'Frauen und Töchter' - Seiten 078 - 135

  • In Ermangelung eines TV-Gerätes in jenen Tagen würde ich solcheFortsetzungsromane mit den Serien unserer Jugend vergleichen, SiCollier. Diesewaren meist ein Projekt der ganzen Familie. Über den möglichen Fortgang derGeschichte sprach man miteinander.

    :nerv Ja natürlich. Als ich noch ein Kind war (also vor laaanger Zeit) hatten wir als Fernsehzeitung den "Gong" abonniert. Und da war jeweils ein Fortsetzungsroman drin, der von einigen Familienmitgliedern gelesen und die Folgen dann diskutiert wurden. Und das, trotz des vorhandenen Fernsehers.



    Das, was wir heute oft als zu langatmig empfinden, entsprachdem Tempo der Zeit, in der der Roman entstand. Ich mag die kleinen Andeutungen,die Gaskell streut.

    Was das Tempo angeht, wäre ich im 19. Jahrhundert auch besser aufgehoben als im 21. (Was die Medizin angeht, allerdings eher nicht...)


    Nach dem ersten Lesen von "North And South" habe ich mich ja ein wenig mit der Autorin beschäftigt, manches davon habe ich sogar noch präsent. So fällt mir immer wieder auf, daß Gaskell viel vom Leben der sog. kleinen Leute wußte und auch, manchmal ganz nebenbei, im Roman auftaucht.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Immer wieder muss ich mich daran erinnern wann der Roman geschrieben wurde. In der heutigen schnelllebigen Zeit tut man sich mit solchen Romanen eher schwer, also ich zumindest. Dabei hatten die Leute einfach auch anders Zeit, zumindest die besser gestellten Herrschaften. Das vergesse ich beim lesen des Buches immer wieder und muss mich dann selbst ein bisschen bremsen. Zum entschleunigen ist das Buch nämlich echt gut.

  • Was sagt es über mich aus, nicht den Fernseher anzuschalten und trotzdem nicht voranzukommen?

    Zurzeit bin ich im 9.Kapitel angelangt, richte mich im Buch ein und passe mich der Gaskellschen Zeit an.

    Definitiv ein Buch, das mir Muße abverlangt.


    Was dem Roman absolut nicht schadet, ist Gaskells Humor verbunden mit einem und ihren Figuren eigenen (Heirats-)Pragmatismus. Mollys Vater bekommen wir wohl noch unter die Haube... und ein paar andere Figuren auch noch.

  • Och, diesen "Heiratspragmatismus" gab es anscheinend auch noch lange, nachdem dieses Buch angesiedelt ist. Ich unterbreche jetzt hier für den zweiten Band der "Greifenau-Trilogie", und da gibt es auch so eine Haßfigur wie hier Mrs. Gibson, dort ist es die (Mutter) Gräfin Feodora, die ihre Kinder aus "Heiratspragmatismus" eines nach dem andern verschachern möchte (Beginn der Trilogie 1913). Man wird hier wie dort sehen, inwieweit diese "Bemühungen" von Erfolg gekrönt sein werden. :grin

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Dazu habe ich erst kürzlich einen ganz interessanten Artikel gelesen. Anlässlich der 100 Jahre Frauenwahlrecht ging es allgemein um den Stand der Emanzipation. Da äußerte sich eine Hebamme (?), die in den achtziger Jahren auf die "wir brauchen keine Männer"-Schiene geraten ist. Heute bezieht sie Grundsicherung, weil die eigene Rente minimal ist. Und plädiert dafür, dass eine Ehe immer noch eine gute Altersvorsorge ist - weil der Stand der Emanzipation durch die Einkommensunterschiede einfach nicht so weit ist. Ich glaube, die hat ein Buch darüber geschrieben.

    Leider kann ich mich nicht an alle Einzelheiten erinnern, aber der Artikel stand sicher nicht nur hier in Zeitung, vielleicht kann und mag noch jemand ergänzen.


    Ich dachte beim Lesen noch, dass man manches auch anders sehen kann, dass die Argumente aber gerade für Frauen mit niedrigem Einkommen auch nicht von der Hand zu weisen sind. Und ich rede gerade von einem Artikel aus 2019;)

  • Es ist sicher auch heute noch etwas daran, daß eine Ehe eine Art Altersvorsorge sein kann. Warum auch nicht? Nur halte ich das als einzigen (oder gar wesentlichen) Grund für eine Eheschließung allerdings nicht für eine tragfähige Basis einer Beziehung, die im Idealfall viele Jahrzehnte dauert. Aber vermutlich hat Brigitte recht, wenn sie darauf hinweist, daß es solchen "Heiratspragmatismus" auch heute noch vielfach gibt. Ob das dann allerdings gute Ehen sind, in denen die Partner glücklich werden, sei dahingestellt.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • :gruebel So lange beide nicht allzu romantische Vorstellungen haben und sich gegenseitig mit Respekt behandeln, könnte das schon eine tragfähige Beziehung werden.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • So lange beide nicht allzu romantische Vorstellungen haben und sich gegenseitig mit Respekt behandeln, könnte das schon eine tragfähige Beziehung werden.

    :write Ich wollte das nicht zu sehr ausbreiten. Es kommt, denke ich, da immer darauf an, welche Erwartungen die "Betroffenen" haben. Hier hatten Mr. Gibson und seine Frau jedoch verschiedene: Mr. Gibson wollte eine Anstandsdame und eine Ersatzmutter für seine Tochter (mit dem "angenehmen Nebeneffekt", daß gleich eine Schwester dazu kam) und einen versorgten Haushalt, damit er sich um nichts mehr als seine Arbeit kümmern muß, die neue Mrs. Gibson wollte versorgt sein und ein angenehmes Leben haben, gesellschaftlich möglichst hoch stehen, und vor allem für den Schein leben. Ohne Rücksicht darauf, was die betroffene Umgebung (hier vor allem Molly) davon hält. Da sind Konflikte vorprogrammiert.


    Spannend wird es, wenn Dr. Gibson der Kragen platzt. Nur ob das bei seiner überaus großen Bequemlichkeit je passieren wird, ist eine ganz andere Frage.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • :write Ich wollte das nicht zu sehr ausbreiten. Es kommt, denke ich, da immer darauf an, welche Erwartungen die "Betroffenen" haben. Hier hatten Mr. Gibson und seine Frau jedoch verschiedene: Mr. Gibson wollte eine Anstandsdame und eine Ersatzmutter für seine Tochter (mit dem "angenehmen Nebeneffekt", daß gleich eine Schwester dazu kam) und einen versorgten Haushalt, damit er sich um nichts mehr als seine Arbeit kümmern muß, die neue Mrs. Gibson wollte versorgt sein und ein angenehmes Leben haben, gesellschaftlich möglichst hoch stehen, und vor allem für den Schein leben. Ohne Rücksicht darauf, was die betroffene Umgebung (hier vor allem Molly) davon hält. Da sind Konflikte vorprogrammiert.


    Spannend wird es, wenn Dr. Gibson der Kragen platzt. Nur ob das bei seiner überaus großen Bequemlichkeit je passieren wird, ist eine ganz andere Frage.

    Sehr gut zusammengefasst.

    Nur frage ich mich, ob Gaskell im weiteren Verlauf der Geschichte Mr. Gibson nicht zu einer Entwickling verhilft, die ihn weniger eindimensional erscheinen lässt.

    Warum denke ich bei Mr. Gibson unweigerlich an Mr. Bennet aus Stolz und Vorurteil?

    Immer den Weg des geringsten Widerstands gehend...

  • Warum denke ich bei Mr. Gibson unweigerlich an Mr. Bennet aus Stolz und Vorurteil?

    Immer den Weg des geringsten Widerstands gehend...

    Stimmt, da besteht so eine Art "Seelenverwandtschaft".




    Ich denke, diese sind ein zentrales Thema von Frauen und Töchtern, wie der Titel nahelegt.

    Auf der Suche nach dem Erscheinungsdatum des Buches (1865, ich wußte es momentan wirklich nicht mehr :rolleyes ) bin ich auf den Wikipediaartikel zu Elizabeth Gaskell gestoßen und fand dort den Hinweis, daß „Frauen und Töchter“ als Anspielung auf Turgenjews „Väter und Söhne“ verstanden werden kann. Hm. „Väter und Söhne“ habe ich im September 2018 gelesen. Das Buch war sehr beeindruckend. So beeindruckend, daß ich ... praktisch nichts mehr davon weiß, außer, daß es mich nicht überzeugen konnte. Aber warum, auch das weiß ich nicht mehr.


    Jetzt habe ich nochmals in meinen damaligen Leserundenaufzeichnungen nachgelesen - das war eine LR bei Lovelybooks - und nicht mal die Stelle, die ich als die bezeichnet habe, die ich wohl nie vergessen werde, habe ich noch im Kopf (im Gegensatz zu der in der LR zitierten Stelle eines Buches, das ich vor etwa 43 - :yikes - Jahren gelesen habe). Ich schätze, daß es mir mit diesem Buch hier allerdings ganz anders ergehen wird.


    Anscheinend hat Elizabeth Gaskell die Probleme zwischen "Frauen und Töchtern" besser beschrieben als Turgenjew die zwischen "Vätern und Söhnen".

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Warum denke ich bei Mr. Gibson unweigerlich an Mr. Bennet aus Stolz und Vorurteil?

    Immer den Weg des geringsten Widerstands gehend...

    :write


    Mr. Bennet würde diesen Vergleich allerdings weit von sich weisen. Er geht schließlich keiner Arbeit nach. Er ist ein Gentleman! Ein gutes Buch in seiner Bibliothek mehr braucht dieser genügsame Herr nicht. Störungen jeglicher Art sind unerwünscht. Das müsst Ihr doch verstehen. Und bei fünf Töchtern und dieser Frau ... :grin:grin:grin:grin:grin

  • „Väter und Söhne“ habe ich im September 2018 gelesen. Das Buch war sehr beeindruckend. So beeindruckend, daß ich ... praktisch nichts mehr davon weiß, außer, daß es mich nicht überzeugen konnte. Aber warum, auch das weiß ich nicht mehr.


    Jetzt habe ich nochmals in meinen damaligen Leserundenaufzeichnungen nachgelesen - das war eine LR bei Lovelybooks - und nicht mal die Stelle, die ich als die bezeichnet habe, die ich wohl nie vergessen werde, habe ich noch im Kopf (im Gegensatz zu der in der LR zitierten Stelle eines Buches, das ich vor etwa 43 - :yikes - Jahren gelesen habe). Ich schätze, daß es mir mit diesem Buch hier allerdings ganz anders ergehen wird.


    Dieses Phänomen kenne ich. Es gibt Bücher, da weißt du, sie haben dich beeindruckt - aber den Inhalt wiedergeben? :yikes


    Und andere Bücher, die hast du vor Jahren gelesen, und bei denen erinnerst du dich stellenweise an jedes Wort. :lesend

  • Ein gutes Buch in seiner Bibliothek mehr braucht dieser genügsame Herr nicht. Störungen jeglicher Art sind unerwünscht. Das müsst Ihr doch verstehen. Und bei fünf Töchtern und dieser Frau ...

    Auch wieder wahr. :grin ;-)



    Dieses Phänomen kenne ich. Es gibt Bücher, da weißt du, sie haben dich beeindruckt - aber den Inhalt wiedergeben?

    Oh je, möglicherweise habe ich mich mißverständlich ausgedrückt. In meinem Zusammenhang meinte ich "beeindruckend" sehr ironisch oder genauer - es hat mich nicht beeindruckt. Ich dachte, das sei dadurch, daß ich praktisch nichts mehr von dem Buch weiß, klar geworden. Da hätte ich mich anders ausdrücken müssen. Das Einzige, was ich von dem Buch noch sicher weiß ist, daß ich es nicht sehr "russisch" empfunden habe.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zu diesem Abschnitt hatte ich bisher noch nichts geschrieben. Hier wurde ja mal, in Person des Squire Hamley, ziemlich über die Cumnors hergezogen:


    "Und diese Cumnors, von denen in Hollingford solch ein Aufhebens gemacht wird, waren doch gestern noch der reine Plunder. (...) Denn, sehen Sie, Osborne wird eine erstklassige Erziehung genossen haben, und seine Familie stammt aus der Zeit der sieben Reiche, wohingegen ich schon froh wäre, wen ich wüsste, wo sich die Familie Cumnor in der Zeit von Königin Anna herumgetrieben hat."


    Merkwürdig ist auch diese Aussage des Squire; der hat wohl noch nie was von der Büchereule gehört:


    "Das muss doch langweilig für Sie sein, Mädchen, den lieben langen Vormittag ganz allein und nichts als Bücher zum Anschauen." :unverstanden


    Vielleicht hatte der Squire unter anderem die Fähigkeit Lady Cumnors zum punktgenauen Zusammenbrechen gemeint; so etwas will aber auch erst einmal gelernt sein:


    "Endlich hatte sie Zeit, krank zu sein. Sie war jedoch zu rührig, um diesem Laster ständig zu frönen; nur gelegentlich, nach einer längeren Zeitspanne mit Abendessenseinladungen, spätem Aufbleiben und Londoner Klima, erlaubte sie sich, zusammenzubrechen." :krank


    Bei dieser Stelle könnte man im ersten Moment durchaus einen Mordverdacht gegen Clare hegen:


    "Später hatte er von ihrer Heirat mit einem Hilfsgeistlichen gehört und am Tag darauf von seinem Tod."

  • Diesen Mordverdacht hatte ich auch kurzzeitig. :gruebel

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Siegfried Lenz: Der Verlust

  • Allerdings wird das gleich im Satz darauf etwas relativiert (und es würde auch nicht zum Roman passen):


    "Später hatte er von ihrer Heirat mit einem Hilfsgeistlichen gehört und am Tag darauf von seinem Tod. So kam es ihm zumindest vor, an die genaue Dauer des Zeitraums konnte er sich nicht erinnern."


    Gegen Lady Cumnor könnte Squire Hamley noch mehr vorbringen:


    " 'Wenn die Vorsehung zulässt, dass Mylady bei klarem Verstand bleibt, wird bis zu ihrer Sterbestunde alles nach ihrem Kopf oder aber überhaupt nicht gehen.' (…) Solche Machtworte 'ab extra' bedeuten für Menschen, die gewohnt sind zu entscheiden, manchmal eine wunderbare Erleichterung (….); wenn der Druck nachlässt, den die Veranlagung zu unfehlbarer Weisheit [!] mit sich bringt, trägt dies mitunter viel zur Genesung bei. Mrs. Kirkpatrick dachte insgeheim, dass es noch nie so leicht gewesen sei, mit Lady Cumnor auszukommen, und Bradley und sie konnten nicht genug das Lob von Mr. Gibson singen, der Mylady 'so schön gefügig' machte."


    Mr. Gibson hat ja auch fast schon (übertrieben gesagt) eine Paranoia in dem Gedanken, er sei von unruhestiftenden und unvernünftigen Frauen (und nicht nur von denen, siehe Mr. Coxe) umgeben:


    "Ich wollte, ich hätte ein kleines Haus, das im Jahr fünf Pfund kostet, und im Umkreis von zehn Meilen keine Frau. Vielleicht hätte ich dann meinen Frieden. (…) Ich wollte nur sagen, dass der Vorschlag, ich solle in Hamley schlafen, nur von einer Frau kommen kann: Er ist gut gemeint, aber völlig unvernünftig."


    Bei solchen Aussagen ist er "seinem kühlen, spöttischen Wesenskern [wohl] um einiges näher". Mrs. Hamley kontert dann auch dementsprechend gekonnt: :vorsicht


    "Gut, gut, ich ergebe mich. Ich bin eine Frau. Molly, auch du bist eine Frau. Lass für deinen Vater Erdbeeren mit Sahne bringen; solche niederen Dienste fallen in den Aufgabenbereich der Frauen. Erdbeeren mit Sahne sind ausschließlich gut gemeint und völlig unvernünftig, denn er wird eine schreckliche Magenverstimmung davon bekommen." :grin