Heinz Strunk: Das Teemännchen

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  • Nackter Kaiser


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    Als ich dieses Geschichtenbändchen geschenkt bekam, habe ich darüber nachgedacht, welche Bücher von Strunk ich gelesen habe - und wie ich sie fand. Fleischgemüse - schon vierzehn Jahre her übrigens -, keine Frage, das war bahnbrechend, struppig, witzig, authentisch, mitten aus dem Leben und äußerst unterhaltsam. „Die Zunge Europas“ irritierte nur und sonst nichts (Worum ging’s da noch gleich? Ach, egal.), „Fleckenteufel“ war eine lahme „Feuchtgebiete“-Persiflage, „Jürgen“ offenbar ein in die Jahre gekommenes, reanimiertes Manuskript, das man besser hätte sterben lassen, und „Der goldene Handschuh“, na ja. Das war wohl irgendwie richtige Literatur, haben jedenfalls viele behauptet, die vielleicht auch nur auf der Suche nach jemandem waren, den sie als Außenseiter ins Licht rücken konnten, aber ich fand es bemüht und anstrengend und seltsam lapidar, habe nach weniger als hundert Seiten abgebrochen, bin ständig am Zugang vorbeigetappt, wenn da überhaupt einer war. Ich finde Heinz Strunk beeindruckend originell und irre sympathisch, ich mag seine Cameos in irgendwelchen Kumpelserien, das „Studio Braun“-Zeug, fand ihn bei „Fraktus“ genial, seine Auftritte bei „Extra 3“ sowieso, aber als so richtig ernstzunehmender Literat ist er, glaube ich, überschätzt.

    Vor allem von sich selbst.


    „Das Teemännchen“ ist eine sterbenslangweilige und ungeheuer eintönige Sammlung von Geschichten, die keine Kurzgeschichten sind, weil Strunk diese Form nicht beherrscht. Er springt innerhalb der Storys zwischen den Figuren, weil er ihnen vermutlich nicht traut oder weil sie ihm nicht gefallen, und, ja, sie sollen auch nicht gefallen, ganz im Gegenteil: Sie entstammen durch die Bank dem „So stelle ich mir Loser vor“-Baukasten. Mit unkontrollierter Wucht zerschlägt der Autor hier Schicksale, mäht sein Personal nieder wie ein Getreidebauer auf Meth das mit seinen Feldern tun mag, aber schade ist es um keinen. Denn die trübsinnigen Figuren sind unecht, daherbehauptet, blässliche Avatare ohne ein Mü Identifikationspotential. Abziehbilder. Abgezogene Abziehbilder. Was er sagen will, bleibt völlig unklar. Vielleicht: Das Leben ist scheiße, mach lieber was anderes.


    Und die Geschichten sind, mit Verlaub, auch nur mittelhalbgut geschrieben. Diese Story etwa um das Paar, das zwanziglangsam Jahre aneinanderklebt, sie dick und klein, er dürr und groß, beides Langweiler, aber mehr ist da auch nicht, und auf der Autobahn will sie dem dann ein Ende setzen, greift ins Lenkrad - aber erzählt wird das wie ein Weihnachtsmärchen aus den Siebzigern. Oder dieses Geschichtenimitat mit dem hübschen, etwas prolligen Mädchen, das im Grillimbiss endet, im wahrsten Sinne des Wortes - ein gequältes Stück Text, das im Matsch der eigenen Übertreibung versinkt. Oder „Jenny Müller“, diese wirklich widerliche, unangenehm zu lesende, angestaubte Neunziger-West-Ost-Story ohne Charme und Witz und nachvollziehbare Figuren, immerhin aber Motive aus „Fleisch ist mein Gemüse“ wiederbelebend. Oder Fragmente wie diese Strandsache, dann irgendwas kaum Verstehbares mit Autobahnen oder diese Textfetzen - „Miniaturen“, jo! - ganz ohne erkennbaren Inhalt, ohne Bedeutung, ohne Substanz. Etwa dieser obskure, sinnfreie Nachruf auf Lothar Späth. Oder diese - zum Glück sehr kurze - Sammlung von Gedanken darüber, wie ein Mensch, der ohne Arme und Beine geboren wurde, wohl Selbstbefriedigung praktiziert. Dinge, die nicht einmal ein freundearmer Facebooker posten würde, wenn er noch alle Tüten in der Hütte hat.

    Herrgott, was für ein Käse. Empathiefreie Schreibübungen, Menschen als wandelnde Pointen für morbide Witze, dazu eine herz- und substanzlose Schreibe, die einem die Tränen in die Augen treibt: Strunks Papierkorbinhalt zwischen zwei Buchdeckeln.


    Falls der Eindruck entstehen sollte, dass ich mich über dieses Buch ärgere, dann ist dieser Eindruck richtig. Ich ärgere mich kolossal. Das Feuilleton mag Meisterschaft entdecken, Mut, Lakonie, Boshaftigkeit und literarische Würze, aber, mit Verlaub: Ich sehe nur einen nackten Kaiser.


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  • Tom  :wave Keine Sorge, Du bringst Deine Enttäuschung deutlich rüber. Danke für Deine Warnung :anbet

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

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