Gendern - notwendig oder nervig?

  • Zum Thema Alltagsrassismus: Bis wir so weit sind, dass Eltern die neue Klasse ihres Kindes betreten und nicht automatisch bemerken wie viele Kinder farbig, asiatisch, südeuropäisch, behindert, Kopftuchträger oder anderweitig von der "weißen Norm" abweichend sind, werden noch einige Generationen vergehen. Sich jetzt deswegen zu schämen finde ich allerdings zu viel, solange es das Handeln nicht beeinflusst. Leider erlebt die farbige Freundin meiner Jüngsten immer noch rassistische Übergriffe, hauptsächlich in Form von fiesen Bemerkungen, und an der Stelle schäme ich mich für meine Mitbürger.


    Die Genderdebatte betrifft mich auch innerhalb der Familie da sich mein großes Kind als non-binary sieht. Seitdem fällt es mir deutlich mehr auf. "Liebe Mitarbeitende" finde ich trotzdem dämlich...

    “You can find magic wherever you look. Sit back and relax all you need is a book." ― Dr. Seuss

  • Gehört für Dich zum "sprachgebrauchenden Alltag" auch das Amtsdeutsch oder das was in Öffentlich-rechtlichen Sendern gesprochen wird?

    Ja. Und obwohl ich verstehe und respektiere, warum einige Menschen gendern und was sie damit zum Ausdruck zu bringen versuchen (während es sich für nicht wenige andere um ein reines Machtspiel handelt, bei dem es nicht um Diskriminierung geht, sondern um Meinungsherrschaft), bin ich doch - siehe vorige Postings - von der voraussetzenden Behauptung alles andere als überzeugt. Außerdem ist das ein zutiefst politischer Vorgang, nicht nur aufgrund der Tatsache, dass es politische Fraktionen gibt, die dem eher zu- oder abgeneigt sind, sondern weil es vielfältige politische Implikationen gibt. Es gibt aber keinen Konsens hierzu, es gibt nicht einmal eine institutionalisierte gesamtgesellschaftliche Debatte. So erweckt es den Eindruck, als würde eine sehr kleine und oft recht engstirnig agierende Minderheit den anderen ihren Willen aufzuzwingen versuchen, und auf so etwas reagiere ich immer allergisch.

  • Ich versuche mal es für mich ein bisschen zu sortieren:

    internalized racism: Die Definition, die ich gefunden habe, ist: internalization of racial oppression by the racially subordinated, übersetzt also die Internalisierung der rassistischen Unterdrückung durch die rassistisch Unterdrückten. Ich denke da an jahrhundertelange Historie, die man nicht einfach so mal eben abschüttelt. Für Gleichberechtigung muss man sich innerlich auf Augenhöhe fühlen. Das Stichwort in diesem Kontext scheint mir Self-Empowerment.

    white defensiveness: Um Gleichberechtigung entstehen lassen zu können, ist Kommunikation miteinander unumgänglich. Eine Kommunikation über ein Problem ist aber nur möglich, wenn akzeptiert wird, dass es ein Problem gibt. Dieses Themengebiet umschreibt, dass es diesen Gesprächspartner für Betroffene nicht gibt. Auf einer abstrakten Ebene ggfls. schon, aber es ist kein Gespräch mit einem Täter möglich, da niemand sich selbst oder seine Gruppe jemals konkret als Täter sieht. Es gibt Rassismus, aber keine Rassisten. Ggfls. wird sogar die Existenz von Rassismus verleugnet.
    Das erinnert ein bisschen an das Schulz von Thun Kommunikationsquadrat - die Ampel ist grün usw.
    Über Missverständnisse fällt es vielen schwer zu sprechen.
    Kommt Kritik wegen etwas wie 'Rassismus' um die Ecke, wird's kein klärendes Gespräch mehr geben.

    Dieses Phänomen der white defensiveness, die vermutlich auch für andere Diskrimierungsformen greift, hängt dann vielleicht wirklich mit Gendern zusammen. Ohne Kommunikation mit den Betroffenen, was das Problem vorrangig ist und wie man das Problem sinnvoll angehen kann, bleibt einem nichts anderes übrig, als sich selbst Persilscheine auszustellen. Wir gendern, wir haben Quoten, es kann also alles nur in Ordnung sein.

    Wie siehts dann mit der Kultur aus?
    Ich erinnere mich, dass ich es früher auffällig fand, dass in Stephen King Verfilmungen Schwarze immer nur Nebenrollen spielten, in denen sie ziemlich schnell starben.
    Im Sinne des internalized racism sind gleichberechtigte Rollenmodelle in der Kultur wichtig. Damit wir eine diverse Gesellschaft auf Augenhöhe haben braucht es gleichberechtigte Identifikationsfiguren.
    Geschichten schaffen Bewusstsein.
    Ich habe den Eindruck, dass die Medien Schwierigkeiten haben mit der Geschwindigkeit des derzeitigen gesellschaftlichen Wandels überhaupt Schritt zu halten, sie bilden meist die Vergangenheit ab.

    Nur all das scheint mir dann doch seine Ursache nicht im soziologischen Mainstream zu haben. Der scheint mir die Phänomene lediglich zu beschreiben.
    Es scheint mir wirklich eher das soziologische Phänomen zu sein, das sich im white defensiveness äußert. Dieses scheint uns in vordergründige Lösungen zu zwingen, statt es wirklich anzugehen.

    I never predict anything, and I never will. (Paul Gascoigne)

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  • Auch kurz von mir ein Dankeschön für das Diskussionsniveau. Ich bin noch nicht durch, lese aber morgen oder übermorgen weiter, soweit es die Zeit erlaubt.

    Persönlich bin ich noch bei der Meinungsbildung, was das Gender-Sternchen betrifft, schwanke noch stark, bin mal dafür und mal dagegen, kennt ihr sicher auch, hab aber schon einiges aus dem Thread zum Überlegen mitgenommen.

    Und jetzt: Weitermachen :)

  • Nur all das scheint mir dann doch seine Ursache nicht im soziologischen Mainstream zu haben. Der scheint mir die Phänomene lediglich zu beschreiben.

    Bei dieser Reihenfolge habe ich so meine Zweifel. ;) Aber danke für die Erhebung einiger Definitionen und Erläuterungen.

  • Bei dieser Reihenfolge habe ich so meine Zweifel. ;)

    Ist ja nicht so, als hätte ich da den Durchblick. Vielleicht verstehe ich unter soziologischem Mainstream auch was anderes?
    Ich sortiere vor mich hin, ordne es in den mir bekannten Kontexten ein. Die in dem Bereich nicht gerade ausgeprägt sind.

    Die Diskussion finde ich jedenfalls interessant und fruchtbar. Ich hoffe, sie ist es für Dich auch. Wenigstens ein bisschen...

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  • Ich habe weiter recherchiert. Dachte, ich schaue mir Mal den dritten Autor an, dem ich in dieser Sache ebenfalls sehr vertraue. Und fange an zu verstehen, wovon Du redest, Tom. Ach was, finde es wirklich beängstigend, was da passiert.


    Richard Morgan auf Twitter geblockt.


    Für die, die nicht wissen, wie ich zu Richard Morgan stehe. Es ist schwierig einen Autor zu finden, der mehr für Diversität steht, als er.

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  • Ja, Morgan ist jemand, der zeigt, wie es sein könnte, und der seinen Figuren nur sie selbst mitgibt. Davon abgesehen schreibt er einfach unglaublich. Leider häufen sich solche Vorgänge, und ich bin ratlos, wie man damit umgehen kann. 😢

  • Für die, die nicht wissen, wie ich zu Richard Morgan stehe. Es ist schwierig einen Autor zu finden, der mehr für Diversität steht, als er.


    Also ich weiß nicht... Grundsätzlich stimme ich mit euch überein was die Gefahren und Auswüchse von "Cancel Culture" angeht, aber es gibt nun einmal auch Autoren, oder Künstler oder andere öffentliche Personen allgemein, die das geradezu bewusst anziehen und ihre politische Unkorrektheit geradezu zelebrieren. Nun habe ich Morgans Karriere die letzten 10 Jahre oder so nicht weiterverfolgt, aber damals als das Science Fiction Genre generell diverser wurde, hatte er auch schon die Tendenz eben mal einen rauszuhauen und Eskalationen geradezu zu provozieren.

    Und wenn ich dann jetzt diesen Link öffne und das lese was er zu Trans Menschen sagt. Ja, da stimme ich in bestimmten Punkten auch zu (Biologie als Fakt), aber das ist doch in einer so offensichtlich provozierenden Art und Weise sortiert, wo dann die Extrembeispiele besonders herausgestellt werden, dass ich das Endresultat tatsächlich als problematisch und transfeindlich einstufen muss. Und belegt wird das mit Googled das doch mal. Ja leider glaube ich, dass die meisten Dinge tatsächlich passiert sind, nur weiß ich nicht ob das den Regelfall entspricht und somit als Argument herhält.


    Ähnlich bei J.K. Rowling. Arme, verfolgte Erfolgsschriftstellerin. Ihre einzelnen Beiträge kann man teilweise lesen und denken, ok, kann man so schreiben. Aber was bringt Leute dazu sich so in ein Thema einzufuchsen, das sie ja eigentlich gar nicht tangieren sollte, und da immer und immer wieder reinzuhauen. Im Extremfall landet man dann irgendwann beim Ben Shapiro Niveau und der ist nun wirklich durchgeknallt (einfach mal nach Shapiros "Actress Ellen Page Declares She is a Man Named Elliot" YouTube suchen und staunen - Morgan kommt diesem Niveau schon sehr nah).

  • Und wenn ich dann jetzt diesen Link öffne und das lese was er zu Trans Menschen sagt. Ja, da stimme ich in bestimmten Punkten auch zu (Biologie als Fakt), aber das ist doch in einer so offensichtlich provozierenden Art und Weise sortiert, wo dann die Extrembeispiele besonders herausgestellt werden, dass ich das Endresultat tatsächlich als problematisch und transfeindlich einstufen muss.

    Morgan ist zweifellos jemand der gerne provoziert. Und diesen Post hat er geschrieben, als er gerade zum zweiten Mal von Twitter geblockt wurde, diesmal dauerhaft. Ich gestehe ihm da durchaus eine emotionalere Reaktion zu.


    Ich habe nahezu alles von ihm gelesen, er ist schon immer ein Vorreiter gewesen wenn es darum geht Diversität in Romanform zu gießen. Und er ist einer derjenigen, der das überzeugend kann.

    2010 hat er den Gaylactic Spectrum Award gewonnen, einem nordamerikanischen Literaturpreis für Positivbeispiele im LGBT-Bereich.

    Ich weiß nicht, was er auf Twitter geschrieben hat, es wird vermutlich deutlich gewesen sein.

    Es ist eine wichtige und intelligente Stimme, die da geblockt wird. Und das erschreckt mich wirklich.

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  • Ich trau mich kaum, hier in der intellektuellen Diskussion mitzuschreiben. Mein Beitrag ist sicher dumm.


    Aber meine Meinung ist: wenn man Gleichberechtigung in der Sprache will, warum kehrt man nicht zurück zum generischen Maskulinum? Gerade diese Form war doch geschlechtsneutral. Ich fand schon das "liebe Studentinnen und Studenten" affig. Ich hab mich stets angesprochen gefühlt bei "liebe Studenten". Weil unsere Sprache die Möglichkeit bietet, eine inhomogene Gruppe so anzureden, dass alle eingeschlossen sind. Ist nicht grad das Gleichberechtigung, wenn ein Begriff ALLE meint? Das generische Maskulinum ist doch ein Mittel zum Zweck und nicht zur Diskriminierung. Evtl. hätte es das generische Feminimum geben können. Aber die Form ist halt länger. Und wir Deutsche sind praktisch.




    Was spricht gegen eine Form für alle? Unsere Sprache bietet doch die Möglichkeit. Wen führt man als nächstes auf hinter dem Sternchen? Ich als psychisch kranker Mensch kenn auch Vorurteile. Von meiner eigenen Mutter sogar. Ich möchte bitte auch demnächst irgendwo erwähnt werden. Liebe Student*innen und Bekloppt*innen. Oder so. Blöd. Für Brkloppte gibts gar kein Femininum im Plural. Da muss man aber nachbessern! :D

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Also ich weiß nicht... Grundsätzlich stimme ich mit euch überein was die Gefahren und Auswüchse von "Cancel Culture" angeht, aber es gibt nun einmal auch Autoren, oder Künstler oder andere öffentliche Personen allgemein, die das geradezu bewusst anziehen und ihre politische Unkorrektheit geradezu zelebrieren. Nun habe ich Morgans Karriere die letzten 10 Jahre oder so nicht weiterverfolgt, aber damals als das Science Fiction Genre generell diverser wurde, hatte er auch schon die Tendenz eben mal einen rauszuhauen und Eskalationen geradezu zu provozieren.

    Die Richtung, in die das geht, verneint im Grundsatz die Meinungs- und Kunstfreiheit und die Pluralität der Gesellschaft. Wer sich nicht auf der Linie befindet, wer sich nicht korrekt verhält, bei dem ist es ein bisschen auch okay, die Reißleine bis zum Fundament durchzuziehen. Die sehr erschütternden Diskussionen, die sich im Nachgang zum Teil ruinöser Attacken gegen Künstler entfalten, zeigen das anschaulich (und sind angsteinflößend): Es wird dann irgendwie doch, sei es zur Schadensbegrenzung oder zur nachträglichen Rechtfertigung des eigenen Verhaltens, nach Aspekten gesucht, die die Schuld ein bisschen auch den Leuten zuschieben, die man gerade fertiggemacht hat. Und im Interesse der Sache ist es ja sowieso nie ganz falsch. Außerdem, hey, provozieren. Das geht ja wohl gar nicht mehr. Wie kann man nur. (Oder höchstens so, wie das viele amerikanische Standupper gerade machen, um überhaupt noch auftreten zu können: Sie erzählen einen Witz, verneinen ihn gleich im Anschluss und/oder beleidigen sich selbst und entschuldigen sich vorsorglich. Halleluja. Und, nein, ich will jetzt keine Diskussion darüber führen, wie achtsam Comedy sein kann. Drauf geschissen, ehrlich.)


    Ich habe früher sehr, sehr gerne die Bücher von Leon de Winter gelesen. Ich halte Titel wie "Hoffmanns Hunger" oder "Malibu" immer noch für nachgerade genial, zähle sie zu den schönsten und intensivsten Prosatexten, die ich je von europäischen Autoren gelesen habe. Aber de Winter hat sich eigenartig entwickelt, sucht die Nähe zu Themen und Leuten, mit denen ich eher nicht so gerne zu tun haben möchte, also habe ich die sehr einseitige Beziehung beendet. Ich lese ihn nicht mehr. Das ist meine Entscheidung, mein Umgang mit Meinungs- und Kunstfreiheit: Jemand, dessen Meinung ich nicht teile, vor allem, wenn sie zentraler Bestandteil seiner Werke geworden ist, dessen Ausstoß als Künstler konsumiere ich halt nicht mehr, ganz egal, wie gut er ist, fertig (umgekehrt lese ich auch keine schlechten Texte von Leuten, deren Meinung mir gefällt, nur weil ich diese Meinung stütze). Das ist der Weg, wie man mit derlei umgehen sollte. Was mir nicht gefällt, tue ich mir auch nicht an. Dann meide ich eben die Programme der Comedians und Musiker, Filme von oder mit bestimmten Leuten, Aufführungen oder Bücher. Aber heutzutage (ein Begriff, den ich auch gerne eher meide) genügt das nicht mehr. Vor allem Künstlern, je prominenter, umso besser, muss verdeutlicht werden, dass es einen Kurs gibt, von dem abzuweichen eine ruinöse Gefahr darstellt. Mehr noch. Auch wer sich in der Vergangenheit irgendwie verdächtig gemacht hat, der hat in der gegenwärtigen Kultur nichts mehr zu suchen. Mit Verlaub, der Schritt zur Bücherverbrennung ist da tatsächlich kein großer mehr, obwohl ich bei solchen Vergleichen und den dahinterstehenden Absichten großes Unbehagen empfinde. Und eingestampft wird übrigens bereits im Stillen jede Menge.


    Das Nachfolgende hat nur eine indirekte Verbindung hierzu.


    Auch wenn wir Antidiskriminierungsgesetze haben (bzw. das AGG, das "Allgemeine Gleichstellungsgesetz"), sollten wir nicht vergessen, dass es nicht verboten ist, zum Beispiel homophob oder transphob oder sexistisch oder rassistisch oder sonstwie -istisch zu sein, in allen denkbaren Abstufungen - ganz im Gegenteil, die Freiheit, so zu denken, gehört zu den elementarsten, die unsere Verfassung jedem zusichert. Der Gesetzgeber bietet Einhalt, wenn es (in der Kommunikation und Selbstdarstellung nach außen) volksverhetzend wird, und die Kriterien hierfür sind nicht eben leicht zu erfüllen. Das AGG regelt nicht das Verhalten aller oder die moralischen Grundlagen allgemeinen Handelns; die Anwendungsbereiche betreffen öffentliche Einrichtungen, in erster Linie aber das Berufsleben. Arbeitgeber haben sich daran zu halten, aber kein Mensch ist gezwungen, seinen eigenen Alltag diskriminierungsfrei zu gestalten, und das gilt auch für Künstler oder andere Personen, die im öffentlichen Raum unterwegs sind. Das AGG regelt nicht die Meinung(sfreiheit) oder ihre Grundlagen, sondern den Zugang zu Arbeitsmarkt und sozialen Einrichtungen. Es verbietet nicht, beispielsweise der Überzeugung zu sein und sie zu vertreten, dass homosexuelle Menschen keine Kinder adoptieren dürfen sollten. Die katholische Kirche, die nicht nur staats- und steuersubventioniert ist, sondern auch zu den größten Arbeitgebern der Republik gehört, vertritt diese Überzeugung aber überwiegend. Davon abgesehen ist die kK u.a. ein Hort der täglich praktizierten Misogynie. Und das ist, so bedauerlich das auch erscheint, in Ordnung. Menschen haben das Recht, eine Meinung zu haben, die (vielen) anderen nicht gefällt, und sie verlieren mit dem Vertreten dieser exotischen Überzeugung nicht ihre sonstigen bürgerlichen Rechte.


    Vor allem dieser Teil der Grundlagen einer pluralistischen Gesellschaft wird derzeit gerne verneint, und in der Folge werden Denunziation, Ausgrenzung und noch intensivere Vorgänge initiiert. Gerade die Instrumente, die die "sozialen" Medien zur Verfügung stellen, befördern solche Feldzüge, deren Ziel längst nicht erreicht ist, wenn jemand in einer Sachfrage zum Schweigen gebracht wurde.


    Auf keinen Künstler, über den wir hier bislang gesprochen haben, trifft das jedoch zu, dass er oder sie in diesen schwer auszuhaltenden, aber leider zu erduldenden Bereich fällt. Es geht zum Beispiel bei Frau Rowling meiner Überzeugung nach auch nicht darum, ihre Meinung aus dem öffentlichen Raum zu beseitigen, sondern mit großer Macht zu demonstrieren, was sogar einer Person in ihrer Position passieren kann, wenn sie den Fehler macht, vom Pfad der Tugend abzuweichen. Sie wird nicht einfach nur nicht mehr gelesen, von bestimmten Leuten oder sogar von vielen, nein, es wird der Versuch unternommen, sie als Person vollständig zu demontieren und zugleich, weil es viele Fans gibt und sie nach wie vor zu den meistverkauften Autoren der Welt gehört, von ihrem Werk zu trennen.


    Es ist leider schwierig, all die Themen, die hier strukturelle Gemeinsamkeiten haben, voneinander zu trennen, und natürlich ist nicht jeder, der energisch für das Gendern eintritt, zugleich ein Fan von "Cancel Culture". Darum geht es auch nicht. Es geht um einen paradigmatischen Wandel in unseren Gesellschaften, wenn es um Meinungsvielfalt und -hoheit geht, und es geht um den Verlust von Freiheiten.


    Es ist sehr schwer, einen solchen Beitrag zu verfassen, ohne sich verdächtig zu machen, Diskriminierungen rechtfertigen zu wollen. Nur wenig liegt mir ferner, deshalb gehe ich auch über diese wackelige Brücke nicht.

  • Auch im Kontext von Toms Kommentar ein Artikel, der mich gerade beschäftigt.

    Ist es ein sinnvoller Beitrag zur Diversität, wenn Suzanne Moore nicht mehr für den Guardian schreibt?

    Und einer ihrer Guardian-Artikel, damit man auch diesbezüglich ein Bild hat


    Und noch zu Richard Morgan auf Twitter und Toms Hinweis, dass versucht wird Künstler und ihre Werke zu trennen:
    Richard Morgan auf Twitter aus Transgender-Sicht

    "Wait, is that the Altered Carbon guy? ... has he read his own series?"

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  • Die Frage: "Bin ich transphob, wenn ich anmerke, dass nur Frauen eine Gebärmutter haben?" bringt den Ansatz der Aufgeregtheit durchaus auf den Punkt. Mal von der - bislang unbeantworteten - Frage abgesehen, ob die Betroffenen das selbst so sehen würden, denn diejenigen, die so intensiv vermeintlich für ihre Belange eintreten, sind mit ihnen nicht notwendigerweise deckungsgleich, zeigt es deutlich, wie lang und stark der Hebel ist, der hier und in vergleichbaren Bereichen inzwischen angesetzt wird - das Paradigma ist unantastbar. Und die Liste der unterstellten Phobien, die den Rassismus längst zu einem Mauerblümchen haben werden lassen, wächst täglich.


    Ich habe so meine Zweifel, ob das ein guter Weg in eine diskriminierungsfreie oder wenigstens -ärmere Welt ist.

  • Ich finde diese ganze Entwicklung sehr erschreckend. Mir war sie in dieser Tragweite nicht bewusst (muss wohl in einer Corona-Isolation gelebt haben oder so).

    Ich sehe sie (bisher?) trotzdem nicht als einen soziologischen Mainstream.
    Vielleicht eher eine Art Büchse der Pandora, die mir auf ein ziemlich großes Missverständnis zu beruhen scheint. Vielleicht will ich aber auch nur Hoffnung haben.

    Dieser Kommentar von Richard Morgan triffts für mich sehr gut:
    What’s terrifying is that the problem here is one of social and political self-mutilation, because it’s these aspects of society – the artists, the academy, the progressive left – that are supposed to serve as our bulwarks against totalitarianism. If we lose those aspects to dumb, kneejerk mob righteousness, then we go naked into the arena against the Trumps and Putins of this world, and then we fucking lose – big-time!

  • Aber meine Meinung ist: wenn man Gleichberechtigung in der Sprache will, warum kehrt man nicht zurück zum generischen Maskulinum? Gerade diese Form war doch geschlechtsneutral. Ich fand schon das "liebe Studentinnen und Studenten" affig. Ich hab mich stets angesprochen gefühlt bei "liebe Studenten". Weil unsere Sprache die Möglichkeit bietet, eine inhomogene Gruppe so anzureden, dass alle eingeschlossen sind. Ist nicht grad das Gleichberechtigung, wenn ein Begriff ALLE meint? Das generische Maskulinum ist doch ein Mittel zum Zweck und nicht zur Diskriminierung. Evtl. hätte es das generische Feminimum geben können. Aber die Form ist halt länger. Und wir Deutsche sind praktisch.


    Was spricht gegen eine Form für alle? Unsere Sprache bietet doch die Möglichkeit. [...]

    Das ist genau der Ansatz den die Briten gegangen sind, und den ich gut finde. Ich bin nicht eine gute Ingenieurin, ich bin ein guter Ingenieur. Frauen sollten keine eigene Gruppe bilden sondern Teil der Gesamtheit sein.

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  • Die Frage: "Bin ich transphob, wenn ich anmerke, dass nur Frauen eine Gebärmutter haben?" bringt den Ansatz der Aufgeregtheit durchaus auf den Punkt.

    Du bist nicht transphob, nur gedankenlos - wie die meisten Menschen. Ich habe mir da früher auch keine Gedanken drüber gemacht. Aber eine meiner Schwestern ist Psychologin und betreut viele Transpersonen, sie hat sich da einen Namen gemacht. Daher weiß ich inzwischen deutlich mehr über diese Menschen. Transmänner haben, solange sie keine Hormontherapie bekommen, auch PMS und ihre Tage und für die ist es oft besonders schwer, weil es sie immer daran erinnert im falschen Körper zu sein.


    Das ist mit vielen Dingen so von denen man nicht betroffen ist. Ich werde nie wirklich wissen wie es ist, wegen meiner Hautfarbe, Religion oder Sexualität diskriminiert zu werden. Oder wissen wie es ist ein Mann zu sein. So wie du vermutlich nie wissen wirst, wie es ist, als Frau diskriminiert zu werden oder Bodyshaming abzubekommen.

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  • Tom bewegt sich in dem Kontext des Artikels von Suzanne Moore im Guardian.
    Ich habe den Eindruck, Du bei Deiner Antwort nicht?

    Nein, ich bezog mich darauf dass viele Menschen so denken. Vielleicht hätte ich "Es ist nicht transphob" schreiben sollen.

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