'Jakob der Lügner' - Seiten 141 - 213

  • Mag man es richtig finden, dass Jakob die Lüge vom Radio aufrecht erhält oder nicht - es hat bewirkt viel Gutes. Die Selbstmordrate im Ghetto geht zurück. Wer bringt sich um, wenn es doch wieder Hoffnung gibt...Es wird wieder geheiratet, weil es eine schmale Aussicht auf Zukunft gibt.

    Und so plant Jakob sich ganze Schlacht erläutern zusammen.

    Ich frage mich, ob er wirklich so arglos ist, so voller Zuversicht, dass schon nichts schiefgehen wird oder ob er die Angst nur nicht aufkommen lassen will. Wir erfahren das nicht.


    Professor Kirschbaums Tod ist schon eine wirklich starke Geschichte, ein Abschied und eine Entscheidung voller Würde und Stolz.

  • Kirschbaums Selbstmord ist nachvollziehbar. Mich wundern nur die Gedankengänge der Deutschen dort. Nach Jahren der Verachtung, des Hungers, der Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Herabwürdigung mit niedrigsten Arbeiten glauben sie tatsächlich der Professor würde mit ein wenig Höflichkeit dazu zu bringen sein den Gestapo-Chef zu behandeln und vielleicht sogar sein Leben zu retten :hmm Bei aller perfiden Grausamkeit konnten sie sich doch nicht vorstellen, was die Juden empfunden und erlitten haben.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Jakob spielt für Lina Radio. Nach anfänglichem Zögern gefällt er sich selber in der Rolle des Darstellers. So sehr, dass er gar nicht merkt, dass Lina ihm auf die Schliche kommt. Mich wundert, dass der Autor diese Szene so ausführlich berichtet und sogar das Märchen in allen Einzelheiten erzählt. Nur um darzustellen, dass Kinder eine Geschichte nicht richtig wiedergeben können?

    Oder welche Aussage könnte dieses Textfragment haben? :gruebel

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Kowalski ist auch ein seltsamer Charakter. Besorgt er doch glatt in kürzester Zeit einen Rundfunktechniker, der Jakobs Radio reparieren soll. Seltsam, dass er nicht schon längst eine Nacht bei ihm verbracht hat, um die so begehrten Meldungen selber zu hören.

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Kirschbaums Selbstmord ist nachvollziehbar. Mich wundern nur die Gedankengänge der Deutschen dort. Nach Jahren der Verachtung, des Hungers, der Unfreiheit, Ungerechtigkeit und Herabwürdigung mit niedrigsten Arbeiten glauben sie tatsächlich der Professor würde mit ein wenig Höflichkeit dazu zu bringen sein den Gestapo-Chef zu behandeln und vielleicht sogar sein Leben zu retten :hmm Bei aller perfiden Grausamkeit konnten sie sich doch nicht vorstellen, was die Juden empfunden und erlitten haben.

    Sie werden sich sicher gewesen sein, dass der Professor aus Angst um sein Leben und das Leben seiner Schwester schon alles tun würde, um den Kranken zu retten.

    Sie haben nicht bedacht, dass es vielleicht einen Punkt gibt, an dem man nichts mehr zu verlieren hat.

  • Oder welche Aussage könnte dieses Textfragment haben?

    Es ist sehr wichtig. Jedes Detail zählt hier. Becker ist eben ein moderner Autor. Er streut Indizien aus, wie in einem Krimi oder J.K.Rowling bei HP.

  • Jakob spielt für Lina Radio. Nach anfänglichem Zögern gefällt er sich selber in der Rolle des Darstellers. So sehr, dass er gar nicht merkt, dass Lina ihm auf die Schliche kommt.

    Diese Szene, in der Jakob mit Lina im Keller das Radio imitiert ist bisher meine Lieblingsstelle in dem Buch . In dieser Szene konnte ich tatsächlich für kurze Zeit vergessen, dass sich die ganze Handlung in einem Ghetto abspielt und unter was für furchtbaren Bedingungen sie dort leben müssen. Ich fand es so herzerwärmend, wie Jakob versucht, für Lina einen tollen Märchenonkel im Radio zu geben und wie Lina dann merkt, dass es gar kein Radio ist, sondern nur Jakob, der alles selbst spielt. Das fand ich einfach nur rührend.


    Insgesamt nimmt mich das Buch jetzt allerdings schon ziemlich mit. Ich kann gar nicht genau sagen, was es in diesem Abschnitt ist, aber ich finde es zum Teil so traurig zu lesen. Wie dieser Ich-Erzähler berichtet, wie er nach dem Krieg noch mal in das Ghetto gekommen ist und sich alles angschaut hat, das hat mich so bedrückt, weil ich da das Gefühl hatte, das alle Personen aus dem Buch wohl gestorben sein müssen, bis auf den Erzähler.

  • Wie dieser Ich-Erzähler berichtet, wie er nach dem Krieg noch mal in das Ghetto gekommen ist und sich alles angeschaut hat, das hat mich so bedrückt, weil ich da das Gefühl hatte, das alle Personen aus dem Buch wohl gestorben sein müssen, bis auf den Erzähler.

    Die Zahl der Überlebenden von einem Ghetto (Lodz, Warschau) war äusserst gering. Sie lag unter einem Prozent der zusammengepferchten Einwohner.

  • Das ist wirklich kein Wohlfühlbuch. Vielleicht stören mich deshalb die heiteren Episoden eher :gruebel

    Bei Romanen mit geschichtlichem Bezug ist es eigentlich generell so, dass die fiktiven Figuren als Platzhalter für reale Personen in Wirklichkeit längst gestorben wären. Hier sollte es eigentlich nicht so einen großen Unterschied machen, ob sie nun 30 oder 50 oder 80 Jahre vorher gestorben sind. Aber es macht eben doch viel aus! :(

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

    Dieser Beitrag wurde bereits 1 Mal editiert, zuletzt von Tante Li ()

  • Die Zahl der Überlebenden von einem Ghetto (Lodz, Warschau) war äusserst gering. Sie lag unter einem Prozent der zusammengepferchten Einwohner.

    Einfach nur unvorstellbar.:(



    Hier sollte es eigentlich nicht so einen großen Unterschied machen, ob sie nun 30 oder 50 oder 80 Jahre vorher gestorben sind. Aber es macht eben doch viel aus!

    Es ist für mich klar, dass die Personen in einem historischen Roman schon gestorben sind. Aber hier sind es halt die grausamen, unmenschlichen Umstände unter denen diese Menschen alle viel zu jung umgekommen sind. Das macht für mich schon einen riesen Unterschied.

  • Kowalski ist auch ein seltsamer Charakter. Besorgt er doch glatt in kürzester Zeit einen Rundfunktechniker, der Jakobs Radio reparieren soll. Seltsam, dass er nicht schon längst eine Nacht bei ihm verbracht hat, um die so begehrten Meldungen selber zu hören.

    Ich vermute ja mal, es liegt an ihm, wenn die ganze Sache auffliegt.

    Einfach nur unvorstellbar.:(



    Es ist für mich klar, dass die Personen in einem historischen Roman schon gestorben sind. Aber hier sind es halt die grausamen, unmenschlichen Umstände unter denen diese Menschen alle viel zu jung umgekommen sind. Das macht für mich schon einen riesen Unterschied.

    :write


    Genau das ist die Krux, die einem zu schaffen macht. Diese Menschen hätten ja vielleicht noch Jahre ein gutes Leben vor sich gehabt. Das wurde ihnen auf eine Art genommen, die man gar nicht begreifen kann. Sicher gibt es Menschen die jung oder jünger sterben, aber nicht so und nicht in der Zahl.


    Ich hab noch 4o Seiten zu lesen in dem Abschnitt, der Tod Kirschbaums wird also doch noch erzählt. Hat sich der Erzähler noch dazu entschlossen.

  • Dass Kirschbaum so unmittelbar den Tod wählt, hat mich zunächst erstaunt, obwohl in der Abschiedsszene mit seiner Schwester darauf hingewiesen wird. Aber da dachte ich noch an Deportation nach missglückter ärztlicher Behandlung. Aber sicherlich kann man nach den alltäglichen Grausamkeiten im Ghetto davon ausgehen, dass Kirschbaum sofort getötet worden wäre, und er konnte sich ausrechnen, dass nicht mehr viel Hoffnung für den SS-Offizier bestanden hatte, nachdem sein Hausarzt ratlos und schon soviel Zeit vergangen war. Vielleicht wollte er aber auch nicht den Feind behandeln, was bei einem selbstbewussten Mann wie ihm ja auch passen würde. Seine Schwester hat auf mich auch einen großen Eindruck gemacht, ihre unerschütterliche Haltung, die sie gegenüber den Schergen, aber auch beim Abschied von ihrem Bruder bewiesen hat.

  • Und wieder so eine Nebenbei-Stelle, die ich in Bezug auf die Gräuel am schauerlichsten finde:

    "Der mit Fejngold zusammen beim Aufräumungskommando arbeitet, die Straßen von Unrat und Verhungerten säubert ..." (S. 175).


    Im Übrigen bin ich gespannt, ob wir noch irgendwann erfahren, was mit Feijngold geschehen ist. Aber auch dieses Nicht-Wissen ist ja typisch für die Situation, in der sich die Ghetto- Insassen befanden.

  • Ja, diese Stelle ist mir auch aufgefallen. Sie macht deutlich welchen Unwert Juden in den Augen der Machthaber hatten. Aber auch, dass sich keiner der Leidensgenossen um die Verhungernden kümmert. Schließlich stirbt man meistens nicht gleich, wenn man vor Schwäche auf der Straße zusammenbricht. So mancher hätte vielleicht wieder aufgepäppelt werden können, wenn ein wenig Wärme und Nahrung zu spenden dagewesen wäre :wow

    - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - -
    Von den vielen Welten, [...] ist die Welt der Bücher die größte. (Hermann Hesse)


    :lesend U. T. Bareiss: Green Lies - Tödliche Ernte

  • Aber da dachte ich noch an Deportation nach missglückter ärztlicher Behandlung. Aber sicherlich kann man nach den alltäglichen Grausamkeiten im Ghetto davon ausgehen, dass Kirschbaum sofort getötet worden wäre, und er konnte sich ausrechnen, dass nicht mehr viel Hoffnung für den SS-Offizier bestanden hatte, nachdem sein Hausarzt ratlos und schon soviel Zeit vergangen war. Vielleicht wollte er aber auch nicht den Feind behandeln, was bei einem selbstbewussten Mann wie ihm ja auch passen würde.

    Ich denke, dass er den SS-Chef nicht behandeln wollte, ihn nicht vielleicht sogar retten wollte.

  • Ich denke, dass er den SS-Chef nicht behandeln wollte, ihn nicht vielleicht sogar retten wollte.

    Ich habe KIrschbaums Selbstmord eindeutig als Konfrontation empfunden. Er will einfach nicht zum Handlanger werden und dem Mörder vieler Tausend Juden im Ghetto womöglich das Leben retten. Eine schlüssige Handlung. Einfach großartig, die Reaktion und das Benehmen der Schwester. Contenance in jeder Lebenslage.

  • Bei den Geschwistern Kirschbaum lese ich etwas zwischen den Zeilen. Die Schwester insistiert, dass ihr Bruder den warmen Schal mitnimmt. Ist das ein geheimes Zeichen zwischen den Geschwistern? Heisst es vielleicht, dass die Schwester ihrem Bruder zu verstehen gibt, sie steht auf seiner Seite. Sie - dank des Schals - ist im letzten Moment bei ihm.

    Im jüdischen Glauben ist Selbstmord nicht erlaubt. Es gibt wenige Ausnahmen, eine davon ist, wenn ein Selbstmord einen Mord verhindern kann. Will Prof. Kirschbaum durch seinen Selbstmord Rachemorde an anderen Ghettobewohnern zuvorkommen?

  • Die Schwester insistiert, dass ihr Bruder den warmen Schal mitnimmt. Ist das ein geheimes Zeichen zwischen den Geschwistern? Heisst es vielleicht, dass die Schwester ihrem Bruder zu verstehen gibt, sie steht auf seiner Seite. Sie - dank des Schals - ist im letzten Moment bei ihm.

    Das mit dem Schal ist mir beim Lesen auch aufgefallen und ich habe mich gefragt, was es wohl damit auf sich hat. Ich dachte zuerst spontan, die Schwester hätte etwas in dem Schal versteckt, aber so war es ja nicht. Also denke ich auch, sie wollte ihm damit einfach ein Zeichen geben, dass sie bei ihm und an seiner Seite ist.

  • Ich dachte zuerst spontan, die Schwester hätte etwas in dem Schal versteckt, aber so war es ja nicht.

    Ich habe mich auch gefragt, ob die Giftpillen vielleicht im Schal versteckt waren...