Hermann Melville - Moby Dick

  • Es macht wohl wenig Sinn, im alten Leserunden Thread zu schreiben, deshalb ein paar Gedanken hier.


    Ich lese die Ausgabe des Hanser Verlags von 2001 in der neuen Übersetzung von Matthias Jendis. Mir war vorher nicht klar, welch ein belesener und lebenserfahrener Mann Melville war.

    Für mich sind die Anmerkungen und die Erklärungen der seemännischen Begriffe eine große Hilfe.

    Manche Zitate und Anspielungen im Text wären sonst für mich völlig unverständlich.


    zu Kapitel 27 - 40


    Die Vorstellung der Herren Offiziere ist äußerst ausführlich und es sind ganz unterschiedliche Charaktere. Über allem steht aber die absolute Befehlsgewalt des Kapitäns und die strikten Regeln an Bord.

    Besonders die Darstellung der Mahlzeit fand ich sehr gelungen. Die völlig unterschiedliche Stimmung. Hier sagt keiner einen Mucks und Ahab teilt die Portionen zu. Der arme Flask, der sich nicht einmal satt essen kann.

    Ganz anders das Essen der Harpuniere. Hier muss einem der arme Teigkopp (schöner Name!) wirklich leid tun, muss er doch springen, um die Wünsche der drei Kerle zu erfüllen.


    Die Steuerleute und die Harpuniere haben in den Booten ganz unterschiedliche Aufgaben. Bei den Harpunieren kommt es vor allem auf Treffsicherheit und körperliche Kraft an. Die Steuerleute müssen das Boot beherrschen und das Verhalten des Wals vorhersehen. Eine mörderische Unternehmung!



    Interessant fand ich, dass Melville sich für die Einordnung des Wals als Fisch entschieden hat, wo doch Linnés Einschätzung nebst den zutreffenden Argumenten von ihm selbst zitiert wurde.


    Kapitel 41 - 53


    Ganz schön metaphyisch, dieses Kapitel über "Weiß". Etwas anstrengend aber auch faszinierend, was Melville da wieder so alles an Informationen, manchmal auch nur Gerüchten und Aberglauben, zusammenträgt.

    Auch die Beschreibung Ahabs gefällt mir zunehmend besser. Natürlich ist er wahnsinnig, aber andererseits dann wieder bei völlig klarem Verstand. Eine schreckliche Mischung.


    Vielleicht muss man auch auf eine bestimmt Weise wahnsinnig gewesen sein, um zu damaligen Zeiten auf Walfang zu gehen. Waren die Schiffe schon nicht gerade groß, die Fangboote waren winzig und es erscheint mir immer wieder erstaunlich, dass überhaupt jemand lebendig vom Walfang zurückkam. Nicht zu vergleichen mit den Walfangschiffen späterer Zeiten.

  • Inzwischen war ich in Kapitel 48 mit im Walfangboot. Schauerlich! Allein die Beschreibung wie Queequeq Ausschau hält und danach Flask von Daffoo in die Höhe gehoben wird, um bessere Übersicht zu haben.


    Und kaum ist Ismael gerettet, denkt er daran sein Testament (Zum vierten Mal!) zu machen und kann nun ruhig alle Herausforderungen des Meeres auf sich zu kommen lassen.

    Ganz offensichtlich gehört zum Seefahrerleben ein gewisser schwarzer Humor.

  • "Vielleicht muss man auch auf eine bestimmt Weise wahnsinnig gewesen sein, um zu damaligen Zeiten auf Walfang zu gehen."

    Seefahrt war zu allen Zeiten extrem gefährlich - wenigstens bis ins 20. Jahrhundert hinein. Der Wahlspruch der Hanse lautete: Navigare necesse est, vevere non necesse!

    Bei der ersten Weltumseglung durch Magellan kehrten z.B. nach drei Jahren von 230 Mann noch 30 zurück. Das war nicht ungewöhnlich für die Zeit.

    Was trieb die Menschen im 19. Jahrhundert darüber hinaus auch noch zum Walfang? Ganz sicher nicht "eine bestimmte Weise" von Wahnsinn. Für einige Wenige das Abenteuer. Für die allermeisten aber war es schlicht die Not, aber auch der enorme Profit, den der Walfang versprach. Schau dir mal die Villen auf Nantucket an! Zum Glück wurde in den Dreißigern des 19. Jahrhunderts das erste Erdöl gefunden, sonst hätten wir keine großen Wale mehr auf diesem Planeten ...

    Für Melville finde ich eigentlich nur Superlative. Kaum jemand hat das Meer in einer solch epischen Breite beschrieben wie er. Und was Moby Dick anbelangt: Alles, was die Naturwissenschaft längst geklärt hat, kann man getrost überlesen, aber ansonsten ist das Werk grandios. Wurde auch immer als geniale Parabel auf die Moderne gedeutet. Es gibt wohl auch kaum ein dramatischeres Finale in der Weltliteratur. Schade, dass er den Erfolg des Werkes nicht mehr erlebt hat.

  • Überall, wo Menschen den Naturgewalten direkt ausgesetzt waren, bestand immerzu Lebensgefahr.

    Das war eine Begleiterscheinung bei allen Erkundungen, egal ob im Polarmeer, der Antarktis oder im Dschungel. Um das um der Entdeckung oder des Ruhms willen in Kauf zu nehmen, brauchte es schon einen bestimmten Typ Mensch.

    Bei den Walfängern (Robbenfängern, Kabeljaufischern.....) kam dann noch, wie du schon geschrieben hast, der wirtschaftliche Anreiz dazu.


    Bevor ich mich anlässlich dieses Buchs mit Melville beschäftigt habe, war mir gar nicht bewusst, wie viel der Mann geschrieben hat und wie wenig Erfolg er meist damit hatte.

    Ganz bestimmt werde ich demnächst: Barleby der Schreiber lesen. Auch die Meistererzählungen stehen auf der Liste.

  • Durch Moby Dich habe ich mich durchbeissen müssen, aber Bartleby fand ich klasse! Hat mich bestärkt, auch mal "Nein" zu sagen. Es ist ein sehr dünnes Buch, aber ich kann es nur empfehlen!

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • Danke für den Tipp.:wave

    Ich denke, man muss sich schon konzentrieren und gut bei der Sache bleiben, um Freude an Melville zu haben. Zudem sind seine manchmal sehr ausschweifenden und ausführlichen Schilderungen nicht jedermanns Sache.

    Aber welche Freude man dran haben kann!


    Bei der berühmten Frage nach dem Buch, das auf die einsame Insel mitgenommen werden soll, würde ich derzeit ohne jedes Zögern mit : Moby Dick antworten.

    Das ist kein Buch, das ist eine ganze Welt.


    Mittlerweile bin ich bei Kapitel 54 angekommen. Sozusagen eine Geschichte in der Geschichte. Ismael erzählt einigen spanischen Herren in Lima diese geheime Geschichte, von der an Bord nur einige wenige Kenntnis hatten.

  • Angekommen bin ich bei Kapitel 78, Brunnen und Eimer.

    Die Schilderung der Waljagd und der anschließenden Verwertung der wertvollen Walteile ist schon schauerlich. Auch von Seiten der Gefahren für die Mannschaft. Hier fand ich das Kapitel 72, Affentamp besonders eindrücklich, wo Queequeg, am Seil verbunden mit Ismael, einen Haken im Rücken des Wals befestigt. Eine für beide lebensgefährliche Arbeit.

    Danach kann es natürlich auf keinen Fall eine Ingwerbrühe geben, da kommt nur Branntwein in Frage!

    Solche einzelnen "Schnipsel" am Rande der eigentlichen Handlung finde ich oft besonders interessant.

  • :thumbup: Respekt Rumpelstilzchen Ich habe es damals nicht geschafft, dieses Buch bis zum Ende zu lesen. Irgendwie habe ich diese Spannungen an Bord nicht ausgehalten.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando

  • Ich war damals auch begeistert, als ich das Buch gelesen habe. Ich hatte eher einen Abenteuerroman erwartet.


    Im Anschluss habe ich dann Bartleby gelesen. Es hat mich sehr berührt. Es war traurig und schön zugleich.


    Ich glaube, ich sollte mal wieder was in der Art lesen.

  • Mein Lesezeichen steckt am Anfang von "Chapter 42 The Whiteness of the Whale" auf Seite 156 der Taschenbuchausgabe.

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    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend Virginia Woolf: Orlando