit, dass der ganze Beweggrund seine schlechte Lage, seine Armut und Hilflosigkeit und der Wunsch gewesen sei, die ersten Schritte seiner Laufbahn mit Hilfe von mindestens dreitausend Rubeln zu sichern, die er bei der Erschlagenen zu finden gehofft habe. Entschlossen habe er sich zum Mord infolge seines leichtsinnigen und kleinmütigen Charakters, der außerdem durch Entbehrungen und Misserfolge verbittert gewesen sei."

    der letzte satz zeigt doch schon, dass er da keine wahrheitsgetreuen aussagen macht. es ist eine mischung zwischen gleichgültigkeit, bitterkeit über die niederlage und einem anteil, seine strafe nicht noch schlimmer zu machen als sie ist. seine aussagen vor gericht haben mit seiner eigentlichen einstellung zu seinem handeln nichts zu tun; hätte er da lang und breit seine idee präsentiert, wäre das nicht nur lächerlich rübergekommen, hätte es im sinne der justiz keinerlei rechtfertigung bedeutet, sondern hätte ihm höchstwahrscheinlich sehr viel mehr als 8 jahre eingebracht. im endeffekt hat er sich ja auch gestellt, weil Porfirij - obwohl er ihn bis ins letzte durchschaut hatte - das angebot machte, nicht zu seinen ungunsten auszusagen um ihm die möglichst mildeste strafe zu verschaffen. selbst wenn in seinen aussagen irgendeine wahrheit stecken sollte, ist das alles nachrangig zur seitenlangen beschreiben seines innenlebens in der katorga.


    Zitat

    Allerdings wohl nur in dem Sinn, dass er anerkennt, dass er sich gegen den "Buchstaben des Gesetzes" (das er in diesem Punkt wohl verachtet) vergangen hat:

    "gewiss, der Buchstabe des Gesetzes ist übertreten, und Blut ist vergossen, nun, so nehmt doch für den Buchstaben des Gesetzes meinen Kopf ... und damit basta!"

    das ist eine tatsachenbeschreibung, weil es nun mal ganz genau so passiert ist, und es klingt nicht danach, als würde er es gutheißen, dass die rechtslage in seiner situation so aussieht. es enthält kein moralisches urteil über sein eigenes handeln.


    Zitat
    "Geh auf einen Kreuzweg, verneige dich vor der ganzen Welt, küsse die Erde, die du entweiht hast, und sage laut vor allen Menschen: Ich habe getötet!


    bei der sache könnte man sich fragen, wieso sich Raskolnikow überhaupt für Sonja interessierte. um es mit einer sache zu beschreiben die einem deiner verlinkten videos beschrieben wird, die trennung zwischen den intellektuellen und den religiösen teilen einer persönlichkeit. vielleicht war es Sonja, die in ihm diese religiösen gefühle geweckt hat und bei seinem kreuzweg zeigt sich zum ersten mal auswirkung; es ist jedoch nicht so, dass er sich selber großartig mit der religion oder Gott oder der sünde auseinandersetzt; es ist ein gefühl, das ihm nicht einmal richtig bewusst wird - bis zum ende nicht -, kein gedanke, also keine zustimmung in einem intellektuellen sinne. oder eher eine ahnung, dass er sich vielleicht doch in allem irren könnte - so wird es auch im buch beschrieben. damit wird auch später erklärt, wieso er sich nicht überwinden konnte, sich in der newa zu ertränken.

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  • der letzte satz zeigt doch schon, dass er da keine wahrheitsgetreuen aussagen macht. es ist eine mischung zwischen gleichgültigkeit, bitterkeit über die niederlage und einem anteil, seine strafe nicht noch schlimmer zu machen als sie ist. seine aussagen vor gericht haben mit seiner eigentlichen einstellung zu seinem handeln nichts zu tun; hätte er da lang und breit seine idee präsentiert, wäre das nicht nur lächerlich rübergekommen, hätte es im sinne der justiz keinerlei rechtfertigung bedeutet, sondern hätte ihm höchstwahrscheinlich sehr viel mehr als 8 jahre eingebracht. im endeffekt hat er sich ja auch gestellt, weil Porfirij - obwohl er ihn bis ins letzte durchschaut hatte - das angebot machte, nicht zu seinen ungunsten auszusagen um ihm die möglichst mildeste strafe zu verschaffen. selbst wenn in seinen aussagen irgendeine wahrheit stecken sollte, ist das alles nachrangig (...)

    Das klingt plausibel. Allerdings scheint mir schon , dass Dostojewski ein bisschen damit spielt (und vielleicht manchmal den Leser auch ein wenig in die Irre führt), dass er hier und da einen Hauch von Reue anklingen lässt, oder mit seinen Anmerkungen zur wahrheitsgetreuen Aussage vor Gericht.


    "Zum größten Verdruss derer, die diese Ansicht vertraten, versuchte der Verbrecher selbst sich fast gar nicht zu verteidigen"

    "... und vielleicht gerade deshalb, weil der Verbrecher es nicht nur verschmähte, sich zu verteidigen und zu rechtfertigen, sondern gleichsam den Wunsch bekundete, sich noch mehr zu beschuldigen."

    "Der Umstand, dass er von dem Geraubten keinen Nutzen gezogen hatte, wurde teilweise der erwachten Reue (...) zugeschrieben. "

    Das klingt (aus dem Kontext gerissen) eben schon danach, dass es ihm nicht so sehr um Schuldminderung gehen würde. Oder war das Berechnung, vielleicht entsprechend einem Rat von Petrowitsch?

    Mir scheint auch fraglich, dass er, auch wenn ihm klar war, dass dieser Verzicht auf Verteidigung günstig für ihn war, die Kraft haben würde, das auch durchzuziehen, anstatt sich dann doch zu verteidigen, wenn es ihm doch, wie Du sagst, zum Teil auch um Strafminderung ging.


    Ein gewisses Reuegefühl klingt auch hier an:

    "Doch als er diesen letzten Ausruf hervorstieß, begegnete sein Blick zufällig den Augen Dunjas und sah in ihnen soviel, soviel Qual seinetwegen, dass er unwillkürlich zur Besinnung kam. Er fühlte, dass er immerhin diese beiden armen Frauen unglücklich gemacht hatte. Immerhin war er doch die Ursache..."

    Interessant ist auch, dass gegen Ende fast nur (scheint mir) seine Gedanken über den ersten Mord, an Aljona, beschrieben werden, kaum über den an Lisaweta. Hätte er, wenn er seiner Idee treu geblieben wäre, nicht den zweiten Mord unterlassen müssen, auch wenn sie ihn dann nach dem Gesetz als Mörder angezeigt hätte? Hätte er für den zweiten auch gemäß seiner Idee Reue empfinden sollen, oder rechtfertigte seine Idee für ihn auch diesen Mord, weil der erste eine so wichtige, "grandiose" Sache war?

  • wieso liegt dir denn so viel an der reue? glaubst du im ernst, dass jeder verbrecher aufrichtige schuldgefühle empfindet? ich denke dass die wenigsten das tun, auch menschen nicht, die die justiz nicht als kriminelle brandmarken würde, aber zu sehr viel fragwürdigeren handlungen fähig sind. schon gar nicht so ein intellektueller wie Raskolnikow, der sich sein handeln genau nach seiner denkweise ausgerichtet hat. der mensch ist nicht von grundauf gut...ich habe lange zeit geglaubt, dass Schuld und Sühne ein roman über einen menschen ist, der sich aufgrund der tatsache, dass er keine moral mehr anerkennen kann, in seine ideen verlaufen hat und deswegen auch zu den schlimmsten taten fähig ist....zum teil stimmt das wahrscheinlich auch, aber nur zum teil.


    vor gericht hat er widerwillig das gesagt, was eben notwendig war, seine weigerung sich zu verteidigen ist wohl auch nicht zu seinen gunsten gewesen, allerdings ist er einfach nicht so verkommen, dass er alle seine ideen im übermaß von grundauf verleugnen würde, um dem straflager zu entgehen. kein ehrlicher mensch, der ernsthaft etwas auf sich und seine gedanken hält, kann so etwas tun.

    dass einzige das ihm leid tut, ist eben, dass er seine mutter und schwester so unglücklich gemacht hat - das wird doch mit dem "immerhin" ausgedrückt. das steht aber in keinem moralischen kontext; wäre er nicht erwischt worden bzw. hätte er sich nie ausgeliefert, wäre es nie zu dieser situation gekommen.


    mir ist es etwas komisch vorgekommen, dass der mord an lisaweta kaum mehr im roman erwähnt worden ist, allerdings spielt es für seine idee auch keine große rolle. um ein zitat zu bringen, das es relativ auf den punkt bringt und sogar auf wikipedia zu finden ist:

    „Ich wollte damals erfahren, so schnell wie möglich erfahren, ob ich eine Laus bin, wie alle, oder ein Mensch.“

    egal wer sich ihm in den weg gestellt hätte, er hätte sie oder ihn beseitigen müssen, wenn es für die ausführung relevant gewesen wäre. er verschwendet wohl deswegen auch keinen gedanken an lisaweta, weil es irrelevant war, ob er zwei oder zehn menschen hätte umbringen müssen, um seinen plan zu verfolgen (eine person, wie es ursprünglich vorgesehen war, war nur sehr viel realistischer und in der ausführung leichter). was spielt die quantität auch für eine rolle, wenn man schon sagt, man hat als erhabene person das recht dazu, sich über ein einziges anderes leben hinwegzusetzen?

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  • wieso liegt dir denn so viel an der reue? glaubst du im ernst, dass jeder verbrecher aufrichtige schuldgefühle empfindet? ich denke dass die wenigsten das tun, auch menschen nicht, die die justiz nicht als kriminelle brandmarken würde, aber zu sehr viel fragwürdigeren handlungen fähig sind. schon gar nicht so ein intellektueller wie Raskolnikow, der sich sein handeln genau nach seiner denkweise ausgerichtet hat.

    Das Thema Reue interessiert mich generell, aber ich habe es eigentlich nur aufgebracht, weil ich den Roman ja kaum kenne und etwas finden wollte, wo ich Dir "ein bisschen Kontra geben" :--) oder etwas diskutieren kann. Es wäre aber auch ein "schöneres Happy-End" gewesen, wenn am Schluss eine echte Reue von Raskolnikow beschrieben wäre; ohne das ist es natürlich literarisch gesehen kunstvoller und wohl auch deutlich realistischer, wenn Raskolnikow schon, wie Du es beschreibst, jahrelang in seiner Idee festgefahren ist.


    Aufrichtige Schuldgefühle? Da bin ich wohl (vielleicht zum Glück) zu wenig ein Menschenkenner, aber zumindest Gewissensbisse haben wohl (hoffentlich) die meisten. Mit zunehmender Lebensdauer aber wohl immer schwächer, während Raskolnikow ja noch jung ist. Eine gewisse innere Zerrissenheit - der Name Raskolnikow vom russ. "raskolot" = spalten - ist ja wohl auch etwas, was den Roman so interessant macht. Deswegen wollte ich auch Hinweise darauf finden, wie Raskolnikow an seiner Idee zu zweifeln beginnt. In der Sekundärliteratur wird es ja auch oft so dargestellt, Raskolnikow würde am Ende tatsächlich schon seine Tat bereuen.

  • die sache ist denke ich die, dass Raskolinkows verstand überzeugt von seiner idee ist und auch teile seiner seele unbedingt einen beweis brauchen, mehr wert zu sein als andere. der mord war seine feuerprobe, und an der ist er gescheitert; gleichzeitig legt er auch in der zeit nach der tat ein sehr merkwürdiges verhalten an den tag, er geht zurück zur wohnung der pfändnerin und erregt im dämmrigen geisteszustand das missfallen einiger anwohner (er läutet beispielsweise an der haustürglocke der toten). Porfirij wird dadurch erstmals auf ihn aufmerksam, er ist auch mit Raskolinkows eigener theorie bekannt, dass ein verbrecher infolge seines verbrechens eine phase der krankheit zu durchlaufen hat, die durch seine abkopplung von der gesellschaft entsteht. sowas allerdings immer als gewissenskonflikte und sonstiges zu beschreiben ist mir aber zu wenig und erfasst den fall auch nicht, tatsächlich kommt Raskolnikow im wachen zustande auch nicht einmal ein einziger gedanke, dass irgendetwas an seiner handlung falsch gewesen sein könnte. zur reue gehört aber nun mal auch das eingeständnis von schuld; eines der prägnantesten merkmale Raskolinkows und seiner idee ist es, dass sie und er nichts mehr mit humanistischem zeug, oder gerede von schuld, zu tun haben. es ist aber ein anderer teil von ihm, ein "unbewusster" teil, der ihn den kontakt zu Sonja suchen lässt, verhindert sich selbst umzubringen, sich verdächtig macht. mir ist dazu auch noch eingefallen, dass im buch die parallelen zu Swidrigailjow erwähnt werden, der vermutlich ebenso ein mörder ist. als Dunja Swidrigailjows annäherung ablehnt und sie ihm sagt, ihn niemals lieben zu können, entschließt er sich, sich zu erschießen. Raskolinkow fragt sich, wie Swidrigailjow - ein mann von welt, der erst kürzlich ein großes vermögen geerbt hatte und das leben liebte - so etwas fertigbringen konnte, er selbst aber nicht. wahrscheinlich war schon immer ein teil von ihm nicht gänzlich überzeugt von seiner idee (um zum punkt der zerrissenheit zu kommen); und das hat ihn von Swidrigailjow unterschieden, der innerlich bewusst wie unbewusst keine anderen ambitonen mehr hatte als sich Dunja anzueignen. zweifel hat er vielleicht schon immer gehabt, aber nicht in einem intellektuellen sinne und es gibt auch keine einzige passage in dem buch, in dem er sich für den mord an lisaweta vorwürfe macht (an der pfänderin schon gar nicht). Peterson in deinen videos beschreibt es so, als hätte Raskolinkow gemeint, er hätte das recht dazu, die alte umzubringen weil sie gewisse merkmale erfüllte; aber das war gar nicht der kern seiner idee, solche beschreibungen wie "she is a horrible person" sind völlig irrelevant. in fast jedem werk Dostojewskis werden die protagonisten durch ideen getrieben (zumindest zu großen teilen; der mensch besteht aus der welt der natur und der welt seiner ideen) - ebenso raskolnikow - und das außergewöhnliche an seiner literatur ist, dass er darstellt, welche auswirkungen das haben kann. es ist ja auch mehr oder weniger das merkmal eines wirklichen intellektuellen, dass seine ideen auch tatsächlich konsequenzen für seine lebensziele haben. hätte sich Raskolnikow großartige vorwürfe gemacht, wäre damit schon von haus aus diese macht der ideenwelt eingeschränkt worden, die aber gerade in solchen charakteren wie ihm besonders stark ist.


    Das buch hat ein wunderbares ende, es gibt fast kein besseres. er kann mit seiner idee - oder seinem versagen - abschließen und es wird eine wandlung angedeutet, im zuge dessen er sich mit seinen taten auseinandersetzen muss; aber das ist alles jenseits der seiten von Schuld und Sühne.


    aber um ehrlich zu sein argumentiere ich auch nur so viel gegen diese "schuld und reue" geschichte, weil mir diese erklärung einfach zu billig ist. das klingt so wie "na ja wenn jemand ein verbrecher ist hat er halt schuldgefühle und dann sieht er ein was er falsch gemacht hat." das ist so ein grober unsinn, und Dostojewski in keiner hinsicht angemessen. Stavrogin in Die Dämonen, das ist ein mensch, der tatsächlich über den ganzen handlungsverlauf reue mit sich herumträgt. das buch hat aber kein schönes ende.

    To me the most important thing is the sense of going on. You know how beautiful things are when you’re traveling.
    - Edward Hopper

  • (...) Porfirij wird dadurch erstmals auf ihn aufmerksam, er ist auch mit Raskolinkows eigener theorie bekannt, dass ein verbrecher infolge seines verbrechens eine phase der krankheit zu durchlaufen hat, die durch seine abkopplung von der gesellschaft entsteht. sowas allerdings immer als gewissenskonflikte und sonstiges zu beschreiben ist mir aber zu wenig und erfasst den fall auch nicht (...)

    zweifel hat er vielleicht schon immer gehabt, aber nicht in einem intellektuellen sinne und es gibt auch keine einzige passage in dem buch, in dem er sich für den mord an lisaweta vorwürfe macht (an der pfänderin schon gar nicht). (...)

    aber um ehrlich zu sein argumentiere ich auch nur so viel gegen diese "schuld und reue" geschichte, weil mir diese erklärung einfach zu billig ist. das klingt so wie "na ja wenn jemand ein verbrecher ist hat er halt schuldgefühle und dann sieht er ein was er falsch gemacht hat." das ist so ein grober unsinn, und Dostojewski in keiner hinsicht angemessen. (...)

    Anscheinend ist es oft so (hab ich irgendwo gelesen), dass es Verbrecher irgendwann wieder zum Tatort zurückzieht. (Wird z.B. von Karl May oft aufgegriffen.) Kann sein, dass es in "Schuld und Sühne" wenig um Gewissenskonflikte oder Reue geht, aber das sind Themen, die mich selber mehr interessieren als Raskolnikows Idee. Wobei es natürlich sehr interessant ist, wie Dostojewski es beschreibt, wie jemand mit der Zeit eine fixe Idee entwickelt, und auch wie er später darin dann ins Wanken kommt oder zumindest merkt, dass er nicht stark genug ist, mit den Konsequenzen seiner Idee fertigzuwerden.


    Die Stelle vom Mord an Lisaweta und der Pfandleiherin habe ich gelesen, und da ist Raskolnikow immerhin (verständlicherweise) extrem mitgenommen von seiner Tat. Aber da ist er wohl, wie Du sagst, völlig von seiner Idee eingenommen, mit vielleicht etwas unbewusstem Schuldbewusstsein, und merkt einfach, wie er (um mich zu wiederholen) nicht stark genug ist, mit den Konsequenzen seiner Idee fertigzuwerden.