60 Kilo Sonnenschein - Hallgrímur Helgason

  • 60 Kilo Sonnenschein

    Hallgrímur Helgason

    Übersetzer: Karl-Ludwig Wetzig

    Tropen Verlag

    ISBN: 3608504516

    400 Seiten, 25 Euro


    Über den Autor: Hallgrímur Helgason, geboren 1959 in Reykjavík, besuchte nach dem Studium an der Hochschule für Kunst und Kunstgewerbe in Reykjavík für ein Jahr die Kunstakademie in München. Den internationalen Durchbruch brachte ihm 1996 der Roman »101 Reykjavík«, der kurze Zeit später verfilmt wurde. Helgason ist einer der international erfolgreichsten Autoren Islands.


    Amazon-Kurzbeschreibung: Ausgezeichnet mit dem Isländischen Literaturpreis für den besten Roman des Jahres.

    60 Kilo Sonnenschein ist die Geschichte von Gestur, einem unehelichen Bauernsohn aus dem fiktiven isländischen Dorf Segulfjörður. Während er bei immer neuen Ziehvätern heranwächst, schließlich selbst Vater wird, erwacht auch das moderne Island. Große Fischfänger steuern eines Tages den Hafen an, bringen Exotisches und Fremdes aus dem Umland und der weiten Welt. Mit den Waren kommen auch neue Werte, neue Moden und Gefühle ins kalte und tief verschneite Segulfjörður. Humorvoll, turbulent und mit unvergesslichen Figuren erzählt Hallgrímur Helgason vom Weg Islands in die Moderne.


    Island – geprägt von bitterer Armut früherer Generationen, starken Stürmen und Vulkanausbrüchen, gebeutelt von der noch nicht lange zurück liegenden Finanzkrise, kann eigentlich nur Autoren hervorbringen, die es lieben, sich mit düsteren Geschichten und ebenso düsteren Kriminalfällen zu beschäftigen. So dachte ich bisher, doch Hallgrímur Helgason hat mich eines Besseren belehrt.

    Gleich zu Beginn lässt er einen zukünftigen Witwer über die Schneedecke eines zugeschneiten Fjordtals wandern, auf der Suche nach seinem Hof, der irgendwo unter dem Schnee sein muss, es ist Weihnachten, es ist bitterkalt und wir vermuten schon beim Lesen, dass es nicht gut ausgehen kann für die Bewohner des Hofes; da spricht er uns direkt an und nennt uns „Büchermenschen, die die Dinge aus gehöriger Entfernung verfolgen, von der vollkommenen Stille des Lesens umgeben, die um das Bettzeug herrscht…“ und unterstellt uns, dass wir die Verzweiflung anderer im Schein der Nachttischlampe genießen. Das ist das erste Mal, dass er sich ein wenig über uns Leser lustig macht und in der Folge tut er das auch mit seinen Figuren, ja eigentlich mit allen Isländern. Trotzdem nimmt man es ihm nicht übel, denn das ist nur eine Seite seiner Sicht auf sein Volk.


    Sehr anschaulich berichtet er von den Bewohnern des kleinen fiktiven Dorfes Segulfjörður, die Anfang des letzten Jahrhunderts in bitterer Armut leben mussten. Er schildert sie mit all ihren traurigen Lebensumständen, aus denen sie sich selbst nicht befreien können und obwohl er sich auch hier ein wenig über ihre Hilflosigkeit lustig macht, so merkt man ihm an, dass er seine Figuren mag.

    Wenn die Kurzbeschreibung besagt, dass es in diesem Buch um Gestur geht, der Junge, dessen Vater ihn als einzigen Überlebenden des zugeschneiten Hofes findet, so verfolgen wir nicht nur den weiteren Weg Gesturs, sondern lernen nach und nach alle Bewohner des kleinen Ortes kennen. Dabei wird immer deutlicher, dass wir es mit einer Art isländischen Schelmenroman zu tun haben, dessen Autor es fantastisch versteht, von einer ungewöhnlichen Figur zur nächsten zu springen. Mit einer schier unendlichen Lust am Fabulieren widmet er sich jedem einzelnen Schicksal und lässt trotz der eigentlich düsteren Szenerie immer wieder einen eigenwilligen Humor durchscheinen, der sofort alle Düsterkeit vertreibt: „Nicht viele Völker auf dieser Erdhalbkugel erlaubten sich, nur in Nachtkleidern herumzulaufen, und Besucher aus dem Ausland hatten öfter Probleme mit diesem Harngelben Anblick, da es weniger Waschtage gab, als Tage, an denen mal etwas nachtröpfelte.“


    Dies Buch ist eindeutig mein Jahreshighlight 2020. Es lies mich lachen, immer wieder staunen, hat mich fasziniert und ich konnte nicht genug bekommen von der großen Erzählkunst und Freude des Autors an seinen Figuren und seiner Geschichte.


    ASIN/ISBN: 3608504516

  • Lesenswert

    Der isländische Schriftsteller Hallgrimur Helgason schreibt über die isländische Mentalität und die Wetterbedingungen. Seine Figuren sind immer etwas bizzar.


    60 Kilo Sonnenschein führt uns in die Armut Islands. Es ist die Geschichte Gesturs, der als Kleinkind seine Eltern verlor, das ist ergreifend. Aber der Autor zeigt auch andere Figuren, deren Leben er mit besonderer Sprache erklärt. Da wird es auch manchmal etwas witzig.

    Nebenbei bekommt man Einblick in den Haifang und was man von ihnen braucht. Der arme Fischerort entwickelt sich .


    Der Autor schreibt sehr literarisch, der Roman liest sich darum nicht ganz so leicht. Man muss dran bleiben. Aber es lohnt sich.

    Unbedingt lesenswert.

  • Eskalina

    Hatte mich nach Deiner Rezi gestern doppelt auf die Lesung abends gefreut und dann dort von dem Trauerfall erfahren. Es wurde dem Publikum dann gesagt, dass er auf Lesereise in Deutschland kommen würde, sobald das wieder möglich sei.

    "It is our choices, Harry, that show what we truly are, far more than our abilities." Albus Dumbledore
    ("Vielmehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Entscheidungen, die zeigen, wer wir wirklich sind.")

  • Unaufgeregt und ruhig, aber sehr bildhaft beschreibt Hallgrímur Helgason das Leben in Island um die Jahrhundertwende. Wir lernen, warum die Isländer keine Haare mögen und die Kargheit lieben, wie mit vermeintlichen Autoritätspersonen umgegangen wird und dies alles im Rahmen des Lebens vom kleinen und später großen Gestur - und immer mit einem ganz eigenen, nordischen Humor.

    Wer diesen und den Norden liebt, wird seine Freude an diesem Buch haben.

    Vielleicht weniger geeignet für ungeübte Leser, die einen einfachen Schreibstil bevorzugen.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“