'Der Engel mit der Posaune' - Kapitel 35 - 41

  • ZITAT

    Es ist lange her, daß mich ein Buch dermaßen mitgenommen und aus dem Takt gebracht hat wie dieser Abschnitt.

    ZITATENDE

    Das hatte ich zum 4. Teil (Kapitel 21 - Kapitel 27, Seite 208 - 284) geschrieben. Ich hätte nicht gedacht, daß das so schnell zu steigern ist. Und schon gar nicht in diesem (also dem selben) Buch. Und doch hat der Autor genau das geschafft.

    :yikes :cry :anbet


    Mit Schockstarre beginnt der Abschnitt. Damit habe ich nun überhaupt nicht gerechnet. Selma stirbt, ermordet - und die Indizien deuten auf Henriette als Täterin! Ich habe denen genau so blind geglaubt wie Hans, ohne daß ich mir über meine Gefühlslage Henriette gegenüber im Klaren gewesen bin. Es paßte nicht zu ihr, und dennoch habe ich es ihr zugetraut. Daß es ausgerechnet dann noch Otto Eberhard ist, der nach Prüfung aller Indizien zum Ergebnis kommt, sie sei unschuldig, schlug dem Faß endgültig den Boden aus. Der gewesene Oberstaatsanwalt, der sein ganzes Leben so sehr gegen Henriette war! (Unwillkürlich mußte ich an eine Stelle ich Abdalrachman Munifs "Salzstädte" denken - in meiner Rezi der gespoilerte Satz - als ausgerechnet der, der am Wenigsten damit zu tun hatte, sich um eine Beerdigung eines Menschen, den er nicht mochte, kümmern mußte.) Der hat eine Vermutung, kann ihr aber nicht mehr nachgehen. Als die dann bestätigt wurde, und vor allem die Begründung, ist mir buchstäblich das Blut in den Adern gefroren. Was für ein perfider Plan, der ohne Otto Eberhard möglicherweise vollständig funktioniert hätte!


    Franz stirbt, und erst in seiner Todesstunde überblickt Henriette alles und erkennt, daß sie ihr ganzes Leben falsch lag - daß es richtig war, Franz zu heiraten, erst bei der Beerdigung macht sie ihren Frieden mit ihm und ihrem Leben. Spät. Zu spät?


    Überhaupt die Beerdigung.


    Enkel gab es nicht.“ (S. 392). Stimmt, das ist mir da auch erst so richtig bewußt geworden. Die Schilderung der Ereignisse wurde immer beklemmender. Ständig hatte ich, lauter und lauter werdend, den dumpfen Klang großer Glocken im Ohr. Beim Auftritt des gewesenen Ersten Staatsanwaltes und seinem Ausspruch „Ein Volk, das das Knien verlernt hat, ist zum Tod verurteilt!“ (S. 397) lief es mir eiskalt den Rücken hinunter.


    Ich habe eine ganze Weile gebraucht, bis mir bewußt wurde, daß nicht nur Monate, sondern Jahre verstrichen waren.


    Die politischen Verhältnisse spitzen sich zu, und wieder mir mir meine Lücke in der Kenntnis der Geschichte schmerzlich bewußt. Der ach so liebe Gaetano zeigt sein wahres Gesicht und offenbart damit sein falsches Spiel.


    Als ich gegen Ende die Aussagen von Hermann gelesen habe, war da nur noch blankes Entsetzen. Er hat seine verdiente Strafe erhalten. Die Familie in der Seilerstätte 10 ist klein geworden. Kann es noch schlimmer kommen? Ich fürchte ja.



    Edit. Tippfehler berichtigt

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

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  • Ganz kurz - dem ersten Satz möchte ich mich unbedingt anschließen. Es verschlägt einem zum Teil den Atem.

    Ich schließe mich diesem Satz auch unbedingt an!! Ich bin in diesem Abschnitt kaum zum Luft holen gekommen. Das Buch nimmt mich gefühlsmäßig schon sehr mit!


    Also erst mal der Tod von Selma: ich habe nicht an die Schuld von Henriette geglaubt. Henriette war mir zwar nicht immer sehr sympathsich, aber eine Mörderin habe ich nie in ihr gesehen. Das war mir eigentlich klar, das sie es nicht gewesen ist. Aber was das Ganze dann tatsächlich für ein Komplott war, hätte ich mir auch nie träumen lassen.

    Ja der Hermann, dem habe ich so was dann schon eher zugetraut. Aber das er dabei auch noch seine eigene Mutter mit reinziehen wollte um sie so los zu werden, nur weil sie eine Jüdin ist: einfach unvorstellbar. Ich kann so was überhaupt nicht nachvollziehen, wie man so einen Hass auf die Juden haben kann, wenn die eigene Mutter jüdischer Herkunft ist. Seine Aussagen am Ende des Abschnittes sind einfach nur grauenerregend und entsetzlich.


    Die Beerdigung und die Gedanken von Henriette haben mich auch sehr mitgenommen. Sie erkennt erst nach dem Tod von Franz, was für einen liebevollen Ehemann sie gehabt hat und kann dann für sich noch Frieden mit ihm schließen. Wie schön wäre es doch gewesen, wenn sie es schon vor seinem Tod erkannt hätte und die beiden zumindest ein wenig Glück zusammen hätten empfinden können.


    Ich mache mich mal an den letzten Abschnitt. Irgendwie finde ich es fast etwas traurig, dass das Buch bald zu Ende geht.

  • Ich habe doch eine Weile gezweifelt, ob ich Henriette einen solchen Mord zutrauen würde.


    Eine schlimme Situation für Hans - nach dem Verlust seiner Selma.


    In Kapitel 39 zeigt sich, wes Geistes Kind Orbellini ist. Leider traurige Tatsache, dass das faschistische Italien massiv die entsprechenden Bewegungen in Deutschland und Spanien unterstützt hat.


    Über Dollfuß musste ich nachlesen.

  • Pelican

    Emotional war dieser Abschnitt für mich der härteste. Was im letzten kommt, ist auch nicht ohne, konnte mich dennoch emotional aber nicht mehr so sehr mitnehmen wie dieser Abschnitt. Vielleicht weil das, was kommt, unter Berücksichtigung der Zeit, in der es sich abspielt, zu erwarten ist?

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Eigentlich wollte ich nur erfahren, was es mit Selmas Krankheit auf sich hatte. Und dann habe ich mich festgelesen und konnte erst aufhören, als der Abschnitt zu Ende war. Das war vor ein paar Minuten, und ich bin wie erschlagen von der Fülle der Ereignisse.


    Auch ich hätte ohne zu zögern Henriette den Mord zugetraut. Und jetzt denke ich darüber nach, wie leicht man sich von Vorurteilen leiten und (ver)führen lässt.

    Auch in diesem Abschnitt galt all meine Sympathie und mein Mitgefühl Hans.


    Dass sich Hermann als glühender Nazi entpuppte, hat mich eher auch überrascht. Dass er mit diesen Verbrechern sympathisierte, war nicht ao abwegig, aber das Ausmaß war doch sehr heftig.

    Kinder lieben zunächst ihre Eltern blind, später fangen sie an, diese zu beurteilen, manchmal verzeihen sie ihnen sogar. Oscar Wilde